Deutsches
Theater. [* 2] Wie im alten Griechenland [* 3] hatte auch das Theater des christl. Abendlandes seinen Ursprung in den dramat. Formen des Gottesdienstes. Die christl. Kirche richtete, ausgehend von dem liturgischen Wechselgesang der Engel mit den drei Marien am Grabe, zu dem später der Wettlauf der Apostel Petrus und Johannes hinzutrat, kurze dialogische Osterfeiern ein, welche die Priester in der Kirche aufführten; aus den Osterfeiern erwuchsen die Oster-, weiter die Passionsspiele; ähnlich entstanden die Weihnachts- und Dreikönigs- sowie die Fronleichnamsaufführungen, schließlich legendarische Stücke, alle ohne dramat. Konzentration Handlung an Handlung reihend.
Für diese Mysterien (s. d.), wie man sie nannte, wurde nun bei ihrer weitern Ausbildung, etwa seit dem 12. Jahrh., der Raum in der Kirche zu eng, während zugleich ihre lat. Sprache [* 4] den Laien das Verständnis erschwerte. Man schlug daher die Mysterienbühne auf Kirch- und Klosterhöfen, bald auch auf Straßen und Plätzen der Städte auf, und die lat. Sprache wurde nur noch für die Bibelworte, welche Christus, die Apostel, Engel, Heiligen und Gott Vater zu sprechen hatten, beibehalten.
Komische [* 1] Figuren, die natürlich von jeher deutsch sprachen, mischten sich früh unter dem Einfluß der vagierenden Kleriker diesen Kirchenspielen ein, so namentlich der in den Passionsspielen erscheinende Krämer oder Quacksalber mit Frau und Knecht (dem eigentlichen Lustigmacher) und burleske Teufelsgestalten. Das Personal dieser oft pomphaften Mysterienaufführungen wuchs zu Zeiten auf mehrere Hundert an; sie hatten auf der großen, primitiven, aber ganz bestimmt, fast landkartenmäßig eingeteilten Bühne alle ihre festen Spielstellen, deren Bedeutung nicht durch Dekorationen, sondern durch Inschriften, Banner und Ähnliches angedeutet war. Die Geistlichen, immer Verfasser der Spiele, behielten sich die Darstellung der heiligen Personen vor, die andern Rollen [* 5] wurden oft Laien in die Hände gelegt. So bekam dies geistliche Drama bis zum Beginn der Reformation eine nicht zu unterschätzende Ausbildung. ^[]
Neben diesen geistlichen Schauspielen entstanden andere, volkstümlich-komischer Gattung,die namentlich um die Fastnachtszeit im Schwange waren. Diese Fastnachtspiele, die teils auf letzten Nachwirkungen der röm. mimi, teils auf germanisch-heidn. Festaufzügen und Streitgesprächen beruhen mögen, kennen wir am besten aus Nürnberg [* 6] und Tirol. [* 7] Die komisch kostümierten Spieler zogen aus einem Wirtshaus ins andere, der Herold voran;
zuerst marschierten sie einfach in Charaktermasken auf und jeder sagte seinen Spruch;
später wurden ganze kleine Handlungen, namentlich Prozesse, Bauernhochzeiten, Arztscenen aufgeführt, all das im 15. Jahrh. sehr schmutzig und kunstlos;
ernstere allegorische oder gar polit.
Spiele sind selten, kommen aber doch vor. Die berühmtesten Fastnachtdichter Nürnbergs im 15. Jahrh. waren Hans Rosenblut und Hans Folz, in deren Art im 16. Jahrh. noch Peter Probst dichtete. Einen Umschwung bedeutete Hans Sachs; in seinen Fastnachtspielen ging der erste Keim individueller Menschen-, wirklicher Lebensdarstellung auf, ein Vorzug, den er auch über die enge Grenze des Fastnachtspiels hinaus auf das ganze Gebiet seiner geistlichen und profanen Dramendichtung übertrug. Lokalitäten, die eigens zur Aufführung von Bühnenstücken erbaut worden wären, kannte man vor dem 17. Jahrh. nicht. So wurden auch die weltlichen Komödien des Hans Sachs außer der Zeit des Gottesdienstes zu Nürnberg in Kirche oder Kloster gespielt; andere Spielorte waren Gastwirtschaften, im 17. Jahrh. namentlich Fecht-, Ball- und Tanzhäuser.
