Das
Volk zählt
ihn unter die 14
Nothelfer und verehrt ihn als
Patron gegen Bauchweh (er wird häufig abgebildet, wie ihm die Gedärme aus
dem Leib gerissen werden) sowie in manchen Gegenden gegen Viehkrankheiten.
Desiderius, genannt Erasmus von
Rotterdam,
[* 3] berühmtester Humanist des 16. Jahrh., geboren wahrscheinlich zu
Rotterdam aus einer ungesetzlichen
Verbindung, welche seine
MutterMargarete, Tochter eines
Arztes in Sevenbergen, mit einem dem
Klosterzwang sich entziehenden jungen Mann,
Gerhard de Praet aus
Gouda in
Holland, eingegangen war, erhielt
daher den
NamenGerhardGerhards (nämlich Sohn; holländ. Geert
Geerts), den er nach damaliger
Sitte später in den lateinisch-griechischen
NamenDesiderius (der »Ersehnte, Vielgeliebte«) umwandelte.
Zuerst zu
Gouda unterrichtet, kam er, etwa 9 Jahre
alt, in die
Schule des
AlexanderHegius zu
Deventer, mußte
dieselbe aber infolge einer
Seuche, die ihm die
Mutter fortraffte, nach 4
Jahren wieder verlassen. Als bald darauf auch der
Vater starb, übergaben ihn seine Vormünder dem Brüderhaus zu
Herzogenbusch, damit er sich für eine asketische
Genossenschaft
vorbereite. Doch nachdem er dort 3 Jahre freudlos zugebracht hatte, kehrte er nach
Gouda zurück, und
erst 1486 gelang es einem frühern Schulfreund aus
Deventer,
Cornelius Verdenus, ihn zum
Eintritt in das
KlosterEmmaus oder
Stein
bei
Gouda zu bewegen. Aber das
Leben daselbst behagte ihm nur so weit, als ihm Muße und Gelegenheit ward,
sich mit den alten
Klassikern und den
Schriften des
LaurentiusValla zu beschäftigen. Er folgte daher 1491 gern einer
¶
Nach Paris zurückgekehrt, reiste er 1506 nach Italien,
[* 8] wurde in Turin
[* 9] Doktor der Theologie, verkehrte in Bologna mit tüchtigen
Kennern des Griechischen, verweilte längere Zeit in Venedig,
[* 10] wo er bei seinem FreundAldus Manutius unter anderm
eine neue Ausgabe seiner »Adagia« (1506) erscheinen ließ, und ging 1508 nach
Padua,
[* 11] von da nach Siena und Rom, wo er vom Papst seines Ordensgelübdes entbunden wurde. Die ihm dort gemachten Anerbietungen
schlug er aus, weil sich ihm durch die Thronbesteigung Heinrichs VIII. (1509) in England glänzende Aussichten eröffneten.
Er eilte dorthin und lehrte in CambridgeGriechisch, erhielt 1511 auch die Pfarrei von Aldington bei Canterbury.
Trotzdem trat er 1516 als königlicher Rat in die Dienste
[* 12] des spätern KaisersKarl V. und lebte als solcher erst in Brüssel,
[* 13] dann in Löwen
[* 14] ohne öffentliches Lehramt, bloß seinen Studien. 1517 war er noch einmal in England. Seit 1521 in
Basel
[* 15] heimisch, wo er auch früher schon wiederholt sich wohl gefühlt hatte, entfaltete er hier im Verein mit Öcolampadius, BeatusRhenanus, Glareanus und andern Gelehrten sowie den BuchdruckernFroben und Amerbach eine wunderbar reiche litterarische Thätigkeit;
seit 1516 wurden auch fast alle seine Schriften hier gedruckt.
Als 1529 in Basel
die Reformation siegte, siedelte er nach dem katholischen Freiburg
[* 16] über, wo es ihm indessen nicht recht behagte. 1535 einer
Einladung der Statthalterin der Niederlande
[* 17] Folge leistend, kam er auf der Durchreise noch einmal nach Basel,
wurde hier von einem
Gichtanfall ergriffen, der ihn den ganzen Winter über an das Bett
[* 18] fesselte, und starb in der Nacht vom 11. zum Er
wurde im Münster
[* 19] zu Basel
beigesetzt, wo sein Grabmal noch heute zu sehen ist. Ein ehernes Denkmal wurde ihm 1622 in seiner Vaterstadt
errichtet. Seine Bildnisse von Dürer und Holbein
[* 20] sind allbekannt.
