Das im laufenden Alphabet nicht Verzeichnete ist im Register des Schlußbandes aufzusuchen.
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Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Das im laufenden Alphabet nicht Verzeichnete ist im Register des Schlußbandes aufzusuchen.
[* 1] (Hirn), bei den Wirbeltieren (mit Ausnahme der Leptokardier) der vorderste, im Kopf gelegene Abschnitt des Zentralnervensystems, der sich von seiner Fortsetzung nach hinten, dem Rückenmark, gewöhnlich durch komplizierten Bau und größere Weite unterscheidet, von Haus aus jedoch nur das Vorderende desselben darstellt. Bei Wirbellosen (z. B. den Insekten) nennt man häufig Gehirn die über dem Schlund gelegene Nervenmasse im Gegensatz zu dem unter demselben verlaufenden Bauchmark (s. Nervensystem). - Das Gehirn der Wirbeltiere ist seiner Entstehung beim Embryo zufolge gleich dem Rückenmark ein Rohr, dessen Höhlung aber nicht an allen Stellen gleich weit ist, und dessen Wandungen von Nervenzellen und Nervenfasern gebildet werden.
Vorn ist das Rohr geschlossen, hinten setzt es sich in das Rückenmark fort; es zerfällt in fünf blasenartige Abschnitte, das Vorder-, Zwischen-, Mittel-, Hinter- und Nachhirn. Diese liegen jedoch nicht genau hintereinander, vielmehr ist das Rohr gewöhnlich an der Grenze zwischen Mittel- und Hinterhirn geknickt. Der beim Embryo stark entwickelte Hohlraum schwindet bei den erwachsenen Tieren mehr, indessen lassen sich Reste davon auch beim Menschen noch als die sogen. Hirnhöhlen erkennen.
Nach vorn zieht sich das Vorderhirn in zwei kleinere Höhlen, die sogen. Riechlappen (Textfig. 1 u. 2 a), aus, von denen die Riechnerven entspringen; in ähnlicher Weise bildet seitlich je eine Ausbuchtung desselben Hirnteils die Anlage des Auges. Was das Verhältnis der einzelnen Abschnitte des Gehirns zu einander betrifft, so nimmt mit der Ausbildung der Intelligenz das Vorderhirn bedeutend zu und überwiegt daher bei vielen Säugetieren so sehr, daß es als sogen. großes (b) die übrigen Teile nahezu und beim Menschen sogar ganz bedeckt. Es ist bei fast allen Wirbeltieren in zwei nebeneinander liegende.
Hälften (Hemisphären oder Lappen des großen Gehirns) geteilt und bei starker Ausbildung an seiner Oberfläche mit Furchen und Falten versehen, so daß es, wenn man diese glätten wollte, im Schädel nicht Raum genug finden würde. Von den andern Hirnabschnitten sind die beiden letzten, Hinter und Nachhirn, gewöhnlich als kleines (c) und verlängertes Mark (d) bezeichnet, stets stark entwickelt, während Zwischen- und Mittelhirn (e) gewöhnlich an Masse unbedeutend sind.
Beim Menschen hat das Gehirn eine nahezu eiförmige Gestalt und ein Durchschnittsgewicht von etwas über 1400 g beim Mann und etwas über 1300 g beim Weib (Genaueres s. unten); es erreicht dieses und seine bleibende Größe schon im 7.-8. Lebensjahr. Von den schon erwähnten fünf Teilen faßt man drei als Unter- oder Mittelhirn (subencephalon, mesencephalon) zusammen und bezeichnet außerdem noch besonders das kleine (cerebellum) und das große Gehirn (cerebrum). Letzteres macht etwa sechs Siebentel der ganzen Hirnmasse aus und bedeckt den Rest derselben völlig. Von obenher wird es durch eine tiefe Längsspalte (s. Tafel, [* 1] Fig. 3) in die zwei Hemisphären geteilt, welche unter sich durch den sogen. Balken (corpus callosum, [* 1] Fig. 1 u. 2), mit dem Mittelhirn durch die beiden Großhirnschenkel (pedunculi cerebri, [* 1] Fig. 2) verbunden sind, mit dem Kleinhirn aber direkt gar nicht zusammenhängen. Die gesamte Oberfläche der Großhirnhemisphären zeigt eine eigentümliche Faltung, wodurch die Hirnwindungen (gyri) entstehen. Dies sind Wülste [* 1] (Fig. 3) von 5-17 mm Breite, die durch enge, aber
Fig. 2. Gehirn des Kaninchens.]
[* 1] ^[Abb.: Fig. 1 von oben (rechts geöffnet, um die Hirnhöhlen zu zeigen); ]
[* 1] ^[Abb.: Fig. 2 von unten, mit den Ursprungsstellen einiger Nerven. a Riechlappen, b Vorderhirn, c Kleinhirn, d verlängertes Mark, e Mittelhirn, f Hirnanhang (Hypophysis).]
14-27 mm tiefe Thäler äußerlich voneinander gesondert werden und die Oberfläche des Gehirns etwa acht bis zehnmal größer machen, als sie ohne dieselben sein würde. Eine besonders tiefe. Falte, die Sylviussche Grube (fossa Sylvii, [* ] Fig. 4), auf der untern Fläche (Basis) des Großhirns scheidet es in zwei Lappen, den vordern und mittlern; letzterer geht ohne scharfe Grenze in den hintern [* ] (Fig. 3) über. Die schon erwähnten Höhlungen der Hemisphären, die sogen. Seitenventrikel (ventriculi cerebri, [* ] Fig. 2), sind sehr eng und niedrig, enthalten etwas wässerige Flüssigkeit und haben zwischen sich eine Scheidewand, deren hinterer Teil Gewölbe (fornix, [* ] Fig. 1 u. 2) heißt, an der Basis des Gehirns von den Markhügeln (corpora candicantia, [* ] Fig. 1 u. 4) ausgeht und durch eine kleine Öffnung, das sogen. Monrosche Loch (foramen Monroi), die Seitenventrikel mit der dritten Hirnhöhle (s. unten) kommunizieren läßt.
Jeder Ventrikel hat drei Ausläufer (Hörner), die sich weit in die Lappen des Großhirns erstrecken, und deren Wandungen zum Teil besondere Namen (Ammonshorn, Seepferdefuß etc.) erhalten haben. Da Großhirn besteht in seiner ganzen Masse aus einer etwa 5 mm dicken Rindenschicht (Hirnrinde) von grauer Farbe und großem Reichtum an Ganglienzellen und der darunter gelegenen weißen, aus Nervenfasern, die in allen möglichen Richtungen verlaufen, zusammengesetzten Markschicht.
Die graue Rinde macht etwa 40 Proz. des Gesamtvolumens des Großhirns aus; die Anzahl der Ganglienzellen schätzt man auf Milliarden, sie sind hier dichter angehäuft als an irgend einer andern Stelle des Nervensystems. Das Zwischenhirn ist sehr unbedeutend; seine Höhle, der sogen. dritte Ventrikel, verlängert sich nach der Basis des Gehirns zu in einen kleinen geschlossenen Trichter [* ] (Fig. 2), an dem ein solider Körper, der sogen. Hirnanhang (hypophysis cerebri, auch Schleimdrüse, glandula pituitaria, genannt, [* ] Fig. 1; s. ferner Tafel »Nerven I«, [* ] Fig. 1), sitzt.
Dieser, von der Größe einer kleinen Kirsche, geht beim Embryo zum größten Teil aus einem sich abschnürenden Stück der Rachenschleimhaut hervor und ist beim Erwachsenen ohne jede Bedeutung. Ähnlich verhält es sich mit der Zirbeldrüse (glandula pinealis oder epiphysis cerebri), in der man wohl den Sitz der Seele gesucht hat. Auch sie ist ein Rest einer während der Entwickelung im Ei auftretenden Bildung, nämlich ein Stück des Kanals, durch welchen das Gehirn zu jener Zeit mit der Außenfläche des Kopfes in Verbindung steht.
Beim Erwachsenen hat sie die Größe einer Kirsche und enthält in ihrem Innern den Hirnsand, d. h. Kalkkörperchen. Den Hauptteil des Zwischenhirns bilden die Sehhügel (thalami nervi optici, von denen ein Teil der Fasern des Sehnervs herkommt. Die Höhle des Mittelhirns ist ein sehr enges Rohr: die sogen. Sylviussche Wasserleitung (aquaeductus Sylvii), und kommuniziert vorn mit dem dritten Ventrikel, hinten mit der Höhle des Hinterhirns. Am Mittelhirn selbst sind die Vierhügel (corpora quadrigemina) bemerkenswert. Das Hinterhirn oder kleine Gehirn (cerebellum) zerfällt gleich dem großen in zwei Hemisphären [* ] (Fig. 4) und einen sie verbindenden mittlern Teil (Wurm, vermis). Die hier nur etwa 3 mm dicke Rindenschicht, in ihrem Bau ähnlich derjenigen des Großhirns, ist in regelmäßige Falten gelegt, so daß ein senkrechter Schnitt durch das Kleinhirn eine eigentümliche baumförmige Zeichnung zu Tage treten läßt (Lebensbaum, arbor vitae, [* ] Fig. 1), Die im Kleinhirn befindliche Höhle bildet zusammen mit der im verlängerten Mark den sogen. vierten Ventrikel. Das Nachhirn oder verlängerte Mark (medulla oblongata, [* ] Fig. 4) geht nach hinten unmittelbar in das Rückenmark über und ist demselben in der Verteilung der sogen. weißen und grauen Substanz gleich (s. Rückenmark). Man unterscheidet an ihm mehrere Teile, von denen die Varolsbrücke (Brücke, pons Varoli, [* ] Fig. 1 u. 4) einer der wichtigsten ist, indem sie die Verbindung des verlängerten Markes mit dem übrigen Gehirn bewerkstelligt.
Das Gehirn ist gleich dem Rückenmark in einen häutigen Sack eingeschlossen, welcher aus drei Schichten oder Gehirnhäuten (meninges) besteht. Die äußerste oder harte Hirnhaut (dura mater, [* ] Fig. 2) ist stark, sehnig, außen mit dem Schädelknochen verwachsen, innen glatt und feucht. An einzelnen Stellen spaltet sie sich in zwei Blätter, in deren Zwischenraum (Blutleiter, sinus durae matris, [* ] Fig. 1 u. 2, und Tafel »Nerven I«, [* ] Fig. 1) je eine Vene verläuft. In die Masse des Hirns hinein gehen von der harten Hirnhaut aus mehrere Fortsätze, welche die einzelnen Teile desselben in ihrer Lage erhalten helfen und zugleich den großen Venen ihre Bahn anweisen. Es sind dies die große und kleine Hirnsichel (falx cerebri und f. cerebelli, [* ] Fig. 2) sowie das Hirnzelt (tentorium cerebelli, [* ] Fig. 1). Die innerste der drei Hirnhäute, die weiche Hirnhaut oder Gefäßhaut (pia mater), ist zart, dünn, an Blutgefäßen außerordentlich reich; von ihr aus wird das Gehirn ernährt, indem ihre feinen Blutgefäße allenthalben strahlenförmig in die Hirnmasse eindringen.
