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und der dringende Wunsch nach Wiederherstellung des Kaisertums. Das Senatskonsult vom legte diese Frage dem französischen Volk vor, welches 21. u. 22. Nov. mit 7,801,321 Stimmen gegen 251,781 das Kaisertum annahm. An dem verhängnisvollen 2. Dezember wurde der Prinz-Präsident in St.-Cloud unter dem Namen Napoleon III. als Kaiser proklamiert. Eine lange Reihe von Großwürdenträgern, meist aus der Zahl der Getreuen des Bonapartismus, wurde ernannt; sämtliche Angehörige des Hauses Bonaparte erhielten den Rang französischer Prinzen.
Das zweite Kaiserreich 1852-1870.
Nur zögernd erkannten die fremden Mächte das zweite Kaiserreich an, da sie dessen volkstümlichen Ursprung mißbilligten und seine kriegerischen Überlieferungen fürchteten; am wenigsten konnte sich der Zar Nikolaus mit der Erneuerung des Kaisertums befreunden. Napoleon wurde daher auch mit seinen Heiratsanträgen von mehreren fürstlichen Familien zurückgewiesen und vermählte sich deshalb mit der spanischen Gräfin Eugenie von Montijo und Teba.
Ein glänzender Hofstaat wurde eingerichtet, und der Luxus und die Pracht der Tuilerien bildeten das eifrig nachgeahmte Muster der vornehmen Welt. Der Wohlstand hob sich, Handel und Verkehr blühten, die Regierung widmete den wirtschaftlichen Dingen eine eifrige Fürsorge, und das Volk schien mit dem neuen System wohl zufrieden. Die Verhandlungen des Senats und des Gesetzgebenden Körpers verliefen friedlich; bei den Adreßdebatten wurde das Kaiserreich verherrlicht, und eine Opposition machte sich gar nicht bemerkbar.
Namentlich verstand es
Napoleon, seine
Popularität durch eine geschickte auswärtige
Politik zu steigern. Im
Krimkrieg (1854
bis 1856) trat er im
Bund mit dem liberalen
England als
Schützer der Türkei
[* 3] gegen Rußland auf, welches
als der
Hort des
Despotismus galt, dessen
Kaiser der ingrimmigste Feind der
Revolution war und
Napoleon bisher nicht als ebenbürtigen
Monarchen hatte anerkennen wollen. Die französischen
Truppen errangen sich wieder in größern
Kämpfen, als die in
Algerien
[* 4] waren, blutige Lorbeeren, u. wenn Frankreich
auch für seine bedeutenden
Opfer an
Geld und
Menschen keinen direkten
Vorteil zog und keine Vergrößerung seines Gebiets erwarb, so führte es doch auf dem
Pariser
Friedenskongreß das entscheidende
Wort; die europäischen
Souveräne besuchten den kaiserlichen
Hof
[* 5] in
Paris,
[* 6] die
Regierungen, selbst die russische, wetteiferten
in den Bewerbungen um die
Gunst
Napoleons; die
Heilige Allianz war durch den
Krimkrieg völlig zersprengt
worden, und Frankreich
war wieder die erste Macht des
Kontinents, sein Herrscher der angesehenste
Fürst, dessen
Worten man gespannt
lauschte. Als der kaiserliche
Prinz geboren wurde und die Dynastie von neuem gefestigt schien, stand der
Kaiser
auf der
Höhe seiner
Popularität im Innern und seines Ansehens im
Ausland.
Da führte ein plötzlich eintretendes Ereignis neue Verwickelungen im Innern und nach außen herbei. Ein früherer italienischer Karbonaro, Felix Orsini, der Napoleon für seinen Abfall von den italienischen Einheitsideen bestrafen wollte, verschwor sich gegen ihn mit drei Genossen: Pieri, Rudio und Gomez. Am abends, als das Kaiserpaar aus der Großen Oper kam, warfen sie Handbomben, welche unter dem kaiserlichen Wagen explodierten und viele Umstehende verwundeten, ohne das kaiserliche Paar zu verletzen (Orsinisches Attentat).
