Epiphlogisma
(grch.), oberflächliche Entzündung.
Epiphlogisma
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Epiphlogisma
(grch.), oberflächliche Entzündung.
(Inflammatio, Phlogosis), ohne Frage der bei weitem häufigste und wichtigste pathologische Prozeß, der daher nicht mit Unrecht als der Angelpunkt der gesamten Medizin bezeichnet worden ist. Die Entzündung tritt unter sehr verschiedenen Formen auf und führt zu den verschiedensten Resultaten, so daß es schwierig ist, von vornherein festzustellen, was alles unter dem Begriff der Entzündung zusammenzufassen ist. Der Ausdruck Entzündung weist auf einen krankhaften Vorgang hin, welcher mit einer Steigerung der Temperatur verknüpft, aber lokal beschränkt ist; denn Zustände von allgemeiner Temperatursteigerung im ganzen ¶
Körper heißen Fieber. Allein die örtlich gesteigerte Wärme [* 4] reicht nicht zur Charakteristik der Entzündung aus. Schon der alte römische Arzt Celsus stellte vier Kardinalsymptome der Entzündung auf, nämlich Calor, Rubor, Tumor und Dolor, d. h. ein entzündeter Teil zeigt gesteigerte Wärme, Rötung, Schwellung und Schmerz. Dies gilt allerdings für die Entzündung gefäß- und nervenhaltiger Teile, welche dem Auge [* 5] zugänglich sind, z. B. für die der äußern Haut [* 6] und der sichtbaren Schleimhäute.
Für zahlreiche andre Organe will aber jener Symptomenkomplex nicht recht passen; man sah sich genötigt, mindestens nach die gestörte Verrichtung des entzündeten Teils zur Charakteristik der Entzündung hinzuzufügen. Allein alle die angeführten Symptome sagen nichts über das Wesen und die innere Natur des Entzündungsvorganges selbst aus, und man muß heute die Einheit eines Entzündungsprozesses fallen lassen, da keine einzige Definition sich mit der Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit aller derjenigen geweblichen Veränderungen deckt, welche den verschiedenen Phasen der Entzündung entsprechen und im weitesten Sinn zu den entzündlichen gerechnet werben.
Das Wesen der Entzündung liegt in einer örtlichen Störung der Ernährung der Gewebe [* 7] mit dem Charakter des beschleunigten und gesteigerten Stoffwechsels. Der gesteigerte Stoffwechsel aber setzt voraus erstens, daß ein vermehrter Zufluß von Ernährungsmaterial zu dem gestörten Teil stattfindet (dies ist die sogen. entzündliche Kongestion), und zweitens, daß aus den Blutgefäßen eine reichlichere Menge von Säften in die Gewebe übertritt (gesteigerte Exsudation).
Die gesteigerte Zufuhr von Ernährungsmaterial ist so wichtig für das Zustandekommen der Entzündung, daß man diese lange Zeit hindurch als eine mit vermehrter Ausschwitzung einhergehende Blutkongestion bezeichnet hat. Es ist dies unpassend, weil es Vorgänge gibt, wo Kongestion und vermehrte Ausschwitzung ohne Ernährungsstörung bestehen (z. B. nach Durchschneidung des sympathischen Nervs am Hals), und namentlich auch, weil es eine Entzündung blutgefäßloser Teile gibt (z. B. der Hornhaut des Auges, der Knorpel). [* 8]
Diese letztern Stätten der Entzündung dienten Virchow zur Grundlage, als er in seiner »Cellularpathologie« die Urquelle aller Entzündungen in die gesteigerte Ernährung und Vermehrung der Gewebszellen verlegte. Die Einheit bildet nach ihm die Zelle, [* 9] dann Zellenterritorien und ganze Organe; die Gefäßveränderungen sind später hinzutretende, allerdings sehr bedeutungsvolle begleitende Vorgänge. Diese Erklärung mag nun für einzelne Gewebe, wie Knorpel und Hornhaut, allenfalls passen; indessen bei allen andern Geweben tritt der Zellenanteil so in den Hintergrund, während eine Reihe von Alterationen an den Gefäßen das Bild völlig dominiert, daß alle andern Erklärungsversuche immer wieder an die entzündliche Hyperämie angeknüpft haben. Die ältern Entzündungstheorien faßten die Hyperämie als die Folge einer abnormen Einwirkung der Nerven [* 10] auf die Gefäßwände auf. Diese Theorien haben sich nicht als stichhaltig erwiesen, auch die von Virchow begründete sogen. Attraktionstheorie kann nicht als ausreichend angesehen werden.
Die richtige Erklärung der entzündlichen Blutfülle ist wohl die ganz neuerdings von Cohnheim aufgestellte, welcher eine primäre, durch den Entzündungsreiz bewirkte Alteration der Gefäßwände annimmt, in deren Folge veränderte Beziehungen des Blutstroms zu den Gefäßwänden sich ergeben. Der eigentliche Entzündungsvorgang beginnt mit Veränderungen am Gefäßsystem, welche in der Hauptsache den Charakter der Blutüberfüllung (der Kongestion oder Hyperämie) an sich tragen.
