1)
Erzbischof von
Köln
[* 2] seit 850, ein gewissenloser
Prälat von weltlicher
Gesinnung, ließ sich durch den karolingischen König
Lothar II. bewegen, 861 dessen verstoßener Gemahlin Theutberga ein falsches Schuldbekenntnis abzupressen und auf der
Synode zu
Aachen
[* 3] (April 862) die Ungültigkeitserklärung dieser
Ehe zu betreiben. Zum Dank dafür verlieh
Lothar seinem
Bruder Hilduin das
BistumCambrai. Aber
PapstNikolaus setzte ihn deswegen 863 ab. Obwohl ein
VersuchKaiserLudwigs
II., den
Papst zur
Zurücknahme der Absetzung zu zwingen, mißlang, verwaltete doch Günther sein
Bistum unbekümmert
weiter, da ihm
Volk und
Geistlichkeit treu anhingen. Als sich indes
Lothar 869 in
Rom
[* 4] unterwarf, fügte sich auch Günther seiner Absetzung.
Er starb 873 in
Italien.
[* 5]
1) JohannChristian, Dichter, geb. zu Striegau
[* 13] in Niederschlesien, erregte schon auf der Schule zu
Schweidnitz
[* 14] durch sein poetisches Talent Aufsehen, widmete sich zu Wittenberg
[* 15] dem Studium der Medizin und
ward hier in die wüste Roheit des damaligen Studentenlebens hineingerissen, wodurch er in Zerwürfnisse mit seinem bis zur
Härte strengen Vater geriet. Sein Dichtertalent trat bereits in diesen ersten Studienjahren siegreich hervor, obschon er es
nach der Sitte der Zeit meist in bezahlten Gelegenheitsgedichten vergeudete und wohl vergeuden mußte.
In Leipzig,
[* 16] wo er seine Studien fortsetzte, fand er anMenck einen Gönner, der ihn anscheinend für ein geregelteres Leben gewann.
Sein Gedicht auf den PassarowitzerFrieden machte ihn schnell bekannt. Von Menck dem König von Polen und Kurfürsten von Sachsen
[* 17] als Hofdichter vorgeschlagen, verscherzte Günther sein Lebensglück, indem er bei der ersten
Audienz völlig betrunken erschien. Günther kehrte hierauf in sein Vaterland zurück und lebte hier, da ihm das
väterliche Haus verschlossen war, von den Wohlthaten seiner Freunde, immer tiefer in Ausschweifungen versinkend. Einen Hauptanteil
an der Zerrüttung seines Wesens hatte seine Leidenschaft zu einer in seinen Gedichten Leonore genannten
Frau, welche ihm zweimal die verpfändete Treue brach.
Seine poetischen Ergüsse bieten ein treues Bild seines Lebens: neben dem Edelsten und Höchsten in ihnen findet sich nicht
selten das Gemeine, Lascive;
überall aber ist der ursprüngliche Dichtergenius erkennbar, welcher unbewußt die falschen Theorien
der gelehrten Dichtung seiner Zeit überwand.
Die erste Sammlung seiner Dichtungen erschien Breslau
[* 22] 1723,
welcher bis 1735 drei Fortsetzungen folgten; Gesamtausgabe 1742 (6. Aufl., Leipz.
1764; Nachtrag 1766). NeueAusgaben (Auswahl) besorgten Tittmann (Leipz. 1874, mit Biographie) und Litzmann (Reclams »Universalbibliothek«,
Nr. 1295 u. 1296). Eine angeblich von Günther selbst
verfaßte Geschichte seines Lebens erschien zu Schweidnitz 1732, eine andre von Siebrand (Leipz. 1738).
ein litterarhistorischer Versuch (Bresl. 1833); Roquette, Leben und Dichten J. Chr. Günthers (Stuttg. 1860);
M. Kalbeck, Neue Beiträge zur Biographie des Dichters Chr. Günther (Bresl. 1879); Litzmann, Zur Textkritik und Biographie J. Chr. Günthers
(Frankf. 1880).
A. v. Eye (»Eine Menschenseele«, Nördling. 1862) behandelte Günthers Leben romanhaft.
Weil seiner Überzeugung nach alle Versuche, dies auf dem Weg des Begriffs zu erreichen, zu Pantheismus
oder doch Halbpantheismus führten, den er als mit der Dogmatik der Kirche unvereinbar ansah, so glaubte er den entgegengesetzten,
der Mystik verwandten Pfad der innern Erfahrung und des Selbstbewußtseins einschlagen zu müssen. Auf diesem erwuchs nach mancherlei
in den »WienerJahrbüchern der Litteratur« erschienenen kritischen Abhandlungen allmählich sein theologisch-philosophisches
System, das er zuerst in seiner »Vorschule zur spekulativen Theologie des positiven Christentums« (1. Abt.: Die Kreationslehre; 2. Abt.:
Die Inkarnationslehre; Wien 1828, 2. Aufl. 1848), seinem Hauptwerk, der Welt vorlegte. Es erregte Aufsehen, und der Verfasser
sah sich für einen katholischen Theologen ungewöhnlich rasch in die gelehrte WeltDeutschlands
[* 26] eingeführt.
ein seltsames Produkt, bei dem man oft versucht wird, sich an Goethes »Tragelaphen« zu erinnern;
dann »Süd- und Nordlichter am Horizont
[* 27] spekulativer Theologie« (das. 1832), worin der Autor nach allen Seiten
hin Hiebe austeilte, die er sodann in den mit seinem Freunde, dem phantastisch-mystischen ArztJohannHeinrichPabst (geb. 1785,
gest. 1838),
gemeinschaftlich herausgegebenen »Janusköpfen« (das.
