Titel
Ferrari
,
1) Gaudenzio, ital. Maler, geboren um 1481 zu Valduggia im Sesiathal (Piemont), bildete sich nach Stefano Scotto, B. Luini und Leonardo da Vinci, war 1515-18 in Novara, 1521 in Vercelli, bis 1524 in Varallo und von da ab in Mailand [* 2] thätig, wo er 1546 oder 1547 starb. Während seine frühern Werke noch an die ältere Schule erinnern, zeigt sich in seinen spätern das Studium Leonardos; dabei macht sich immer ein energischer Naturalismus geltend. Seine Farbe ist sehr kräftig, obwohl häufig bunt, seine Komposition meist überladen oder doch unharmonisch.
Unter seinen Werken sind zu nennen: ein Tafelbild der Kreuztragung auf dem Hochaltar zu Canobbio am Lago Maggiore, ein prächtiges Tafelwerk in San Gaudenzio zu Novara (1514-15), ein andres in Busto Arsizio bei Mailand. Im Refektorium von San Paolo in Vercelli malte er ein Abendmahl, welches den Einfluß von Leonardo da Vincis bekannter Darstellung zeigt. In der Kirche zu Saronno schmückte er die Kuppel mit einer derb-kräftigen Engelsglorie. Zahlreiche bedeutende Werke von ihm befinden sich zu Varallo in Piemont.
Die frühsten in den
Kirchen
Santa Maria in
Loreto und
San Marco verraten noch die alte lombardische
Schule. Bedeutender sind
die Fresken in der Franziskanerkirche
Santa Maria delle
Grazie daselbst, die unter anderm auf der Wand
über dem
Chor die
Passion, in der
Kapelle links unter dieser Chorwand die
Darstellung im
Tempel
[* 3] und
Christus unter den Schriftgelehrten
darstellen. Vieles von Ferrari
befindet sich auch in den 40
Kapellen des Sacromonte zu
Varallo. Außerhalb
Italiens
[* 4] kommen sehr selten Werke von Ferrari
vor; in
Paris
[* 5] befindet sich ein heil.
Paulus, in
Berlin
[* 6] eine
Verkündigung Mariä.
Vgl.
Colombo,
[* 7] Vita ed opere di Gaudenzio Ferrari
(Turin
[* 8] 1881).
2) Lodovico, Mathematiker, geb. zu Bologna, gest. 1565 daselbst, war Professor der Mathematik in Mailand und Bologna, fand auf Anregung seines Lehrers Cardano die Auflösung der Gleichungen vierten Grades und führte große geodätische Vermessungen in Oberitalien [* 9] aus.
3) Bartolommeo, ital. Bildhauer, geb. zu Marostica bei Vicenza, widmete sich der Bildhauerkunst [* 10] unter der Leitung seines Oheims Torretti und setzte seine Studien später in Venedig [* 11] fort, wo er Schiffsfiguren im Arsenal und Kruzifixe [* 12] und Heiligengestalten in Holz [* 13] schnitzte. Nach einem kurzen Aufenthalt in Florenz [* 14] kehrte er wieder nach Venedig zurück und war hier vorzugsweise auf dem Gebiet der ¶
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kirchlichen Skulptur (Arbeiten für San Maurizio und die Jesuitenkirche in Venedig, für San Carmine in Padua,
[* 16] Grabmäler für Ferrara)
[* 17] thätig. Für das Grabdenkmal Canovas in den Frari schuf er die Statue der Skulptur. Er führte außerdem zwei Basreliefs: Ulysses
und Kalypso und Ulysses und Nausikaa, sowie den Guß von Canovas Pietà für die Kirche in Possagno und der
Kolossalbüste Kaiser Franz' I. für das Arsenal zu Venedig aus. Ferrari
starb in Venedig.
4) Luigi, ital. Bildhauer, geb. 1810 zu Venedig, bildete sich nach den Werken Canovas aus. 1840 schuf er die [* 15] Figur mit der Urne [* 18] an dem Grabmal Canovas (in Santa Maria dei Frari zu Venedig) und führte in den folgenden Jahren eine Reihe von Arbeiten verschiedenen Inhalts aus, die seinen Ruf begründeten und 1851 seine Ernennung zum Professor an der Akademie in Venedig veranlaßten. Dahin gehören eine im Motiv von der bekannten antiken sehr abweichende Gruppe des Laokoon, ein Endymion, [* 19] eine Madonna della Concezione, eine sitzende Marmorgestalt der Melancholie, eine Statue des Marco Polo, ein David als Besieger Goliaths (Palazzo Emo in Venedig), ein am Grabe seines Vaters betendes Mädchen, die Vögel [* 20] fütternde Unschuld u. a.
