Französische
Musik. Die
Musik der
Franzosen ist zu verschiedenen
Zeiten unter den abendländ. Völkern
tonangebend gewesen. Von den
Kelten haben die
Franzosen den heftigen, leidenschaftlichen
Accent, von den
Normannen den künstlerischen
Ernst, von den Provençalen den sinnlichen Liebreiz und die ästhetische Feinheit überkommen und diese Eigenschaften verschmelzend
den hohen virtuosen Kunst- und Formensinn ausgebildet, der sie noch heute auszeichnet. Die Reste erhaltener
Nationalmusik
aus der vorchristl.
Zeit sind nicht so bedeutend wie die auf den brit.
Inseln. Die
Franzosen bildeten sich in den durch
Karl d. Gr. begründeten
Musikschulen schneller und eifriger aus als die
Deutschen; dies kam ihnen dann zu gute bei der Entstehung der
Harmonie und der
Mensuralmusik.
Mit Engländern und den rhein.
Deutschen gemeinsam waren sie die Führer in dieser Kunst,
wie gleichzeitig in der
Baukunst,
[* 2] bis die
Niederländer im 15. Jahrh. die Oberhand bekamen. Zur Zeit jener ersten
Bildungen
der dem
Abendlande eigentümlichen
Musik, vom 11. bis 13. Jahrh., erblühte in Südfrankreich eine Kunst, die der harmonischen
der
Normandie gerade entgegengesetzt war, die der
Troubadours (s. d.) oder des provençal.
Liedes.
Wenn auch der Schwerpunkt [* 3] derselben in der Dichtung lag, so hatte doch die Musik bedeutenden Teil daran und Gewinn davon; die feinsten Liedermelodien der damaligen Zeit entstanden in diesem Kreise, [* 4] und die Ausdrücke Ménestrier, Jongleur u. a. verbreiteten sich von hier als allgemein gültige Bezeichnungen für Sänger und Spielleute im ganzen Abendlande. Beide Richtungen, die des gelehrten Harmonikers und des anmutigen Melodisten, waren schon Ende des 13. Jahrh. zu einem fruchtbaren Bunde miteinander verschmolzen; dies zeigt sich zunächst an Adam de la Hale (s. d.), der mehrstimmige Kompositionen und zugleich einstimmige Liederspiele voll reizender Melodien schrieb.
Seine Liederspiele, Pastourellen genannt, haben in den gleichzeitigen Passions- und sonstigen biblischen Gesangspielen und Moralitäten geistliche Nebenläufer erhalten, die gewöhnlich Mysterien genannt werden und ebenfalls reichlich mit Musik ausgestattet waren. Auch in England und Deutschland [* 5] war dies der Fall, aber die franz. Stücke beider Art hatten die größere Durchbildung vor denen ihrer Nachbarn voraus, wie auch die Pariser Gesellschaften, durch die sie aufgeführt wurden, von allen die angesehensten waren.
Durch diese
Spiele, weltliche wie geistliche, ernste wie scherzhafte, wurde das eigentümliche franz.
Lied, die Chanson (s. d.), völlig ausgebildet und in größter Fülle über
ganz
Frankreich verbreitet. Bis zum 16. Jahrh. waren dann die musik
alischen Leistungen der
Franzosen unbedeutend; nur ihre prächtigen
Ballette, die sie den
Italienern nachgebildet hatten, erregten damals Aufsehen.
An der kontrapunktischen Kunst, in der das Jahrhundert
Palestrinas hervorragte, nahmen sie in geringem
Grade
teil. ^[]
Die
Oper, an die sich seit dem 17. Jahrh. fast alles knüpft, was die
Französische Musik
geleistet hat, entstand in
Frankreich nicht, wie in
Italien
[* 6] und später in
Deutschland, an vielen Orten in bunter Mannigfaltigkeit,
sondern, entsprechend der Natur eines stark centralisierten
Staates, nur in der Hauptstadt und gleichsam auf
Befehl der regierenden
Gewalt. Nachdem Mazarin schon seit 1645 in
Paris
[* 7] einige Opernaufführungen einer ital.
