Erzämter
,
im frühern Deutschen Reich Staats- und Hofämter, welche mit der Kurwürde verbunden waren. Derartige Ämter kamen schon im fränkischen Reich vor und gingen, ursprünglich dem byzantinischen Hofzeremoniell entlehnt, in das deutsche Kaiserreich sowie in andre Länder über. Die hauptsächlichsten Ämter dieser Art waren: das Amt des Erzkämmerers (Major Domus, engl. High Steward), des Truchseß (Dapifer, Seneschal), des Erzschenken (Cellarius, Butler), des Marschalls (Comes Stabuli, woher Connétable, Stallmeister).
Schon bei der Krönung Ottos I. (936) fungierten Herzog Giselbert von Lothringen, in dessen Gebiet die Krönungsstadt Aachen [* 2] lag, als Kämmerer, Herzog Eberhard von Franken als Truchseß, Herzog Hermann von Schwaben als Schenk und Herzog Arnulf von Bayern [* 3] als Marschall. Bis zu Kaiser Friedrichs I. Zeiten wechselten diese Ehrenämter unter den Fürsten. Eine höhere Bedeutung erhielten sie erst, als mit ihnen und den rheinischen Erzbistümern Mainz, [* 4] Trier [* 5] und Köln [* 6] die Kur oder die Berechtigung zur Königswahl verknüpft wurde, was in bleibender Weise bei den Verhandlungen geschah, welche der Wahl Rudolfs von Habsburg vorangingen. So heißt es in dem um 1280 verfaßten Schwabenspiegel (Kap. 113): »Den König sollen wählen 3 Pfaffenfürsten und 4 Laienfürsten: der Bischof von Mainz, als Kanzler des Reichs zu deutschen Landen, hat die erste Stimme bei der Wahl; der Bischof von Trier, als Kanzler des Reichs zu Aachen, die andre; der Bischof von Köln, als Kanzler des Reichs zu Lamparten (Lombardien), die dritte. Unter den Laienfürsten ist der Pfalzgraf am Rhein, des Reichs Truchseß, der erste, der soll dem König die ersten Schüsseln auftragen; der andre an der Stimme ist der Herzog von Sachsen, [* 7] des Reichs Marschall, der soll dem König sein Schwert tragen; der dritte ist der Markgraf von Brandenburg, [* 8] des Reichs Kämmerer, der soll dem König Wasser geben; der vierte, der König von Böhmen, [* 9] des Reichs Schenk, der soll dem König den ersten Becher [* 10] reichen.« Hinsichtlich des Schenkenamtes fehlte es längere Zeit an einer festen Norm, bis Rudolf von Habsburg seinen Schwiegersohn, den König Wenzel von Böhmen (1290), ausdrücklich darin bestätigte.
Geregelt wurden die Verhältnisse der Erzämter
durch
Karls IV.
Goldene Bulle (1356). Hiernach wurde den 3 geistlichen
Kurfürsten und den 4
Inhabern der Erzämter
die Kaiserwahl ausschließlich
übertragen; die Reihenfolge derselben war:
Mainz
(Erzkanzler,
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archicancellarius, für Deutschland),
[* 12] Trier (Erzkanzler für Lothringien), Köln (Erzkanzler für Italien),
[* 13] Böhmen (Erzschenk, archipincerna),
Pfalzgraf bei Rhein (Erztruchseß, archidapifer), Sachsen (Erzmarschall, archimarescallus), Brandenburg (Erzkämmerer, archicamerarius).
Auch wurden die Funktionen der Erzämter
bei der Krönung aufs genaueste festgesetzt. Doch war es schon damals üblich, daß die Inhaber
der Erzämter
mit ihrer Vertretung gewisse Unterbeamte beauftragten, welche in der Folge, als jene immer seltener
und, wie dies seit der Mitte des 18. Jahrh. der Fall war, gar nicht mehr persönlich Dienste
[* 14] leisteten, allein die mit den
Erzämtern
verbundenen und zu bloßem Zeremoniell gewordenen Funktionen zu verrichten hatten. So entstanden die Erbämter (s. d.),
deren Inhaber stets den ersten Adelsgeschlechtern, wenn auch nicht immer reichsständischen, angehörten; so war das Erztruchseßamt
denen von Nortenberg, dann denen von Saldenek, zuletzt denen von Waldburg, das Erzmarschallamt den Grafen von Pappenheim, das
Erzkämmereramt denen von Weinsberg, dann denen von Falkenstein und zuletzt den Grafen, später Fürsten von Hohenzollern,
[* 15] das Erzschenkenamt endlich den fränkischen Grafen von Limburg
[* 16] und dann den Grafen von Althann und zwar erblich übertragen.
