Fasten
,
im allgemeinen die Enthaltung von
Nahrungsmitteln während einer gewissen Zeit, im besondern nach dem kirchlichen
Sprachgebrauch entweder die gänzliche Enthaltung während eines
Tags (jejunium a vespera ad vesperam) oder die Enthaltung
von Fleischspeisen (abstinentia). Das Fasten
hat von jeher, namentlich in sittlich-religiöser
Beziehung, eine
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mehr
wichtige Rolle gespielt, teils als Übung der Enthaltsamkeit und Selbstverleugnung, teils als Förderungsmittel der Andacht,
teils als Vorbereitung zu großen Entschlüssen und Thaten, teils als Zeichen der Trauer, teils endlich als ein an sich gutes
und verdienstliches Werk. Besonders im Morgenland, wo Längere Enthaltung von Speisen wegen des Klimas weniger
beschwerlich ist als bei uns, findet sich das Fasten
als uralter religiöser Gebrauch. Verzichtleistung auf den Genuß des Fleisches
und berauschender Getränke gehört ebenso wesentlich zur brahmanischen Askese wie zu den guten Werken des Buddhismus.
Besonders aber war, wie schon Herodot weiß, das in Ägypten, [* 3] dem Stammland so vieler religiöser Gebräuche und Vorstellungen des Altertums, im Schwange. Die Ansicht, daß der Leib das Gefängnis der Seele und je üppiger, desto fesselnder für dieselbe sei, führte hier und anderswo zur Beschränkung auf die einfachste Kost; Schweinefleisch und einige andre Speisen waren vielfach, um mit der leiblichen die psychische Verunreinigung abzuwehren, gänzlich verboten.
Dagegen ist es für die positive Schätzung irdischer Lebensgüter und für den nüchternen Realismus der Religion Zoroasters
bezeichnend, daß hier das Fasten
keine solche Stätte im religiösen Thun gewonnen hat. Auch bei Griechen und Römern finden sich
nur ganz vereinzelte, wohl auf Ägypten zurückweisende Beispiele dafür, wie das der Pythagoreer, welche
zwar das Fleisch nicht ganz mieden, vorzugsweise aber von Honig, Brot
[* 4] und Wasser lebten. Namentlich aber findet sich der Gebrauch
des Fastens
bei den Israeliten und zwar als Ausdruck der »Demütigung«.
Das Fasten
ist hier seiner Grundbedeutung nach Symbol der Trauer, tritt daher gewöhnlich in Begleitung von
Sack und Asche auf. Als Verordnung des mosaischen Gesetzes finden wir es nur für den einzigen Fall des Versöhnungstags, ohne daß
jedoch ausdrücklich eine gänzliche Enthaltung von Speisen gefordert wird. Später findet sich das Fasten
mehr als freiwillige
Buße der Gesamtheit in Unglücksnöten, in der Zeit nach dem babylonischen Exil mehr und mehr auch als
verdienstliches Werk. In diesem Sinn fasteten die Pharisäer zweimal in der Woche, und auch bei den Essäern bildete das ein
wesentliches Stück ihrer Askese. Im jüdischen Kalender aber stellten sich allmählich vier Fasttage zum Gedächtnis unglücklicher
Nationalbegebenheiten ein, zu denen sich im Lauf der Zeit noch ein fünfter gesellte, der 13. Adar. Später
unterschied man ganze und halbe Fasttage; bei erstern währt die gänzliche Enthaltung von Speise und Trank vom Anbruch des
Tags bis zum Anbruch der Nacht (dem Sichtbarwerden der Sterne), nur am Versöhnungstag von Abend bis Abend. Zu einem förmlichen
System ausgebildet finden wir das Fasten
wesen im Talmud.
Auch in der christlichen Kirche kam teils im Anschluß an die Disziplin der Synagoge, teils infolge des frühen Eindringens
essäischer und heidnischer Askese das Fasten
auf, trotzdem daß Jesus sich über die Fasten
gebote weggesetzt hatte
(Matth. 6,
16-18;. 9, 14-17). Der älteste aller den Christen eigentümlichen und allgemein gefeierten Fasttage ist
der Todestag Jesu, und zwar währte das Karfreitagsfasten
von Freitag nachmittags bis Sonntag früh 40 Stunden. Hieraus entwickelte
sich seit dem 4. Jahrh. wegen
Matth. 4, 2.
(2. Mos.
34, 18;.
1. Kön. 19, 8). die große 40tägige Fastenzeit
vor Ostern (Quadragesima, jejunium quadragesimale).
