Titel
Friesische
Sprache
[* 2] und Litteratur. Die
Sprache der alten
Friesen ist ein
Zweig des germanischen
Stammes, und zwar nimmt
sie eine Mittelstellung zwischen dem Altsächsischen und
Angelsächsischen ein. Die altfriesische
Sprache
hat keine Dichterwerke aufzuweisen, und es entgeht uns daher nicht bloß eine
Menge der lebendigsten
Ausdrücke, sondern es
fehlt auch der
Maßstab,
[* 3] nach welchem wir ihre Lautverhältnisse besser aufzufassen im stande wären, als dies bei dem nicht
sehr weit zurückreichenden
Alter der friesischen
Rechtsbücher und der Verschiedenheit der
Handschriften
möglich ist.
Letztere gehören sämtlich erst dem 14. und 15. Jahrh. an
(»Friesische Rechtsquellen«, hrsg. von v.
Richthofen, Berl. 1840);
jedoch
sind sie wegen der
Stabilität des altfriesischen
Idioms für die Erforschung der altgermanischen
Sprachen immerhin von
nicht geringer Bedeutung. Für die ältere Zeit fließen uns nur sehr spärliche
Quellen, denn die altfriesischen
Ausdrücke, die sich in der
Lex Frisionum (s.
Friesisches Recht) hin und wieder finden, sowie die altfriesischen
Eigennamen der
Annalen und
Urkunden gewähren nur geringe
Ausbeute für die Forschung.
Die altfriesischen
Sprachlaute stimmen meist mit denen der
oben genannten verwandten
Dialekte überein; eine sehr charakteristische
Eigentümlichkeit des
Friesischen ist es jedoch, daß k und g vor i und e in einen
z-Laut übergehen, z. B.
tserke aus kerke
(Kirche), lidszia = altsächsisch liggian (liegen). Das
Friesische ist die einzige germanische
Sprache, welche
diesen in den romanischen und besonders in den slawischen
Sprachen sehr gewöhnlichen Lautvorgang kennt.
Die altfriesische
Sprache ist uns in den Rechtsquellen in zwei Hauptmundarten überliefert: der westfriesischen
(westlich der
Ems in
[* 4] den
Niederlanden) und der ostfriesischen
(zwischen
Ems und Wesermündung);
von einem dritten
Zweig des
Friesischen,
dem Nordfriesischen
, sind keine ältern Sprachdenkmäler überliefert.
Eine Grammatik der altfriesischen Sprache lieferte zuerst Rask (»Frisisk Sproglære«, Kopenh. 1825; deutsch von Buß, Freiburg [* 5] 1834). In seinem Zusammenhang mit den übrigen germanischen Sprachen wurde das Altfriesische behandelt von Grimm in seiner »Deutschen Grammatik«, ferner in der altfriesischen Sprachlehre, welche M. Heyne gibt in seinem Buch »Kurze Laut- und Flexionslehre der altgermanischen Sprachstämme« [* 6] (3. Aufl., Paderb. 1874); vgl. noch besonders die Abhandlung von Th. Siebs in Paul und Braune, »Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Litteratur«, Bd. 11. Als altfriesische Wörterbuch er sind zu nennen das nun veraltete von Wiarda (Aurich [* 7] 1786) und das ganz vorzügliche von Richthofen (Götting. 1840); ohne wissenschaftliche Bedeutung ist de Haan Hettemas »Idioticon frisicum« (Leeuw. 1874).
Die friesische Sprache
hat heutzutage viel von ihrem ältern Verbreitungsgebiet verloren.
Analog den ältern Verhältnissen
sind die neufriesischen
Mundarten in drei
Gruppen zu teilen:
1) Das Westfriesische, auch Bauern- oder Landfriesisch genannt, weil es nur noch auf dem Land gesprochen wird, ist gegenwärtig auf Hindeloopen, Bolsward, Leeuwarden und die Umgegend beschränkt. Ein großer Teil des ältern westfriesischen Gebiets ist durch die holländische Sprache eingenommen, welche auch in dem noch friesisch redenden Gebiet die eigentliche Schriftsprache ist. Jedoch ist gerade hier in Westfriesland das friesische Stammes- und Sprachbewußtsein sehr lebendig, und schon seit zwei Jahrhunderten war man eifrig bemüht, durch litterarische Produktionen in friesischer Sprache dieses Bewußtsein zu kräftigen. Ein angesehener älterer Dichter der Westfriesen ist Gysbert Japicx, dessen »Friesche rijmlerye« (Bolsward 1668) von Epkema (mit Wörterbuch, Leeuw. 1824, 2 Bde.) u. von Dykstra (Amsterd. 1855) herausgegeben wurde. Als neuere Dichter sind zu nennen: Salverda (»Itjtlijcke friesche rijmckes«, Sneek 1824),
Posthumus (»Prieuwcke fen friesche rijmmelerije«, Groning. 1824; »In Jouverkoerke«, das. 1836) und vornehmlich die Brüder E. und J. H. ^[Justus Hiddes] Halbertsma. Des letztern (gest. 1858) bedeutendstes poetisches Produkt in dieser Mundart ist: »De Lapekoerfen« (Gabe Scroar, Deventer 1822 u. öfter; ¶