Der Gelehrtenstand beteiligte sich am Drama durch die Schulkomödien, die zu Ende des 15. Jahrh. zur Übung der lat. Sprache eingeführt wurden. Man wählte zunächst Stücke von Plautus und Terenz dazu, bildete ihnen aber bald neue nach, wobei Männer wie Reuchlin, Locher, Celtis u. a. (s. Deutsche Litteratur) [* 8] thätig waren. Die Reformation fand an den deutschen Fastnachtspielen, besonders aber am lat. und deutschen Schuldrama ein wertvolles Agitationsmittel; Luther selbst begünstigte Aufführungen biblischer Stücke. So gewinnen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. und schon früher diese Schulkomödien, besonders in Sachsen, [* 9] Thüringen, Schlesien, [* 10] weiteste Ausbreitung; mit Vorliebe behandelte man alttestamentliche Stoffe.
Studenten vereinigten sich an
Universitäten zu geschlossenen Korporationen für Schauspielaufführungen; besonders hoch stand
in Repertoire und Einrichtung das
Straßburger Akademietheater
(seit 1596), das z. B. Brülows gute lat.
Dramen agierte; Landgraf
Moritz von Hessen
[* 11] baute für die
Zöglinge seiner Ritterakademie das erste eigentliche
Theater, das
Ottoneum. Ebenso spielten die
Bürger der
Städte, zumal die Meistersänger in
Nürnberg,
Augsburg,
[* 12]
Straßburg,
[* 13] selbstgedichtete
Stücke. Das alte kirchliche Mysterium in seinem undramatisch epischen Zuschnitt hielt sich namentlich
in den kath. Alpenländern und im Elsaß in langwierigen, personenreichen
Spielen; sie sanken von den
Bürgern allmählich
zu den
Bauern herab, bei denen solche
Bauernspiele (s. d.) in
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abgeschlossenen Gegenden noch heute nicht ganz ausgestorben sind. Andererseits lebte das lat. kirchliche Drama in den Händen der Jesuiten; in den Sälen und Höfen der Jesuitenstifte, selbst wieder auf offener Straße (wie 1597 in München [* 15] zur Weihung der Michaelskirche) errichteten die frommen Väter ihre Bühnen, die sie mit allen blendenden Mitteln des Dekorations- und Maschinenwesens ausstatteten.
Es war natürlich, daß sich bei der ungemeinen Beliebtheit der Schauspiele im 16. Jahrh. aus dem ursprünglich allein herrschenden Dilettantentum Anfänge von Berufsschauspielerei entwickelten; wir wissen von einheimischen Wandertruppen, wie denn z. B. 1585 in Frankfurt [* 16] a. M. Nürnberger Bürger Hans Sachssche Stücke agierten. Aber das war doch meist Nebenbeschäftigung. Es bedeutete eine starke Umwandlung des deutschen Schauspiels, als berufsmäßige Englische Komödianten [* 17] (s. d.) nach Deutschland [* 18] herüberkamen.
Sie treten teils in Dienste [* 19] eines Hofs (zuerst 1586 beim Kurfürsten von Sachsen, seit 1594 namentlich bei Moritz von Hessen und Heinrich Julius von Braunschweig), [* 20] teils gehen sie auf eigene Rechnung wandernd von Stadt zu Stadt (zuerst 1591). Ihre Truppen umfassen 10‒25 Personen, keine Frauen. Die Hauptrolle spielt der Clown; der Schauspieler Sackville nannte sich John Bouset i. Posset = Milchrahm mit Wein), Spencer Hans von Stockfisch, Reynolds Pickelhäring u. s. w. Sie agierten anfangs in engl. Sprache, nur der Clown sprach früh deutsch; als sich bald deutsche Schauspieler unter sie mischten und sie durch längern Aufenthalt selbst des Deutschen mächtig wurden, gaben sie ihre Vorstellungen «in guter teutscher Sprache».
Die Darstellungsweise muß zwischen höfischer, graziöser Zierlichkeit und jener wilden, haarsträubenden engl. Manier, die Shakespeare im «Hamlet» geißelt, geschwankt haben. Die Bühne zerfiel in einen größern äußern und kleinern innern Schauplatz. Das Repertoire umfaßte histor. Dramen, Blut- und Schauerstücke, phantastische Lustspiele, Ballette, derbe Possen und Singspiele; sie gaben auch Shakespearesche Dramen, freilich sehr verderbt. Ihre Wirkung beruhte auf dem in Deutschland unerhörten dramat. Leben, auf den starken Situationseffekten ihrer Stücke und ihres Spiels. Bald fanden sie Nachahmung, so an Jak. Ayrer und vor allein an ihrem Gönner Heinrich Julius von Braunschweig. Welcher Art ihre Spiele waren, ist aus den 1620 erschienenen «Engl. Komödien und Tragödien» und dem 1630 veröffentlichten «Liebeskampf» zu ersehen: stilistisch untergeordnet, im theatralischen Aufbau roh, in den Possen derb, selbst gemein, aber durchweg höchst geschickt.