Den Anfang derselben machte der Montag nach Sexagesimä; die Sonnabende der sieben ersten Wochen, die Sonntage und das Fest Maria Verkündigung waren frei. An den Fasttagen nahm man nur des Abends ein einfaches Mahl ein ohne Fleisch. Außerdem verlangten Sitte und Gesetz die Entfernung alles Kirchenschmucks, Trauerkleidung, Einstellung rauschender Vergnügungen, Aufschub schwebender Streitigkeiten und der Hochzeiten, fleißiges Beten und häufige Teilnahme an der Feier des heiligen Abendmahls.
Besonders heilig und feierlich war die letzte Woche vor Ostern (Hebdomas magna, große Woche). Im Widerspruch mit der alten Sitte
und der griechischen Kirche pflegte die römische Kirche schon im 4. Jahrh. regelmäßig an jedem Sonnabend
zu fasten
und infolgedessen die 40tägige Fastenzeit erst mit dem Aschermittwoch zu beginnen. Der Sonnabend, ursprünglich
ein Vigilientag, trat so an die Stelle des Mittwochs, welcher als der Tag, wo angeblich die Juden ihren Mordanschlag auf Jesum
faßten, bisher gleich dem Freitag ein wöchentlicher Fasttag gewesen war und in der griechischen Kirche
noch ist. Beide Tage, Mittwoch und Freitag (Stationen genannt, indem man sie als die Wachtzeiten der Christen im Kampf gegen den
Bösen ansah), kommen in dieser Bedeutung schon bei Tertullian vor; man fastete an ihnen bis nachmittags 3 Uhr
[* 5] (semijejunla);
nur die festliche Zeit zwischen Ostern und Pfingsten gestattete eine Ausnahme.
Außer diesen jährlichen und wöchentlichen Fasten
gab es in der alten Kirche noch außerordentliche, bei besondern Veranlassungen
von den Bischöfen verordnete. Das Anachoreten- und Mönchswesen konnte die Überschätzung des Fastens
nur fördern; es erhielt
zugleich mit Beten und Almosengeben den Rang eines an und für sich guten und verdienstlichen Werkes und
wurde folgerecht als ein Hauptstück des christlichen Lebens überhaupt behandelt. Von allgemeinen Fasten
zeiten, welche die
Kirche nun den alten neu hinzufügte, sind die wichtigsten: die Adventsfasten
, seit dem 6. Jahrh.,
in der griechischen Kirche vom 15. Nov. (dem Tag nach dem Feste des Apostels Philipp, daher Philippsfasten
) bis
zum 24. Dez., in der lateinischen Kirche anfangs mit dem Sonntag nach Martini (11. Nov.) beginnend (daher Martinsfasten
), später bald
fünf, bald nur vier Wochen vor Weihnachten während;
die Apostelfasten
zum Andenken an den Märtyrertod der Apostel, von den
Griechen Petersfasten genannt, vom Montag nach dem Sonntag nach Pfingsten bis zum Peter-Paulstag (29. Juni); die
Vorbereitungsfasten auf Mariä Himmelfahrt oder Himmelfahrtsfasten der griechischen Kirche, vom 1. bis 14. Aug.; die bloß in der
römisch-katholischen Kirche eingeführten Buß-, Bet- und Fasttage, welche teils Rogationes heißen und auf die drei Tage vor
Christi Himmelfahrt fallen, teils unter der Benennung Quatember zu Anfang der vier Jahreszeiten
[* 6] abgehalten
werden, und die mit Fasten verbundenen Vigilien, von denen jedoch die griechische Kirche nur drei: vor Epiphania, Johannis Enthauptung
und Kreuzeserhöhung, begeht. Alle Fasten werden in der griechischen Kirche noch heute mit der alten Strenge gehalten. Während
der 40tägigen Osterfasten sind vom Montag nach Sexagesimä an nur Mehl- und Pflanzenspeisen, in den drei
letzten Tagen der Karwoche nur Brot und Wasser erlaubt.
