Das
neue
Athen (neugrch. Athinai), nördlich und östlich von der
Akropolis
[* 2] über die Grenzen
[* 3] des alten Stadtgebietes
hinausreichend, ist königl. Residenz und Hauptstadt (Wappen
[* 4] s. Abbildung)
des Königreichs
Griechenland,
[* 5] des Nomos
Attika und
Böotien und der Eparchie
Attika, liegt unter 37° 58’ nördl.
Br. und 23"
42’ östl. L. in 80–100 m Höhe und hat eine mittlere Jahrestemperatur
von 17,3° C. (Januar 8,2°, Juli 27,0°) und eine jährliche Regenmenge von 408
mm. Die Umgebung ist steinig, dürr und baumlos,
mit Ausnahme des alten Olivenwaldes am
Kephisos im Westen der Stadt, erhält aber durch den
Hymettos, Pentelikon und
Parnes
einen reizvollen Hintergrund. Der
Boden der Ebene besteht aus
Thonschiefer, die Hügel aus Kalkstein der
Kreideformation.
[* 6]
Größe und Bevölkerung. [* 7] Die Stadt hatte 1836: 14092, 1870: 44510, 1879: 66834 E. Die Volkszählung von 1889 ergab 107251 E. (59311 männl., 47940 weibl.), mit Einschluß der zur Stadtgemeinde gehörigen Nachbardörfer 114355 E.
Äußere
Anlage,
Gebäude,
Denkmäler. Das
Wahrzeichen
A.s ist noch immer der steile Felsklotz der
Akropolis
mit seiner schimmernden Marmorpracht, die, gänzlich von mittelalterlichen Zubauten gereinigt, jetzt zu voller Wirkung gelangt.
An den nördl. und östl. Abhängen des Burgfelsens liegt der noch
aus der Türkenzeit stammende ärmliche Stadtteil Plaka, wo man mitunter noch die albanes.
Sprache
[* 8] hört;
nördlich davon dehnt sich zunächst die innere Stadt mit engen, winkligen Gassen und mit dem geräuschvollen
Bazar aus.
Dieselbe wird von zwei rechtwinklig sich kreuzenden Hauptgeschäftsstraßen durchschnitten, der Äolosstraße nach N. führend,
die sich in die schöne Patissiastraße fortsetzt, und der Hermesstraße nach O. führend, bis zu dem großen «Verfassungsplatz»,
an dessen Ostseite sich das
1834–38 nach
Plänen des
Münchener
Architekten Gärtner aus pentelischem Marmor und Kalkstein
errichtete königl. Palais erhebt. Hinter diesem der einzige schöne
Park
A.s, dessen
Anlage (vom deutschen Hofgärtner Schmidt)
und Pflege der Königin
Amalie zu verdanken ist.
An diese innere Stadt schließt sich im Halbkreis die Neapolis an, die vornehme Neustadt, [* 9] die sich nach O. an den Abhängen des Felshügels Lykabettos, nach N. in die Ebene gegen den Villenort Patissia hin ausdehnt, mit breiten, regelmäßigen, ungepflasterten Straßen und stattlichen öffentlichen und Privatgebäuden aus Marmor. Die prächtigste Straße ist die belebte Stadionstraße, die vom Verfassungsplatz nach dem am Nordende der innern Stadt gelegenen Eintrachtsplatz führt, mit dem Parlamentsgebäude.
Weiter außerhalb umzieht ein breiter, baumbepflanzter Boulevard die ganze Stadt, mit dem schönen Schliemannschen Hause aus Marmor, der Akademie der Wissenschaften, einem glänzenden, von Hansen entworfenen, auf Kosten des Barons Sina aufgeführten Bau, in altgriech. Stil mit ion. Säulenhallen (bisher nur als Münzkabinett benutzt), und der Universität mit ion. Säulenhalle und Farbenschmuck, 1837 aus freiwilligen Beiträgen vom ältern Hansen aus Kopenhagen [* 10] erbaut und mit den Marmorstatuen des von Janitscharen ermordeten Patriarchen Gregorios, des Freiheitsdichters Rhigas und des Philologen Korais vor dem Eingange.