Zwischen ihr und der harten Haut. liegt die sogen. Spinnwebenhaut (arachnoidea), eine zarte, durchsichtige Haut, welche das Gehirn mäßig fest umschließt, aber nicht gleich der Gefäßhaut in die Hirnwindungen eindringt, sondern brückenartig über sie hinwegzieht. Die so zwischen diesen beiden Häuten bleibenden Räume sind mit Lymphe erfüllt. Dem Gehirn wird das viele zu seiner Ernährung bestimmte Blut durch vier Gefäße zugeführt, nämlich durch ein Paar Gehirnschlagadern (carotis interna) und ein Paar Wirbelschlagadern (arteria vertebralis); das verbrauchte Blut sammelt sich aus den Hirnvenen in den beiden Querblutleitern und ergießt sich von da in die beiden innern Drosselvenen (vena jugularis interna).
Von der Hirnbasis gehen zwölf Paar Nerven, Gehirnnerven, ab und zwar in der Richtung von vorn nach hinten folgende (vgl. Fig. 4 und Tafel »Nerven I«): Erstes Paar, die Riechnerven (nervi olfactorii), stammen von dem ursprünglich hohlen sogen. Riechkolben des Vorderhirns, verlassen den Schädel durch die Löcher der Siebplatte des Riechbeins und verbreiten sich in der Schleimhaut der Nasenscheidewand (s. Nase). Zweites Paar, die Sehnerven (n. optici), deren Fasern aus dem Sehhügel und den Vierhügeln stammen, endigen in der Netzhaut des Augapfels.
Sie bilden kurz nach ihrem Ursprung eine Kreuzung (s. Auge, S. 75). Drittes Paar, die Augenmuskelnerven (n. oculomotorii), kreuzen sich gleichfalls noch innerhalb der Schädelhöhle und versorgen diejenigen Augenmuskeln, welche nicht vom vierten und sechsten Nervenpaar innerviert werden; dienen auch zur Verengerung der Pupille. Viertes Paar, die Rollmuskelnerven (n. trochleares s. pathetici), entspringen aus den Vierhügeln und gehen zu dem schiefen obern Augenmuskel. Fünftes Paar, die dreigeteilten Nerven (n. trigemini), bestehen aus einer vordern Wurzel, welche aus der Brücke stammt, und aus einer hintern Wurzel, welche aus dem verlängerten Mark hervorgeht. Sie besitzen
je ein großes Ganglion (ganglion Gasseri) und lösen sich in drei Äste auf, welche gesondert die Schädelhöhle verlassen. Von diesen tritt der erste in die Augenhöhle und ist für die Weichteile derselben und die Stirn bestimmt; der zweite verbreitet sich in der Gegend des Oberkiefers; der dritte geht zu den Kaumuskeln und verbreitet sich im Bereich des Unterkiefers und der Zunge. Sechstes Paar, die äußern Augenmuskelnerven (n. abducentes), entspringen aus dem verlängerten Mark und versorgen den äußern geraden Augenmuskel.
Siebentes Paar, die Gesichtsnerven (n. faciales), kommen vom verlängerten Mark und vom Boden der vierten Hirnhöhle her, treten durch einen besondern Kanal des Felsenbeins hindurch und sind für die sämtlichen Muskeln des Kopfes und Gesichts, mit Ausnahme der Kaumuskeln, bestimmt. Achtes Paar, die Gehörnerven (n. acustici), entspringen vom Boden der vierten Hirnhöhle und endigen in der Schnecke und in dem Säckchen des Vorhofs (s. Ohr). Neuntes Paar, die Zungen-Schlundkopfnerven (n. glossopharyngei), stammen aus dem verlängerten Mark, versorgen die Rachengebilde und verbreiten sich in der Schleimhaut des Zungenrückens.
Sie sind die eigentlichen Geschmacksnerven (s. Zunge). Zehntes Paar, die herumschweifenden oder Lungen-Magennerven (n. vagi), stammen gleichfalls aus dem verlängerten Mark und geben Nerven für den Schlundkopf, den Kehlkopf, das Herz, die Lungen, die Speiseröhre und den Magen ab (s. Vagus). Elftes Paar, die Beinerven (n. accessorii), entspringen aus dem Halsmark, steigen nach oben durch das Hinterhauptsloch in die Schädelhöhle, legen sich an den Nervus Vagus und endigen im Kopfnicker und in dem Kappenmuskel an der Schulter. Zwölftes Paar, die Zungenfleischnerven (n. hypoglossii), stammen aus dem Rückenmark und verbreiten sich an den Muskeln des Zungenbeins und der Zunge.
Was den feinern Bau des Gehirns betrifft, so wird es im wesentlichen aus Nervenfasern und Ganglienzellen zusammengesetzt, zwischen denen sich ein Gerüst von feinen Bindegewebszellen (sogen. Nervenkitt, neuroglia) befindet. Die Unterscheidung der letztern von den kleinern Ganglienzellen ist jedoch sehr schwer. Die Ganglienzellen sind meist zu bestimmten Gruppen (Nestern) angeordnet, bis zu denen sich in manchen Fällen der Ursprung der einzelnen Hirnnerven verfolgen läßt.
Man bezeichnet diese daher als Nervenkerne. Genaueres über den Verlauf der Nervenfasern im Großhirn ist trotz. zahlreicher Arbeiten noch wenig ermittelt. Die Hirnnerven, mit Ausnahme der beiden ersten Paare, haben gleich den Rückenmarksnerven je eine vordere und hintere Wurzel mit verschiedener Funktion (s. Rückenmark); doch sind die hintern Wurzeln meist sehr schwach entwickelt, auch haben sonst sowohl Verschmelzungen ursprünglich gesonderter Nerven als auch Auflösungen einheitlicher Nerven in mehrere Bündel stattgefunden, so daß beim Menschen und den übrigen höhern Wirbeltieren diese Verhältnisse noch lange nicht aufgeklärt worden sind. Die Auffassung. der Hirnnerven als Rückenmarksnerven ist für die Schädeltheorie (s. d.) von Wichtigkeit.
Gewicht und Größe des Gehirns schwanken sehr beträchtlich nach Alter, Geschlecht, Körpergröße und darum auch nach der Rasse. So wiegt das deutsche Gehirn im Mittel 100 g mehr als das französische, etwa 300 g mehr als das der Hindu. Der Unterschied im Hirngewicht zwischen Mann und Weib ist um so größer, je höher die Rasse steht; dasselbe gilt von den Differenzen innerhalb desselben Geschlechts. Das größte Gewicht beträgt bei Männern etwa 1500 gehirn Vergleichungen sind übrigens äußerst schwierig, zumal man in vielen Fällen dieselben nicht auf das Gehirn selbst, sondern nur auf den Hohlraum des Schädels basieren kann.
Vergleichend-anatomische Untersuchungen, welche zeigten, daß sich in der Tierreihe eine um so bedeutendere Entwickelung der Psyche findet, je mächtiger entwickelt das Gehirn ist, Beobachtungen am Krankenbett und am Seziertisch, welche ergaben, daß der normale Ablauf seelischer Funktionen an die normale Beschaffenheit des Gehirns, resp. Bestimmter Abschnitte desselben geknüpft seien, und endlich das physiologische Experiment haben den unumstößlichen Beweis geliefert, daß das Gehirn als das Organ der Seelenthätigkeit aufgefaßt werden muß. Als Seele bezeichnet man den Inbegriff aller Vorstellungen eines Organismus. Der physiologischen Forschung ist für die Erklärung der seelischen Funktionen kein Angriffspunkt geboten; nicht das Wesen der Seele, sondern nur ihr Eingreifen in materielle Prozesse, z. B. die Erregung motorischer Nervenfasern durch das Willensorgan, kann Gegenstand des physiologischen Experiments sein.
Trägt man bei einem Frosch die Großhirnhemisphären ab, so ist dem Tier das bewußte Wollen vollständig abhanden gekommen. Sich selbst überlassen, sitzt das Tier ruhig da, kann jedoch durch Anwendung geeigneter Reize zu allen von einem gesunden Frosch ausführbaren Bewegungen, Schwimmen, Hüpfen etc., veranlaßt werden. Legt man ihn auf den Rücken, so nimmt er nach kurzem seine natürliche Haltung wieder an;
bringt man ihn in irgend eine andre abnorme Stellung, so sucht er alsbald seinen Schwerpunkt in geeigneter Weise zu stützen;
wirft man ihn ins Wasser, so beginnt er zu schwimmen;
kneipt man ihn ins Bein, so hüpft er von dannen;
streicht man ihm sanft die Flanken, so quakt er, und die Laute erfolgen hierbei so regelmäßig, daß man das Tier fast wie einen musikalischen Apparat behandeln kann.
Entfernt man bei einer Taube die Großhirnhemisphären, so gleicht das Tier vollständig einem gewöhnlichen schlafenden Vogel; läßt man das Tier in Ruhe, so bleibt es teilnahmlos und bewegungslos sitzen. Bringt man es in eine Seiten oder Rückenlage, so richtet es sich auf, um sich in eine bequemere Lage zu bringen; wirft man es in die Luft, so fliegt es alsbald von dannen, um sich nach einiger Zeit wieder ruhig niederzulassen. In den Schnabel gebrachtes Futter wird verschluckt, und es gelingt bei künstlicher Fütterung, die Tiere monatelang am Leben zu erhalten.
Höhere Säugetiere gehen nach der Zerstörung der ganzen Großhirnhemisphären als bald zu Grunde, nachdem sie im übrigen ähnliche Erscheinungen gezeigt haben; indessen bleiben sie nach mehr oder weniger ausgiebigen Abtragungen der Großhirnrinde am Leben. Gleich nach der Operation zeigen die Tiere eine hochgradige Depression, von der sie sich indessen langsam erholen, um dann als bleibende Nachwirkungen Abnahme der Sinnesfunktionen, Ungeschick in der Ausführung willkürlicher Bewegungen und eine mehr oder weniger hochgradige Herabsetzung der Intelligenz zu bewahren.
Die oben genannten Versuche sind ausnahmslos als Ausfallsversuche zu bezeichnen; bei ihnen kommt es darauf an, die Funktion der Großhirnhemisphären oder eines begrenzten Gebiets derselben vorübergehend oder dauernd aufzuheben. Ihnen
gegenüber stehen die Reizversuche, sie beschäftigen sich mit den Erscheinungen, die auf Reizung begrenzter Stellen der Großhirnrinde auftreten. Durch diese Versuche hat man nun folgende Aufschlüsse über die Funktion der einzelnen Stellen der Großhirnrinde erhalten: Beim Hund gibt es zahlreiche Stellen (motorische Stellen oder motorische Zentren), auf deren Reizung ganz bestimmte Bewegungen erfolgen, während die Zerstörung dieser Stellen den entgegengesetzten Erfolg, Lähmung, aufweist.