Erasmus ist der umfassendste und geistreichste Humanist des 16. Jahrh. Um die Belebung
der klassischen Studien hat er unvergängliche Verdienste. In religiöser Beziehung hat er durch die Freiheit des Geistes, mit
der er gewisse Einrichtungen der Kirche, besonders das Mönchtum und den Scholastizismus, geißelte, die Reformation vorbereiten
helfen. Auch schien er anfangs mit LutherHand
[* 21] in Hand gehen zu wollen. Allmählich aber wandte er sich
immer mehr von dem kühnen Volksmann ab, schon weil ihm das exklusive Interesse der klassischen Studien in erster Linie stand,
nicht die Befriedigung der religiösen und sittlichen Bedürfnisse des Volkes.
In der »Diatribe de libero arbitrio« griff er Luther direkt an. Dieser antwortete mit der Schrift »De servo
arbitrio«, und Erasmus entgegnete wieder in dem leidenschaftlichen »Hyperaspistes«.
Etwas früher hatte er auch Huttens »Expostulatio cum Erasmo« die bittern und für ihn wenig
ehrenvollen
»Spongia adversus Hutteni aspergines« entgegengesetzt. Infolge davon sank sein Einfluß,
da ihm nun nicht bloß von römischer, sondern auch von protestantischer Seite Mißtrauen entgegengetragen wurde.
Zwar betonte er seine Übereinstimmung mit der erstern immer mehr, dennoch verbitterten ihm die Fehden, in die er nach beiden
Seiten verwickelt wurde, den letzten Teil seines Lebens. Um so staunenswerter ist seine litterarische Thätigkeit
während desselben, zumal er noch von Kränklichkeit heimgesucht wurde. Seine wichtigsten philologischen Schriften, die zum
Teil in vielen Auflagen wiederholt wurden, sind: »De duplici rerum ac verborum copia« (Par. 1512);
»De ratione studii et instituendi
pueros commentarii« (das. 1512);
»De octo partium orationis constructione« (Straßb. 1515);
»Ecclesiastes
s. de ratione concionandi libri IV« (Basel
1535, die erste nach festem Plan ausgeführte Homiletik) u. a. Von allgemeinern Schriften
sind hervorzuheben: die in fast alle neuern Sprachen übersetzten »Colloquia« (Bas. 1516; beste Ausg.,
Amsterd. 1650 u. öfter; Leiden
[* 22] 1664) und das nicht minder bekannte »Encomium moriae« (»Lob der Narrheit«, Par. 1509 u. öfter;
mit den berühmten Randzeichnungen, durch die HansHolbein ein Exemplar der Frobenschen Ausgabe von 1514 geziert hat, Basel
1676 u.
öfter; Havre
[* 23] 1839; deutsch, St. Gallen 1839, und von Frank, Leipz. 1884). Die erste Sammlung von Erasmus'Schriften,
zu welcher er selbst schon Anstalten getroffen hatte, erfolgte durch BeatusRhenanus(Basel
1540-41, 9 Bde.). Die beste Ausgabe besorgte
Clericus (Leclerc, Leid. 1703-1706, 10 Bde.); im dritten Bande derselben ist auch die beste Sammlung seiner lebensvollen Briefe
enthalten. Von den zahlreichen Biographien nennen wir die von Erhard (in der »Encyklopädie« von Ersch und
Gruber), Stichart (Leipz. 1870), Durand de Laur (Par. 1872), Drummond (Lond. 1873), Feugère (Par. 1874), Pennington (Lond.
1874).
Als die Sarazenen diese Stadt zerstörten, sollen seine Gebeine nach Gaeta gebracht worden sein, doch wollen noch andere
StädteItaliens
[* 24] sein Grab besitzen.
Der 2. Juni ist sein Gedächtnistag. Er gehört zu den 14 Nothelfern und
wird gegen Viehkrankheiten, Bauchschmerzen und Geburtswehen angerufen.
Desiderius (eigentlich Gerhard Gerhards, d. i. Gerhards Sohn, holländ. Geert Geerts; Erasmus und
Desiderius bedeuten: der Begehrte, Ersehnte), genannt Erasmus von Rotterdam, der genialste und gefeiertste HumanistDeutschlands,
[* 25] geb. oder 1469 zu Rotterdam als unehelicher Sohn des Gerhard de
Praet, besuchte die Schule von Deventer, die Hegius leitete. Früh verwaist, trat er auf Drängen seiner Vormünder halb widerwillig
in das KlosterStein (Emmaus) bei Gouda und folgte, froh aus dem Klosterzwange scheiden zu können, 1491 einer Berufung durch
den Bischof von Cambrai.