5) Giuseppe, Geschichtsphilosoph, geb. 1812 zu Mailand, studierte in Pavia, lebte dann unabhängig seinen Studien und begann seine Schriftstellerlaufbahn mit einer Abhandlung über seinen Lehrer, den Philosophen Romagnosi (s. d.), der eine Ausgabe der sämtlichen Werke Vicos (1835) und einige Schriften in französischer Sprache: [* 21] »Vico et l'Italie« (Par. 1839),
»De l'erreur« (das. 1840) und »De religiosis Campanellae opinionibus« (das. 1840), nachfolgten. Nachdem er seit 1840 kurze Zeit als Professor der Litteratur in Rochefort gewirkt, seiner freisinnigen Richtung wegen aber hatte zurücktreten müssen, ward ihm im J. 1842 auf Cousins Verwendung der philosophische Lehrstuhl an der Universität zu Straßburg [* 22] übertragen; aber schon nach 18 Tagen ward er auch hier auf Betreiben der Ultramontanen abgesetzt. Seine Vorlesungen veröffentlichte er als »Idées sur la politique de Platon et d'Aristote« (Par. 1842). Nach der Februarrevolution 1848 von Carnot wieder in sein Amt eingesetzt, wirkte er darauf in Bourges, wurde aber hier ebenfalls bald suspendiert und kehrte 1859 nach Italien [* 23] zurück, wo er nacheinander Professor in Turin und Mailand wurde.
Als Mitglied des piemontesischen Parlaments war er ein heftiger Gegner von Cavours Annexionspolitik. Seitdem ununterbrochen Deputierter, starb er in Rom. [* 24] Außer den genannten Werken schrieb er: »Essai sur le principe et les limites de la phliosophie de l'histoire« (Par. 1843);
»Filosofia della rivoluzione« (Capolago 1851; 2. Aufl., Mail. 1873, 2 Bde.),
sein philosophisches Hauptwerk, in dem er die Lehre [* 25] von den »Antinomien« für »unüberwindlich« erklärt und zuletzt von den unlöslichen Widersprüchen, die dem reinen Gedanken anhaften, den Ausweg in die versöhnende Unmittelbarkeit des realen Lebens zeigt.
Daran schloß sich sein politisches Glaubensbekenntnis: »La federazione republicana« (Capolago 1851),
eine Darlegung seiner Theorie der freien Völkerverbrüderung, an welcher er mit doktrinärem Starrsinn festhielt;
die »Histoire des révolutions de l'Italie, ou Guelfes et Gibelins« (Par. 1856-58, 4 Bde.);
»Histoire de la raison d'État« (das. 1860);
»Storia della rivoluzione d'Italia« (Mail. 1871-73, 3 Bde.);
»Teoria de' periodi politici« (das. 1874) u. a. Seine Biographie schrieb Mazzoleni (Mail. 1876).
6) Paolo, ital. Lustspieldichter, geb. zu Modena, studierte daselbst die Rechte, mit größerm Eifer aber Geschichte und Litteratur und schrieb zu Massa, wohin sein Vater als herzoglicher Gouverneur übergesiedelt war, 1847 seine erste Komödie: »Bartolommeo il calzolajo«, die er später »Il codicillo dello Zio Venanzio« betitelte. Es folgten andre Stücke nach, von welchen sich jedoch nur »La donna e lo scettico« und »Il codicillo« auf dem Repertoire erhalten haben. 1852 schrieb er sein Meisterwerk: »Goldoni e le sue sedici commedie«, welches zwei Jahre lang unaufgeführt blieb, dann aber beim Publikum wie bei der Kritik einen seltenen Triumph errang.
Kaum geringer war der Erfolg der Komödie »Parini e la satira« (1857). Beide Werke gelten seither als die gediegensten Erzeugnisse
auf dem Gebiet des modernen italienischen Lustspiels. Ferrari
lieferte noch eine Reihe von nicht ganz so erfolgreichen, aber doch
wertvollen Dramen und Lustspielen: »Prosa« (ursprünglich »Il Tartuffo moderno« betitelt);
»Poltrona storica«;
»La medicina d'una ragazza ammalata« (1862, zuerst im modenesischen Dialekt geschrieben);
»Gli uomini serii« (1869);
»L'attrice cameriera« (1871);
»Nessun va al campo« (1871);
»Cause ed effetti« (1872);
»Il duello«;
»Il suicidio«, ein auch auf deutschen Bühnen mit Erfolg aufgeführtes Effektstück (1875);
»Un ballo in provincia«;
»Vecchie storie«;
»Gli amici rivali«;
»Le [* 27] due donne« (deutsch in Reclams »Universalbibliothek«);
»Il ridicolo« (1878);
»Il perdono« (1879);
»Per vendetta«;
»Un giovane ufficiale«;
»L'Antonietta« (1880) u. a.
Pikante Stoffe, ernste Tendenzen, pointierter Dialog, geschickte Mache und zum Teil auch grelle Effekte erinnern
in Ferraris neuern Stücken hier und da an französische Muster. 1860 übernahm Ferrari
eine Professur der Geschichte in Modena, später
eine solche an der wissenschaftlichen Akademie zu Mailand.
Eine Gesamtausgabe seiner »Opere drammatiche« erschien zu Mailand (1877-80, 14 Bde.).