Diese Stellen liegen, wie aus der obenstehenden [* ] Fig. 3 hervorgeht, sämtlich in den vordern Regionen des Gehirns zwischen der Riechwindung und der Sylviusschen Spalte. Die Wirkung ist in der Regel eine gekreuzte; reizt man z. B. die Stelle a der linken Seite, so ziehen sich die Nackenmuskeln auf der entgegengesetzten Seite zusammen; auf Reizung von f oder g einer Seite werden jedoch beiderseits Kaubewegungen ausgeführt. Großes Interesse wegen der anatomischen Ähnlichkeit mit dem menschlichen Gehirn besitzen die Experimente, welche behufs Auffindung der motorischen Punkte am Gehirn des Affen angestellt wurden. Die motorischen Punkte liegen hier, wie näher aus [* ] Fig. 4 zu ersehen ist, hauptsächlich an den beiden Zentralwindungen.
Die Ermittelung der sensorischen Stellen durch das Tierexperiment ist mit weit größern Schwierigkeiten verknüpft, weil man ja zur Beurteilung der Art und des Umfanges dieser Störungen immer nur auf die objektive Beobachtung angewiesen bleibt. Die an Hunden und Affen angestellten Versuche haben hinsichtlich der Lokalisation der Gesichtsempfindungen noch die am meisten befriedigenden Resultate geliefert [* ] (Fig. 5, 6). Als Sehzentrum muß man bei Hunden den nach hinten von der Sylviusschen Spalte gelegenen, von den Scheitelbeinen bedeckten Hirnabschnitt ansprechen, während bei Affen der gesamten Oberfläche des Occipitallappens diese Funktion zukommt.
Der Stelle des deutlichsten Sehens auf der Netzhaut (s. Gesicht) entspricht die begrenzte Stelle A'. Das Zentrum für die Gehörsempfindungen liegt beim Hund am lateralen Rande des Scheitellappens und im ganzen Schläfenlappen, beim Affen nur in letzterm. Was die Lokalisation des Tastsinnes betrifft, so sollen hier verschiedene Stellen der Körperoberfläche verschiedenen Stellen der Großhirnrinde zugeordnet sein, wie das die Stellen C-J der Abbildungen angeben. Für die Sinne des Geruchs und des Geschmacks wollte es bisher nicht gelingen, Zentren an der Hirnoberfläche nachzuweisen; es wird deshalb vermutet, daß diese an der Hirnbasis, welche dem Experiment fast unzugänglich ist, gelegen sind.
Beim Menschen hat man bei Verletzungen und Krankheiten der Großhirnrinde Störungen beobachtet, die sich, wie die mittels des Tierexperiments erhaltenen Erscheinungen, sowohl aus Reizessymptomen als aus Ausfallssymptomen zusammensetzen. Man hat gefunden, daß das motorische Gebiet der Großhirnrinde verhältnismäßig klein ist (in [* ] Fig. 7 ist es durch quere Schraffierung hervorgehoben), und
[* ] ^[Abb.: Fig. 3. Motorische Stellen an der Oberfläche des Hundegehirns (links nach Fritsch, Hitzig, Wundt, rechts nach Ferrier). a Nackenmuskeln, a' Rückenmuskeln, b Strecker und Adduktoren des Vorderbeins, c Beuger und Pronatoren des Vorderbeins, d Muskeln der Hinterextremität, e Facialis, e' obere Facialis-Region, f Augenmuskeln, g Kaumuskeln.]
[* ] ^[Abb.: Fig. 4. Motorische Stellen an der Oberfläche des Affengehirns. 1 Hintere, 2 vordere Extremität, 3 Facialis. 4 Kaumuskeln nach Hitzig, abc Bewegungen einzelner Finger, d Extension des Arms und der Hand, e Augenbewegungen nach Ferrier. -]
[* ] ^[Abb.: Fig. 7. Motorische Stellen und Sprachzentren von der Hirnoberfläche des Menschen (linke Hemisphäre). A Facialis- und Hypoglossus-Gebiet, B Arm, C Beinmuskulatur, x Gebiet, dessen Verletzung Lähmung in den Ober und Unterextremitäten herbeiführt, D motorisches, E sensorisches Sprachzentrum, S Lage des Sehzentrums nach Huguenin, F nach Ferrier.]
daß es sich im wesentlichen auf die beiden Zentralwindungen beschränkt, daß hingegen die Körperbewegungen völlig ungestört bleiben bei Verletzungen der Hirnrinde am Schläfen und Hinterhauptslappen sowie an den vordern Abschnitten des Stirnlappens. Zentren, die man mit einiger Sicherheit zu trennen im stande war, sind durch die Buchstaben A, B und C bezeichnet, d. h. dem Gesicht und der Zunge kommt das untere, dem Arm das mittlere Drittel beider Zentralwindungen zu, während dem Bein das obere Drittel der hintern Zentralwindung und das Paracentalläppchen zufallen.
Aus der Lage dieser Stellen wird auch verständlich, warum Lähmungen von Arm und Bein sowie von Arm und Antlitz leicht gleichzeitig beobachtet werden, während Bein und Antlitz nicht leicht gleichzeitig gelähmt sind, ohne daß der Arm mit ergriffen wäre. Die Lähmungen erfolgen übrigens fast immer gekreuzt, und sie bestehen in einer Aufhebung des Willenseinflusses auf die Muskeln, zu welcher sich später nicht selten dauernde Kontrakturen infolge der Wirkung nicht gelähmter Muskeln gesellen.
Hinsichtlich der sensorischen Zentren in der Großhirnrinde des Menschen ist ermittelt, daß der Gesichtssinn im Occipitallappen seinen Sitz ausgeschlagen hat. In einigen Fällen sind Störungen des Muskelsinnes und der Hautsensibilität bei Affektionen des Scheitel und Stirnlappens, also der Gegenden, welche unmittelbar die motorische Zone begrenzen, beobachtet. Zentren für den Geruchs und Geschmackssinn sowie für den Gehörssinn sind bis jetzt mit Sicherheit nicht nachgewiesen, desto bestimmter aber für die Sprache, die ja im nahen Zusammenhang mit dem Gehörssinn steht.
Die Rindensubstanz an der vordern und untern Grenze der Sylviusschen Spalte, wozu sich noch das Gebiet des Insellappens gesellt, ist als das Zentrum der Sprachfunktionen zu bezeichnen. Zahlreiche Beobachtungen haben ergeben, daß für die artikulierten Sprachbewegungen und für die Auffassung der Sprachlaute eigne Zentralgebiete bestehen (D u. E, [* ] Fig. 7); Aphasie, d. h. Aufhebung oder Störung des Sprachvermögens, die häufig mit Agraphie, d. h. Aufhebung des Schreibvermögens, verbunden ist, ist an Läsionen der dritten Stirnwindung gebunden, während Worttaubheit, d. h. Störung der Wortperzeption, zu der sich häufig Wortblindheit, d. h. Unvermögen, die Schriftbilder der Worte zu verstehen, gesellt, nur bei Affektionen der ersten Schläfenwindung beobachtet wird.
Man muß sich übrigens nicht vorstellen, daß nach der Zerstörung von motorischen oder sensorischen Zentren die Ausfallssymptome für immer bestehen bleiben; es ist vielmehr sichergestellt, daß die benachbarten unverletzten Hirnabschnitte bis zu einem ziemlichen Umfang stellvertretend zu funktionieren vermögen. Während aber diese Stellvertretung bei Fröschen und Vögeln schon bald nach der Verstümmelung des Gehirns auftritt und in einem bedeutenden Umfang besteht, macht sie sich bei Hunden erst weit später und in einem wesentlich geringern Grad geltend; beim Menschen aber scheinen die Ausfallssymptome, wenn die Verletzung des Gehirns einen ziemlichen Grad erreicht hat, niemals gänzlich zu schwinden, es sei denn, daß die Verletzung in der frühsten Lebensperiode erfolgt. Somit dürfte es nicht zweifelhaft sein, daß mit der zunehmenden Entwickelung die funktionelle Sonderung der Teile sich mehr und mehr geltend macht, und daß hiermit zu gleich die Möglichkeit einer Stellvertretung in engere Schranken gewiesen wird.
[* ] ^[Abb.: Fig. 5. Sensorische Regionen an der Oberfläche des Hundegehirns. I Ansicht von oben, II Seitenansicht der linken Hirnhälfte. A Sehsphäre, A' zentrale Region derselben, B Hörsphäre, B' Region für die Perzeption artikulierter Laute, C-J Fühlsphäre, C Vorder-, D Hinterbeinregion, E Kopf-, F Augenregion, G Ohr-, H Nacken-, J Rumpfregion, a-g motorische Stellen wie in
Fig. 3.]
[* ] ^[Abb.: Fig. 6. Sensorische Regionen an der Oberfläche des Affengehirns. Bedeutung der Bezeichnungen wie in
Fig. 5.]
Die sogen. Hirnganglien stehen nicht allein mit der grauen Substanz des verlängerten Markes und des Rückenmarks und hierdurch mit der Körperperipherie, sondern auch mit den höhern Sinnesorganen in Verbindung. Diese Verbindungen sichern der Thätigkeit des Rückenmarks einen bestimmten Charakter, der sich in der Koordination der Bewegungen äußert, ferner schreibt man den Hirnganglien die Fähigkeit der Zusammenordnung der Empfindung zu und schließt dieses hauptsächlich aus dem Auftreten jener eigentümlichen Zwangsbewegungen (s. d.) nach Verletzung der Hirnganglien. Man führt nämlich diese Bewegungen auf Schwindelempfindungen zurück.
Dem Kleinhirn, welches wie eine Nebenleitung in die vom Rückenmark zum Großhirn verlaufenden Leitungsbahnen eingeschaltet ist, hat man früher irrtümlich auch psychische Funktionen zugeschrieben. Durch neuere Untersuchungen ist festgestellt, daß zwar nach Entfernung des Kleinhirns die willkürlichen Bewegungen noch möglich sind, daß diese aber ungeordnet und unsicher erscheinen, und daß deshalb das Organ die größte Bedeutung für die Regelung der Körperbewegungen besitzt.
Über die physiologische Bedeutung der zwölf Gehirnnerven ist das Nachfolgende ermittelt:
1) Der Riechnerv (nervus olfactorius) vermittelt die Geruchs-, 2) der Sehnerv (n. opticus) die Gesichtsempfindungen (s. Geruch und Gesicht).
3) Der gemeinschaftliche Augenmuskelnerv (n. oculomotorius) hält die Konvergenz der Sehachsen aufrecht und bewegt die Augäpfel ähnlich wie der Zügel die Köpfe eines Gespannes. Der Nervenzweig, welcher an die Iris tritt, vermag reflektorisch von der Netzhaut aus verengernd auf die Pupille einzuwirken, sobald ein starker Lichtstrahl ins Auge tritt. Wird der Nerv durchschnitten oder gelähmt, so zeigen sich beständige Akkommodation für die Ferne, Schielen nach auswärts, Erweiterung der Pupille, Herabhängen des obern Augenlides.
4) Der Rollmuskelnerv (n. trochlearis) ist der motorische Nerv für den Rollmuskel.
