Epidemie
(griech., Volkskrankheit, Seuche), jede Krankheit, welche zu gewissen Zeiten innerhalb einer größern Bevölkerungsgruppe besonders zahlreiche Erkrankungsfälle der gleichen Art herbeiführt. Ist die Seuche über große Länderstrecken verbreitet, so wird sie auch als Pandemie bezeichnet. Ganz besonders sind es die ansteckenden, auf einem Kontagium oder Miasma beruhenden Krankheiten (Infektionskrankheiten), welche in epidemischer Verbreitung vorzukommen pflegen: Typhus, Cholera, Scharlach, Masern, Pocken, Sumpffieber u. dgl. Doch können auch die sogen. Lokalkrankheiten, z. B. Katarrhe der Luftröhre, Lungenentzündungen, Rotlauf der Haut [* 3] u. dgl., gelegentlich epidemisch auftreten.
Die meisten als Epidemie
vorkommenden
Krankheiten sind mit
Fieber verbunden. Die Ausbreitung einer Epidemie
geschieht
auf verschiedene
Weise, je nachdem die betreffende
Krankheit ansteckend ist oder nicht. Bei ansteckenden
Krankheiten entwickeln
sich immer eine Anzahl kleiner Seuchenherde:
Straßen-,
Haus- und Stubenepidemien
, zwischen welchen sich öfters ein kontinuierlicher
Zusammenhang herstellen läßt. Die
Ursachen der epidemischen Verbreitung sind, wie es zuerst für den
Milzbrand nachgewiesen wurde, wahrscheinlich allgemein auf der Verbreitung eines organischen lebenden Ansteckungsstoffs,
eines sogen. Contagium vivum, zurückzuführen, indem z. B.
das
Grundwasser
[* 4] und tellurische Verhältnisse andrer Art, lange Nässe mit folgender
Hitze etc. die
Keime solcher
Krankheiten
zeitigen oder wenigstens ihrer schlimmen
Wirkung Vorschub leisten können.
Ein Beweis für diese Annahmen fehlt bis jetzt freilich noch, jedoch haben in neuester Zeit experimentelle Untersuchungen bewiesen, daß Pilze, [* 5] welche ganz allgemein verbreitet sind, wie die gewöhnlichen Schimmelpilze oder Bakterien, welche im Heu gedeihen, durch günstige Ernährungsbedingungen zu bösartigen Krankheitserregern werden können, und daß dieselben Pilze wiederum durch die entgegengesetzte Züchtung unschädlich gemacht werden können. Außerdem spricht der Erfolg der desinfizierenden, d. h. der pilztötenden, Mittel so beredt für diese Theorie, daß man wohl mit Recht durch Forschungen auf diesem Gebiet den ersehnten Aufschluß erwarten darf.
Die Dauer einer Epidemie
ist sehr verschieden, doch beträgt sie gewöhnlich nicht weniger als
2-3
Monate und selten mehr als ein halbes Jahr. Im allgemeinen ist die Dauer einer Epidemie
länger innerhalb eines
größern Menschenkomplexes, einer großen Stadt, als an kleinern
Orten. Dies gilt besonders für die ansteckenden
Krankheiten,
was wohl mit der jeweilig vorhandenen Anzahl der überhaupt erkrankungsfähigen Individuen zusammenhängt.
Manche Epidemien
bedingen eine große, andre der gleichen Art eine sehr geringe
Sterblichkeit, d. h. dieselbe
Krankheit tritt
das eine
Mal gutartig, das andre
Mal bösartig auf.
Auch hierfür wissen wir keine stichhaltigen
Gründe anzuführen. Sehr gewöhnlich sind die Erkrankungen zu Anfang der Epidemie
die
schwersten und werden am häufigsten tödlich, während in der zweiten Hälfte der Epidemie
die
Heftigkeit der Krankheitserscheinungen wie die
Sterblichkeit nachläßt. Doch kommen hiervon vielfache
Abweichungen vor. Manchmal
herrschen zwei Epidemien
zu gleicher Zeit, z. B.
Scharlach und
Masern,
Cholera und
Typhus,
Keuchhusten und
Grippe.
Andre
Male treten
aber auch aus unbekannten
Gründen während der Herrschaft einer heftigen Epidemie
andre epidemische und endemische
Krankheiten ganz zurück, um sich vielleicht nach
Ablauf
[* 6] jener Epidemie
wiederum zu steigern. Es scheint gewissermaßen durch eine
große Epidemie
die Erkrankungsfähigkeit einer
Bevölkerung
[* 7] erschöpft zu werden, denn man findet oft nach
Ablauf einer Epidemie
längere
Zeit hindurch einen auffallend guten Gesundheitszustand.
Freilich mag dies manchmal, z. B. nach mörderischen Choleraepidemien
,
darauf beruhen, daß durch dieselben viele anderweit kranke und schwächliche Individuen hinweggerafft worden sind. Die Behandlung
aller Epidemien
hat ihren
Schwerpunkt
[* 8] in der Prophylaxe, d. h. in der Sorge um die Verhütung der Ausbreitung. Das
Ziel der in dieser Beziehung zu ergreifenden öffentlichen Maßregeln besteht einesteils darin, die
Widerstandsfähigkeit der
Bevölkerung gegen die Krankheitsursache zu erhöhen, andernteils darin, die Krankheitsursache zu
vernichten oder unschädlich zu machen.
Dieser Zweck wird erreicht durch Reinhaltung und Lüftung der Wohnplätze und ihrer Umgebungen, Herbeischaffung guten Trinkwassers, Unterstützung der Bedürftigen durch Nahrung und Kleidung, Desinfektion [* 9] der Krankenzimmer, der Wäsche, der Ausleerungen, welche oftmals Träger [* 10] der Krankheitsursache sind, ferner Entfernung der Kranken aus ihren ungünstigen Wohnungen in zweckmäßig eingerichtete öffentliche Anstalten, Dislokation der Gesunden aus der Nähe der Krankheitsherde, unter Umständen Absperrung der Kranken, Quarantänemaßregeln etc.
Vgl. Hirsch, [* 11] Handbuch der historisch geographischen Pathologie (2. Aufl., Stuttg. 1881-83);
Derselbe, Über die Verhütung und Bekämpfung der Volkskrankheiten (Berl. 1875);
Hecker, Die großen Volkskrankheiten des Mittelalters (das. 1865);
Griesinger, Infektionskrankheiten (Erlang. 1864);
Österlen, Die Seuchen, ihre Ursachen, Gesetze und Bekämpfung (Tübing. 1872);
Ackermann, Über die Ursachen epidemischer Krankheiten (Berl. 1873).
Eine »Zeitschrift für Epidemiologie« gibt Küchenmeister (Erlang. 1874 ff.) heraus.