Ganz im Beginn der Entzündung, wenn der verursachende Reiz die größern Gefäße mit betroffen hat, beobachtet man eine Erweiterung der Arterien und Venen mit Beschleunigung des Blutstroms, nachdem zuweilen eine ganz kurz dauernde Verengerung der Arterien vorausgegangen ist. Nach einiger Zeit jedoch wird der Blutstrom in den erweiterten Gefäßen verlangsamt, ohne daß eine mechanische Ursache dieser Verzögerung sichtbar ist. Gleichzeitig ändert der Blutstrom seinen bisherigen Charakter.
In den weiten Arterien fließt das Blut langsam dahin und zwar in der Achse des Stroms nicht wesentlich schneller als in der Nähe der Gefäßwand. Die Haargefäße erscheinen mit Blutkörperchen [* 11] strotzend gefüllt; letztere rücken nur sehr langsam vorwärts oder stehen selbst, dicht aneinander gedrängt, ganz still (Stasis). In den Venen endlich treten die farblosen Blutkörperchen an den Rand des Stroms und haften der innern Gefäßoberfläche an, während die roten Blutkörper in der Achse des Venenlumens langsamer weiterfließen.
Mit dieser Stromverlangsamung geht allemal Hand [* 12] in Hand eine gesteigerte Ausschwitzung aus den blutüberfüllten Gefäßen (Exsudation). Das entzündliche Exsudat ist höchst wahrscheinlich auch qualitativ etwas andres als das gewöhnliche Transsudat, welches aus gesunden Blutgefäßen austritt. In leichtern Fällen der Entzündung kommt nur ein seröses, d. h. wässeriges, Exsudat zu stande; dieses infiltriert die Gewebe, wenn die Lymphgefäße derselben nicht hinreichen, das Wasser rechtzeitig abzuführen, und so entsteht das entzündliche Ödem (die Entzündungsschwellung), in Höhlen die entzündliche Wassersucht.
War der Entzündungsreiz stärker, so lassen die alterierten Blutgefäßwände nicht bloß Serum, sondern auch die farblosen Blutzellen aus dem stark verlangsamten Blutstrom austreten, und es kommt zur Bildung eines eiterigen Exsudats. Vgl. Eiter. In noch schwereren Fällen, wo der Blutstrom bis zur Stagnation verlangsamt ist, treten durch die schwer erkrankten Gefäßwände außer dem Serum und den farblosen Blutzellen auch noch rote Blutkörperchen, zuweilen in großen Massen, aus, und es entsteht das blutige oder hämorrhagische Exsudat.
Die Gefäßveränderung ist es, welche nach Cohnheims Auffassung das Wesen der Entzündung ausmacht, während derselbe Gedanke im Sinn der Zellentheorie lauten würde, daß der Entzündungsreiz in gefäßreichen Teilen die Zellen der kleinen Venen funktionell stört, so daß zwischen ihnen Blutkörperchen austreten können. Von einer neuen oder die Cellularpathologie gar ersetzenden Theorie ist also nicht die Rede. Die physiologische Bestimmung der entzündlichen Ausschwitzung liegt darin, daß die reichlich in die Gewebe übergetretenen Säfte die Ernährungsstörung der Gewebe ausgleichen helfen sollen.
Die vermehrte Exsudation und die davon abhängige reichlichere Ernährung der Gewebe ist wohl auch die nächste Ursache dafür, daß in vielen Fällen von Entzündung eine Neubildung von Geweben stattfindet. Letztere tritt namentlich bei den traumatischen Entzündungen, als Narbenbildung etc., sowie bei den langsam verlaufenden (chronischen) Entzündungen in den Vordergrund, indem sie zur Vergrößerung und Verhärtung der Organe (durch Bindegewebsneubildung) führt. Die Gewebe, welche bei Gelegenheit der Entzündung neu gebildet werden, sind vorzüglich folgende: Epithelzellen beim Katarrh der Schleimhäute;
gefäßhaltiges Bindegewebe bei der Narbenbildung, bei den adhäsiven Entzündungen seröser Häute, bei der entzündlichen Hypertrophie der Häute, ¶
Drüsen etc.; ferner gefäßhaltiges Knochengewebe bei Entzündung an der Knochenoberfläche u. dgl. m. Außer diesen progressiven Vorgängen trifft man rückschreitende (degenerative) Metamorphosen der Zellen, vor allem Verfettungen an. Am häufigsten verfallen die Muskelfasern, die Nervenfasern, die Ganglien- und Drüsenzellen sowie die Haargefäße der Entartung, die in der Regel mit vollkommenem Untergang der betreffenden Gebilde und Ausstoßung derselben aus dem Organismus endigt.