5) Der dreigeteilte Nerv (n. trigeminus) versorgt mit seinen motorischen Fasern hauptsächlich die Kaumuskeln, während die sensibeln Fasern fast an alle Haut und Schleimhautbedeckungen des Kopfes treten, hier nicht allein Empfindungen vermittelnd, sondern auch eine ganze Reihe von Reflexbewegungen (z. B. Blinzeln und Niesen) auslösend. Ferner enthält der Nerv noch vasomotorische Fasern; nach seiner Lähmung oder Durchschneidung zeigt sich in seinem Gebiet eine äußerst starke Füllung der Blutgefäße und Rötung der Haut.
6) Der äußere Augenmuskelnerv (n. abducens) ist der motorische Nerv für den äußern geraden Muskel des Auges; nach seiner Lähmung oder Durchschneidung gewahrt man Schielen nach innen bei sonst erhaltener Beweglichkeit des Auges.
7) Der Gesichtsnerv (n. facialis) versorgt mit seinen motorischen Fasern hauptsächlich die Gesichtsmuskeln; er ist der »mimische Nerv«. Weiter enthält er vor allen Dingen sekretorische Fasern für die Speicheldrüsen. Nach der Lähmung des Facialis einer Seite erschlaffen die Gesichtsmuskeln der betreffenden Seite, sie werden deshalb nach der gesunden Seite hingezogen, und das Gesicht erscheint verzerrt.
8) Der Hörnerv (n. acusticus) vermittelt die Hörempfindungen (s. Gehör).
9) Der Zungen-Schlundkopfnerv (n. glossopharyngeus) vermittelt vor allen Dingen die Geschmacksempfindungen auf den hintern Regionen der Zunge, während der Nervus lingualis, ein Zweig des fünften Gehirnnervs, die vordern Regionen dieses Organs beherrscht. Er soll nur »bittere« Substanzen schmecken, der Lingualis ausschließlich der Empfindung des »Süßen« und »Sauern« dienen. Die motorischen Fasern des Nervs treten an den weichen Gaumen.
10) und 11) Der Lungen-Magennerv (n. Vagus) und Beinerv (n. accessorius) sind mit ihren Fasern so innig verbunden, daß eine getrennte physiologische Betrachtung einstweilen unthunlich ist. Die Nerven stehen den wichtigsten Geschäften des Verdauungs-, Atmungs- und Zirkulationsapparats vor, ihre Leistungen sollen deshalb nach diesen Apparaten gesondert betrachtet werden. Der Verdauungsapparat enthält sowohl motorische als sensible, nicht aber sekretorische Fasern.
Die erstern lassen sich vom Gaumensegel bis zum obern Teil des Dünndarms verfolgen und regeln die Bewegungen des Verdauungsapparats. Die sensibeln Fasern lösen eine Anzahl von Reflexbewegungen, z. B. Schlingen und Erbrechen (s. d.), aus. Auch der Atmungsapparat empfängt motorische und sensible Nervenfasern; erstere verbreiten sich im Kehlkopf, in den Muskelfasern der Bronchien und in denen des Lungengewebes. Von den an den Kehlkopf tretenden Nerven hat der N. laryngeus inferior s. recurrens besonderes Interesse.
Bereits Galenos war die hohe Bedeutung dieses Nervs für die Stimmbildung bekannt; er fand, daß Schweine nicht mehr schreien konnten, nachdem er beiderseits den Recurrens durchschnitten hatte; er nannte ihn deshalb den Stimmnerv. Die sensibeln Fasern haben die höchste Bedeutung für das Zustandekommen der Atmungsbewegungen (s. Atmung), außerdem wird von ihnen aus der Husten (s. d.) ausgelöst. Hinsichtlich der Wirkung auf den Zirkulationsapparat ist vor allen Dingen zu bemerken, daß der Vagus der Hemmungsnerv für das Herz ist (s. Blutbewegung).
12) Der Zungenfleischnerv (n. hypoglossus) ist der eigentliche Bewegungsnerv der Zunge.
Was die Geschwindigkeit der Hirnverrichtungen betrifft, so ist ermittelt, daß die einfachsten psychischen Prozesse keineswegs momentan ablaufen, daß vielmehr beispielsweise für das Zustandekommen einer Tastempfindung ein Zeitraum von ca. 1/7 Sekunde, für eine Lichtempfindung ca. 1/5 Sekunde, für eine Geschmacksempfindung ca. 1/6-1/5 Sekunde erforderlich ist.
Vgl. Reichert, Der Bau des menschlichen Gehirns (Leipz. 1859-61);
Bischoff, Die Großhirnwindungen des Menschen (Münch. 1868);
Derselbe, Das Gehirngewicht des Menschen (Bonn 1880);
Stilling, Neue Untersuchungen über den Bau des kleinen Gehirns des Menschen (Kassel 1877);
Luys, Das Gehirn, sein Bau und seine Verrichtungen (Leipz. 1877);
Charlton Bastian, Das Gehirn als Organ des Geistes (deutsch, das. 1882);
Heiberg, Schema der Wirkungsweise der Hirnnerven (Wiesb. 1885).
Die Krankheiten des Gehirns äußern sich, ganz allgemein betrachtet, entweder in erhöhter Thätigkeit (Reizerscheinungen) oder in herabgesetzter Leistung (Lähmungen) des Gehirns. Da die verschiedenen Teile des Gehirns sehr verschiedenen Thätigkeiten vorstehen, so wird eine Reizung gewisser Bezirke der Gehirnrinde gesteigerte seelische Vorgänge (s. Wahnidee, Sinnestäuschung, Wahnsinn, Tobsucht), die Reizung motorischer Zentren dagegen abnorme Bewegungen (s. Epilepsie, Krämpfe, Muskelstarre, Genickkrampf, Veitstanz) zur Folge haben. Äußert sich die Gehirnkrankheit in Lähmung, so kann auch diese als eine Störung der Intelligenz (Blödsinn, Angst, Melancholie) oder als eine Lähmung der Muskeln (Paralyse, Parese,
Blasenlähmung, Gesichtslähmung, Herzlähmung) in die Erscheinung treten. Welcherlei anatomische Ursachen einer jeden Gehirnkrankheit zu Grunde liegen, läßt sich aus den Erscheinungen durchaus nicht ohne weiteres schließen, da nicht selten Entzündungen oder Neubildungen, welche von den Gehirnhäuten oder den Gehirnhöhlen oder gar der Schädelkapsel ausgehen, dieselben Symptome machen wie diejenigen der nervösen Gehirnsubstanz selbst; ja, es geschieht ganz häufig, daß eine Entzündung oder ein Parasit (Finne) anfangs Reizerscheinungen auslöst und erst in spätern Stadien, wenn die Nervensubstanz zerstört ist, zur Lähmung führt. Wenn man von den Geisteskrankheiten (s. d.) absieht, so sind die Gehirnerweichung (s. d.), der Gehirnschlag (s. d. und Embolie) und bösartige Geschwülste im G. die häufigsten Krankheiten; nach dem Obigen werden aber die Gehirnhautentzündungen, namentlich syphilitische Karies (s. d.) des Schädels, den eigentlichen Gehirnkrankheiten zugezählt.
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
[* 1] (Anthropologisches). Sowohl hinsichtlich der Gesamtmasse des Gehirns als bezüglich des Hirngewichts und der Entwickelung der Hirnwindungen lassen sich zwischen den menschenähnlichen Affen (Anthropoiden) und dem Menschen sowie zwischen verschiedenen Menschenrassen erhebliche Unterschiede nachweisen. Das durchschnittliche Hirngewicht des Europäers beträgt nach v. Bischoff für die Männer 1362 g, für die Weiber nur 1219 gehirn. Aus den Broca-Topinardschen Untersuchungen ergibt sich, daß beim Menschen das männliche Geschlecht das durchschnittliche Maximum seines Gehirns mit 1419 g zwischen 30 und 35 Jahren, das weibliche Geschlecht die völlige Entwickelung seines Gehirns mit 1217 g schon zwischen 25 und 30 Jahren erreicht.
Dagegen beträgt das mittlere Hirngewicht des männlichen Negers nur 1244 g, dasjenige des Schimpanse 350 bis 400 gehirn. Während das Gewicht des erwachsenen Schimpansegehirns zum Gesamtkörpergewicht im Verhältnis von 1:70 bis 80 steht, beträgt das besagte Verhältnis beim Menschen nur 1:35 bis 40. Bei jungen Individuen tritt der Unterschied weniger hervor, indem das Hirngewicht zum Körpergewicht beim jungen Schimpanse sich wie 1:25, beim menschlichen Kinde sich wie 1:18 verhält.
Damit stimmt auch die Thatsache, daß die Menschenähnlichkeit des jungen Anthropoiden eine weit größere ist als diejenige des erwachsenen Tieres. Der Mensch besitzt nicht, wie früher allgemein angenommen wurde, das größte Gehirn, sondern wird von einer Anzahl kleinerer Tiere (z. B. kleinerer Affen und Singvögel) in der relativen und vom Elefant und Walfisch in der absoluten Größe des Gehirns übertroffen. Wenn hier und da bei geistig hervorragenden Menschen kein sehr bedeutendes und bei Angehörigen von geistig wenig entwickelten Menschenrassen ein ziemlich großes Hirngewicht angetroffen wird, so beruht dies darauf, daß Beziehungen zwischen dem Hirngewicht und dem Gesamtkörpergewicht bestehen, und daß durch die energische Muskelaktion der von der Jagd lebenden oder nomadenhaft umherschweifenden niedern Menschenrassen die Bewegungszentren des Gehirns geübt werden und an Volumen zunehmen. Auch ist es wahrscheinlich, daß bei
verschiedenen Rassen und Individuen Unterschiede in der Dichtigkeit der Hirnmasse vorhanden sind. Daß bei geistig hervorragenden Personen nicht immer ein bedeutendes Hirngewicht nachgewiesen werden konnte, erklärt sich in vielen Fällen dadurch, daß dieselben zur Zeit ihres Todes bereits in höherm Alter sich befanden, wo die Hirnmasse im Schwinden begriffen ist. Wenn aber auch die Gesamtmasse und das Gesamtgewicht des Gehirns nicht immer dem Grade der Intelligenz der betreffenden Individuen genau entspricht, so steht doch die Entwickelung des Vorderhirns (Vorderlappen des Großhirns), des Sitzes der höhern geistigen Funktionen, zur geistigen Befähigung in direkter Beziehung.
Entsprechend dem verschiedenen Grade der geistigen Entwickelung beim Anthropoiden, Naturmenschen und Kulturmenschen ist auch die Entwickelung der grauen Hirnsubstanz (Hirnrinde), die in der größern oder geringern Ausbildung der großen Windungszüge (Konvolutionen) und der kleinen Hirnwindungen (gyri) zum Ausdruck kommt, eine verschiedengradige. Rudolf Wagner hat an den Gehirnen von Gauß und Dirichlet zuerst nachgewiesen, daß das Gehirn von geistig hervorragenden Männern charakterisiert ist durch die verwickelte Anordnung und Asymmetrie der Gyri der beiden Hirnhälften.
