Freiligrath
,
Ferdinand, Dichter, geb. zu Detmold, [* 2] offenbarte schon früh, wiewohl unter geistig wenig anregenden Einflüssen aufwachsend, eine lebhafte Einbildungskraft, die sich namentlich an Reisebeschreibungen nährte. Von einigem Einfluß auf seine Richtung mag die frühe Bekanntschaft mit seinem genial-bizarren Landsmann Chr. Grabbe geworden sein. Bis zu seinem 15. Jahr besuchte er das Gymnasium seiner Vaterstadt; in Aussicht auf das Erbe eines Oheims in Edinburg [* 3] widmete er sich jedoch dem kaufmännischen Stand und lernte bis 1831 in Soest, [* 4] alle Mußestunden dem Studium der Erd- und Naturkunde, besonders des Morgenlandes, daneben auch der englischen und französischen Litteratur in der Ursprache widmend.
Von Soest kam er in ein Wechselgeschäft zu Amsterdam, [* 5] konditionierte sodann von 1837 bis 1839 in Barmen, [* 6] entsagte jedoch, veranlaßt durch den Beifall, den seine 1838 gesammelt erschienenen »Gedichte« fanden, der kaufmännischen Laufbahn und privatisierte eine Zeitlang in Unkel bei Köln, [* 7] 1840-41 in Weimar [* 8] und Darmstadt. [* 9] Sein Dichterruhm war bisher fast ohne Widerspruch anerkannt worden; man erfreute sich gern an den Schöpfungen einer Phantasie, die sich in die Farben des Morgenlandes zu kleiden liebte, bis Herweghs Genius die Gemüter in die lebendige Gegenwart zurückrief.
Infolge von dessen bekanntem
Brief an den König von
Preußen
[* 10] veröffentlichte Freiligrath
sein Gedicht »Ein
Brief«, worin er jenen angriff, und das
Herwegh in Veranlassung von Freiligraths
Elegie auf den
Tod
Diego
Leons mit seinem Gedicht
»Partei« beantwortete. Im J. 1842 erhielt Freiligrath
durch die
Gunst des
Königs von
Preußen einen Jahrgehalt angewiesen, in dessen
Genuß er sich nach St. Goar begab, wo er mit dem mit gleicher Auszeichnung bedachten
Emanuel
Geibel ein
¶
mehr
heiteres, nur der poetischen Produktion gewidmetes Zusammenleben führte. Freiligraths
Poesie begann sich aber bald aus der
tropischen Fremde der Heimat zuzuwenden, und in seinem poetischen »Glaubensbekenntnis« (Mainz
[* 12] 1844) trat er plötzlich offen
zur Fahne des Liberalismus über und rechtfertigte diesen Schritt in einem prosaischen Vorwort zu dem »Glaubensbekenntnis«. Zugleich
verzichtete er, zum Teil infolge seines Verkehrs mit Hoffmann von Fallersleben, 1844 für die Zukunft auf
die königliche Pension.
Seines von jetzt an kundgegebenen politischen Radikalismus wegen verfolgt, begab er sich 1845 in die Schweiz, [* 13] ward aber auch hier, erst in Rapperswyl, sodann in St. Gallen, ausgewiesen und siedelte daher 1846 nach London [* 14] über, wo er als Korrespondent in einem Handelshaus eine Anstellung fand. Die europäische Bewegung von 1848 begrüßte er mit zwei Gedichten: »Die Revolution« und »Februarklänge«, kehrte nach Deutschland [* 15] zurück und ließ sich in Düsseldorf [* 16] nieder.
Ein Gedicht: »Die Toten an die Lebenden«, worin der Staatsanwalt Aufreizung zum bewaffneten Widerstand gegen
die Regierung und Majestätsverbrechen finden wollte, zog ihm Verhaftung (29. Aug.) und die Anklage auf Majestätsbeleidigung zu;
doch ward er vom Geschwornengericht 3. Okt. freigesprochen. Die Verhandlungen sind in einer besondern Schrift erschienen: »Stenographischer
Bericht des Prozesses gegen den Dichter Freiligrath
Freiligrath« (Düsseld. 1848).
In Holland, wo er sich niederzulassen gedachte, 1849 ausgewiesen, lebte er nun zu Bilk bei Düsseldorf, erhielt jedoch im Oktober 1850 die Weisung, Preußen zu verlassen. Nachdem er indes seine zehnjährige Unterthanenschaft in Preußen nachgewiesen, wurde er im Mai 1851 als Ortsbürger in Düsseldorf aufgenommen. Wegen des zweiten Hefts seiner »Politischen und sozialen Gedichte« und wegen seiner Beteiligung an der demokratischen Zentralbehörde in Köln sollte er abermals verhaftet werden, entzog sich aber der Verfolgung durch die Flucht nach England. Er lebte seitdem in London, fern von den Umtrieben der Flüchtlingspropaganda, als Manager oder Direktor einer schweizerischen Bankkommandite.