Andere
Gebäude sind: das neue
Theater
[* 11] in der innern Stadt (gegründet von Syngros);
das
Ausstellungsgebäude,
[* 12] dem Zeustempel gegenüber, auf Kosten der Vettern Zappas erbaut;
das
Polytechnikum, nach
Plänen von Lysandros Kaftanzoglou
und auf Kosten von Sturnara, Tositza und Averos aus Metzovon in
Epirus
in dor. und ion.
Stile errichtet;
das
Centralmuseum der
Altertümer an der Patissiastraße;
die Sternwarte [* 13] auf dem Nymphenhügel, eine Gründung des Barons Sina;
ein im Bau begriffenes Bibliotheksgebäude, gestiftet von Rhodotanakis.
Von den zahlreichen Kirchen der Stadt ist die größte die Metropolitankirche; sehenswert ist auch die röm.-kath. Dionysiuskirche mit reichem Marmorschmuck im Innern.
Verwaltung. Die Stadt wird verwaltet von einem auf 4 Jahre vom Volke in direkter geheimer Abstimmung gewählten Bürgermeister (Demarchos) und einem Gemeinderat (18 Mitglieder). Die Gemeinde umfaßt auch die umliegenden Ortschaften (Patissia, Kephissia, Amarusion, Chalandrion, Kolokythu, Nea-Liosia, Sepolia) und 22 Dörfchen sowie 2 Klöster mit zusammen (1889) 7104 E. Es besteht eine Berufsfeuerwehr, je eine Anstalt für Gas- und elektrische Beleuchtung. [* 14] Zur Abhilfe des Wassermangels wurde die alte Wasserleitung [* 15] des Hadrian gereinigt und in Benutzung genommen, ohne jedoch dem Bedarf völlig genügen zu können.
Behörden. A. ist Residenz des Königs, Sitz der Ministerien, des Parlaments, des obersten Gerichtshofs (Areopag) des Königreichs, eines Appell-, eines Rechnungshofs und anderer Centralbehörden, der Heiligen Synode (der obersten Kirchenbehörde) und eines Metropoliten, eines Armeekommandos, der Gesandten und Konsuln der meisten Staaten.
Schul- und Bildungswesen. A. verdankt seine Bedeutung einzig und allein seiner Eigenschaft als polit. und geistiger Mittelpunkt Griechenlands. An der Spitze der Bildungsinstitute steht die National-Universität (1837 gegründet) mit (1894 95) 143 Docenten und 3013 Studenten sowie verschiedenen Instituten und Sammlungen. Die Nationalbibliothek zählt 185000 Bände. Weiter befinden sich hier eine technische Hochschule, 5 Gymnasien mit (1894) 1213 Schülern, 7 hellenische Schulen mit (1894) 880 Schülern, 56 Volksschulen mit (1894) 6723 Schülern und Schülerinnen, ein Lehrerseminar, ein Konservatorium, eine Straßenkinderabendschule, eine Bildungsschule für Theologen (Rhizarische Schule), ferner eine höhere Töchterschule (Arsakion).
Auch mehrere Wohlthätigkeitsanstalten (zwei Waisenhäuser, ein Findelhaus, ein Armenasyl, ein Asyl für arme Frauen, vier Hospitäler u. s. w.) sowie verschiedene wissenschaftliche, litterarische, Turn- und Musikvereine, davon viele mit eigenen Gebäuden, besitzt die Stadt. Die beweglichen Altertümer sind teils in einem Museum auf der Akropolis und an andern Orten, teils und zumeist in dem großen Centralmuseum an der Patissiastraße untergebracht. Für die Erforschung der Altertümer sorgt eine archäol. Gesellschaft. Deutschland [* 16] (seit 1874), ¶
mehr
Frankreich, England und die Vereinigten Staaten [* 18] unterhalten in A. archäol. Institute, in denen jungen Gelehrten Gelegenheit zu wissenschaftlichen Arbeiten gegeben wird. Die Historisch-ethnologische und die Christliche Gesellschaft besitzen jede ein eigenes Museum. - Von der männlichen Bevölkerung A.s waren (1879) 34 Proz., von der weiblichen 58 Proz. Analphabeten.
