[* ] eine Periode des Diluviums, zu welcher, sei es auf der ganzen Erde, sei es auf der nördlichen Halbkugel, sei
es nur in bestimmten Gegenden Europas und Nordamerikas, eine geringere Mitteltemperatur geherrscht haben
muß als in der heutigen Periode. Während man früher eine allgemeine Verminderung der Mitteltemperatur aller Orte der Erde
durch die verschiedenen geologischen Perioden hindurch bis zum Alluvium annehmen zu dürfen glaubte, so zwar, daß in den ältesten
Perioden herab bis etwa zur Kreidezeit überhaupt keine klimatischen Unterschiede existierten und während
der Kreideperiode, dem Tertiär und dem Diluvium an einem bestimmten Ort noch höhere Mitteltemperaturen herrschten als in der
Alluvialperiode, weisen die untrüglichsten Anzeichen darauf hin, daß bestimmte Orte während der ältern Diluvialzeit eine
niedrigere Mitteltemperatur hatten als heutzutage.
Die Kenntnis der Merkmale der Eiszeit rührt von der Schweiz her. Das großartige, den Alpen entstammte Blockmaterial, welches im
W. das Land zwischen Alpen und Jura bis hoch hinauf an den Abhängen des letztern, im N. die Vorschweiz und die Gegenden nördlich
des Bodensees bedeckt, wurde zuerst auf Transport durch Wasserfluten zurückgeführt, ja selbst auf Rechnung
lokaler Eruptionsthätigkeit gesetzt, bald aber und jetzt allgemein als das Produkt einer sehr bedeutenden Gletscherthätigkeit
aufgefaßt, deren Entwickelung in die Periode der Eiszeit fällt.
Fünf solcher großer Diluvialgletscher unterscheiden die Schweizer Geologen für die Schweiz. Der größte, der Rhônegletscher,
kam aus dem Wallis;
er verbreitete sich über den Genfer See bis an den Jura und entwickelte an diesem seine höchste
Höhe in der Verlängerung der Richtung des untern Rhônethals; er erfüllte das ganze Hauptthal des Wallis
mit seinen zahlreichen
Nebenthälern und reichte um mehrere Tausend Fuß über die jetzige Thalsohle hinauf, wie die polierten
Felswände und Blockwälle anzeigen.
Kleiner war der Aargletscher, welcher die Thäler des Berner Oberlandes bis 650
m über die jetzige Thalsohle füllte. Der Reußgletscher
erhielt seine Zuflüsse aus den Thälern des Kantons Uri,
aus dem Engelberg- und Muottathal und reichte bis an die Albiskette hinauf. Der
Linthgletscher erhielt seine Hauptzufuhr aus dem Kanton Glarus
und überzog einen großen Teil des Kantons Zürich.
Der Gletscher des
Rheinthals bezog sein Material aus Graubünden
und teilte sich am Schellberg, indem ein Arm den Wallenseegletscher bildete, der andre aber
das Rheinthal füllte, den Bodensee und seine Umgebungen bedeckte und bis nach dem Hegau und der Donau hinausreichte.
Im S. der Alpen drang ein großer Gletscher aus dem Tessin
in die lombardische Ebene vor und erfüllte das Becken des Lago Maggiore;
ein zweiter kam vom Splügen und Bergell, bildete, mit dem Gletscher des Veltlin sich vereinigend, eine Brücke über den Comersee
und rückte seine Endmoräne bis in die Gegend von Monza vor. Auch über den Gardasee reichte ein Gletscher
und wurden Schuttmassen geschoben, welche jetzt bis über Peschiera hinaus das Land bedecken. Am weitesten nach S. wurde der
Gletscher des Monte Rosa vorgeschoben, dessen Schuttmassen heute bis Clusio die aus der Ebene aufsteigenden, bis 490 m
hohen Hügelzüge bilden. - Das Studium dieser Verhältnisse in der Schweiz bot den Schlüssel zum Verständnis ähnlicher Erscheinungen
an andern Orten.
Fremdes, aus N. stammendes Material bedeckt die Norddeutsche Tiefebene, und auch hier nahm man zur Erklärung des Transports
als Faktor Eis an, freilich anfänglich mit der Modifikation, daß man mit den südlicher als heute reichenden
skandinavischen Gletschern ein Meer in Verbindung dachte, auf welchem das Gesteinsmaterial durch Eisberge unter dem Einfluß
nordsüdlicher Strömungen nach S. transportiert worden sei. Die meisten Geologen haben diese sogen.