Die von Owen aufgestellte Behauptung, daß das menschliche in den hintern Großhirnlappen einige wesentliche Teile enthalte, die den höhern Affen stets und vollkommen mangelten, hat sich nicht bestätigt; auch ist das Vorkommen der Affenspalte (durch Nichtentwickelung der innern obern Scheitelwindung bedingte Vertiefung der Hinterhauptsspalte, die man für ein Charakteristikum des Affenhirns gehalten hat) sehr unbeständig. Die Oberfläche des Gehirns der Anthropoiden stellt vielmehr nach Huxley eine Art von Umrißzeichnung des menschlichen dar, nur durch untergeordnete Merkmale von demjenigen des Menschen sich unterscheidend.
Der Menschencharakter des Gehirns beruht nach J. ^[Johannes] Ranke auf dem Übergewicht des nicht automatisch wirkenden Teiles der Großhirnhemisphären über die automatisch wirkenden Gehirnabschnitte. Übrigens gibt es auch gewisse Menschenrassen (Weddas und Tamilen auf Ceylon, Kurumbas der Nilgerries), die einen so kleinen Schädel und ein so geringes Hirnvolumen (Nanokephalie) aufweisen, daß die Maximalgrenze des Anthropoidenhirns und die Minimalgrenze der Hirnentwickelung bei diesen Völkern sich sehr nahekommen.
Beim Menschen hat das Gehirn des Mannes vor demjenigen des Weibes sowohl das größere durchschnittliche Gewicht (s. oben) als auch die bedeutendere Entwickelung der Hirnwindungen voraus. Schon gleich nach der Geburt lassen sich erhebliche Unterschiede in der Entwickelung der die Sylviussche Spalte umgebenden Windungszüge bei beiden Geschlechtern nachweisen. Die zwischen männlichem und weiblichem Gehirn bestehenden Unterschiede sind aber beim Gehirn der Naturvölker weniger stark ausgeprägt als beim Gehirn der Kulturvölker.
Während beim Gehirn von Assen und unkultivierten Völkern (Neger- und Hottentotgehirne) die Interparietalfurche (die großen Scheitelwindungen voneinander trennende Vertiefung) mit der Sagittalebene (von vorn nach hinten durch den Körper gelegte Vertikalebene) einen nach vorn offen stehenden spitzen Winkel bildet, verfolgt nach Rüdinger die Interparietalfurche beim Europäer einen mehr der Richtung der Sagittalebene sich annähernden Verlauf. Bei geistig hervorragenden Männern (J. v. Liebig u. a.) soll das Wachstum und die gesteigerte Entwickelung mitunter sogar zur Folge haben, daß die Interparietalfurche mit der Sagittalebene einen nach hinten offen stehenden spitzen Winkel bildet.
Vgl. v. Bischoff, Das Hirngewicht des Menschen (Bonn 1880);
Topinard, Les poids du cerveau d'après les registres de P. Broca (»Revue d'Anthropologie«, 1882, S. 1 bis 30);
Virchow, Indische Zwergrassen (»Korrespondenzblatt für Anthropologie«, 1881, S. 151);
Rüdinger, Ein Beitrag zur Anatomie der Affenspalte und der Interparietalfurche beim Menschen (Bonn 1882);
Möller, Das Gehirn des Schimpanse (»Westermanns Monatshefte«, Dezember 1880);
Waldeyer, Hirnwindungen der Assen, insbesondere der Anthropoiden (»Korrespondenzblatt für Anthropologie«, 1890).
Vgl. auch die Art. Vorstellung und Medizinischer Kongreß.
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
[* 1] (Hirn, Encephalon), die von der knöchernen Schädelkapsel und den Hirnhäuten umschlossene länglichrunde Nervenmasse, bildet im Verein mit dem Rückenmark und den sympathischen Nerven das Centralorgan des Nervensystems und ist der Sitz der Intelligenz und der psychischen Thätigkeiten, sowie das Centrum für die Sinnesempfindungen und alle willkürlichen Bewegungen. Das Gehirn des Menschen stellt eine mehr ovale als kugelförmige, fast breiartig weiche, weißliche oder graue Masse dar, die beim Manne im Durchschnitt zwischen 1300 und 1500 g, bei der Frau aber durchschnittlich 125 g weniger wiegt und im Mittel eine Länge von 160 bis 170 mm, eine Breite von 140 mm, eine Höhe von 125 mm besitzt. Man unterscheidet am Gehirn, das schon im siebenten bis achten Lebensjahre seine bleibende Größe und nahezu sein volles Gewicht erreicht, drei große, schon auf den ersten Blick erkennbare Abschnitte, nämlich das Große Gehirn (cerebrum), das Kleine Gehirn (cerebellum) und die Verbindungsteile oder das Mittelhirn (mesencephalon).
Das Große Gehirn (s. Tafel: Das Gehirn des Menschen, [* ] Fig. 1,4; 3, 5-7), fast sieben Achtel der ganzen Hirnmasse, nimmt den ganzen obern und vordern Teil des Schädels ein und zerfällt in zwei symmetrische Seitenhälften, die sog. Hemisphären, die durch einen tiefen Einschnitt (s. Fig. 2, 3) von vorn nach hinten zu getrennt sind, in welchen sich auch die harte Hirnhaut mit einsenkt. In der Richtung von vorn nach hinten unterscheidet man an den Hemisphären den Vorderlappen (Lobus frontalis, [* ] Fig. 4, 1 u. 2) mit drei Windungen, deren dritte auch Brocasche Windung heißt, da Broca in ihr das Sprachcentrum fand, den Mittellappen (gebildet aus dem Scheitellappen, Lobus parietalis, und Schläfenlappen, Lobus temporalis, [* ] Fig. 4, 5). Auf der Oberfläche des Großhirns befinden sich geschlängelte, unregelmäßig verlaufende Furchen (sulci) und zwischen denselben zahlreiche darmähnliche, abgerundete Windungen (gyri) der grauen Hirnsubstanz.
Diese Hirnwindungen (s. Fig. 3,8) dienen hauptsächlich dazu, um die äußere Oberfläche des Gehirn, die für die psychischen Funktionen so wichtige Hirnrinde, zu vergrößern, denn wenn man alle Windungen und Furchen des Gehirn ausgleichen und in der Fläche ausbreiten könnte, so würde sich die Hirnoberfläche um mindestens zehnmal größer erweisen, als es bei ihrer eigentümlichen Faltung den Anschein hat. Die Hirnsubstanz besteht aus zwei voneinander wesentlich verschiedenen Schichten, aus der sog. grauen oder Rindensubstanz, auch als Hirnrinde bezeichnet (substantia cinerea oder corticalis, s. Fig. 2,1) und aus der sog. weißen oder Marksubstanz (substantia medullaris, s. Fig. 2,2). Erstere bildet den äußern Teil des Gehirn, ist weicher und gefäßreicher und zeichnet sich durch ihre graurote dunklere Färbung vor der übrigen Hirnmasse aus, findet sich aber auch an manchen Stellen im Innern des Gehirn; die weiße oder Marksubstanz füllt hauptsächlich als sog. großes Marklager das Innere des Gehirn aus, ist fester und ärmer an Gefäßen und kommt nur an wenigen Stellen der Oberfläche vor.
Die beiden Hemisphären des Großhirns werden äußerlich durch den Hirnbalken (trabs oder corpus callosum, s. Fig. 1, 6; 2,4) miteinander verbunden, einen platten, aus weißer Substanz bestehenden Körper, der in der Tiefe der die beiden Hemisphären trennenden Längsspalte sichtbar wird und dessen Seitenränder strahlenförmig in die Markmasse beider Hemisphären sich ausbreiten, einen flachen nach aufwärts gekehrten Bogen beschreibt, dessen vorderes Ende sich als Knie (genu, s. Fig. 1,5) hakenförmig nach hinten umlegt. An der Basis des Gehirn zeigt jede Hemisphäre des Großhirns eine tiefe, quer nach außen und oben verlaufende Furche,die sog. Sylviussche Grube (fossa Sylvii, s. Fig. 4, 4), die jede Hemisphäre in einen kleinern Vorderlappen und einen hintern größern Hinterlappen teilt. Ihr innerer an den Streifenhügel grenzender Abschnitt ist die Insel (insula, [* ] Fig. 2,9) oder der Centrallappen (Lobus centralis).
Untersucht man das Große Gehirn von unten, so findet man in der Mittellinie vom Ende des Längseinschnittes nach dem Mittelhirn zu folgende Gebilde: zunächst die vordere Siebplatte, eine mittlere und zwei seitliche durchbohrte Stellen, die dem Durchtritt von Blutgefäßen dienen, weiterhin die Sehnervenkreuzung (chiasma nervorum opticorum, s. Fig. 4, 3), einen platten, einem
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griech. chi nicht unähnlichen Nervenknoten, aus dem nach vorn die beiden Sehnerven Wenn man durch die Großhirnhemisphären in der Höhe des Balkens einen horizontalen Schnitt legt, so gelangt man in die Hirnhöhlen (ventriculi cerebri), und zwar zunächst in die beiden symmetrisch angeordneten, mit einer geringen Menge wässeriger Flüssigkeit erfüllten Seitenventrikel (s. Fig. 2,6), deren jeder wiederum drei bogenförmig gekrümmte, sich nach verschiedenen Richtungen in die Markmasse des Großhirns einbohrende Fortsätze oder sog. Hörner aussendet.
Das vordere Horn eines jeden Seitenventrikels verläuft nach dem vordern, das hintere Horn nach dem hintern Lappen des Großhirns, während das untere Horn sich nach dem mittlern Hirnlappen hinabzieht. Im Vorderhorn zeigt sich zunächst der Streifenhügel (corpus striatum, s. Fig. 1, 8), ein birnförmiger Hügel von grauer Färbung, der im Innern aus abwechselnden Lagen von grauer und weißer Hirnsubstanz besteht und dessen äußere Teile noch besonders als Linsenkern, Vormauer und Haubenkern (s. Fig. 2, 10, 11) bezeichnet werden, ferner der Sehhügel (thalamus opticus, s. Fig. 1,7; 2,7), der die Wand der dritten Hirnhöhle bilden hilft und sich nach unten zu in den Sehstreifen (tractus opticus) fortsetzt, aus welchem letztern die Sehnerven hervorgehen. Im Hinterhorn der Seitenventrikel bemerkt man als wulstartigen Vorsprung den Vogelsporn oder kleinen Seepferdefuß, am Boden des untern Horns einen ähnlichen gekrümmten Wulst, den großen Seepferdefuß oder das Ammonshorn (cornu Ammonis, s. Fig. 2,12). Der Balken und das unter diesem gelegene Gewölbe (fornix, s. Fig. 1, 6 und [* ] Fig. 2, 5) bilden die Decke der dritten Hirnhöhle (s. Fig. 2, 8), die durch eine kleine halbmondförmige Spalte, das Monrosche Loch, mit den beiden Seitenventrikeln und durch einen nach hinten verlaufenden engen Kanal, die Sylvische Wasserleitung, mit der im Innern des Kleinhirns gelegenen vierten Hirnhöhle in offener Verbindung steht.