Als das Bankhaus, in welchem Freiligrath
seine Stellung hatte, 1867 fallierte, kam der schon früher angeregte
Gedanke, den Dichter durch eine Nationalsubskription seiner Muse zurückzugeben, zur Ausführung. Die Ergebnisse sicherten
dem Dichter ein sorgenfreies Leben, und er kehrte 1868 nach Deutschland zurück, um sich in Kannstatt
[* 17] bei Stuttgart
[* 18] niederzulassen,
wo er starb. Freiligraths
poetische Richtung zeigte sehr früh ein gewisses überwiegen kräftiger
und farbenlodernder Deskription.
Während er jeden Stoff mit einer eigentümlichen Mischung von poetischer Empfindung und schildernder Realität zu erfassen
wußte, malte er doch mit Vorliebe Bilder des Meers, der Wüste, der Steppe, der tropischen Landschaft, Bilder des Kampfes und des
Grauens, leidenschaftlich gespannte Situationen, ohne darum der zarten und selbst innigen Empfindung ganz
zu entbehren. Mit der völligen Neuheit des Inhalts verbanden Freiligraths
»Gedichte« (Stuttg.
1838, 43. Aufl. 1883) eine lebendige Originalität der Formen, selbst seine Wiederaufnahme des Alexandriners war eigentümlich.
Die meiste Verwandtschaft zeigte Freiligrath
mit Victor Hugo, dessen »Oden« und »Dämmerungsgesänge« er daher
auch mit noch unerreichter Meisterschaft nachdichtete (in der Sauerländerschen Ausgabe von Victor Hugos Werken). Dasselbe gilt
von seinen Nachbildungen mehrerer englischer Lyriker, wie Th. Moore,
Tannahill, Fel.
Hemans, Burns etc. Einen weniger erfreulichen Eindruck als die erste Hauptgattung seiner Dichtungsweise machten
seine spätern politischen und Zeitgedichte.
Zwar ließ sich auch hier der große Meister der Form und Sprache [* 19] sowie ein eminentes Talent, Zustände und Situationen mit energischer Lebendigkeit plastisch darzustellen, nicht verkennen; aber die revolutionäre Überhitzung namentlich der ältern Gedichte dieser Art in den Sammlungen: »Ein Glaubensbekenntnis« (Mainz 1844, neue Ausg. 1863),
»Politische und soziale Gedichte« (Düsseld. 1849-51, 2 Hefte) hatte vielfach etwas Gekünsteltes. Die spätern, in der zweiten englischen Verbannung geschriebenen Gedichte sowie die herrlichen patriotischen Dichtungen des Jahrs 1870 zeigten hingegen den Dichter im Vollbesitz seines Schwunges und seines glutvollen Kolorits. Gedichte aus seiner ältern, nicht politischen Zeit enthält die Sammlung »Zwischen den Garben« (Stuttg. 1849),
die spätesten Dichtungen erschienen außer in den gesammelten Werken auch in den »Neuen Gedichten« (das. 1876, 3. Aufl. 1880). Außerdem gab er heraus: »Rolands Album« (Gedichte, Köln 1840); in Gemeinschaft mit I. ^[Ignatz] Hub und Aug. Schnezler den 1. und 2. Jahrgang des »Rheinischen Odeon« (Kobl. 1836 u. 1839);
mit Simrock und Matzerath das »Rheinische Jahrbuch« (Köln 1840 und 1841);
mit Levin Schücking: »Das malerische und romantische Westfalen« [* 20] (Barmen 1840-42; 2. Aufl., Paderb. 1871);
mit Duller: »1842, Gedicht zum Besten des Kölner [* 21] Doms« (Darmst. 1842) und »Karl Immermann, Blätter der Erinnerung an ihn« (Stuttg. 1842);
»Dichtung und Dichter, eine Anthologie« (Dessau [* 22] 1854) und die englische Anthologie »The rose, thistle and shamrock«.
Als Übersetzer ließ er den »Englischen Gedichten aus neuerer Zeit« (Zürich
[* 23] 1846) die
Übertragung von Shakespeares »Venus und Adonis« (Düsseld. 1849) und Longfellows »Hiawatha« (Stuttg. 1857) folgen. Aus seinem
Nachlaß erschienen noch zwei Jugendarbeiten: die Übersetzung von Byrons »Mazeppa« und die Erzählung »Der
Eggesterstein« (Stuttg. 1883). Freiligraths
»Gesammelte
Dichtungen« (Stuttg. 1870, 6 Bde.; 5. Aufl.
1886) fanden eine glänzende Aufnahme, indem sie das Totalbild des originellen und liebenswürdigen Dichters vor die Augen
des deutschen Volkes stellten. Seit 1875 gab er für den Hallbergerschen Verlag zu Stuttgart ein illustriertes
Unterhaltungsblatt in englischer Sprache unter dem Titel: »Illustrated Magazine« heraus. - Freiligraths
Gattin Ida Freiligrath
zeichnete
sich ebenfalls als geschmackvolle Übersetzerin englischer Dichtungen aus;
seine älteste Tochter, Kate, übertrug Gedichte ihres Vaters vortrefflich ins Englische. [* 24]
Vgl. Schmidt-Weißenfels, Freiligrath
, eine Biographie (Stuttg. 1876);
Buchner, Ferdinand Freiligrath
, eine
Biographie in Briefen (Lahr
[* 25] 1881).