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deutsch von Clement, Leipz. 1847). Sonst dichteten noch im Westfriesischen: Fräulein van Affen, [* 9] P. Deketh, Windsma, van der Veen, Waling Dykstra u. a. Die Volkskomödie »Waatze Gribberts brilloft« (Leeuw. 1812 u. öfter) stammt aus dem Anfang des 18. Jahrh. Ein beliebtes Volksbuch ist »It libben fen Aagtje Ijsbrants« (Sneek 1827). Mit der Bearbeitung und Herausgabe westfriesischer Sprach-, Rechts- und Geschichtsdenkmäler beschäftigten sich Hettema in Leeuwarden, E. und J. H. ^[Justus Hiddes] Halbertsma u. a. Dieselben Zwecke verfolgt die 1829 zu Franeker gegründete »Friesch genotschap voor geschied-, oudheid- en taalkunde«, welche die Zeitschrift »De vrije Fries« (seit 1852, bis 1885: 16 Bde.) herausgibt. J. ^[Justus Hiddes] Halbertsma gab eine westfriesische Übersetzung des Evangeliums Matthäi heraus (Leiden [* 10] 1858); Sammlungen westfriesischer Sprichwörter veranstalteten Hoeafft (Breda 1812) und Scheltema (Franeker 1826). Noch jetzt vergeht kein Jahr, in welchem nicht verschiedene Publikationen im westfriesischen Dialekt erschienen; außerdem sind anperiodischen Schriften zu nennen die Zeitschrift »Forjit my net« (seit 1871) und die Jahrbücher: »Swanneblommen« (seit 1850) u. »De Bije-koer« (41. Jahrg. 1886). Ein unvollendetes Wörterbuch der westfriesischen Sprache, die Buchstaben A-F umfassend, hinterließ J. ^[Justus Hiddes] Halbertsma (»Lexicon frisicum«, Bd. 1, Haag [* 11] 1874).
2) Das Ostfriesische, die Sprache der Friesen zwischen Ems- und Wesermündung, ist dem Untergang am meisten anheimgefallen. Schon seit dem 15. und 16. Jahrh. begann das Niederdeutsche die ostfriesische Volkssprache zu verdrängen, was im Lauf der Zeit so vollständig geschah, daß jetzt in Ostfriesland plattdeutsch, nicht friesisch gesprochen wird. Man hat sich inkorrekterweise gewöhnt, dieses Niederdeutsche Ostfrieslands auch Ostfriesisch zu nennen, weshalb man in dem Werk von Stürenburg: »Ostfriesisches Wörterbuch« (Aurich 1857) keineswegs die friesische Sprache zu suchen hat;
es ist dies ein Wörterbuch des ostfriesischen Niederdeutschen, welches allerdings gerade im Wortschatz Trümmer der alten friesischen Sprache bewahrt hat.
Nur in zwei Resten hat sich die alte ostfriesische Sprache erhalten, nämlich auf der Insel Wangeroog und in drei von Sümpfen umgebenen Dörfern des sogen. Saterland es (südwestlich von Oldenburg). [* 12] Ausführliche Abhandlungen über beide Mundarten finden sich im »Friesischen Archiv« (hrsg. von Ehrentraut, Oldenb. 1847-54, 2 Bde.); über das Saterländische speziell vgl. Halbertsma und Posthumus, Onze reis naar Sagelterland (Franeker 1836). Ein wichtiges Werk des 17. Jahrh.: »Memoriale linguae frisicae«, vom Pastor Cadovius Müller (gest. 1725), über die ostfriesische Sprache im Harlingerland, wurde von Kükelhan (Leer [* 13] 1875) veröffentlicht. Ein Wörterbuch des Ostfriesischen gab T. ten Doornkaat-Koolman (Norden [* 14] 1877-85, 3 Bde.) heraus.
3) Das Nordfriesische wird, mehr oder weniger mit dänischen und niederdeutschen Elementen vermischt, noch gesprochen an der Westküste Südjütlands und Schleswigs bis Ribe und besonders auf den an dieser Küste liegenden Inseln, namentlich auf Sylt, Föhr, Amrum. Es gehört dazu außerdem der Dialekt der Insel Helgoland, [* 15] der jedoch schon großen Zerstörungen durch fremde Elemente ausgesetzt gewesen ist. Auch im nordfriesischen Dialekt hat man sich poetisch versucht; erwähnenswert ist besonders das Lustspiel »De gidtshals« von J. P. ^[Jap Peter] Hansen auf Sylt.
Ein reichhaltiges Wörterbuch der nordfriesischen Mundart lieferte Outzen (»Glossarium der friesischen Sprache«, Kopenh. 1837); das Hauptwerk über den Dialekt ist Bendsens »Die nordfriesische Sprache nach der Moringer Mundart« (hrsg. von de Vries, Leid. 1860). Später erschien Johansens »Die nordfriesische Sprache nach der Föhringer und Amrumer Mundart« (Kiel [* 16] 1862). Eine Übersicht über die gesamte friesische Litteratur lieferte Mone im Anhang seines Buches »Übersicht der niederländischen Volkslitteratur älterer Zeit« (Tübing. 1838); als bibliographisches Hilfsmittel ist empfehlenswert die Schrift »Essai d'une bibliographie de la littérature frisonne« (Haag 1859). Einen Überblick über die gesamten neufriesischen Volksmundarten, verbunden mit reichen sprachlichen und litterarischen Notizen, findet man in Winklers »Allgemeen nederduitsch en friesch dialecticon« (Haag 1872, 2 Bde.).