Die engl. Komödianten überdauerten noch den Dreißigjährigen Krieg. Inzwischen aber hatten deutsche Wandertruppen ihnen ihre Künste abgelernt und verdrängten sie. Auffallend ist die starke Beteiligung von «Studiosi», meist Theologen, die in den Kriegsunruhen das Vagabundenelend dem kaum gesichertern bürgerlichen Beruf vorzogen. Ein Magister Lassenius, der zuerst 1622 in Berlin [* 21] als Mitglied der Treuschen Truppe erschien, wurde sogar später wieder Geistlicher.
Doch hoben diese Elemente den Ton der Wandergesellschaften nicht, die lediglich brutal entstellte, in Blut und Greueln schwelgende Bearbeitungen ausländischer, namentlich span. und ital. Stücke und rohe Possen brachten. Die steif pomphaften Alexandrinerdramen von Gryphius, Lohenstein u. a. wurden höchstens auf Schulen und Universitäten aufgeführt und wollten in erster Reihe Lesedramen sein; das eigentliche Schuldrama fand durch den Zittauer Schulmann Christ. Weise (s. d.) noch nachträglich eine reichere Pflege in Prosadramen, in denen er sich den dramat. Anforderungen, die durch die Engländer im Publikum rege geworden waren, nicht entzog und auch der lustigen Person Platz gewährte.
Die Höfe und großen Städte hielten sich ital. und franz. Komödianten, bevorzugten aber namentlich die von Italien [* 22] eingeführte antikisierende Oper, das idyllische Schäferspiel, das allegorische Ballett und Festspiel; diese Dinge bildeten bald einen unentbehrlichen Bestandteil der Hoffestlichkeiten. Schon Opitz verfaßte eine Oper, die Dramen des Nürnbergers Klaj sind ganz opernhaft angelegt, und Rist hat in trefflichen allegorisch-patriotischen Festspielen (1647 und 1648 durch die Gärtnersche Truppe in Hamburg [* 23] aufgeführt) «das friedewünschende» und «das friedejauchzende Deutschland» dargestellt. So wenig diese auf musikalische und scenische Wirkungen ausgehende Richtung dem deutschen Schauspiel unmittelbar nutzte, so war sie ihm doch mittelbar förderlich dadurch, daß auf dekorative und Kostüm-Ausstattung mehr geachtet wurde (die Hamburger Oper zumal trieb unerhörten Luxus), daß eigene Theater erbaut (1641 in Ulm, [* 24] 1667 in Dresden, [* 25] 1678 ein berühmtes Opernhaus in Hamburg), endlich daß die Frauenrollen jetzt wirklich von Frauen dargestellt wurden. ^[]
Das deutsche Volksschauspiel, das dank der Ungunst der Gebildeten bis in die Hände der «Springer», Seiltänzer und Feuerfresser herabsank, wie denn der «starke Mann» Karl von Eckenberg (s. d.) noch bis 1741 die Berliner [* 26] deutsche Bühne beherrschte, fand eine erste bleibende Stätte, als der Magister Velten (1640‒92),
seit 1678 Chef der «berühmten Bande», 1684 in
Dresden als Leiter der «kursächs. Komödiengesellschaft» bei Hofe angestellt wurde. Er hat das Verdienst, das franz. Drama,
namentlich Molière, stärker als vorher in das Repertoire aufgenommen zu haben. Die Trennung der früher eng verschlungenen
ernsten «Hauptaktion» und komischen Nebenhandlung bahnte sich seit etwa 1690 dadurch
an, daß die extemporierten Clownspäße immer mehr Selbständigkeit bekamen. Diese wurde am größten
in Wien,
[* 27] wo man längst an den Arlecchinaden ital. Banden (seit 1670) sich erbaut hatte und wo der Schlesier Ant. Jos. Stranitzky
(gest. 1727), der 1708 im Kärntnerthortheater
das erste stehende Volkstheater gründete, die typische
[* 14]
Figur des
Salzburger Bauern «Hanswurst» für sich zurecht und in seinen Stegreifkomödien
höchst populär machte. In seine Fußstapfen trat Prehauser (gest. 1769). Jos.