Orsini und
Pieri wurden hingerichtet, die beiden andern nach
Cayenne deportiert. Aber die
Regierung wollte
in dem
Verbrechen jener
vier
Ausländer das
Werk der republikanischen
Partei in Frankreich
sehen und benutzte jenes, um gegen diese maßlos zu wüten. Dem sofort
einberufenen
Gesetzgebenden
Körper wurde ein
»Gesetz der allgemeinen Sicherheit« vorgelegt, welches alle diejenigen, die sich
irgend eines
Aktes der
Opposition gegen die
Regierung schuldig machten, dem Gefängnis, der
Verbannung und
der
Deportation nach Belieben der
Regierung preisgab; am wurde dieses
Gesetz mit 217 gegen 24
Stimmen angenommen.
Die Ausführung desselben übernahm als
Minister des Innern der
General
Espinasse; er verhängte über 2000 politisch Verdächtige,
die sich keines besondern
Vergehens schuldig gemacht hatten, die
Deportation. Dieser militärisch-polizeiliche
Terrorismus wurde erst allmählich gemildert.
Das Orsinische
Attentat hatte die weitere
Folge, daß der
Kaiser die Ausführung des
Plans,
Italien
[* 7] von der Herrschaft
Österreichs
zu befreien und politisch zu einigen, beschleunigte.
Schon während des
Krimkriegs und auf dem
Pariser
Friedenskongreß hatte
er das aufstrebende
Sardinien
[* 8] und seinen kühnen Staatsmann begünstigt.
Nun lud er im Juli 1858
Cavour
zu einer Zusammenkunft im
Bad
[* 9]
Plombières ein, wo eine geheime
Konvention abgeschlossen wurde, der zufolge
Sardinien in ein die
Lombardei,
Venetien,
Toscana,
Parma,
[* 10]
Modena und den nördlichen Teil des
Kirchenstaats umfassendes
Königreich Norditalien verwandelt
werden, dafür aber
Nizza
[* 11] und
Savoyen an Frankreich
abtreten sollte.
Die äußere Ankündigung der neuen Kriegspolitik gab die Ansprache des Kaisers an den österreichischen Botschafter, Baron Hübner, bei dem Neujahrsempfang 1859, welche durch ihre Herbheit allgemeines Aufsehen erregte. Zur Befestigung der französisch-sardinischen Allianz wurde die Tochter des Königs Viktor Emanuel, Klothilde, mit dem Vetter des Kaisers, dem Prinzen Napoleon, vermählt England und Preußen [* 12] bemühten sich, den drohenden Krieg durch ihre Vermittelung zu verhindern.
Österreich [* 13] aber durchkreuzte diese Verhandlungen durch ein Ultimatum an Sardinien, nach dessen Zurückweisung es mit Überschreitung der sardinischen Grenze den Krieg begann. Sofort überschritt ein französisches Heer die Alpen, [* 14] um sich unter des Kaisers Befehl mit den Sarden zu vereinigen. Die gänzliche Unfähigkeit der österreichischen Generale sowie die innern Schäden der habsburgischen Herrschaft in Ober- und Mittelitalien führten mehr als die Strategie der französischen und italienischen Befehlshaber die übrigens hart bestrittenen Niederlagen der Österreicher bei Magenta (4. Juni) und Solferino [* 15] (24. Juni) herbei. Nach letzterer Schlacht schlossen und Österreich 11. Juli plötzlich den Frieden von Villafranca, ohne daß Napoleon sein Programm: Italien frei bis zur Adria! durchgeführt hätte. Die Besorgnis vor Preußens [* 16] drohender Haltung wirkte dabei ebenso mit wie der Wunsch, Italien nicht allzu unabhängig werden zu lassen. Die Präliminarien von Villafranca sowie der definitive Friede von Zürich [* 17] bestimmten deshalb bloß die Abtretung der Lombardei an Sardinien und die Vereinigung aller italienischen Staaten, auch Venetiens, zu einem Bund unter Vorsitz des Papstes. Aber dieser Bund bewies sich als eine Unmöglichkeit, der Papst weigerte sich, demselben anzugehören, und die mittelitalienischen Länder Toscana, Parma, Modena und Romagna proklamierten, anstatt ihre vertriebenen Herrscher wieder aufzunehmen, ihren Anschluß an Sardinien. Gegen die sofortige ¶
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Abtretung von Savoyen und Nizza, welche erfolgte und von der französischen Regierung als eine Sühne des 1815 Frankreich
widerfahrenen
Unrechts dargestellt wurde, fügte sich Napoleon in die vollendeten Thatsachen.