Alle vier Hirnhöhlen werden von einer zarten Haut, dem sog. Ependym, ausgekleidet und von der weichen Hirnhaut mit einem besondern feinverzweigten Gefäßgeflecht (plexus choroideus) versehen. Zwischen der dritten und vierten Hirnhöhle befinden sich die sog. Vierhügel (corpora quadrigemina), ein unpaarer, durch einen Kreuzschnitt in vier Hügel geteilter weißer Höcker, dessen vorderes Hügelpaar größer und höher ist als das hintere; auf dem erstern ruht die sog. Zirbeldrüse (glandula pinealis, s. Fig. 1,9), ein ovaler, rötlichgraner weicher Körper von der Größe eines Kirschkerns, in dem die Alten den Sitz der Seele suchten und der im Innern den sog. Hirnsand, sandartige Konkremente aus phosphorsaurem und kohlensaurem Kalk, enthält.
Das Kleine Gehirn (cerebellum, s. Fig. 1,10; 4,19,20) liegt im Hinterkopfe unter dem Großen, mit dessen unterm Teile es durch den Hirnknoten oder die Varolsbrücke zusammenhängt, während es von dem obern durch das Hirnzelt (tentorium cerebelli), eine Falte der harten Hirnhaut, die den Hinterkopf quer durchschneidet, getrennt wird. Es besitzt die Form eines querliegenden Ellipsoids und ist wie das Große in zwei seitlich symmetrisch gebaute Hälften oder Hemisphären geteilt, die in der Mitte durch einen schmälern Teil, den sog. Wurm, miteinander verbunden sind.
Beide Kleinhirnhemisphären werden durch eine horizontale Querfurche (sulcus horizontalis Reilii) in eine obere und untere Hälfte geteilt; ihre Oberfläche wird von grauer Hirnsubstanz gebildet und zeigt nicht, wie das Großhirn, darmähnliche Windungen, wohl aber eine Menge tiefer Einschnitte, welche viele übereinander liegende Platten oder Lappen bilden. Schneidet man das Kleinhirn senkrecht durch, so bietet die Schnittfläche infolge der eigentümlichen Verteilung der grauen und weißen Hirnsubstanz eine gewisse Ähnlichkeit mit den zackigen Blättern eines Baumes dar, weshalb man diese baumförmige Anordnung der weißen Hirnsubstanz im Kleinhirn von alters her Lebensbaum (arbor vitae, s. Fig. 1,10) nennt. Im Innern des Kleinhirns liegt die vierte Hirnhöhle, die mit den übrigen Hirnhöhlen in direkter Verbindung steht.
Das Mittelhirn (mesencephalon), das die Verbindung zwischen dem Großen und dem Kleinen Gehirn sowie zwischen dem Gehirn und dem Rückenmark herstellt, setzt sich aus dem verlängerten Mark, der Brücke und den Vierhügeln zusammen. Das verlängerte Mark (medulla oblongata, s. Fig. 1,12; 4, 18), der bei weitem wichtigste Teil des ganzen Centralnervensystems, ist ein weißer unpaarer Markzapfen, der durch das große Hinterhauptsloch in das Rückenmark übergeht und durch seichte Längseinschnitte beiderseits in drei Stränge eingeteilt wird, in die sog. Pyramiden, deren Nervenfasern nach oben durch die Brücke hindurch in die Hirnschenkel übertreten, nach unten dagegen sich durchkreuzend (decussatio pyramidum) in das Rückenmark übergehen, ferner in die sog. Oliven, die in ihrer weißen Substanz einen grauen gezackten Kern, den Olivenkern, enthalten, und in die sog. strangförmigen Körper, deren Nervenfasern zu den Hemisphären des Kleinen Gehirn treten und den Boden der vierten Hirnhöhle bilden helfen. Das verlängerte Mark ist das Centralorgan für die Atmungsbewegungen sowie für die Herzthätigkeit und die Gefäßmuskulatur, weshalb seine Durchschneidung oder Verletzung sofortigen Tod zur Folge hat. Die Brücke des Varolius (Varolsbrücke) oder der Hirnknoten (pons Varolii,
s. Fig. 1,11; 2, 13; 4,17) ist ein nahezu zollbreiter Nervenknoten, der auf dem Hinterhauptsbein sowie auf der Lehne des Türkensattels aufruht und aus gekreuzten Quer-und Längsfasern besteht, von denen die erstern von einer Hemisphäre des Kleinhirns zur andern verlaufen, während die letztern von den Oliven zu den Vierhügeln und von den Pyramiden in die Hirnschenkel übertreten.
Das Gehirn ist rundum von einer knöchernen Kapsel, der Hirnschale, umgeben, die von dem Stirnbein, Siebbein, Grundbein und den beiden Scheitel- und Schläfenbeinen zusammengesetzt wird. (S. Schädel.) Dieselbe enthält an anderweit hinreichend geschützten Stellen nur kleine Öffnungen für das sich herabsenkende Rückenmark, die hervorgehenden Nerven und die ein- und austretenden Blutgefäße. Das Gehirn füllt die Schädelhöhle vollständig aus und ist mit sehnigen Häuten so umhüllt und befestigt, daß es zum Teil auf der Basis des Schädels aufliegt, zum Teil von der Decke aus getragen wird, sodaß seine einzelnen Teile nicht unter ihrem eigenen Drucke leiden und bei den verschiedenen Bewegungen des Kopfes wie des ganzen Körpers ihre gegenseitige Lage nicht im mindesten verändern können.
Innerhalb des Schädels ist es noch von drei Häuten umgeben, von denen die innerste, die weiche Hirnhaut (pia mater), als zarte, dünne, gefäßreiche Zellgewebshaut die Hirnoberfläche unmittelbar umkleidet, in alle Vertiefungen und Höhlen derselben mit eingeht und vorwiegend der Ernährung der Hirnsubstanz dient, während die mittlere, die Spinnwebenhaut (arachnoidea), brückenförmig über die Vertiefungen und Hirnwindungen ausgespannt ist, der Hirnoberfläche knapp anliegt und zahlreiche mit Lymphe erfüllte Räume (Subarachnoidealräume) einschließt. An einzelnen Stellen befinden sich auf der Spinnwebenhaut rundliche, weißliche, vereinzelt oder in Gruppen stehende knötchenförmige Gebilde, die sog. Pacchionischen Granulationen (s. Fig. 3,9), deren Bedeutung nicht näher bekannt ist.
Die äußerste Hirnhaut endlich, die sog. harte Hirnhaut (dura mater, s. Fig. 1,3; 3,4), bildet die äußere Hülle des Gehirn, eine derbe sehnige Kapsel, welche der Innenfläche der Schädelknochen dicht anliegt, in alle Gefäße und Nerven führenden Öffnungen des Schädels eindringt, deren Inhalt scheidenartig umschließt und durch mehrere zwischen die Hirnteile selbst eindringende scheidewandähnliche Fortsätze das in seiner Lage befestigt und vor jedweder Verschiebung und Lageveränderung schützt.
Solcher Fortsätze der harten Hirnhaut giebt es drei:
1) die große Hirnsichel (falx cerebri), ein sichelförmiges sehniges Blatt, das in der Mittellinie des Schädelgewölbes von dem Siebbein bis zum Hinterhauptsbein verläuft und senkrecht zwischen den beiden Großhirnhemisphären bis an den Balken eindringt;
2) das Hirnzelt (tentorium cerebelli), das sich als querliegende Scheidewand zwischen die Hinterlappen des Großhirns und die beiden Hemisphären des Kleinhirns einschiebt;
3) die kleine Hirnsichel (falx cerebelli), die sich als niedrige senkrechte Scheidewand zwischen die beiden Hemisphären des Kleinen Gehirn legt. An gewissen Stellen spaltet sich die harte Hirnhaut in zwei auseinander weichende Blätter und giebt so Anlaß zur Bildung von Hohlräumen oder Kanälen, welche die Venen des Gehirn aufnehmen und deshalb Blutleiter (sinus durae matris, s. Fig. 1, 13-15) genannt werden. Man unterscheidet einen obern und einen untern Längsblutleiter (in der großen Hirnsichel), zwei quere und einen sog. vierten Hirnblutleiter (im Hirnzelt), die schließlich die Schädelhöhle verlassen und ihr Blut in die innere Drosselvene ergießen.
Das zur Ernährung des Gehirn dienende Blut wird demselben durch vier Arterien zugeführt, durch die beiden Gehirnschlagadern (carotides internae), die aus der gemeinschaftlichen Halsschlagader entspringen und durch den canalis caroticus in der Gegend des Türkensattels in die Schädelhöhle eintreten, und durch die beiden Wirbelschlagadern (artriae vertebrales), die aus der Schlüsselbeinarterie entstammen, durch das große Hinterhauptsloch in die Schädelhöhle gelangen und sich am hintern Rande der Brücke zur unpaaren arteria basilaris vereinigen. An der Gehirnbasis verbindet sich die letztere durch Seitenäste mit den beiden Carotiden, wodurch ein für die gleichmäßige Blutverteilung im G. höchst wichtiger Arterienring entsteht, der als circulus arteriosus Willisii bezeichnet wird und aus dem die Gehirnsubstanz mit zahlreichen kleinen Blutgefäßchen versorgt wird.
Von der Basis des Gehirn entspringen zwölf Paar Nerven, die sog. Gehirnnerven, die durch die Öffnungen am Boden der Schädelkapsel die Schädelhöhle verlassen, um sich zum größten Teil am Kopfe und Halse zu verbreiten. Es sind, in der Richtung von vorn nach hinten betrachtet, folgende: Das erste Paar, die Geruchsnerven (nervi olfactorii, s. Fig. 4,3), entspringen an der untern Fläche der Vorderlappen, bilden zwei kolbenförmige Anschwellungen, die sog. Riechkolben, treten durch die Löcher der Siebplatte des Siebbeins hindurch in die Nasenhöhle und verbreiten sich in der Schleimhaut der Nasenscheidewand, wo ihre Erregung durch gewisse specifische Reize, die sog. Riechstoffe, die verschiedenen Geruchsempfindungen erzeugt.
Das zweite Paar, die Sehnerven (nervi optici, s. Fig. 4, 7), deren Fasern von dem Sehhügel und den Vierhügeln kommen, treten durch das Sehloch des Keilbeins in die Augenhöhle und endigen in der Netzhaut des Augapfels, wo sie die Empfindung der Lichteindrücke vermitteln. Das dritte Paar, die gemeinschaftlichen Augenmuskelnerven (nervi oculomotorii, s. Fig. 4, 10), kommen von der Varolsbrücke aus den Hirnschenkeln hervor, treten durch die obere Augenhöhlenspalte in die Augenhöhle und versorgen die meisten Augenmuskeln.