1834) noch überbot. In dem »LetztenSymboliker« (Wien 1834),
der, wie die Vorschule, in der bequemen Briefform geschrieben war,
wurden der katholische SymbolikerMöhler und der TübingerBaur, im »Thomas a Scrupulis« (das. 1836) die Hegelsche Philosophie
angegriffen. Die Versuche nachhegelscher Hegelianer, zwischen der linken und der rechten Seite der Schule¶
nicht ohne oft treffenden Witz. Günthers
Philosophie fand bald Anhänger, und eine zahlreiche Partei unter dem katholischen Klerus der Rheinlande, Württembergs und Österreichs,
deren »Jungkatholizismus« nichts mit dem spätern,
hauptsächlich durch die Jesuiten begründeten scholastischen »Neokatholizismus« gemein hatte,
sammelte sich um die Fahne derselben. Günther erhielt einen Ruf an die UniversitätMünchen,
[* 30] den er ablehnte; mehrere seiner Schüler
lehrten an Universitäten und an bischöflichen Lehranstalten, so Knoodt in Bonn,
[* 31] Merten (der in seiner »Metaphysik« [Trier
[* 32] 1848] einen Abriß seiner Lehre
[* 33] gab) in Trier, Zukrigl in Tübingen,
[* 34] Loewe und Ehrlich in Prag etc. Nach dem Bewegungsjahr 1848,
das auch die Ära einer freien Entfaltung im Schoß der katholischen Kirche heraufzuführen versprach, eine Hoffnung, die durch
den jesuitischen Syllabus und die vatikanische Unfehlbarkeitserklärung gründlich getäuscht werden sollte,
unternahm Günther mit dem als origineller Kanzelredner bekannten Emanuel Veith die Herausgabe eines philosophischen Taschenbuchs
unter dem Titel: »Lydia« (Wien 1849-52, 3 Jahrg.), in welchem Günther mit der radikalen philosophischen Linken, A.Ruge, L.Feuerbach,
und dem Sozialismus in gewohnter Weise sich auseinandersetzte.
Dasselbe wurde 17. Febr. d. J. publiziert und enthielt die interessante Notiz, daß sich der Autor schriftlich »religiose et laudabiliter«
unterworfen habe. Die letzten Jahre seines Lebens brachte Günther, welcher niemals ein akademisches Lehramt bekleidet hat,
in tiefer Zurückgezogenheit zu und starb plötzlich durch einen Schlaganfall Günther nimmt als Philosoph eine durch
Gelehrsamkeit, Beharrlichkeit und durch den Nachdruck, mit welchem er auf die Berücksichtigung der Vernunft in Glaubensdingen
dringt, achtungswerte, infolge seines Verhältnisses zur katholisch-kirchlichen Dogmatik aber nicht freie Stellung ein.
Sein nicht gewöhnlicher Scharfsinn ist vorwiegend polemischer Art; bei allem anscheinenden Widerwillen
gegen die Scholastiker erscheint er im Streit mit der Philosophie alter und neuer Zeit selbst als scholastizierender Apologet.
Der spekulative Tiefsinn, den seine Schüler an ihm ehrten, ist von Gegnern phantasiereiche Mystik genannt worden. Seine Darstellungsweise,
oft geistreich, ist unsystematisch, sein Stil schwerfällig und unverständlich. In beiden erinnert er an
den Theosophen FranzBaader (s. d.), dem er auch sonst vielfach, nur nicht in der kirchlichen Freisinnigkeit, verwandt erscheint.
Von seinen Schülern sind außer den Genannten noch C. F. v. Hock, Werner, Th. Weber u. a. als philosophische Schriftsteller aufgetreten.
Eine neue Ausgabe seiner »Gesammelten Schriften« erschien Wien 1882 in 9 Bänden. Aus seinem Nachlaß veröffentlichte
Knoodt: »Anti-Savarese« (Wien 1883).
3) KarlFriedrich, sächs. Jurist, geb. zu Leipzig, wo er sich als Advokat niederließ, ward 1825 Mitglied der Spruchfakultät, 1826 zugleich
akademischer Lehrer, 1828 Ordinarius der Juristenfakultät, 1846 Präsident des Spruchkollegiums und starb Er lieferte
eine Umarbeitung von Haubolds »Lehrbuch des sächsischen Privatrechts« (Leipz. 1829) und schrieb unter anderm: »Der
Konkurs der Gläubiger« (das. 1839, 2. Aufl. 1852).
Andre Untersuchungen betreffen die Speichelfisteln (1821), die operative Behandlung der Sehnengallen, den Pfeiferdampf und
die Zeit, welche zur Bildung von Eiterknoten in den Lungen erforderlich ist; durch letztere Arbeit wurden die Ansichten über
die Beurteilung von Lungenerkrankungen in forensischer Beziehung vollständig reformiert. Seit 1846 arbeitete
er gemeinsam mit seinem Sohn über Zahnkrankheiten. Er war auch passionierter Landwirt, erhob zwei Ackerhöfe, die er besaß,
zu Musterwirtschaften und führte in der Lüneburger Heide
[* 38] den Lupinenbau ein. Er schrieb: »Lehrbuch der Geburtshilfe bei Tieren«
(Hannov. 1830);
»Beurteilungslehre des Pferdes« (mit seinem Sohn, das. 1859);
Als er 1881 krankheitshalber in den Ruhestand trat, wurde er zum GeheimenMedizinalrat ernannt. Günther ist einer
der bedeutendsten tierärztlichen Anatomen, namentlich was topographische Anatomie betrifft, dazu tüchtiger Operateur. Er
schrieb: »Über Behandlung der Strychninvergiftung mit Opium« (1851);
»Beurteilungslehre des Pferdes« (mit seinem Vater, Hannov.
1859);