Drifttheorie (vgl. Diluvium) neuerdings verlassen und neigen der Ansicht zu, es sei auch für den Norden
Europas eine gewaltige Vergletscherung während der ältern Diluvialperiode anzunehmen.
Diese Anschauung einer weitverbreiteten Vergletscherung unterstützend, wurden Spuren ehemaliger Gletscher in einem großen
Teil Englands, in Nordamerika, in den europäischen Mittelgebirgen und an andern Orten nachgewiesen, und da auch paläontologischerseits
die nordische Natur der im ältern Diluvium eingeschlossenen Reste bewiesen wurde, so wird die Existenz
einer Eiszeit wohl von keinem Geologen mehr bezweifelt. Eine Übersicht der hauptsächlichsten frühern und heutigen
Gletschergebiete der Erde (nach Penck) geben die nebenstehenden Polarkärtchen.
Weniger groß ist die Übereinstimmung der Forscher hinsichtlich wichtiger an die Kardinalfrage sich direkt anknüpfender Fragen.
Dahin gehört der Streitpunkt, ob mehrere Eiszeiten, von interglazialen Perioden unterbrochen, einander
gefolgt sind, oder ob es sich bei der Wechsellagerung von echt sedimentärem Material und Gletscherprodukten nur um ein periodisches
Zurückweichen und Anschwellen der Gletscher Einer Eiszeit handelt. Offen bleibt ferner die Frage, ob schon ältere geologische Perioden
als das Diluvium Spuren einer Eiszeit aufzuweisen haben, wie einzelne Geologen (so namentlich Ramsay für das
Rotliegende) nachgewiesen zu haben glauben. Getrennt sind weiter die Meinungen über den Grad der Beteiligung der Diluvialgletscher
bei der Erodierung der Erdoberfläche; während einige dieselbe nur gering anschlagen und den Gletschern eine mehr konservierende
Rolle zuschreiben, erblicken andre in den Gletschern der Diluvialperiode die wichtigsten
mehr
Faktoren der Thalbildung und namentlich der Aushöhlung der Landseebecken.
Am weitesten gehen die Ansichten auseinander, wenn es sich um die Frage nach den letzten Ursachen der Eiszeit handelt. Die ältesten
der aufgestellten Hypothesen knüpften an dieselben lokalen Verhältnisse an, von deren Untersuchung die Kenntnis der Erscheinung
selbst ausgegangen war: an die Alpen, und zwar nahm Charpentier an, daß die allmähliche Verringerung der
Höhe der Alpen durch die Erosion genüge, um auch eine Verringerung der Gletscherthätigkeit zu erklären.
Escher von der Linth fand im Föhn, der nach ihm aus der Sahara stammt, den einer größern Verbreitung der Gletscher entgegenwirkenden
Faktor; derselbe sei aber erst seit jener Zeit wirksam, seit welcher die Sahara trocken gelegt sei, ein
Vorgang, der sich nach ihm erst nach der Diluvialperiode abgespielt hat. Spätere Untersuchungen haben die Unhaltbarkeit
der Hypothese dargelegt, für den Föhn nachgewiesen, daß er nicht über die Sahara hinwegstreicht, sondern einen westlichern
Weg nimmt, und zugleich gezeigt, daß die Sahara auch schon während der Diluvialzeit kein Meer bildete.
Der weitern Ausdehnung der Untersuchung glazialer Vorkommnisse entsprechend, beziehen sich später aufgestellte Hypothesen
nicht auf die Alpen allein, sondern auf ganz Europa. Von der unleugbaren Thatsache ausgehend, daß dem Golfstrom ein wichtiger
Einfluß im Sinn der Erhöhung der Mitteltemperatur für Europa zugesprochen werden muß, fand man in der
Ablenkung desselben während der Diluvialzeit, sei es durch einen zwischen Amerika und Europa früher existierenden Kontinent
(Atlantis, s. d.), sei es durch Eintreten desselben in den Großen Ozean über die angeblich damals noch mit Wasser bedeckte
jetzige Landenge von Panama hinweg, eine Ursache für die Herabdrückung der mittlern Temperatur Europas während
der Eiszeit. Nach andern (Lyell) wich während der Diluvialperiode die Verteilung von Land und Wasser von der heutigen wesentlich
ab, indem damals die nördliche, nicht wie jetzt die südliche Halbkugel die wasserreichere Hälfte der Erde war.
Wie nun heute die südliche Halbkugel die Gletscher, selbst bis zum Meer herabsteigend,
noch unter Breiten
besitzt, unter denen auf der nördlichen Hemisphäre die untere Gletschergrenze eine sehr bedeutende Meereshöhe zeigt (s.