Die Erzkanzler hatten zu Gehilfen und Stellvertretern Geistliche als Vizekanzler. Als Kurpfalz im Dreißigjährigen Krieg (1622)
durch den Kaiser Ferdinand II. seiner Kurwürde beraubt wurde, ging es auch des Erztruchseßamtes verlustig, und
beides wurde dem Herzog Maximilian von Bayern übertragen.
Da aber durch den Westfälischen Frieden Kurpfalz die achte Kurstimme erhielt und nun mit Kurbayern über das Erztruchseßamt stritt, so wurde als ein neues, mit der achten Kur zu verbindendes Erzamt das des Erzschatzmeisters eingeführt und Kurpfalz damit belehnt. Kaiser Leopold I. (1692) verlieh dem Haus Braunschweig-Lüneburg (Hannover) [* 17] die neunte Kur mit dem Erzpanneramt, wogegen aber das herzogliche Haus Württemberg protestierte, weil es das Reichspanier von alters her geführt hätte.
Wirklich erhielt Württemberg vom Kaiser das Zugeständnis, daß die württembergische Sturmfahne das allgemeine Reichspanier sein solle. Als Kurbayern (1706) in die Acht erklärt wurde und Kurpfalz das Erztruchseßamt bei dieser Gelegenheit zurückerhielt, rückte Braunschweig [* 18] (1710) in das Erzschatzmeisteramt ein. Da aber Kurbayern durch den Rastatter Frieden (1714) in alle seine Würden und Rechte wieder eingesetzt wurde, somit auch das Erztruchseßamt wiedererhalten sollte, kam es zu langen Differenzen, die erst 1777 bei der Vereinigung Bayerns mit der Pfalz unter Karl Theodor dadurch erledigt wurden, daß der Kurfürst Karl Theodor in die alte pfälzische Kur und das damit verbundene Erztruchseßamt wieder eintrat, wodurch für Braunschweig-Hannover mit der achten Kur zugleich das Erzschatzmeisteramt offen wurde.
Durch die Säkularisationen 1803 gingen die Kurwürden von Trier und Köln ganz ein, und der Erzbischof von
Mainz blieb der alleinige Erzkanzler
des Reichs. Die vier neuen weltlichen Kurfürsten von Württemberg, Baden,
[* 19] Hessen-Kassel und
Salzburg
[* 20] blieben bis auf den erstern, welcher das schon früher von ihm beanspruchte Erzpanneramt erhielt, ohne Erzämter.
Das Amt des
Erzjägermeisters (archivenator), mit welchem die Markgrafen von Meißen
[* 21] betraut waren, während die Fürsten von Schwarzburg
[* 22] die Funktionen des Unterjägermeisters (subvenator) versahen, hatte zwar, als nicht mit einer Kurwürde verbunden, in der
Goldenen Bulle keine Aufnahme gefunden, ward dagegen durch eine Urkunde von Kaiser Karl IV. jenen ausdrücklich bestätigt.
Die Erzämter
wurden sehr hoch gehalten und als Titel selbst den kurfürstlichen Titulaturen vorgesetzt, und sogar
die Kurfürsten, welche Königskronen auf ihr Haupt brachten, nahmen erstere nicht nur in die große und mittlere, sondern
selbst in die kleinere Titulatur auf. Die Reichserbämter wurden, wenigstens in der spätern Zeit, von denjenigen Erzämtern
,
die sie vertraten, erteilt, nicht vom Kaiser. Auch für die Kaiserin gab es besondere Erzämter;
so war der Fürstabt
von Fulda
[* 23] ihr Erzkanzler, der Fürstabt zu Kempten
[* 24] ihr Erzmarschall und der Abt zu St. Maximin bei Trier ihr Erzkaplan.
Vgl. Ficker, Die Reichshofbeamten (Wien [* 25] 1863);
Hädicke, Kurrecht und Erzamt der Laienfürsten (Naumb. 1872);
Schirrmacher, Die Entstehung des Kurfürstenkollegiums (Berl. 1874).