Demokratie
(griech.,
»Volksherrschaft«) bezeichnet sowohl eine Staatsform als eine politische
Partei und Parteirichtung,
wie denn auch die
Ausdrücke
Demokrat (Angehöriger der Demokratie
) und demokratisch (die Demokratie
betreffend,
auf die Demokratie
bezüglich) in dieser zweifachen Bedeutung gebraucht werden. Das
Wesen der demokratischen Staatsbeherrschungsform
besteht darin, daß die
Staatsgewalt verfassungsmäßig der Gesamtheit der Staatsangehörigen zusteht. Die Demokratie
als Staatsform
findet sich zuerst in
Griechenland,
[* 2] wo sie die Herrschaft des
Demos, d. h. die den freien Vollbürgern zustehende
Staats- und
Regierungsgewalt, bedeutete.
Hat man dagegen das demokratische
Streben (Demokratismus) im
Auge,
[* 3] so versteht man unter Demokratie
diejenige Parteirichtung oder die
Angehörigen derjenigen
Partei, welche dem Volkswillen in der
Gesetzgebung und in der
Verwaltung des
Staats eine entscheidende
Bedeutung eingeräumt wissen will. Es ist dabei keineswegs notwendig, daß solche Parteibestrebungen die Staatsform
der Demokratie
zum Endziel haben; sie können vielmehr auch in dem
Rahmen der
Monarchie sich geltend machen.
Was die Demokratie
als Staatsform anbetrifft, so ist die Dreiteilung der Staatsbeherrschungsformen in
Monarchie, Demokratie
und
Aristokratie
auf
Aristoteles zurückzuführen. Eigentlich gehört dazu auch noch die
Theokratie, d. h. die im
Altertum bei den
Israeliten bestehende Staatsbeherrschungsform, bei welcher die
Gottheit selbst als das Oberhaupt des
Staats, welches durch
die
Priester herrschte, aufgefaßt wurde; eine
Idee, an die sich auch in den mohammedanischen
Staaten gewisse Anklänge vorfinden.
Jene Dreiteilung wird aber von vielen dadurch beseitigt, daß sie die Staatsverfassungsformen auf nur zwei
Kategorien zurückführen,
je nachdem sich die
Staatsgewalt in der
Hand
[* 4] eines Einzelnen oder einer Mehrheit von
Personen befindet. In der
Monarchie erscheint
nämlich ein Einzelner als Regierender, während alle übrigen Staatsangehörigen Regierte sind. In der
Republik, unter welcher
Bezeichnung Demokratie
und
Aristokratie zusammengefaßt werden, ist das
Volk oder doch eine bevorzugte
Klasse desselben
der Regierende, die Einzelnen als solche sind die Regierten.
Die
Monarchie bedeutet die Fürstensouveränität, die
Republik die
Volkssouveränität. In der demokratischen
Republik
besteht
vollständige
Gleichheit und Gleichberechtigung aller Staatsangehörigen, deren Gesamtheit die regierende Macht im
Staate darstellt,
welcher die Einzelnen als solche unterworfen sind. In der
Aristokratie dagegen wird diese Herrschaft durch
einen bevorzugten
Stand oder eine bevorzugte
Klasse der Staatsangehörigen ausgeübt, und die
Angehörigen dieser
Klasse, welche
das
Volk repräsentieren, stellen sich in ihrer Gesamtheit als die Regierenden dar, während sie in ihrer Einzelstellung
ebenfalls als Regierte erscheinen. Im Zusammenhang mit jener Dreiteilung des
Aristoteles, welche sich übrigens
auch in den
Schriften
Ciceros findet, pflegt man als deren Ausschreitungen und zwar als diejenige der
Alleinherrschaft die Tyrannis
oder Despotie (Willkürherrschaft), als die
Ausartung der
Aristokratie die
Oligarchie, d. h. die Herrschaft einiger besonders
reicher oder vornehmer
Personen, und als Ausschreitung der Demokratie
endlich die
Ochlokratie, die Herrschaft der rohen
Masse des
Pöbels, zu bezeichnen.
Die Demokratie
insbesondere ist entweder eine unmittelbare, auch autokratische genannt, oder eine mittelbare, repräsentative.
In jener regiert das
Volk nicht bloß durch die
Männer seiner
Wahl, sondern es übt die wichtigsten
Rechte der staatlichen
Machtvollkommenheit
unmittelbar selbst aus, während in dieser das
Volk nur indirekt durch die von ihm gewählten Vertreter
herrscht. Dabei liegt es aber in der
Natur der
Sache, daß die unmittelbare Demokratie
nur in einem kleinen Staatsgebiet möglich ist,
wie sich denn dieselbe heutzutage nur noch in einigen kleinen
Schweizer
Kantonen findet.