Gletscher), so traten in der Diluvialzeit ähnliche Verhältnisse für die nördliche Halbkugel ein. Man hat ferner die größere
Abkühlung während der Diluvialzeit mit einer geringern Wärmeausstrahlung der Sonne (zahlreichern Sonnenflecken)
in Verbindung gebracht.
Auch hat man angenommen, daß das Sonnensystem bei seiner Bewegung im Weltenraum bald kältere, bald wärmere Regionen durchflöge,
also die Erde einer bald größern, bald kleinern Wärmeausstrahlung unterworfen sei. Die meisten Vertreter hat eine Hypothese
gefunden (Croll, Pilar, Wallace, Penck, allerdings mit sehr wesentlichen Abweichungen im nähern Ausbau der
Hypothese), welche die periodischen Schwankungen in der Exzentrizität der Erdbahn als Erklärung herbeizieht.
Während jetzt die Sonne länger nördlich vom Äquator steht als südlich, kehren sich die Verhältnisse im Lauf der Zeiten
um. Als direkte Folgen eines solchen Wechsels in der Stärke der Insolation wird (so nimmt man an) eine Verschiebung
der jetzt nördlich des Äquators gelegenen Kalmenzone, eine Veränderung der Passate, die jetzt über den Äquator hinweg nach
N. wehen, und damit auch eine Veränderung der Meeresströmungen eintreten; eine weitere Folge davon ist die Erhöhung günstiger
Bedingungen für die Entwickelung der jetzt auf ein Minimum reduzierten Gletscherthätigkeit auf der nördlichen
Halbkugel.
Eine veränderte Verteilung von Land und Wasser oder eine wesentliche Veränderung in den Höhenverhältnissen der Gebirge
nimmt die Hypothese nicht an, findet vielmehr in dem Umstand, daß die diluvialen Gletscher nur vergrößerte alluviale sind,
einen Beweis für die Stetigkeit der betreffenden Verhältnisse. Ihre Richtigkeit vorausgesetzt, würde
die Periode, welche man gewöhnlich als Eiszeit bezeichnet, nur als die letzte der nördlichen Halbkugel aufzufassen sein, welcher
in frühern Zeiten, sowohl während der Diluvialzeit als in ältern geologischen Perioden, regelmäßige Eiszeiten vorausgegangen
wären.
Vgl. Girard, Die norddeutsche Ebene
[* ]
^[Abb.: Die hauptsächlichsten frühern und heutigen Gletschergebiete der Erde (nach Penck).]
mehr
(Berl. 1855);
Croll, On the physical cause of the change of climate during geological epochs (Lond. 1864);
Sartorius v. Waltershausen,
Untersuchungen über die Klimate der Gegenwart und Vorwelt (Haarl. 1865);
Hellwald, der Alpen (Wien 1867);
Braun, Die der Erde
(Berl. 1870);
Gümbel, Über Gletschererscheinungen im Etsch- und Innthal (Münch. 1872);
Geikie, The great
ice-age and its relation to the antiquity of man (2. Aufl., Lond. 1877);
Kinkelin, Über die Eiszeit (Lindau 1876);
Rütimeyer, Über Pliocän und Eisperiode (Basel
1875);
Völker, Eine auf physische und mathematische
Gesetze begründete Erklärung der Ursache der Eiszeit (St. Gallen 1877);
Pilar, Ein Beitrag zur Frage über die
Ursache der Eiszeiten (Agram 1878);
Kjerulf, Die Eiszeit (Berl. 1878);
Partsch, Die Gletscher der Vorzeit in den Karpathen und Mittelgebirgen
Deutschlands (Bresl. 1882);
Penck, Die Vergletscherung der deutschen Alpen (Leipz. 1882);
Derselbe, Die Eiszeit in den Pyrenäen
(das. 1885).
diejenigen Epochen der der Gegenwart unmittelbar vorausgehenden Quartärzeit,
in welche die größte Verbreitung der Gletscher fällt. Die Beweise für eine früher größere Vergletscherung der Erde liefern
1) die erratischen Blöcke. Dieselben bestehen aus Gesteinsarten, welche meistens der nächsten Umgebung fremd sind und nur
im Ursprungsgebiet des betreffenden Gletschers, von dem sie transportiert wurden, anstehend gefunden werden. Die Mehrzahl
der Blöcke liegt an den Gehängen und auf den Oberflächen von Höhenzügen oft in bedeutender Höhe über dem Thal und in
den seltsamsten Stellungen. Die großen Blöcke, häufig von vielen tausend Kubikmetern Inhalt, sind stets eckig und scharfkantig
[* ]
(Fig. 1). 2) Die alten Moränen.