Truppe hatte zu
stande kommen lassen, versuchte sich
Cambert (s. d.) unter dichterischer
Beihilfe des
Abbé Perrin in franz. Singstücken für
den
Hof,
[* 8] worauf 1669 eine ständige
Oper in
Paris gegründet wurde, deren Privilegium
Cambert und Perrin erhielten, wie Ballard
ein solches schon seit hundert Jahren für den Druck der
Musik besaß.
Seit dieser Zeit steht die
Académie nationale de musique (gewöhnlich
Opéra genannt) da als das stabilste und in seinem Gesamtwirken
bedeutendste Musik
institut der Welt. Erhöht wird die Bedeutung dieser Opernbühne noch durch den Umstand, daß die
Musik
von Anfang an (von Ballard) gedruckt wurde, nicht in unvollständigen
Auszügen wie anderswo, sondern
in den
Partituren, die nun eine ununterbrochene Folge durch zwei Jahrhunderte bilden. Hierdurch blieben diese Produkte der
Nation stets vor
Augen und traten in ihren Haupterzeugnissen nach allen Schwankungen der Mode immer wieder auf den Schauplatz;
daher die geschlossene Geschichte der franz.
Oper, ihre lückenlose
Entwicklung und entschieden nationale
Haltung. Nach den ersten Anfängen trat in
Giovanni Battista
Lully (s. d.) sofort die Hauptgestalt auf den Platz, der, mit
dem Dichter Quinault vereint, 1672‒89
Opern und
Ballette produzierte, von denen namentlich die
Ballette im
Auslande nachgeahmt
wurden, und dessen Werke insgesamt für die franz.
Bühne maßgebend blieben.
¶
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Unter Lullys Nachfolgern ragt Campra hervor; ital. Musik verdrängte diese Oper eine Zeit lang, bis um 1740 Jean Philippe Rameau (s. d.) mit Werken, die den Lullyschen ebenbürtig sind, aufs neue dem Französischen die Bahn brach. In Rameaus spätern Tagen, um 1750, drang die Musik Italiens [* 10] abermals mit erneuerter Macht in Paris ein, und jetzt bewies Jean Jacques Rousseau, im Einverständnis mit den Encyklopädisten, in einem berühmt gewordenen Sendschreiben, daß die Franzosen keine Musik hätten, noch haben könnten.
Die hier den Italienern zuerkannte Überlegenheit wurde von den Anhängern der als Französische Musikals
eine Beleidigung der Nationalehre aufgefaßt;
ein erbitterter Kampf folgte, an dem alle teilnahmen bis zum Hofe hinauf, und der, wenn er auch anscheinend
resultatlos verlief, doch die schlummernden musik
alischen Kräfte der Nation aufs tiefste erregte. Die Folgen waren nach
zwei Seiten hin höchst bedeutend. Hauptsächlich war es die Opera buffa Dunis und anderer Italiener, die den Streit entfacht
hatte; die Franzosen lernten schnell in dieser Schule, nahmen ihre Kräfte zusammen und schufen jene zahlreichen
und köstlichen Gebilde der komischen Oper, die sich von hier über die Welt verbreitet haben.
Der eigentlich franz. Geist, die leichte graziöse Beweglichkeit, kommt in diesen Stücken zum Vorschein; sie sind nicht burlesk, wie die ihnen voraufgegangenen italienischen, sondern aus ernsten und heitern Situationen gemischt, aber nicht im Sinne der engl. Tragödie, sondern des damals aufkommenden rührenden bürgerlichen Schauspiels. Als unverkennbar nationales Eigentum hauptsächlich von Grétry bis Auber in vielen glücklichen Werken zu Tage getreten, bilden sie die eigentümlichsten Erzeugnisse der franz. Oper.
