Titel
Flourens
(spr. flurängs oder -rang), 1) Marie Jean Pierre, Physiolog, geb. zu Maurilhan (Hérault), studierte in Montpellier [* 2] Medizin und begab sich dann nach Paris. [* 3] Seine ersten Untersuchungen bezogen sich auf die Physiologie des Nervensystems, die er in mehreren Abhandlungen veröffentlichte, von denen die wichtigsten sind: »Recherches physiques sur l'irritabilité et la sensibilité« (Par. 1822);
»Expériences sur le grand sympathique« (1823);
»Notes sur l'effet croisé dans le système nerveux« (1823);
»Recherches expérimentales sur les propriétés et les fonctions du système nerveux dans les animaux vertébrés« (1824, 2. Aufl. 1842);
»Expériences sur le système nerveux« (1825).
Er suchte in denselben, gestützt auf experimentelle Forschungen, nachzuweisen, daß im kleinen Gehirn [* 4] ¶
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die Kraft [* 6] zu suchen sei, welche die Bewegung beherrscht, daß die corpora quadrigemina die Quelle [* 7] des Gesichtssinns seien, daß das verlängerte Mark die Respirationsbewegungen bestimme; aber er behauptete die Einheit der Intelligenz, des Ichs, und statuierte die Solidarität des großen Gehirns und des einheitlichen Seelenorgans. 1833 wurde er zum beständigen Sekretär [* 8] der Akademie berufen. 1835 erhielt er eine Professur am Collège de France; 1838 wurde er in die Deputiertenkammer gewählt, 1846 zum Pair von Frankreich ernannt. Er starb in Montgeron bei Paris.
Seine zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen, welche besonders die Entwickelung und Ernährung der Knochen [* 9] betrafen, fanden große Verbreitung und übten einen bedeutenden Einfluß. Es sind zu nennen: »Recherches sur le développement des os et des dents« (1845);
»Anatomie générale de la peau et des membranes muqueuses« (1843);
»Théorie expérimentale de la formation des os« (1847);
»Psychologie comparée« (1854; 3. Aufl. u. d. T.: »Ontologie naturelle ou étude philosophique des êtres«, 1864);
»De la longévité humaine« (1854, 5. Aufl. 1872; deutsch, Leipz. 1855).
Speziell gegen den Materialismus waren gerichtet: »Examen de la phrénologie« (1841, 3. Aufl. 1851);
»De l'instinct et de l'intelligence des animaux« (1841, 4. Aufl. 1861);
»De la vie et de l'intelligence« (1857, 2. Aufl. 1859).
Ferner sind erwähnenswert: »Histoire des travaux de G. Cuvier« (1841, 3. Aufl. 1858);
»Buffon, histoire de ses travaux et de ses idées« (1844, 2. Aufl. 1850);
»Examen du livre de M. Darwin« (1864, 2. Aufl. 1880);
»De l'unité de composition et du débat entre Cuvier et Geoffroy Saint-Hilaire« (1865);
»Eloges historiques« (1856-62, 3 Bde.).
2) Gustave, franz. Politiker, Sohn des vorigen, geb. zu Paris, studierte Naturwissenschaften daselbst und wurde 1863 für ein Jahr als Suppleant auf den Lehrstuhl seines Vaters berufen. Hierauf begab er sich nach Belgien, [* 10] von da nach Griechenland [* 11] und Kreta, wo er an dem eben ausbrechenden Kampf zwischen den Kandioten und Türken sich so thätig zu gunsten der erstern beteiligte, daß diese ihn zum Mitglied ihrer Nationalversammlung ernannten und als Bevollmächtigten an die griechische Regierung absandten.
Als entschiedener Demokrat kehrte er 1868 nach Frankreich zurück, um sogleich an der Wahlorganisation gegen das Kaiserreich teilzunehmen, wurde als Vorsteher einer öffentlichen Versammlung festgenommen und zu dreimonatlichem Gefängnis verurteilt, schlug sich hierauf in einem blutigen Duell mit Paul de Cassagnac und schloß sich endlich der Internationale an. Anfang 1870 wegen eines Rebellionsversuchs verurteilt und nach England geflüchtet, kehrte er Anfang September nach Frankreich zurück.
Während der Belagerung von Paris 1870/71 stand er an der Spitze der kommunistischen Partei und bewirkte die Revolution gegen die provisorische Regierung und Er war auch der Haupturheber des Aufstandes der Kommune, deren begabtestes und ehrenwertestes Mitglied er war, und fiel bei einem Ausfall gegen Versailles [* 12] In seinen politischen Überzeugungen unerbittlich und fanatisch, zeigte er im Privatleben ein sanftes, bescheidenes Wesen; seine wissenschaftlichen Leistungen berechtigten zu den schönsten Hoffnungen. Außer politischen Flugschriften schrieb er »Science de l'homme« (Brüssel [* 13] 1865, Bd. 1).