Diese Gebietsvergrößerung, die Vernichtung der österreichischen Herrschaft in Italien, die Lorbeeren von Magenta und Solferino waren die Früchte des kostspieligen und blutigen Kriegs von 1859. Auf ihren günstigen Eindruck vertrauend, erließ der Kaiser eine allgemeine Amnestie und verlieh 1860 dem Gesetzgebenden Körper das Recht, eine Adresse als Antwort auf die Thronrede zu votieren. Indes fanden der italienische Feldzug und sein Ergebnis keineswegs allgemeine Anerkennung.
Die militärischen Leistungen, namentlich des Kaisers selbst, wurden vielfach angefochten, die Einigung Italiens [* 19] als ein entschiedener politischer Fehler bezeichnet, zumal es der Kaiser geschehen lassen mußte, daß Italien auch Neapel [* 20] und Sizilien [* 21] annektierte und dem Papste den größten Teil des Kirchenstaats entriß. Die Preisgebung des Papstes verziehen die Klerikalen Napoleon nicht, während die Radikalen den Schutz Roms durch französische Truppen als eine schwächliche Halbheit tadelten.
Durch die Annexion Savoyens und Nizzas trotz der vielgepriesenen französischen Uneigennützigkeit erhöhte sich in ganz Europa [* 22] das Mißtrauen gegen Napoleon; namentlich in Deutschland [* 23] fürchtete man seine geheimen Ränke und Pläne, um die Rheingrenze wiederzugewinnen. Selbst weise Maßregeln, wie der freihändlerische Handelsvertrag mit England dem Verträge ähnlicher Richtung mit andern Staaten folgten, wurden dem Kaiser in und im Ausland übel gedeutet.
Die Finanzen drohten in Unordnung zu geraten, da sich die Staatsschuld seit 1852 um 2½ Milliarden vermehrt hatte. Um die Kontrolle der Finanzen durch den Gesetzgebenden Körper zu verstärken, wurde auf Antrag des Finanzministers Fould dem Gesetzgebenden Körper das Recht verliehen, das Budget nach speziellen Kapiteln statt, wie bisher, nach Ministerien zu votieren. Die kleine Opposition in der Kammer, welche bis 1863 nur 5 Mitglieder betrug, aber 1863 auf 35 stieg, erlangte auf die öffentliche Meinung immer mehr Einfluß, da ihre scharfe Kritik die Schwächen des Kaiserreichs schonungslos aufdeckte.
Um die Nation zu beschäftigen und durch einen neuen Erfolg zu blenden, mischte sich die Regierung in auswärtige Verhandlungen und suchte überall die Ehre und den Ruhm der französischen Fahne glänzen zu lassen. Die Politik des Kaiserreichs erhielt dadurch einen unruhigen, abenteuerlichen Charakter, der allerdings der Vergangenheit und den Eigenschaften der Genossen und Berater des Kaisers, eines Morny, Persigny, Walewski u. a., entsprach. Die Kräfte des Staats wurden dadurch zersplittert, die Eitelkeit und Begehrlichkeit der Nation gereizt und dennoch nie befriedigt. 1860 nahm an einem Krieg Englands gegen China [* 24] teil und intervenierte in Syrien zu gunsten der Christen.
Geradezu verhängnisvoll wurde dem Kaiserreich die mexikanische Unternehmung, welche 1861 begonnen wurde, um auf Grund haltloser
Privatansprüche die große Republik Mexiko
[* 25] und damit Zentralamerika
[* 26] unter französischen Einfluß zu bringen und, während
die Vereinigten Staaten
[* 27] Nordamerikas sich im Bürgerkrieg zerfleischten, die lateinische Rasse, als deren
Haupt die französische Nation bezeichnet wurde, zur herrschenden in Amerika
[* 28] zu erheben. Die Kosten und Verluste im mexikanischen
Krieg waren sehr bedeutend, die militärischen Erfolge keineswegs
glänzend, wenn die Franzosen auch schließlich Mexiko eroberten.