Kurz (gest. 1784) schuf die Gestalt des Tölpels Bernardon, und so dauerte der Wiener Hanswurst unverwüstlich, wenn auch in
wechselnden Masken,
[* 28] als Jackerl, Leopoldl, Lipperl, Thaddädl u. s. w. fort bis
zum Kasperle des Schauspielers Laroche (gest. 1807) und zu dem von Bäuerle erfundenen Staberl des genialen Wiener Komikers Ignaz
Schuster. Lebt er doch im Kasper unsers Marionettentheaters
noch heutigentags allenthalben.
Als Gottsched dem Deutsches Theater
seine Aufmerksamkeit zuwandte, fand er einerseits die schwülstigen, pomphaft überladenen Haupt-
und Staatsaktionen, die Lohenstein an Ungeschmack und Formlosigkeit weit überboten, andererseits die «unregelmäßigen»
extemporierten Hanswurststücke vor. Beides war ihm ein Greuel. Er wollte regelmäßige
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Dramen im franz. und antikisierenden Geschmack einführen. Eine wertvolle Verbündete fand er dabei an der tüchtigen Karoline Neuberin (1697‒1760), deren Truppe ihren Stammbaum über die Banden Hoffmanns, Haakes und Elensohns bis auf Velten zurückführte und in Kohlhardt, Suppig u. a. treffliche Acteure besaß.
Wenngleich die Neuberin der improvisierten Stücke noch nicht ganz entbehren konnte, so verbannte sie doch, auf Gottscheds Anraten, die typische Maske des Possenreißers und seine privilegierte Entartung 1737 auf ^[korrekt: aus] ihrem Leipziger Theater in einem von ihr gedichteten Gelegenheitsspiel öffentlich von der Bühne. Ihr Beispiel bewirkte, wenigstens für Norddeutschland, daß hinfort fast nur aufgeschriebene Stücke aufgeführt wurden und daß der Harlekin, dessen sich Lessing und Just.
Möser annahmen, wenigstens dem Namen nach verschwand, nicht in seinem Wesen, das auf die ständigen komischen Bedienten- und Soubrettenrollen (Johann, Lisette) überging. Viel zäher schützte Wien seinen Liebling, der ebenso in der Zauber- und Maschinenkomödie wie in der Liederposse unentbehrlich war. Der erste Versuch, der 1747 mit einem regelmäßigen Stück gemacht wurde, entzündete einen heftigen Widerstreit der Stegreifspieler gegen diese Neuerung, der 23 Jahre lang, an ein und derselben Bühne, mit allen Waffen [* 30] der Erfindungskraft und der Intrigue geführt wurde, bis Maria Theresia sich des regelmäßigen Geschmacks mit Entschiedenheit annahm, Jos. von Sonnenfels leitenden Einfluß gewann und die Improvisation durch die von ihm gehandhabte Censur auch vom Wiener Theater verbannt wurde.
In Norddeutschland hatte indes die einseitige Nachahmung der franz. Kunst bei der Schönemannschen und Kochschen Truppe fortgewirkt, während Schuch den ältern Geschmack noch nicht aufgab und in Leipzig [* 31] selbst Weißes [* 32] komische Opern stärker waren als Gottscheds Einfluß. Die Schwäche der Gottschedschen Reform lag in dem Mangel deutscher Originalstücke. Das besserte sich etwa seit Lessings «Miß Sara Sampson» (1756); wie hier durch ein praktisches Beispiel, führte der große Kritiker auch theoretisch von dem konventionellen Pathos der franz. Alexandrinerstücke ab und lenkte die Aufmerksamkeit auf die rührende Komödie der Franzosen, namentlich aber auf das Drama der Engländer.
Auch auf die gesunde natürliche Entwicklung der Schauspielkunst wirkte er nach Kräften hin; mit dem Theater stand er sein Leben lang in nächster Fühlung. Dieses hob sich sichtlich. Die Gesellschaften Kochs, Ackermanns, Seylers, Döbbelins, Schröders wechselten zwar noch oft den Spielort, doch blieb z.B. Döbbelin von 1775 bis 1787 fest in Berlin. Große schauspielerische Talente, wie die Heroinen Frau Hensel-Seyler, die Liebhaberinnen Frau Starke und Frau Brandes, der Komiker Brückner tauchten auf und wurden gesucht. 1767 versuchte ein Konsortium, in Hamburg ein Deutsches Nationaltheater (s. d.) zu gründen, und gewann Lessing zum Dramaturgen; an dieser Bühne trat der große Schauspieler Konr. Ekhof (1720‒78) auf, «der Vater der deutschen Schauspielkunst», der den Kothurn des alten franz. Stils ganz in Lessings Sinne zu Gunsten echter und doch künstlerischer Natürlichkeit abstreifte und dadurch epochemachend wirkte.