Die zweite Folge der Streitigkeiten um den Vorrang der franz. oder der
ital. Musik war die Umgestaltung der Großen Oper. Lully und Rameau behaupteten sich zwar standhaft, neben ihnen fanden aber die
neuern Italiener leichten Zugang, und die Werke beider standen unvermittelt nebeneinander. Da trat der Deutsche
[* 11] Christoph Wilibald
Gluck (s. d.) 1774 in Paris auf, dessen Kunst die Werke der alten Franzosen mit den Produkten der neuern
Italiener auf einer höhern Stufe vereinigte, ebendeshalb aber von beiden Seiten angefochten wurde. Am heftigsten entbrannte
der Kampf gegen die Italiener, die in Nicola Piccini (s. d.) ihren besten Opernkomponisten nach
Paris gezogen hatten, endete aber endlich mit dem Siege Glucks und durch ihn mit dem Triumph der franz. Bühnenmusik.
Die Verschmelzung des Französischen und Italienischen auf nationalem Grunde, die das Endresultat der langen Kämpfe war, zeigt sich ebensosehr in den Werken der aus Italien stammenden Cherubini und Spontini, als in denen der geborenen Franzosen Méhul, Boieldieu u. a. Später (um 1830) waren es wieder ein Italiener und ein Deutscher, Rossini und Meyerbeer, welche die franz. Oper und durch diese alle Opernbühnen der Welt in Bewegung setzten, aber mehr in friedlichem Wetteifer als in aufreibenden Kämpfen.
Von ihren Werken zehrt die Pariser Große Oper, die seit 1874 auch das größte und prächtigste aller vorhandenen Theater [* 12] besitzt, noch gegenwärtig; die neuern Komponisten für diese Bühne sind sämtlich geborene Franzosen. Unter ihnen sind Charles François Gounod, Georges Bizet und Massenet die hervorragendsten. Dagegen ist derjenige der neuern franz. Komponisten, der durch die Ausbildung der komischen Oper zur Burleske von allen Zeitgenossen den größten Bühnenerfolg gehabt hat, J. ^[Jacques] Offenbach [* 13] (aus Köln), [* 14] wieder ein Ausländer.
Mit der Großen Oper kann sich an Bedeutung unter sämtlichen musikalischen Instituten Frankreichs nur allenfalls das 1795 gegründete Conservatoire vergleichen, das für die europ. Musikschulen lange Zeit Normalinstitut gewesen ist. In der Instrumentalmusik wird Bedeutendes geleistet, aber mehr im virtuosen Solo- und Orchesterspiel als in der Komposition. Das Haupt der jetzigen Instrumentalkomponisten in Frankreich ist nach H. Berlioz' Tod C. Saint-Saëns geworden.
Tonangebend auf diesem instrumentalen Gebiete waren die Franzosen nur einmal, in der zweiten Hälfte des 17. Jahrh., zur Zeit der Entstehung ihrer Oper, wo selbst alle deutschen Kapellen mit franz. Instrumentisten besetzt waren. In der Kirchenmusik ist verhältnismäßig wenig geleistet; seit Cherubini werden aber die besten ausländischen Meister dieses Fachs mehr als früher beachtet. Noch ärmlicher ist es um die Pflege des Oratoriums bestellt, obwohl das Pariser Concert spirituel zu Anfang des 18. Jahrh. die großen Werke dieser Gattung zum Teil angeregt hat.
Neuerdings sind auch in dieser Hinsicht allerlei Versuche gemacht, namentlich in der Popularisierung der Konzertmusik für
große Massen. In der Gesangskunst ist Paris fast im ganzen 19. Jahrh. deshalb so bedeutend gewesen, weil die ital.
Größen des Gesangs fast sämtlich hier ihren bleibenden Wirkungskreis hatten. Auch in der Musikwissenschaft
haben die Franzosen Hervorragendes geleistet; sowohl die Theorie wie die Geschichte der Musik sind mit Geist und gründlichem
Ernst von ihnen behandelt worden. Über das Charakteristische der Französische
Musik gegenüber der musikalischen Kunst der Italiener und
der Deutschen sowie über die Litteratur s. Musik.