Anders im
Altertum, welchem unser heutiges
Repräsentativsystem, dessen
Ausbildung das große
Verdienst der
englischen
Nation ist, völlig fremd war. Die
alte Welt kannte nur die unmittelbare Demokratie
, weshalb die letztere auch von manchen
Publizisten und namentlich von
Bluntschli die antike, die repräsentative dagegen die moderne Demokratie
genannt wird. Wie der spartanische
Staat und die altrömische
Republik das
Muster einer
Aristokratie, so war
Athen
[* 5] das
Muster dieser unmittelbaren
oder antiken Demokratie.
Die Volksbeschlüsse waren hier für das gesamte Staatsleben maßgebend, und die völlige
Gleichstellung aller freien Staatsgenossen ging in
Athen so weit, daß bei der
Wahl der Beamten des
Freistaats nicht die persönliche
Tüchtigkeit, sondern das blinde
Los entschied, und daß man völlig unbescholtene, ja um das Vaterland
hochverdiente
Männer, deren Übergewicht gefürchtet ward, dem
Grundsatz der allgemeinen
Gleichheit opferte und durch geheime
Abstimmung, den
Ostrazismus, verbannte. In dieser völligen Gleichstellung aller
Bürger lag aber auch der
Keim zu dem
Verfall
Athens, denn die
Erfahrung hat gezeigt, daß die schrankenlose Gleichberechtigung aller leicht zu einem
verderblichen Dünkel und zu einer verhängnisvollen Selbstüberhebung und Überschätzung der
Massen führt, daß die Herrschaft
der vielköpfigen und veränderlichen
Menge regelmäßig zu politischen Schwankungen und zur
Bildung entgegengesetzter
Parteien,
schließlich aber zur Gewaltherrschaft einzelner ehrgeiziger
Männer, zur Despotie, führt.
Daher konnte
Polybios es mit
Recht
als das
Naturgesetz der
Staaten bezeichnen, daß auf die Demokratie
die Despotie folge, und die moderne Geschichte
Frankreichs zeigt uns, daß dieser
Satz nicht bloß für das
Altertum zutreffend war. Für die repräsentative Demokratie
, wie sie uns
gegenwärtig in den meisten
Schweizer
Kantonen und nun auch in
Frankreich, vor allem aber in den
Vereinigten Staaten
[* 6] Nordamerikas
¶
mehr
entgegentritt, liegt jene Gefahr weniger nahe. Hier herrscht das Volk nur mittelbar durch die von ihm periodisch gewählten Vertreter, zu denen die tüchtigsten Kräfte und die Besten aus dem Volk herangezogen werden sollen, so daß man die repräsentative Demokratie nicht mit Unrecht eine Wahlaristokratie genannt hat. Wird es dann zur Wahrheit, daß die Tugend, nach Montesquieu das Prinzip der Demokratie, das bestimmende Moment für das politische Leben des Volkes und seiner Vertreter wird, dann kann sich der Staat auf der breiten Basis der Gleichheit aller Staatsbürger zu jener hohen Blüte [* 8] und die Vaterlandsliebe der Staatsgenossen zu jener großartigen Opferfreudigkeit erheben, wie sie sich in der nordamerikanischen Union gezeigt hat.
Allerdings ist nicht zu verkennen, daß in dem europäischen Staatsleben das monarchische Prinzip zu fest gewurzelt zu sein scheint, als daß die Demokratie hier auf die Dauer Boden gewinnen könnte, wenn man auch nicht so weit gehen will wie Dahlmann, der es als »Unsinn und Frevel« bezeichnete, wollte man unsern von monarchischen Ordnungen durchdrungenen Weltteil in Republiken des Altertums umwandeln. Zudem haben wir in der konstitutionellen Monarchie diejenige Staatsform gefunden, welche unbeschadet des monarchischen Prinzips auch dem Volk seinen Anteil an der Staatsverwaltung und an der Gesetzgebung sichert.
Dem aristokratischen Prinzip dagegen ist die moderne Zeitrichtung nicht günstig, während demokratische Grundsätze in unserm Staatsleben mehr und mehr zur Geltung gelangt sind. Dahin gehören insbesondere die Rechtsprechung in Strafsachen durch Volksgenossen, die Selbstverwaltung der Gemeinden, die Mitwirkung des Volkes durch seine Vertreter bei der Gesetzgebung und im Deutschen Reich wie in einzelnen deutschen Staaten neuerdings auch das allgemeine Stimmrecht.