Das vierte Paar, die Rollmuskelnerven (nervi trochleares, s. Fig. 4,11), entstammen aus den Vierhügeln, treten durch die obere Augenhöhlenspalte und verzweigen sich im schiefen obern Augenmuskel. Das fünfte Paar, das stärkste von allen, der dreigeteilte Nerv (nervus trigeminus, s. Fig. 4,12), so genannt, weil er sich in drei Äste teilt, besteht aus einer vordern motorischen Wurzel, die vom Boden der vierten Hirnhöhle entspringt, und einer hintern sensibeln Wurzel, die gleichfalls vom Boden der vierten Hirnhöhle sowie aus der grauen Substanz des Hinterhorns des Rückenmarks entstammt. Durch Verschmelzung beider Fasern entsteht an der obern Fläche der Felsenbeinpyramide ein großer halbmondförmiger Nervenknoten, das Ganglion Gasseri, aus dem drei abgeplattete, für sich verlaufende Nervenäste hervorkommen. Der erste Ast (ramus ophthalmicus) besteht vorwiegend aus sensibeln Nervenfasern, tritt durch die Augenhöhle aus dem Schädel und verbreitet sich in den Weichteilen der Augenhöhle und der Stirn; der
zweite Ast (ramus supramaxilliaris), mit gleichfalls wesentlich sensibeln Fasern, verläßt die Schädelhöhle durch das runde Loch des Keilbeins und verläuft zum Oberkiefer und Gesicht; der dritte Ast (ramus inframaxillaris) besteht aus motorischen und sensibeln Fasern, tritt durch das ovale Loch des Keilbeins aus dem Schädel und verzweigt sich im Bereiche der Schläfengegend, der Zunge und des Unterkiefers. Das sechste Gehirnnervenpaar, die äußern Augenmuskelnerven (nervi abducentes, s. Fig. 4,13), kommt aus den Pyramiden des verlängerten Marks und verläuft zu dem äußern geraden Augenmuskel.
Das siebente Paar, die Gesichtsnerven (nervi faciales, s. Fig. 4,14), entspringen vom verlängerten Mark und dem Boden der vierten Hirnhöhle, treten durch den Fallopischen Kanal des Felsenbeins hindurch und verbreiten sich von der Ohrgegend aus strahlenförmig zu sämtlichen mimischen Gesichtsmuskeln, deren Bewegung sie vermitteln. Das achte Paar, die Gehörnerven (nervi acustici, s. Fig. 4,14), entstammen gleichfalls vom Boden der vierten Hirnhöhle, treten in den innern Gehörgang ein und verzweigen sich im Innern (dem Labyrinth) des Gehörorgans.
Das neunte Paar, die Zungenschlundkopfnerven (nervi glossopharyngei, s. Fig. 4,14), entspringen aus den strangförmigen Körpern des verlängerten Marks, verlassen durch das Drosselloch die Schädelhöhle und verbreiten sich mit je einem Ast in der Schleimhaut des Zungenrückens, mit einem andern im obersten Teile des Schlundkopfes. Das zehnte Paar, die herumschweifenden oder Lungenmagennerven (nervii vagi, s. Fig. 4,14), entspringen gleichfalls aus dem verlängerten Mark, verlassen durch das Drosselloch den Schädel und versorgen den Schlundkopf, den Kehlkopf, die Speiseröhre, den Magen, die Lungen und das Herz mit sensibeln und motorischen Nervenfasern.
Das elfte Hirnnervenpaar, die Beinerven (nervi accessorii, s. Fig. 4,15), nehmen ihren Ursprung vom obern Teile des Rückenmarks innerhalb der Wirbelsäule, steigen von hier erst in die Schädelhöhle hinauf, legen sich an die beiden vorigen an und endigen im Kopfnicker und im Kappenmuskel an der Schulter. Das zwölfte Paar, die Zungenfleischnerven (nervi hypoglossi, s. Fig. 4,16), kommen aus dem verlängerten Mark, treten durch einen besondern Knochenkanal in der Nähe des großen Hinterhauptslochs und verzweigen sich in den Muskeln des Zungenbeins und der Zunge.
Hinsichtlich des feinern Baues ergiebt die mikroskopische Untersuchung, daß auch das Gehirn wie die andern nervösen Centralorgane im wesentlichen aus zahllosen, dicht aneinander gelagerten feinsten Nervenfasern, die sich nicht verzweigen und keine sehnige Hülle besitzen, und aus den sog. Ganglienkugeln oder Nervellzellen besteht, die zwischen den Nervenfasern eingelagert sind, die Verbindung der letztern untereinander vermitteln und die eigentlichen Centralpunkte darstellen, von denen der Anstoß zu den verschiedenartigen Hirnfunktionen ausgeht.
Die graue Hirnsubstanz, welche die gesamte Oberfläche des Großen und Kleinen Gehirn als gleichmäßige, 4-5 mm dicke Schicht überzieht und auch an gewissen Stellen im Innern des in größerer Anhäufung vorgefunden wird, besteht in der Hauptsache aus solchen feinsten Ganglien- oder Nervenzellen, deren jede eine größere oder geringere Zahl von Fortsätzen aussendet, die sich wiederum vielfach verästeln und schließlich in unmeßbar feine Nervenfäserchen auflösen. (S. Ganglien.) Die weiße Substanz dagegen, welche die unter der Hirnrinde liegende Hauptmasse der Großhirnhemisphären ausmacht, setzt sich im wesentlichen aus zahllosen unverzweigten feinen Nervenfasern zusammen und dient, analog den peripheren Nerven, nur zur Leitung und Übertragung derjenigen Erregungszustände, welche in den peripheren Endapparaten oder in den Ganglienzellen zur Auslösung gelangten.
Die beiden ebenerwähnten elementaren Formbestandteile des Gehirn, die Ganglienzellen und Nervenfasern, sind durch eine eigentümliche, sehr weiche Kitt- oder Bindesubstanz, den sog. Nervenkitt (Neuroglia), eng miteinander verbunden; dieselbe bildet im Verein mit den zahlreichen feinen Blutgefäßchen, die der Ernährung der Hirnsubstanz dienen, ein sehr zierliches und zartes Maschen- oder Fächerwerk, worin die Nervenfasern und Ganglienzellen eingebettet sind.
Wenn schon der Bau des Gehirn bei den höhern Tierklassen von dem des menschlichen besonders in dem Grade der Ausbildung bedeutend abweicht, so ist dies noch mehr bei den niedern der Fall, bei denen sich zum Teil nur dem Gehirn analoge Ganglien vorfinden. Im allgemeinen macht sich bei den Tieren ein Zurücktreten des Gehirn im Verhältnis zum Rückenmark bemerklich, sowie überhaupt die oft gehörte Behauptung, daß der Mensch das größte Gehirn besitze, dahin zu berichtigen ist, daß kein Tier im Verhältnis zu seiner Körpermasse ein so großes Gehirn besitzt als der Mensch. So ist z. B. das Gehirn des Elefanten 4,5 bis 5 kg schwer, während das des Menschen nur 1 bis 1,5 kg wiegt, aber jenes verhält sich zum Gewicht des gesamten Körpers wie 1:500, während sich beim Menschen das Hirngewicht zum Gesamtgewicht wie 1:37 verhält.
Auch ist die obere Wölbung des Gehirn bei allen Tieren, die ein solches besitzen, unbedeutender und der vordere Teil weiter hervortretend als beim Menschen. Die embryonale Entwicklung des Gehirn geschieht bei allen Schädeltieren, einschließlich des Menschen, in der Weise, daß sich von dem vordersten Teile des sog. Medullarrohrs, der ersten Anlage des Centralnervensystems, erst drei, dann fünf aufeinander folgende Blasen, die sog. Gehirnblasen, abschnüren, die mit Flüssigkeit erfüllt sind und durch ihre Höhlen miteinander in Verbindung stehen.
Die erste und wichtigste Blase, das Vorderhirn, entwickelt sich um so mehr auf Kosten der übrigen Hirnblasen, je höher das betreffende Wirbeltier organisiert ist, und bildet durch Längsteilung die beiden für die psychischen Funktionen so bedeutungsvollen Großhirnhemisphären; die zweite Gehirnblase, das Zwischenhirn, bildet sich im weitern Verlaufe der Entwicklung zur Umgebung der dritten Hirnhöhle und den Sehhügeln um, wogegen aus der dritten Blase, dem Mittelhirn, die Vierhügel, aus der vierten Blase, dem Hinterhirn, das Kleine Gehirn und aus der fünften Hirnblase, dem Nachhirn, das verlängerte Mark hervorgehen. In den frühesten Entwicklungsstadien gleicht sich das Gehirn aller Wirbeltiere, sodaß auf gewissen Entwicklungsstufen bei den Embryonen der verschiedenen Säugetiere, Vögel und Reptilien die Gehirn nicht voneinander zu unterscheiden sind. Unter allen Teilen des menschlichen Körpers erlangt das Gehirn am frühesten, bereits im siebenten bis achten Lebensjahre, seine bleibende Größe und sein nahezu volles Gewicht; vom 50. Jahre an nimmt es
dagegen wieder allmählich, mit Ausnahme der Brücke, an Umfang und Gewicht ab.
Bezüglich der Verrichtungen des Gehirn haben die Beobachtungen am Krankenbett, die Befunde bei den Leichenöffnungen und die Experimente an Tieren übereinstimmend mit Sicherheit ergeben, daß das Gehirn ausschließlich als das Organ der Seele zu betrachten ist und daß das normale Ablaufen aller seelischen Verrichtungen ganz und gar von der normalen Beschaffenheit der Hirnsubstanz abhängt. Insbesondere wird das oberste Grundvermögen des Menschen, das Bewußtsein, nur durch das Gehirn vermittelt, und die intellektuellen Fälligkeiten überhaupt: Vorstellen, Denken, Wollen, Empfinden, gelangen nur vermittelst der Organisation des Gehirn zur Wirkung und Entfaltung.
Dabei haben zahlreicbe Beobachtungen am kranken Menschen wie am vivisezierten Tiere erwiesen, daß alle mit Bewußtsein verbundenen Verrichtungen vom Großhirn, namentlich von der Hirnrinde desselben, ihren Ausgang nehmen, während das Kleinhirn vorwiegend als Koordinationscentrum dient, d. h. die Ordnung und Gleichmäßigkeit in den willkürlichen wie unwillkürlichen Bewegungen zu vermitteln hat. Von besonderer Wichtigkeit ist das paarweise Vorhandensein und die symmetrische Anordnung der meisten Hirnabschnitte, wodurch ermöglicht wird, daß bei örtlich umschriebenen Krankheitsherden unter gewissen Umständen der betreffende paarige Hirnteil der gefunden Seite vikariierend für den erkrankten eintreten kann. Ein wichtiger Umstand ist ferner die Kreuzung der Nervenfasern innerhalb der Pyramiden des verlängerten Marks, wodurch es erklärlich wird, weshalb Verletzungen von Hirnteilen oberhalb des Hirnknotens oder des letztern selbst immer Störungen in den Funktionen der der verletzten Seite entgegengesetzten Teile des Körpers zur Folge haben; so wird bei Blutergüssen in der linken Großhirnhemisphäre die rechte Körperhälfte gelähmt.