Diese sind aus den gleichen, der Umgebung fremden Gesteinen zusammengesetzt wie die erratischen Blöcke.
Das Material ist verschieden groß, bald eckig und kantig, bald abgerundet, geglättet oder geschrammt. Die Moränen bilden
mehr oder minder zusammenhängende Hügelzüge von oft über 100 m Höhe und liegen meist in mehreren parallelen Zügen hintereinander.
Die äußern Moränenzüge sind am stärksten unterbrochen, die innern haben ihre charakteristische Form
am besten bewahrt.
3) Der alte geschichtete Gletscherschutt (Glazialschotter). Das Gesteinsmaterial entspricht nach Ursprung, Beschaffenheit
und Zusammensetzung dem der beiden andern erratischen Bildungen. Die oft freilich unregelmäßige Schichtung deutet auf die
Mitwirkung von Wasser, sei es in Gletscherbächen oder Seen.
4) Alte Gletscherschliffe und-Schrammen. Dieselben finden sich nur an widerstandsfähigem, besonders
kristallinischem Gestein und lassen sich bis in bedeutende Höhe über die heutigen Gletscher verfolgen
[* ]
(Fig. 2 u. 3). 5) Erratische
Pflanzen und Tiere. Lebende Kolonien von nicht durch Wind in den Samen übertragbaren alpinen Pflanzen und von nicht durch Wind in
den Samen übertragbaren alpinen Pflanzen und von nicht durch Wanderung übertragbaren alpinen oder arktischen
Tieren finden sich auf den Gebirgen der gemäßigten Zone; ebenso kommen an zahlreichen Stellen südlich der kalten Zone in glazialen
Ablagerungen alpin-arktische Pflanzen- und Tierspezies fossivor ^[korrekt: fossil vor], z. B. von erstern Pinus Cembra (Arve),
Saxifraga oppositifolia, Dryas octopetala u. a., von letztern Moschusochs, Polarfuchs, Steinbock, Schneehase,
Lemminge u. a.
6) Weniger beweiskräftig sind die sogen Riesentöpfe (s. d., Bd.
13) oder Strudellöcher, entstanden durch Gletschermühlen, welche die Grundmoräne entfernten und mit Mahlsteinen den
[* ]
^[Abb Fig. 1. Erratischer Block aus Silurschiefer (2 m x 3,3 m) bei Clapham in Yorkshire.]
mehr
Untergrund bis zu verschiedener Tiefe aushöhlten, wie im bekannten »Gletschergarten«
in Luzern.
Die genannten glazialen Ablagerungen ruhen meistens aus den jüngsten tertiären Bildungen, vielfach trifft man aber auch
als Übergangsstufe Süßwasserablagerungen, wie Kalke und sandige Thonmergel, oder auch marine Bildungen, wie in Norddeutschland
Cyprinenthone mit Cyprina islandica, an. Die eigentlichen glazialen Bildungen zeigen ferner eine häufige
Wechsellagerung von echten Moränen mit Gerölllagern, Ligniten, Torflagern und Sand- und Thonschichten und sind stellenweise
von Löß bedeckt; so schalten sich in der Nordschweiz zwischen die untern und obern Moränen Schieferkohlen in einer Mächtigkeit
von 3 m und Gerölle ein, ebenso in den Algäuer Alpen in der Nähe von Sonthofen.
Daraus geht hervor, daß die Vergletscherung der Alpen mehrfachen Schwankungen in Bezug auf ihre Ausdehnung unterlag, die entweder
nur untergeordneter Natur waren, oder längern Zeitepochen entsprachen. Aus der relativen Lage der äußern und innern Moränenzüge
ist nun geschlossen worden, daß von den wiederholten Vereisungen die letzte nicht den Umfang der vorhergehenden
erreichte. In der Schweiz liegen außerhalb der typischen Endmoränen noch Grundmoränen und erratische Blöcke.
Dasselbe Verhältnis kehrt am ganzen Nordrand der Alpen, am Fuß der Pyrenäen, in Mitteleuropa und Nordamerika wieder, die ältern
Moränen sind stets weiter verbreitet als die jüngern. Beide unterscheiden sich nicht bloß orographisch,
insofern als die äußern Moränen die charakteristischen Eigentümlichkeiten ihrer Entstehung nicht mehr aufweisen, sondern
auch geologisch, indem sie durch Zwischenbildungen voneinander getrennt sind. Die Quartärzeit besteht somit nicht aus einer
einzigen Gletscherperiode, sondern zerfällt in zwei Perioden des Gletscherwachstums, getrennt durch eine Zeit des Abschmelzens,
des zeitweiligen Gletscherrückgangs, eine Interglazialzeit.