Die konstitutionelle Monarchie selbst charakterisiert sich als eine Verbindung des monarchischen und des demokratischen Prinzips, indem sie der Volksvertretung das Steuerbewilligungsrecht, das Recht der Kontrolle der Staatsfinanzverwaltung und damit der Verwaltung überhaupt und vor allen Dingen das Recht der Mitwirkung bei der Gesetzgebung einräumt. Der Volkswille kommt hier durch die Volksvertreter in bestimmender Weise zur Geltung. Die Souveränität aber bleibt dem Monarchen. Sie findet in der Unverantwortlichkeit desselben ihren Ausdruck; aber seine Anordnungen auf dem Gebiet der Staatsverwaltung und der Gesetzgebung bedürfen der Gegenzeichnung des Ministers, welcher die Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung zu übernehmen hat. Man hat daher die konstitutionelle Monarchie auch wohl eine demokratische Monarchie genannt und von demokratisch-konstitutionellen Monarchien gesprochen.
Freilich ist der Umstand, daß man seit langer Zeit gewöhnt ist, den Ausdruck Demokratie als die Bezeichnung einer Staatsform zu gebrauchen, geeignet, über das Wesen der Demokratie als politischer Parteirichtung Mißverständnisse aufkommen zu lassen. Man denkt sich die demokratische Partei schlechthin mit dem Endziel einer Republik, einer Demokratie als Staatsform, während sich in den letzten Jahrzehnten nicht wenige Politiker als Demokraten bezeichneten, welche an dem monarchischen Prinzip festhielten.
Auch jetzt nennen sich z. B. die Angehörigen der süddeutschen Volkspartei Demokraten, ohne damit die Beseitigung der Monarchie als ihr Endziel bezeichnen zu wollen. Auch in Preußen [* 9] haben neuerdings Liberale die Parteibezeichnung der Demokratie wieder aufgenommen (Philipps, Lenzmann u. a.), ohne etwa die Monarchie abschaffen zu wollen, wie denn auch 1848 der Führer der preußischen Demokraten, Benedikt Waldeck, [* 10] die konstitutionelle Monarchie als sein Ziel bezeichnete.
Waldeck formulierte die damaligen Forderungen der Demokratie folgendermaßen: »Wir Demokraten wollen das Urwählerrecht, Selfgovernment, Gleichheit der Besteuerung und gleiche Rechte vor dem Gesetz«. Jener Umstand, daß man unter Demokratie als politische Partei diejenige versteht, welche den Schwerpunkt [* 11] in die Verwirklichung des Volkswillens auf dem Gebiet der Gesetzgebung und der Verwaltung des Staats gelegt wissen will, macht es auch erklärlich, daß man selbst in einer demokratischen Republik, also in einem Staat, in welchem die Demokratie als Staatsform zu Recht besteht, gleichwohl von einer besondern Partei der Demokratie sprechen kann. So stehen sich in den Vereinigten Staaten von Nordamerika [* 12] die beiden großen Parteien der Demokraten und der Republikaner gegenüber.
Allerdings wollen die Gegner derjenigen, welche demokratische Prinzipien vertreten, diesen vielfach nicht zugestehen, daß ihre Bestrebungen mit dem monarchischen Prinzip verträglich seien, und man behauptet nicht selten, daß die demokratische Parteirichtung zur Demokratie als Staatsform führen müsse. Die bloße Parteibezeichnung Demokratie schließt dies indessen, wie gesagt, keineswegs in sich, ebensowenig, wie die Bezeichnung »Aristokratie« für die mehr konservativen Elemente der Nation und für alle diejenigen, welche im öffentlichen Leben eine bevorzugte Stellung einnehmen oder doch einnehmen wollen, die Annahme begründen könnte, daß es sich auf seiten der Angehörigen einer Aristokratie in diesem Sinn um das Streben nach einer aristokratischen Staatsform handle.
Anders liegt die Sache allerdings bei der Sozialdemokratie, welche die Errichtung eines freien Volksstaats, also einer Republik, mit sozialer Gleichstellung aller Volksgenossen anstrebt (s. Sozialdemokratie). Daher liegt die Frage nahe, ob es sich nicht empfehlen möchte, die Parteibezeichnung Demokratie für diejenigen, welche an der Monarchie festhalten, ganz fallen zu lassen, da sie nur zu leicht zu Mißverständnissen Veranlassung geben kann.
Vgl. außer den Lehrbüchern des Staatsrechts und der Politik: Zöpfl, Die Demokratie in Deutschland [* 13] (2. Aufl., Stuttg. 1853);
Schvarčz, Die Demokratie (Leipz. 1877 ff., Bd. 1);
Derselbe, Elemente der Politik (Pest 1880 ff.);
May, Democracy in Europe (Lond. 1877, 2 Bde.).