Die Funktionen der einzelnen Hirnteile sind in neuerer Zeit durch genaue anatom. und physiol. Untersuchungen sowie durch die Verwertung der entwicklungsgeschichtlichen Vorgänge und der Sektionsbefunde im Verein mit klinischen Beobachtungen immer mehr aufgeklärt worden. Jede bestimmte Funktion ist an eine bestimmte Stelle im Gehirn und Rückenmark gebunden. So bat sich gezeigt, daß das Sprachvermögen seinen Sitz in einer ganz bestimmten Gegend des Vorderhirns hat, nämlich in der dritten Stirnwindung im Bereich der vordern Ausbreitung der Sylviusschen Grube, und daß regelmäßig Aphasie oder Sprachlähmung eintritt, wenn dieser Hirnteil durch Blutergüsse oder andere pathol.
Vorgänge zerstört wird. Weiterhin wird auf Grund zahlreicher Tierversuche angenommen, daß die graue Hirnrinde regionenweise mit den einzelnen sensibeln und motorischen Nervenendigungen der Körperoberfläche zusammenhängt. So findet sich im Hinterhauptslappen die Sehsphäre; das Centrum für das Muskel- und Hautgefühl liegt im Bereich der Interparietalfurche; mehr nach vorn zu beiden Seiten der Centralfurche und in der obern Scheitelwindung liegt das motorische Rindenfeld für die Bewegung der Arme und Beine, gleich hinter dem oben erwähnten Sprachcentrum der Ursprung der Gesichts- und Zungennerven u. s. w. Während die mehr nach vorn liegenden Teile des Gehirn vorwiegend den psychischen Verrichtungen dienen, sind die dem Rückenmark näher gelegenen Hirnabschnitte dem animalischen und organischen Leben gewidmet. So hängt der ungestörte Fortgang der Atmungsbewegungen sowohl wie der Herzthätigkeit, ferner der Bewegungen der Unterleibsorgane und der Kontraktionszustand der Gesäßmuskulatur wesentlich von dem verlängerten Mark ab, dessen Verletzung sofortiges Aufhören des Redens zur Folge hat.
Die psychische Thätigkeit des Gehirn, also das Bewußtwerden von Gefühlen, das Denken und Wollen, läßt sich auf drei wesentlich voneinander verschiedene Vorgänge, auf eine centripetale, centrale und centrifugale Thätigkeit zurückführen. Die centripetale Aktion, die lediglich das Gefühl vermittelt, besteht im Wahrnehmen der durch die Sinnes- und Empfindungsnerven zugeleiteten Reizungen, sonach im Bewußtwerden alles dessen, was mit uns von außen und innen her vorgeht, was von der Außenwelt in uns eindringt.
Die centrale Aktion bewirkt die Verarbeitung der empfangenen Sinnes- und Empfindungseindrücke zu Vorstellungen und die Verwendung dieser letztern zur Bildung von Begriffen, Urteilen und Schlüssen, d. i. zum Denken. Die centrifugale Aktion endlich vermittelt das Begehren, Streben und Wollen und äußert sich vermöge ihres Einflusses auf die willkürlichen Bewegungsapparate im Handeln. Von der centripetalen Aktion können Überstrahlungen entweder sofort auf die centrifugale Aktion stattfinden oder erst mittels der centralen Aktion dahin geleitet werden, und umgekehrt. Überstrahlungen und Reflexe finden überhaupt sehr leicht im G., selbst bei bewußtlosem Zustand, statt, wie eine Reihe unwillkürlicher, aber zweckmäßiger Bewegungen bei schlafenden, Chloroformierten und Hypnotisierten beweist.
Litteratur. Reichert, Der Bau des menschlichen Gehirn (2 Abteil., Lpz. 1859-61);
Bischoff, Die Großhirnwindungen bei den Menschen (Münch. 1868);
Luys, Das Gehirn, sein Bau und seine Verrichtungen (Lpz. 1877);
Bischoff, Das Hirngewicht des Menschen (Bonn 1880);
P. Flechsig, Die Leitungsbahnen im G. und Rückenmark (Lpz. 1876);
ders., Plan des menschlichen Gehirn (ebd. 1883);
Bastian, Das Gehirn als Organ des Geistes (2 Bde., ebd. 1882);
Meynert, Sammlung von populär-wissenschaftlichen Vorträgen über den Bau und die Leistungen des Gehirn (Wien 1892);
Edinger, Vorlesungen über den Bau der nervösen Centralorgane (3. Aufl., Lpz. 1892);
Sachs, Vorträge über Bau und Thätigkeit des Großhirns (Bresl. 1892);
Kronthal, Schnitte durch das centrale Nervensystem des Menschen, gefertigt, photographiert und erläutert (Berl. 1892).
In der Tierreihe kann von einem eigentlichen Gehirn bloß bei den Wirbeltieren die Rede sein (für die entsprechend funktionierenden Organe bei Wirbellosen s. Nervensystem). Das Gehirn der Säugetiere schließt sich in seinem Bau im allgemeinen an dasjenige des Menschen an, jedoch finden sich in der Entwicklung der einzelnen Teile desselben beträchtliche quantitative Unterschiede, die besonders die Hinterlappen der großen Hemisphären betreffen. Bei den Monotremen und einigen niedern Beuteltieren bleibt der Vierhügel (Mittelhirn) noch unüberdeckt von ihnen, bei höhern Beuteltieren, Zahnarmen und Säugetieren ist die Überdeckung schon weiter vorgeschritten und bei Insektenfressern und Fledermäusen ist bloß noch das Kleinhirn, aber im ganzen, sichtbar. Diese Überdeckung schreitet nun in aufsteigender Linie in den Ordnungen fort, bis
sie bei den höchsten Affen (wie auch beim Menschen) so weit gelangt, daß das ganze kleine Gehirn von oben her nicht mehr sichtbar ist. Ziemlich gleichen Schritt mit der Entwicklung der Hinterlappen hält die der Vorderlappen, die sich mehr und mehr nach vorn ausbreiten über den Ursprung der Riechnerven weg, der bei einigen Nagetieren noch aus besondern Gehirnabschnitten, den Riechkolben, stattfindet. Sehr verschieden gestalten sich auch die Windungen; sie sind einmal, auch in derselben Ordnung, um so schwächer entwickelt, je kleiner die betreffende Tierart ist, dann aber richtet sich ihre Entwicklung unverkennbar auch nach der Stufe, welche die Säugetiere in der Reihe einnehmen: so haben Monotremen und Beuteltiere, auch die größten, glatte Hemisphären.
Man hat nach dem Vorhandensein oder Fehlen der Windungen die Säugetiere in zwei große Gruppen: furchenhirnige (gyrencephala) und glatthirnige (lyssencephala) zerlegen wollen. Das Hinterhirn der Seitenventrikel mit dem Vogelsporn verschwindet bei den niedern Ordnungen, dafür vergrößern sich aber die Ammonshörner. Auch der Hinterbalken wird in absteigender Linie immer kleiner, fehlt aber keinem Säugetier ganz; umgekehrt verhält sich die Entwicklung des Sehhügels.
Der Vierhügel der Monotremen hat bloß ein Paar von Höckern, erst bei den Beuteltieren erscheint nach und nach das hintere Paar. Am Kleinhirn der niedern Säugetiere (Monotremen, Beuteltiere, Nager, Insektenfresser und Fledermäuse) überwiegt noch der Wurm, der successive gegen die Seitenteile zurücktritt, bis sich bei den höchsten Affen die Sache ähnlich gestaltet wie beim Menschen. Am verlängerten Mark verkleinern sich die Oliven in absteigender Linie.
Am Gehirn der Vögel hat das Vorderhirn schon ein beträchtliches Übergewicht über die andern Hirnteile, doch fehlen Windungen noch völlig. Die großen Hemisphären sind nur durch eine einfache Kommissur anstatt durch einen Hirnbalken verbunden. Der Seitenventrikel ist sehr geräumig, daher die eigentliche Hirnmasse nur dünn, doch wird er zum größten Teil vom Streifenhügel ausgefüllt, der aber hier noch nicht die abwechselnden Lagen von grauer und weißer Substanz zeigt, sondern aus letzterer allein besteht. Das Gewölbe ist bloß rudimentär: der kleine Vierhügel wird vom Vorderhirn völlig überdeckt und der quergefurchte Wurm ist weit größer als die Seitenteile des Kleinhirns.
Bei den Reptilien ist das Gehirn noch geringer entwickelt als bei den Vögeln: so wird der Vierhügel vom Vorderhirn nicht überdeckt und die Riechnerven sind im hintern Ende zu Riechkolben angeschwollen, deren innerer Hohlraum mit den Seitenventrikeln im Zusammenhange steht.
Die Amphibien haben ein im Verhältnis kleines Gehirn, an dem aber ein deutlich gesondertes Mittelhirn nachweisbar ist. Eine Grube auf der Oberseite des verlängerten Marks zwischen den auseinander tretenden hintern Strängen (vordere Rautengrube oder Zugang zur vierten Hirnhöhle) ist sehr ansehnlich.
Das Gehirn der Fische ist im Verhältnis zur Größe des ganzen Tieres oder zu der des Rückenmarks sehr klein und wächst nicht in dem Maße wie die Schädelhöhle, sodaß es diese nicht ganz, bei alten Individuen oft nur zu einem kleinen Teil, ausfüllt. Bei einem Mondfisch (s. d.) von 158 kg wog das Gehirn bloß 2,2 gehirn. Der niederste Fisch (Amphioxus, s. Lanzettfische) hat noch kein gesondertes Gehirn Bei den Rundmäulern folgen sich vier von oben sichtbare Abschnitte des Gehirn aufeinander:
1) das sehr kleine, doppelseitige Vorderhirn (entsprechend der Hemisphäre), 2) ein winziges Zwischenhirn, 3) ein aus einem paar Anschwellungen bestehendes Mittelhirn (Vierhügel) und 4) ein Kleinhirn in Gestalt einer sehr kleinen Brücke zur Verbindung der hintern Stränge. Der Zugang zur vierten Hirnhöhle steht weit offen (Rautengrube, sinus rhomboidalis). Bei den übrigen Fischen sind Zwischenhirn (d. h. Sehhügel und Umgebung der dritten Hirnhöhle) und Mittelhirn als solche nicht vorhanden, sie werden durch die Sehlappen (lobi optici) ersetzt, die aus einer Vereinigung des Vierhügels und des Zwischenhirns bestehen. Die Riechkolben (lobi olfactorii) der Fische sind hohl, meist sehr groß und oft am vordern Ende verbreitert. Das am höchsten entwickelte Gehirn unter den Fischen haben die Haie.
Litteratur. Carus, Versuch einer Darstellung des Nervensystems und besonders des Gehirn (Lpz. 1814);
Leuret und Gratiolet, Anatomie comparée du système nerveux (2 Bde. mit Atlas, Par. 1839-57);
Luys, Recherches sur le système nerveux cérébrospinal (ebd. 1865, mit Atlas von 40 Taf.);
ders., Iconographie photographique des centres nerveux (ebd. 1872);
Pansch, De sulcis et gyris in cerebris simiarum et hominum (Eutin 1867);
von Miklucho-Maclay, Beiträge zur vergleichenden Neurologie der Wirbeltiere (Lpz. 1870).