Bei der Mannigfaltigkeit in der lokalen Ausbildung der Gletscherablagerungen ist eine Parallelisierung verschiedener Gebiete
noch mit Schwierigkeiten verknüpft, indem sich nicht sicher nachweisen läßt, daß z. B.
die Gletscher in den Alpen genau zur gleichen Zeit ihre größte Verbreitung hatten wie diejenigen in Skandinavien, oder daß
die Eiszeit Europas mit derjenigen Amerikas gleichzeitig war, es steht nur fest, daß dies innerhalb des gleichen
geologischen Zeitabschnitts geschah.
[* ]
^[Abb.: Fig. 2. Gletscherschliff auf der Küste von Argyllshire.]
[* ]
^[Abb.: Fig. 3. Gekritztes Geschiebe von der Grundmoräne eines Gletschers.]
In den wichtigsten Gebieten der frühern Vergletscherung sind die Grenzen, bis zu denen das Land von Eis
bedeckt war, ziemlich genau festgelegt, wenn auch über die Deutung
der Erscheinungen noch nicht volle Übereinstimmung herrscht.
Am intensivsten ist die ehemalige Vergletscherung der Alpen und des voralpinen Hochlandes durchforscht. In der Schweiz waren
es außer den weniger bedeutenden Arve- und Isèregletschern fünf mächtige Eisströme, die sich über
die Hochebene ergossen und teilweise bis in den Jura reichten.
Der alte Rhônegletscher hatte über 5000 qkm, ebenso der Rheingletscher, derjenige der Linth ca. 1000 qkm, der alte Aaregletscher
650, der Reußgletscher 1900 qkm Fläche. Die obern Grenzen der Gletscherspuren weisen ein Gefälle auf, das beim Reußgletscher
bis 40 m auf 1 km erreicht, beim Aaregletscher sogar bis auf 45 m steigt, die Dicke der Eisschicht betrug bei beiden stellenweise
fast 1000 m. Der Rheingletscher wurde durch den Schwäbischen Jura nach NO. abgelenkt und von demselben aufgestaut.
Die Moränenlandschaft der zweiten Vereisung, End- und Ufermoränen, zeigt mehrfache Ein- und Ausbuchtungen
und bleibt hinter der äußersten Grenze des Moränengebiets um 10-20 km zurück. Entsprechend der Abnahme des eiszeitlichen
Gletscherphänomens von W. nach O. steht der Salzachgletscher mit seinen Größenverhältnissen in der Mitte zwischen seinen
beiden Nachbarn, dem Inn- und Traungletscher. Die Ursache der Abnahme der eiszeitlichen Gletscherentfaltung, welche
ganz proportional der heutigen Entwickelung ist, liegt nicht nur in der Änderung der Höhenverhältnisse des Gebirges, sondern
auch in dem Kleinerwerden der Thalsysteme gegen O. Nördlich der alpinen Vergletscherung beherbergten von den deutschen Mittelgebirgen
der Schwarzwald und die Vogesen in ihren südlichen Thälern kleine Gletscher.
Skandinavien war zur Eiszeit ebenso wie heute noch Grönland unter Eis begraben. Nach W. durchkreuzte skandinavisches
Eis die Nordsee und lagerte norwegisches Gestein an der schottischen und englischen Ostküste ab. Am mächtigsten war aber die
Verbreitung nach S., wo die Eismassen die Ostsee überschritten und die norddeutsche Tiefebene bis an den Außenrand der deutschen
Mittelgebirge mit Geschiebe bedeckten. Die Südgrenze des skandinavischen Eises wird durch eine Linie bezeichnet,
welche sich von den Rheinmündungen an den Gehängen des rheinisch-westfälischen Schiefergebirges, Harzes, Thüringer Waldes,
Erz- und Riesengebirges entlang bis zum Nordabhang der Karpathen östlich von Krakau verfolgen läßt (s. die Karte). In Zentralrußland
verbreitete sich der skandinavische Gletscher bis Kiew am Dnjepr und Nishnij Nowgorod an der Wolga. Die vergletscherte
Fläche ist scharf und auf allen Seiten vom Ural getrennt. Im Ural und ganzen nördlichen
mehr
Sibirien hat es zur Eiszeit ebensowewig Gletscher gegeben wie heute, wo bis zu den nördlichsten Ausläufern nicht die geringsten
Spuren zu finden sind. Zwischen beiden Gebieten nahm der Timangletscher eine besondere Stellung ein. Die Gesteine, welche in
dem untern Geschiebemergel Norddeutschlands, der Grundmoräne der ersten Vereisung, liegen, gestatten einen Schluß auf
ihren Ursprungsort. Die kristallinischen und eruptiven Felsmassen führen auf das Festland von Skandinavien, die Basalte, welche
in der Mark und Mecklenburg gefunden werden, auf Schonen, wo allein Basalt anstehend bekannt ist, in Ost- und Westpreußen sind
vorherrschend Granite von Finnland und den Ålandsinseln, namentlich Rapakivi, verbreitet, welche weiter westlich
fehlen; die versteinerungsführenden paläozoischen Gesteine stammen sowohl von dem skandinavischen Festland als von den Inseln
Öland, Gotland, Ösel, Dagö.