Um die wirkliche Höhe der Summen, welche das Unternehmen verschlang, nicht bekannt werden zu lassen, da
die Opposition im Gesetzgebenden Körper schon heftig genug war, wurden alles in den Depots vorhandene Kriegsmaterial und alle
disponibeln Geldmittel heimlich verbraucht. Hierdurch ward Frankreichs Kriegsbereitschaft derart erschüttert, daß es die
Polen in dem seit 1861 wütenden Aufstand nicht wirksam zu unterstützen vermochte, nachdem Rußland die
diplomatische Intervention der Mächte zurückgewiesen hatte, daß es mit Italien die Septemberkonvention schloß
und Rom
[* 29] räumte und endlich auch nicht in die schleswig-holsteinische Verwickelung (1863-64) zu seinem Vorteil einzugreifen
wagen durfte. Der Versuch, in Mexiko ein Frankreich
ergebenes Kaiserreich zu gründen und sich so aus der schwierigen
Lage zu befreien, scheiterte kläglich. Nachdem die französischen Truppen vergeblich sich bemüht hatten, den Thron
[* 30] Maximilians
zu befestigen, mußten sie auf die drohende Mahnung der Union 1867 Mexiko räumen und Maximilian preisgeben, dessen tragischer
Tod die Ehre und das Ansehen des französischen Kaiserreichs empfindlich schädigte.
Das unglückselige mexikanische Abenteuer lähmte auch noch 1866 während des preußisch-deutschen Kriegs Frankreichs Aktionskraft. Napoleon begünstigte die Politik Bismarcks in der schleswig-holsteinischen Streitfrage und beförderte das Bündnis mit Italien, einmal aus Vorliebe für das Nationalitätsprinzip, dann, weil er sicher darauf rechnete, daß die beiden deutschen Mächte ihre Kräfte in einem langwierigen Krieg aufreiben und ihm dann die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches, die Annexion Belgiens und des linken Rheinufers, leicht sein würde.
Gegenüber der Opposition in der Kammer und den Reden Thiers', welcher vor den Gefahren der Nationalitätspolitik warnte und die Rückkehr zu der alten Tradition Frankreichs forderte, das sich gegen die großen Staaten auf die kleinen stützen müsse, that er bei Gelegenheit eines Festes in Auxerre den Ausspruch: »Ich verabscheue die Verträge von 1815, auf welche man uns jetzt verweisen will«. Aber der unerwartet schnelle und vollständige Sieg Preußens in Böhmen [* 31] warf alle Vorausberechnungen und Pläne des Kaisers über den Haufen. Es war nur eine geringe Genugthuung für Sadowa, welches die Franzosen fast wie eine von ihnen selbst erlittene Niederlage und Schmach empfanden, daß Österreich die französische Vermittelung anrief und dem Kaiser Venetien abtrat.
Bei den Friedensverhandlungen vermochte Frankreich
nur wenige Wünsche durchzusetzen, und da es nicht zu einem
Kriege gerüstet war, wagte es die gehofften Kompensationen von Preußen nicht energisch zu fordern. In einer Note des neuen
auswärtigen Ministers, Lavalette, machte Napoleon gute Miene zum bösen Spiel, indem er die Auflösung des alten Bundes und die
Einigung Deutschlands
[* 32] unter Preußen wie die Italiens als einen Sieg der französischen Ideen pries. Aber
im französischen Volk fanden die Behauptungen der oppositionellen Redner und Zeitungen viel mehr Glauben, daß durch die Schuld
Napoleons das legitime Übergewicht Frankreichs verloren, ja durch die Bildung zweier großer Staaten an seiner Grenze seine Sicherheit
ernstlich gefährdet sei, und der allgemeine Unwille wurde so laut, daß die Regierung von neuem zu Repressivmaßregeln
gegen Presse
[* 33] und Vereine schritt und die Adreßdebatte der Kammer durch das Interpellationsrecht ersetzte.