Die römisch-katholische Kirche hat von der alten Strenge jetzt sehr viel nachgelassen. Viele ihrer ehemaligen Fastenzeiten sind ganz aufgehoben, die Beobachtung der beibehaltenen ist wesentlich erleichtert worden. Zwar soll während derselben nur alle 24 Stunden eine magere Mahlzeit gehalten werden, allein die Erlaubnis, dazu Fische, [* 7] Eier, [* 8] Milch ¶
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und Butter (s. Butterbrief) zu verwenden, verhilft den Wohlhabenden zu einer recht üppigen Fastenspeise. Auch sind Leute unter 21 Jahren, Schwangere, Säugende, Kranke, Altersschwache, Soldaten, Reisende und mit schwerer Körperarbeit Beschäftigte, außer am Aschermittwoch und Karfreitag, nicht zu einer Verringerung der gewöhnlichen Kost verpflichtet, und selbst andre kann der Bischof oder der Pfarrer von der Enthaltung vom Fleisch dispensieren (Fastendispens).
Die wichtigsten Fasten der heutigen römischen Kirche sind: die große Fastenzeit vor Ostern (s. oben), für deren Feier in der Regel eine besondere bischöfliche Verordnung (Fastenmandat) erlassen wird;
die Quatember (quatuor tempora anni), jedesmal Mittwochs vor Reminiscere (Frühlingsfasten), vor Trinitatis (Sommerfasten), nach Crucis oder Kreuzeserhöhung (Herbstfasten) und nach Luciä in der dritten Adventswoche (Win-terfasten), nach dem bekannten Distichon: Post Luciam, Cineres, post sanctum Pneuma Crucemque Tempora dat quatuor feria quarta sequens, auch Fronfasten (angariae) genannt, weil man im bürgerlichen Verkehr diese Quartale zur Bestimmung der Termine für die Entrichtung der Abgaben benutzte;
die Vigilien oder die Tage unmittelbar vor großen Festen (heilige Abende);
alle Freitage des Jahrs, wenn nicht das Christfest auf einen fällt, und alle Sonnabende mit Ausnahme der sogen. fetten in der Zeit von Weihnachten bis Lichtmeß (2. Febr.). Geboten ist auch gänzliche Nüchternheit vor dem Genuß des heiligen Abendmahls und vor der Firmung, den Geistlichen namentlich vor der Messe. Strenger und häufiger sind die in den Klöstern, wo man noch die Advents- und Apostelfasten, die zwei Stationen (Freitag und Sonnabend) und viele andre von der Ordensregel besonders beliebte Fasttage hält.
Manche Orden, [* 10] z. B. die Kartäuser, genießen das ganze Jahr hindurch bloß Vegetabilien. Von den Fasttagen im strengen Sinn des Wortes sind in der römischen Kirche die Enthaltungstage verschieden, wie die Freitage und Sonnabende, sowie die Vigilien einiger Feste, an denen zwar das Essen [* 11] erlaubt, aber Fleisch und Fett verboten ist. Die Reformatoren billigten das Fasten als »eine feine äußerliche Zucht«, verwarfen es aber als äußere Satzung und machten auch hier das Prinzip der Innerlichkeit und Gewissensfreiheit geltend. So dauerte die alte Sitte noch lange in der protestantischen Kirche fort, erst seit der Mitte des 18. Jahrh. verschwand sie fast gänzlich.
Jetzt fastet man nur hier und da noch an den Morgen der Buß- und Kommuniontage. Noch zu erwähnen sind die Fasten der Mohammedaner. Der Koran ordnet dafür den Monat Ramasan an als die Zeit, in welcher er selbst vom Himmel [* 12] gekommen; noch heute essen und trinken dann die Gläubigen, wenigstens solange die Sonne [* 13] scheint, absolut nichts. Außerdem halten die Muselmanen auch freiwillige an heiligen Tagen, namentlich am 10. Moharram, dem Versöhnungsfest. Alle Fastenübungen gelten für verdienstlich und sühnend; die eines heiligen Tags oder eines Tags im Ramasan sind mehr wert als ein 30tägiges Fasten zu andern Zeiten.
Dagegen unterscheiden sich auch heute noch in Indien die Parsi von den sie umgebenden Anhängern Mohammeds und Manus sehr bemerkbar durch Nichtfasten. Wie bei ihnen der Grundsatz herrscht, daß dem Leib sein Recht werden müsse, im übrigen aber der Zweck des Lebens in der Arbeit gesucht wird, so spricht sich umgekehrt in dem Fastengebot von vornherein ein bezeichnendes Mißtrauen bezüglich der Vereinbarkeit der geistigen und der leiblichen, der religiösen und der profanen Zwecke des Daseins aus, und insofern bildet das Fasten einen sichern Maßstab [* 14] für die ethische Grundansicht einer Religion.
Vgl. Liesmayr, Entwickelung der kirchlichen Fastendisziplin (Münch. 1877).