Gletscherschliffe und -Schrammen auf anstehendem Fels sind gefunden bei Osnabrück (produktives Steinkohlengebirge), Belpke,
Gommern bei Magdeburg (Kulmsandstein), bei Halle und Landsberg auf Quarzporphyr, bei Taucha und Wurzen unweit Leipzig, bei Oschatz
und Lommatzsch auf Gneisgranit, bei Hermsdorf und Joachimsthal in der Mark (geschrammte Septarien im Septarienthon). Mehrfach
sind zwei verschiedene Schrammensysteme beobachtet, so bei Rüdersdorf bei Berlin, Belpke, Gommern und Landsberg (s. die Karte),
woraus man auf wiederholte Eisbedeckung mit verschiedener Bewegungsrichtung schließen darf.
Während der ersten Eiszeit breitete sich das von Skandinavien vorrückende Inlandeis fächerförmig im norddeutschen
Flachland aus; dementsprechend ist im Zentrum der Tiefebene die Richtung im allgemeinen NNW. bis SSO. (Rüdersdorf, Lommatzsch,
Leipzig) im W.: NNO. bis SSW. (Belpke, Osnabrück); bei der zweiten Eisinvasion war die Richtung eine ausgesprochen ost-westliche
(jüngeres Schrammensystem von Rüdersdorf und
Belpke). Wie in der Richtung, unterscheidet sich die zweite
Eisbedeckung auch in Bezug auf die Ausdehnung nach S. und die Mächtigkeit von der ersten.
Auf der Höhe der Insel Bornholm und auf dem Höhenzug Romeleklint in Schonen werden die Schrammen der ältern Richtung nicht von
denjenigen der jüngern gekreuzt, die Felsen ragten also wie heute die höchsten Berge auf Grönland als
»Nunatakers« aus dem Eismantel der zweiten Eiszeit heraus. Die Südgrenze
fällt mit einer Linie zusammen, welche vom Nordufer des Zuidersees die Ems an der Mündung der Hase kreuzt, an den Gehängen
der Weserberge vorbei nach O. über Braunschweig, Magdeburg, Würzen, Hoyerswerda, Görlitz, Haynau, Liegnitz,
Ohlau, Brieg, Oppeln nach Polen hinzieht, also im großen und ganzen in ziemlich gleicher Entfernung dem Südrand der ersten Vereisung
parallel verläuft.
Die große Eisdecke des nördlichen England bestand aus mehreren Gletschern, von denen jeder durch Seiten- und Endmoränen
begrenzt war. Die gemeinsame Endmoräne der vereinigten Gletscher bildet eine gekrümmte, 550 Meilen lange
Linie von der Mündung des Humber bis zur äußersten Ecke von Carnarvonshire. Der Gletscher der Irischen See, der mächtigste Englands,
kam von Schottland, stieß auf die Berge von Wales und teilte sich in zwei Zungen. Die Vergletscherung Irlands hatte zum Zentrum
eine große Binnendepression, die von einem Kranz von Gebirgen umgeben ist.
Von diesen kamen die ersten Gletscher, nach deren Vereinigung die Eismasse nach W., N., SO. strömte. In Nordamerika zieht
sich eine zusammenhängende Kette von mächtigen Moränen vom Kap Cod am Atlantischen Ozean durch Massachusetts, Long Island, New York
südlich vom Ontario- und Eriesee bis an den Ohio; der Michigan ist ganz von denselben umschlossen, die hier
in der Moräne des Green Bay-Gletschers (westlich vom Michigan) bis zu 235 m relativer Höhe ansteigen.
[* ]
^[Abb.: Fig. 4. Verbreitung der Landmoräne der eiszeitlichen
Gletscher in Nordamerika.]
mehr
Zwischen dem Missouri und North Red River streichen die Moränen durch Dakota nach NW. Viel weiter nach S. erstreckt sich aber
das Gebiet der Driftablagerungen (s. das umseitige Kärtchen,
[* ]
Fig. 4).