Das «Nationaltheater»
ging ein, in Lessings «Hamburger Dramaturgie» eine wertvolle Frucht hinterlassend;
aber auch noch unter, Friedr. Ludw.
Schröder (1744‒1816),
dem trefflichen Mimen und Bühnendichter, der die Hamburger Bühne 1771‒80 leitete, besaß diese
an den Helden Brockmann und Reinecke, an Borchers und Christ, an den Schwestern Ackermann Kräfte hohen Ranges. Schröder erwarb
sich das bleibende Verdienst, Shakespeare auf der deutschen Bühne heimisch gemacht zu haben; aber auch
Goethes «Götz» führte er auf, und ein von ihm ausgeschriebener Preis
wurde Klingers «Zwillingen» zu teil. Sein Auftreten auf dem Wiener Burgtheater (1781‒85) half auch dort die ältere, unwahr
gespreizte und übertriebene Art des Spiels beseitigen. In gleichem Sinne war Ekhof, der inzwischen Mitglied
der Seylerschen Truppe gewesen war, an dem 1775 gegründeten Hoftheater
zu Gotha
[* 33] thätig, dessen Direktion er bis zu seinem
Tode führte. ^[]
Um diese Zeit vollzog sich eine große Veränderung der Theater
verhältnisse. Bis dahin waren es Schauspielerprinzipale, die
alten Komödiantenmeister, selten andere Privatunternehmer, unter ihnen auch Kavaliere, wie in Wien und
München, die an der Spitze der Theater
unternehmungen standen; von jetzt an begannen die Fürsten ital. Oper und franz. Komödie
abzuschaffen und deutsche Theater
in ihrem unmittelbaren Schutze zu unterhalten. Diese Veränderung wirkte um so vorteilhafter,
als die Kunst dadurch vom Erwerb unabhängig gemacht wurde, ohne doch der kunstverständigen Leitung
entzogen zu sein.
Kaiser Joseph Ⅱ., der 1776 das Wiener Schauspiel übernahm und ihm den Titel eines Nationaltheaters mit der musterhaften Bestimmung gab, es solle nur zur Verbreitung des guten Geschmacks und zur Veredelung der Sitten wirken, machte die Einsetzung der künstlerischen Vorstände von der Wahl der Theatermitglieder abhängig, sodaß bald ein Ausschuß von Schauspielern, bald einzelne, wie Stephanie, dann Brockmann, die Direktion führten. Dalberg, der 1779 in Mannheim [* 34] ein kurfürstl. Nationaltheater gründete, adoptierte die Josephinische Organisation, und diese junge Bühne, der die besten Talente des bald nach Ekhofs Tode wieder aufgelösten Gothaer Hoftheaters, unter ihnen Beil, Iffland, Beck, beitraten, wurde zur Stätte einer neuen schauspielerischen Schule, als deren Haupt Iffland zu betrachten ist.
Dieser Aufschwung der Bühne geht mit dem Aufschwung der dramat. Dichtung Hand [* 35] in Hand. Goethes «Götz von Berlichingen» gab der durch Shakespeare genährten Richtung auf Natürlichkeit einen solchen Nachdruck, daß dadurch bei den Aufführungen in Hamburg und Berlin 1773 eine Reform des Theaterapparats, besonders des Kostüms, zu Gunsten der histor. Treue herbeigeführt wurde. Die Mannheimer Bühne bahnte dem jungen Schiller durch die Aufführung seiner Jugenddramen 1781‒84 den Weg in die Öffentlichkeit.
Während Goethes «Götz» und Schillers «Räuber» ein langes Gefolge von Ritter- und Räuberstücken nach sich zogen, als deren Verfasser u.a. Törring, Babo und Maier hervortreten, wurde das bürgerliche Drama, nach Lessings Vorbild, besonders von den Schauspielern Iffland, Schröder, Großmann, Brandes, in zweiter Linie von Gotter, Gemmingen und Bretzner kultiviert; ergiebiger als je war die dichterische Produktion. Blieben diese meist platt alltäglichen bürgerlichen Schau- und Lustspiele an poet. Wert weit hinter Lessings «Minna» zurück, so fehlte es ihnen selten an Bühnenwirksamkeit und Routine. Alle frühern Poeten dieser Art überbot in der Gunst ¶