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Seitdem wurde die Politik des Kaiserreichs immer unsicherer und schwankender. Um das ungestüme Verlangen nach irgend einer Genugthuung für 1866 zu befriedigen, wollte Napoleon 1867 Luxemburg [* 35] kaufen, mußte aber auf den Einspruch Preußens davon abstehen und sich mit der Neutralisation des Landes und der Räumung der Festung [* 36] durch die preußischen Truppen begnügen. Die Besuche der Souveräne während der glänzenden Weltausstellung 1867 verliehen dem Kaiserreich wiederum einigen Nimbus.
Die durch Garibaldis Angriff auf Rom nötig gewordene Intervention im Kirchenstaat und das Gefecht bei Mentana welches die weltliche Herrschaft des Papstes noch einmal rettete, wurden dagegen dem Kaiser von den Liberalen und von Italien sehr verdacht und von der Kirche nicht gedankt, wie denn der Rat Frankreichs, der größten katholischen Macht, bei dem vatikanischen Konzil in keiner Weise beachtet wurde. Auf zwei Punkte konzentrierte sich besonders die Thätigkeit der Regierung, auf die Reorganisation der Armee und die politische Reform.
Die erstere führte der Kriegsminister Marschall Niel nach dem Muster des bewährten preußischen Systems durch; die Kammern bewilligten reichliche Mittel, und es konnte auch eine Neubewaffnung der Infanterie mit dem Chassepotgewehr beschafft werden. In der innern Politik entschloß sich der Kaiser endlich zu der seit lange verheißenen, aber immer wieder hinausgeschobenen »Krönung des Gebäudes« durch freiheitliche Institutionen, da sich das bisherige Schaukelsystem zwischen Zugeständnissen und Repressivmaßregeln trotz der Gewandtheit und der rhetorischen Kunststücke des »Vizekaisers« Rouher nicht bewährt und ein stetes Anwachsen der Opposition zur Folge hatte.
Nur hatte das allzu lange Zaudern die Wirkung, daß die liberale Verfassungsreform als ein Zeichen der Schwäche und der Verlegenheit der kaiserlichen Regierung angesehen wurde und daher nicht zur Beschwichtigung, sondern zur Vermehrung der Agitation beitrug. Denn bei den Neuwahlen für den Gesetzgebenden Körper erhielt die Regierung trotz aller Anstrengungen nur 4,467,720 Stimmen, die Opposition 3,258,777, wenn auch bloß 54 oppositionelle Deputierte gewählt wurden, und in der kurzen Kammersession im Juli 1869 verlangten bereits 116 Deputierte der Linken und einer neugebildeten Mittelpartei in einer Interpellation Verantwortlichkeit der Minister und Unabhängigkeit sowie freie parlamentarische Bewegung mit Initiative für den Gesetzgebenden Körper.
Indem der Kaiser jetzt nachgab und 17. Juli Rouher entließ, erweckte er den Anschein, als ob er nicht freiem
Antrieb, sondern nur dem Zwang der Situation gehorche. Daher stieg die Aufregung in der Pariser Bevölkerung,
[* 37] und die oppositionelle
Presse wie die Agitatoren wurden täglich kecker. Dennoch übten die Worte der Thronrede, mit welcher der Kaiser 29.
Nov. die Kammer
eröffnete: »Frankreich
will die Freiheit, aber mit der Ordnung; für die Ordnung stehe ich ein, helfen Sie mir
die Freiheit zu schützen!« eine gute Wirkung aus, und die erweckten Hoffnungen schienen sich zu erfüllen, als das bisherige
Mitglied der Opposition, Emile Ollivier, mit der Bildung eines neuen Ministeriums beauftragt wurde,
das aus gemäßigt liberalen Anhängern des Kaiserreichs sich zusammensetzte.
Aber dem alternden, kränklichen Kaiser fehlte es an Thatkraft, um entschieden in das neue System einzulenken und die Nation mit Vertrauen zu seinem aufrichtigen, ernsten Willen zu erfüllen, während die Pariser Demokratie sich nicht in ihrer unversöhnlichen Feindschaft gegen das Kaiserreich beirren ließ und bei dem Begräbnis des vom Prinzen Peter Bonaparte erschossenen Journalisten V. Noir sowie nach der Verurteilung Rocheforts große Demonstrationen, ja sogar schon Aufstandsversuche ins Werk setzte.