Es lassen sich drei charakteristische, durch Zusammensetzung und Anordnung des Materials verschiedene Ausbildungen unterscheiden,
nämlich eine typische Endmoräne, ein schmaler Streifen zerstreuten Geschiebes und eine breite Zone von
Gerölle, das, je weiter vom Rand entfernt, um so feiner und dünner wird.
Der Moränenrand herrscht im Gebiet der atlantischen Staaten vor, wo er das Driftmaterial ganz verdeckt, streicht dann aber
nordwestlich durch das Innere, während unter demselben das Geschiebe sich weit nach S. verschiebt. Eine
ganz besondere Stellung unter den Moränen nehmen die dem amerikanischen Kontinent allein eigentümlichen Interlobatemoränen
ein. Dieselben entstanden dadurch, daß zwei große Eiszungen sich einander so näherten, daß ihre Seitenmoränen verschmolzen.
Die Gebirge um die Depression der Hudsonbai scheinen die Hauptquelle für das Inlandeis gewesen zu sein.
Außerdem kam ein großer Eisstrom an der Westseite des Felsengebirges von Alaska nach Vancouver. In Grönland und Spitzbergen
müssen die Gletscher früher, wie alte Schliffe und Moränen beweisen, größer als jetzt gewesen sein, doch ist der Unterschied
verhältnismäßig gering; ein Gleiches gilt von der früher größern Ausdehnung der Gletscher auf Neuseeland
und von Südamerika.
Vergegenwärtigt man sich die Verbreitung der Gletscher der Eiszeit und vergleicht sie mit den heutigen Gletschern, so tritt die
Thatsache hervor, daß die ehemalige Vergletscherung nur eine dem Grad nach verstärkte Ausbildung der jetzigen war. Dabei darf
man aber nicht an eine allgemeine Eiskappe denken, welche über der ganzen arktischen Region lag und sich
radial nach S. vorschob; vielmehr entstand die Eisbedeckung wahrscheinlich sowohl in Skandinavien und England als in Nordamerika
aus lokalen Gletschern, deren Eismassen beim Vorrücken verschmolzen.
Die Eiszeit erscheint demnach als eine Periode, in welcher die Gletscher einen starken Vorstoß ausführten, als
eine klimatische Schwankung; der Unterschied von Eiszeit und Gegenwart in klimatischer Hinsicht ist mehr quantitativer
als qualitativer Art. Über den Charakter des Klimas, welches während der Eiszeit herrschte, haben aber die Untersuchungen der
quaternären Seen des westlichen Nordamerika einiges Licht verbreitet. Während eines Teils der Quartärzeit waren die jetzt
wüsten Strecken der Hochplateaus zwischen dem Felsengebirge und der Sierra Nevada, des sogen. Großen Beckens,
mit einem System von Seen bedeckt. Im nördlichen Teile lagen zwei große Wasserbecken, der Bonnevillesee im westlichen Utah,
der Lahontansee, eine zusammenhängende Gruppe von Thalseen, im westlichen Nevada.
Aus physikalischen, chemischen und biologischen Gründen läßt sich ein zweimaliges Ansteigen des Seespiegels
nachweisen, das durch eine Periode des Rückganges unterbrochen war. Wie das mehrere hundert Fuß tiefe Alluvium darthut, ging
eine trockne Periode mit geringem Niederschlag und starker Verdunstung bei hoher Temperatur voraus. Das erste Ansteigen der Seen
wurde durch mäßige Niederschläge bei niedriger Temperatur und schwacher Verdunstung veranlaßt, die weitere
Entwickelung der Seen wurde aber durch eine Zeit unterbrochen, in der die Wassermassen sich bedeutend verminderten.
Das zweite Ansteigen geschah mit Unterbrechungen bis zu noch größerer Höhe als das erste Mal. Den beiden Hochwasserzeiten
entsprechen
zwei Ablagerungen auf dem Seeboden, getrennt durch eine diskordante Schicht; die untern Schichten
sind dicker als die obern, die erste Hochflut also wohl von längerer Dauer. Im Monobecken wurden Moränen der Sierra Nevada
abgelagert, an denen die Terrassen des Sees deutlich ausgeprägt sind. Die Sierra Nevada hatte zwei Eiszeiten wie der Monosee
zwei Hochwasserperioden, die nicht nur gleichzeitig waren, sondern auch aus gleicher Ursache, nämlich
einem klimatischen Wechsel, herrühren: Eiszeit und Seeanschwellung fanden bei einem feuchten und kühlen Klima statt.