Industrie, Handel und Gewerbe. A. ist eine durchaus konsumierende Stadt; Industrie ist kaum vorhanden, der Handel ist unbedeutend und beschränkt sich auf europ. Luxuswaren, Maschinen u. dgl.; in dieser Hinsicht tritt der benachbarte Peiraieus für A. ein. Daher fehlt in A. die für große Städte charakteristische Arbeiterbevölkerung. Dagegen ist A. der erste Geldmarkt Griechenlands, Sitz der griech. Nationalbank und mehrerer anderer Bankinstitute und hat eine Börse.
Verkehrswesen. A. liegt an den Eisenbahnlinien A.-Peiraieus (8 km), A.-Laurion (66 km), A.-Kephissia (21 km) der Attischen Lokalbahnen
sowie an der Linie Peiraieus-Patras-Achaia-Pyrgos-Olympia der Peloponnes. Bahnen und an der im Bau befindlichen Linie Peiraiens-A.-Larissa-Türkische
Grenze, und hat eine Dampfstraßenbahn nach Phaleron, außerdem ein ausgedehntes Netz von Straßenbahnlinien.
(Hierzu Stadtplan [Situationsplan]: Athen
[* 19] nach I. A. Kauperts Plan von Athen, aus «Karten von Attika», Heft I, neue
berichtigte
Auflage 1891, erschienen im Verlage von Dietrich Reimer [Hoefer & Bohsen] in Berlin,
[* 20] mit Bewilligung des Autors und der
Verlagshandlung.)
Litteratur. Stuart und Revett, Antiquities of Athens, I-IV (Lond. 1762-1816; deutsche Ausg. von Wagner und Osann, Darmst. 1829-31);
Leake, Topographie von A. (2. Aufl., übersetzt von Baiter und Sauppe, Zur. 1844);
Forchhammer, Topographie von A. (Kiel [* 21] 1841);
Rochette, Sur la topographie d’Athènes
(Par. 1852);
Bursian, Geographie von Griechenland, Bd. 1 (Lpz. 1862);
Bréton, Athènes décrite et dessinée (2. Anfl., Par. 1868);
Dyer, Ancient Athens, its history, topography and remains (Lond. 1873);
Wachsmuth, Die Stadt A. im Altertum, Bd. 1 u. 2, Abteil. 1 (Lpz. 1874-90);
Burnouf, La ville et l’acropole d’Athènes
,
aux diverses époques (Par. 1877) Milchhöfer, Athen (in den «Denkmälern des klassischen Altertums», hg.
von Baumeister, Münch. 1884);
Hertzberg, A., historisch-topographisch dargestellt (Halle [* 22] 1885);
Lolling, Topographie von A. (in Bd. 3 von Iwan Müllers «Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft», Nördl. 1889);
Baedeker, Griechenland, Handbuch für Reisende (3. Aufl., Lpz. 1893);
A. Bötticher, Die Akropolis von A. (Berl. 1888);
E. Curtius, Die Stadtgeschichte von A. (ebd. 1891);
Atlas
[* 23] von A. Im Auftrage des Kaiserlich Deutschen Archäologischen
Instituts hg. von E. Curtius und I. A. Kaupert (ebd. 1878, Das neue Athen
Reimer, 12 Bl. Mit Text). -
Zur mittelalterlichen und neuern
Geschichte: Hopf, De historiae ducatus Athen
iensis fontibus (Bonn
[* 24] 1852);
F. de Sassenay,
Les Brienne de Lecce et d’Athènes
(Par. 1869);
De Lahorde, Athènes aux XVe, XVIe et XVIIe siècles (2 Bde., ebd. 1854);
Gregorovius, Geschichte der Stadt A. im Mittelalter (2. Aufl., 2 Bde., Stuttg. 1889);
Ellissen, Zur Geschichte A.s nach dem Verluste seiner Selbständigkeit (Gött. 1848);
Spyr. Lambros, ^[img] (Athen 1878);
D.Surmelis, ^[img] (ebd. 1853);
O. Konstantinidis, ^[img] (2. Ausg., ebd.1894);
D.Kamburoglu, ^[img] (2 Bde., ebd. 1889-90, nebst 3 Bdn. Dokumenten, 1889-92).