Unter dem Eindruck dieser Vorfälle ließ sich der Kaiser von der Kaiserin, die von den Jesuiten geleitet wurde, und von Rouher bestimmen, die Rückkehr zum persönlichen Regiment vorzubereiten. Während Ollivier mit seinen Vorschlägen über eine liberale Preßgesetzgebung und die weitere Ausdehnung [* 38] der Befugnisse der Kammern noch beschäftigt war, wurde er bewogen, im Auftrag des Kaisers dem Senat 28. März einen Entwurf vorzulegen, welcher die angeblich beabsichtigten freisinnigen Verfassungsänderungen nur in sehr allgemeiner Form enthielt, hauptsächlich und aufs klarste aber die alleinige Verantwortlichkeit des Kaisers vor der Nation und sein Recht betonte, jederzeit Berufung an dieselbe einzulegen.
Nach Annahme dieses Konsults durch den Senat (20. April) wurde es dem Volk zur Abstimmung vorgelegt in Form eines Plebiszits, welches sehr geschickt so gefaßt war: »Das französische Volk billigt die in der Verfassung seit 1860 bewirkten liberalen Reformen und genehmigt den Senatsbeschluß vom 20. April". Die Abstimmung vom 8. Mai ergab zwar 7,350,142 Ja und nur 1,538,825 Nein; allein die großen Städte hatten durchgängig mit starker Mehrheit ein Nein abgegeben, und, was sehr peinlich für den Kaiser war, auch aus der Armee und Marine waren gegen 50,000 Nein gekommen. Um diese letztern wieder für sich zu gewinnen und zugleich die durch das Plebiszit für das persönliche Regime geschaffene Grundlage weiter zu befestigen, entschloß sich die Kamarilla zu einem großen populären auswärtigen Krieg.
Zu diesem Zweck wurde anstatt Darus Gramont zum auswärtigen Minister ernannt. Derselbe nahm die spanische Thronkandidatur des
Erbprinzen von Hohenzollern
[* 39] zum Kriegsvorwand, indem er hoffte, diese Frage werde in Deutschland als eine preußisch-dynastische
aufgefaßt und Preußen dadurch isoliert werden. In der Sitzung des Gesetzgebenden Körpers 6. Juli erklärte der Herzog
von Gramont unter stürmischem Beifall der Majorität, Frankreich
werde nicht dulden, daß eine fremde Macht einen ihrer Prinzen auf
den Thron Karls V. setze.
Zwar schien durch die Verzichtleistung des Prinzen und die gemäßigte Haltung des Königs von Preußen jeder Grund zum Krieg wegzufallen, und Ollivier äußerte auch 12. Juli, daß damit der Zwischenfall erledigt sei. Aber die Kriegspartei wollte den Krieg um jeden Preis, zumal der Kriegsminister Leboeuf erklärte, die Armee sei bis zum letzten Knopf bereit, und die weitern Forderungen, die an den König Wilhelm durch Benedetti in Ems [* 40] gestellt wurden, waren darauf berechnet, den Krieg unvermeidlich zu machen. Am 14. Juli wurden die französischen Reserven einberufen, am 15. eine Kreditforderung gestellt und am 19. die Kriegserklärung in Berlin [* 41] übergeben.
Der deutsch-französische Krieg.
Das französische Volk ließ sich zumeist von der Kriegsbegeisterung anstecken; bei der Abstimmung über die Kreditforderung 15. Juli fanden sich nur zehn Opponenten, die auch nur aus Opportunitätsgründen vor Überstürzung warnten. Indessen die französischen Erwartungen wurden in politischer Beziehung sofort getäuscht. Die süddeutschen Staaten stellten ihre Heere unter preußischen Oberbefehl;
Österreich wartete erst einen Sieg Frankreichs ab, um offen auf dessen Seite zu treten;
in Italien verhinderte die ¶