Die vorstehenden Betrachtungen legen es nahe, die Eiszeit als eine Periode der Erdentwickelung anzusehen, in welcher ein kühles
und feuchtes Klima in den mittlern und höhern Breiten der Nord- und Südhalbkugel herrschte. Die von A.
Penck entworfene Karte der Isochionen, d. h. der Linien gleicher Schneegrenzhöhe, veranschaulicht die klimatischen Verhältnisse
der Eiszeit recht deutlich. Die 1000 m-Isochione, welche heute an der Westküste Norwegens verläuft, erscheint südwärts in das
mittlere und südliche Deutschland verschoben; die 1400 m-Isochione, welche heute über Schweden angetroffen wird,
lag in der Eiszeit in der Nähe der Tátra.
Die Eiszeit stellt sich als eine Verschiebung der Klimengürtel dar. Die Ursache der Eiszeit muß man somit in den Veränderungen der
tellurischen Bedingungen des Klimas suchen; letztere stehen möglicherweise mit Vorgängen kosmischer Natur in Beziehung. Die
Bedingungen für eine über große Erdräume sich erstreckende Gletscherentwickelung hat A. Woeikof
untersucht, indem er von den gegenwärtig herrschenden klimatischen Verhältnissen ausgeht. In den Ozeanen der mittlern und
äquatorialen Breiten ist die Temperatur der Wassermasse durch Strömungen, welche aus der Tiefe der Polarmeere kommen, stark
erniedrigt, so daß in den Tropen das Wasser eine Temperatur von ca. 4° hat.
Die Meere der Nordhemisphäre sind im allgemeinen weniger tief und mehr von Land umgeben als in den entsprechenden südlichen
Breiten. Dieser Umstand und die große Masse süßen Wassers, das aus den Flüssen kommt, erklären die ausgedehnte Eisbildung
an ihrer Oberfläche und die lange Dauer des Eises. Die Schneedecke über dem Eise schützt noch das Wasser
gegen starke Abkühlung. Die Meere der hohen südlichen Breiten sind tiefer, ausgedehnter und den Wirkungen von Wind und Strömungen
ausgesetzt.
Der Mangel an Land in 50-70° südl. Br., ferner die Abwesenheit von Süßwasser, das Fehlen kalter Landwinde erklärt die relativ
geringe Menge von Eis. Die Meere der nördlichen Breiten tragen Eisfelder, die der südlichen dagegen Eisberge.
Selbst im Winter sind auf der südlichen Hemisphäre weite Strecken nicht durch Eis oder Schnee gegen Abkühlung geschützt. Der
Wärmeverlust bedingt Konvektionsströmungen, die das kalte Wasser in die Tiefe führen, horizontale Strömungen leiten dieses
Wasser auf dem Meeresboden zum Äquator.
Die Temperatur der Wassermasse liegt auf der südlichen Halbkugel nahe bei 0°. Die Verdunstung bei so niedriger Temperatur begünstigt
nun aber die Bildung von Schnee, von Firnfeldern und Gletschern, die ihrerseits wieder zur Abkühlung der Meere beitragen. Die
Meere der nördlichen Halbkugel verdunsten infolge der warmen Strömungen bei höherer Temperatur und liefern
Regen. Das Übergreifen des Südostpassats auf die Nordhemisphäre befördert in dem Atlantic und Pacific viel wärmeres Wasser
nach Norden. Dieser Umstand bedingt das Temperaturübergewicht der Nordhalbkugel über den äquatorialen
mehr
Teil der Südhalbkugel. Die notwendige Vorbedingung für eine große Gletscherentwickelung ist daher eine ausgedehnte Meeresfläche.
Und in der That deuten viele Beobachtungen darauf hin, daß die Verteilung von Land und Meer zur Eiszeit auf der Nordhalbkugel eine
andre war als gegenwärtig. Die Eiszeiten sind entstanden durch Veränderungen der Grenzlinien zwischen
Festland und Meer und durch die hiervon wieder abhängige Veränderung der Luft- und Meeresströmungen.
Eine Erklärung für die Änderung des Charakters der Jahreszeiten liefern möglicherweise die wechselnden Exzentrizitätsverhältnisse
der Erdbahn.
Vgl. Heim, Gletscherkunde (Stuttg. 1885);
Dames, Glazialbildungen der norddeutschen Tiefebene (Berl. 1886);
»Carte
du phénomène erratique au versant nord des Alpes« von A. Favre (Berner geolog. Kommission 1884, Begleitworte
dazu von A. Favre in »Archives des sciences phys. et nat.«, Bd. 12, Genf
1884);
Eiszeit Brückner, Vergletscherung des Salzachgebiets (Wien 1886).