Auch solche Gewebe, welche sich erst bei Gelegenheit der Entzündung neu gebildet hatten, unterliegen häufig gegen das Ende des Prozesses einer Rückbildung. Dies gilt besonders von den Haargefäßen der entzündlichen Neubildungen (z. B. des Narbengewebes), welche häufig veröden und zu einer soliden Fasermasse umgebildet werden. Die Neigung des Narbengewebes zur Schrumpfung beruht auf dem Untergang seiner feinsten Blutgefäße. Über die Ursachen der Entzündung läßt sich allgemein nur sagen, was für die Ursachen der Krankheit (s. d.) gilt. Jeder Reiz, der ein Gewebe trifft, ohne dasselbe sofort zu töten, kann in ihm die Ursache zu einer Entzündung werden; ob er es wird oder nicht, hängt von der Heftigkeit des Reizes, von der Reaktionsfähigkeit der getroffenen Teile ab.
Der Verlauf der Entzündung ist bald ein akuter, schnell vorübergehender, der sich über einige Stunden bis zu wenigen (6-8) Tagen erstreckt, bald ein chronischer, wobei der entzündliche Prozeß wochen- und monatelang anhält. Die Dauer der Entzündung hängt vorzugsweise ab von der Natur der die Entzündung erregenden Ursachen und der damit zusammenhängenden Intensität der Ernährungsstörung, sodann von der Ausdehnung [* 14] des Entzündungsherdes und vorzugsweise auch von der Struktur und dem feinern Bau der Gewebe, welche von der Entzündung betroffen werden. In letzterer Beziehung darf man annehmen, daß die Entzündung in zarten, blutgefäß- und zellenreichen Teilen im allgemeinen schneller verläuft als in harten gefäßlosen oder gefäßarmen Geweben.
Dies hängt eben damit zusammen, daß der Ausgleich der Störung an den reichlichen Zufluß von Ernährungsmaterial geknüpft ist. Je mehr Blut einem Teil zugeführt wird, um so intensiver wird die Entzündung in demselben ausfallen, aber um so schneller wird sich auch die Störung wieder ausgleichen. An dem gefäßarmen Gewebe der Sehnen und sehnigen Häute, an den gefäßlosen Knorpeln, an den harten, unnachgiebigen Knochen [* 15] werden deshalb die entzündlichen Prozesse unter sonst gleichen Verhältnissen eine längere Dauer beanspruchen, als es bei parenchymatösen und drüsigen Organen der Fall ist. - Die Ausgänge der Entzündung gestalten sich ebenfalls sehr verschieden. Es hängt dies gleichfalls vorzugsweise von der Natur und Stärke [* 16] des die Entzündung erregenden Reizes sowie von der Natur und dem feinern Bau der davon betroffenen Organe und Gewebe ab. Sehr häufig geht die Entzündung, namentlich in leichtern Fällen, in Zerteilung oder Resolution über, d. h. es kommt nur zur Hyperämie und vermehrten Ausschwitzung von Serum, nicht aber zur Neubildung von Geweben oder zum Untergang der entzündeten Teile, und die Entzündung verschwindet, ohne eine Spur an den Geweben zurückzulassen, indem sich die normale Zirkulation des Bluts wiederherstellt und der vorhandene Überschuß an Gewebesaft durch die Lymphgefäße abgeführt wird.
Heftigere Grade der Entzündung führen zur Vereiterung, bez. zur Verschwärung (Suppuration und Ulceration), d. h. die durch den Reiz geschädigten Gewebe werden eingeschmolzen, die erweichten Massen werden ausgestoßen, und es erfolgt Heilung mit Hinterlassung eines Substanzverlustes, der eine mehr oder minder augenfällige Narbe zurückläßt. Eine gewöhnlich eintretende und im gleichen Verhältnis mit der Heftigkeit der Entzündung zunehmende Störung des Allgemeinbefindens ist das Fieber (s. d.).
Die Behandlung der Entzündung, die sogen. Antiphlogose, gestaltet sich nach der Natur des Einzelfalles ungemein verschieden. Wo es immer möglich ist, da muß zuerst die Entzündung erregende Ursache beseitigt werden. Fremde Körper, Splitter etc. müssen entfernt, chemisch reizende Stoffe beseitigt und neutralisiert, physikalische Reize (Hitze, starke Kälte) vom Körper fern gehalten werden. Wunden sind mit fäulniswidrigen Mitteln, geschwollene Hautstellen mit Eis [* 17] oder Blutentziehungen zu behandeln; gegen Schmerzen reicht man Morphium etc. Wird Eiterung erwartet, so macht man warme Umschläge, später Einschnitte.
Bei jeder Entzündungskrankheit ist aber darauf zu achten, daß der Patient sich einer angemessenen, d. h. reizlosen und nicht zu stark nährenden, Diät unterziehe, und daß er für regelmäßigen Stuhlgang sorge. Ist im Gefolge einer Entzündung Brand eingetreten, so bleibt nichts übrig, als abzuwarten, bis sich das Brandige auf natürlichem Weg vom Gesunden ablöst.
Vgl. Virchow, Cellularpathologie (4. Aufl., Berl. 1871);
Billroth, Chirurgische Pathologie (12. Aufl., das. 1885);
Cohnheim, Vorlesungen über allgemeine Pathologie (2. Aufl., das. 1882).