Durch dessen Fürsorge konnte Erasmus 1496 Paris besuchen und teilte seitdem, während sein Ruhm schnell wuchs,
seinen Aufenthalt mit weltbürgerlicher Gleichgültigkeit zwischen Frankreich, England, wo der Kanzler Thom. Morus sein Freund
war, und den Niederlanden, überall als erfolgreicher Vorkämpfer des Humanismus. In Italien, das er erst 1506 kennen lernte,
wurde ihm zu Turin die theol. Doktorwürde, zu Venedig die Freundschaft des Aldus Manutius zu teil. Doch
die höchste Verehrung genoß er in Deutschland,
[* 26] das ihn als seinen größten Sohn feierte; eine Reise nach Straßburg
[* 27] und Basel
1513 war
ein wahrer Triumphzug.
Zur Annahme eines Amtes konnte sich der unruhige Mann trotz der Mühsale seines Wanderlebens nicht entschließen;
doch bezog er seit 1516 eine Pension von Karl V. 1517 ließ er sich an der Hochschule Löwen nieder, siedelte aber schon 1521 nach
Basel
über, wo Holbein ihn malte. Von dort trieb ihn die Einführung der Reformation 1529 nach Freiburg
i. Br., wo er,
geistig und körperlich leidend, den Rest seiner Tage zubrachte. Er starb bei einem Besuch in Basel Seine Vaterstadt
errichtete ihm 1662 ein Denkmal.
Erasmus war nicht nur ein gelehrter Philolog, sondern vor allem ein unglaublich fruchtbarer, stets geschmackvoller Schriftsteller,
ein glänzender Stilist
¶
mehr
und ein vollendeter Weltmann. Ein überlegener Verstand, den er gern in Sarkasmen zeigte, leitete ihn; von Leidenschaften
kannte er nur die Eitelkeit. Man hat ihn treffend mit Voltaire verglichen. Kaum gab es ein Gebiet der damaligen Wissenschaft,
auf dem er nicht thätig war. Seine «Adagiorum chiliades» (Vened. 1508 u. ö.)
sind eine Sprichwörtersammlung mit schönen Erläuterungen. Erasmus verfaßte treffliche pädagogische
Schriften. Mit gesundem Gefühl bekämpfte Erasmus die Alleinherrschaft des ciceronianischen Stils in der Satire «Ciceronianus»
(1528). Die Zahl seiner Ausgaben klassischer und patristischer Schriftsteller (z. B. Cicero, Seneca, Aristoteles, Hieronymus,
Augustinus) ist unabsehbar.
Sein Herz hing an der griech. Litteratur, während ihm das Hebräische fern lag. Lucian war sein Liebling.
Die noch heute gültige Aussprache des klassischen Griechischen geht auf Erasmus zurück («De recta latini graecique sermonis pronunciatione
dialogus», 1528). Seine dem Papst gewidmete und mit einer lat. Übersetzung versehene Ausgabe des NeuenTestaments (Bas. 1516),
der bald eine wertvolle Paraphrase folgte, trug ihm lebhafte Anfeindungen von der Kirche ein, weil sie
an der Vulgata Kritik übte, wurde dagegen von Luther seiner Bibelübersetzung zu Grunde gelegt.
Auch in andern Schriften äußerte Erasmus reformatorische Gedanken, so in dem ausgezeichneten Erbauungsbuch «Enchiridion militis
christiani», in den vielbenutzten «Familiaria colloquia» (1524),
Meisterstücken der lat. Umgangssprache, und in der eleganten, geistreichen
Satire auf alle Stände «Encomium moriae» («Lob
der Narrheit», Par. 1509). Sie gehörte, durch Holbeins Federzeichnungen geschmückt, zu
den gelesensten Büchern des Jahrhunderts. Trotz mancher Übereinstimmung stieß den geistigen Aristokraten Erasmus das Auftreten
des Volksmannes Luther ebenso ab, wie die Leidenschaft Ulrichs von Hutten, mit dem er in eine wenig ehrenvolle
Fehde geriet. Gegen Luther richtete Erasmus u. a. seine «Diatribe
de libero arbitrio» (1526). Trotzdem hat ihn auch die kath. Partei nicht als einen der
Ihrigen angesehen, sondern seine Schriften auf den Index gesetzt. Die vollständigste und beste Ausgabe seiner Werke besorgte
Leclerc (10 Bde., Leid. 1703-6). -
Vgl. Stichart, Erasmus (Lpz. 1870);
Drummond, Erasme (2 Bde., Lond.
1873);
F. C. Hoffmann, Essai d’une liste d’ouvrages et dissertations concernant la vie et les écrits d’Erasme (Brüss.
1866);