Corpus
Benennung gewisser Sammlungen einzelner
Gesetze oder
Rechtsbücher, insbesondere der im 12. Jahrh. zu einem geschlossenen Ganzen
vereinigten
Rechtsbücher des oströmischen
Kaisers
Flavius
Justinianus, durch welchen das gesamte damals vorhandene Rechtsmaterial
in einige wenige erschöpfende Sammlungen zusammengefaßt wurde (Corpus juris
civilis). Die erste derselben
war eine jetzt verlorne Sammlung der kaiserlichen
Verordnungen, der sogen.
Codex vetus, welcher durch eine
Kommission von zehn
hervorragenden
Juristen, darunter Tribonian und Theophilus, verfaßt und 529
n. Chr. publiziert wurde.
Nach Beendigung des Kodex beauftragte Justinian 530 den Tribonian, mit Zuziehung von 16 andern Rechtsgelehrten nun auch aus den Schriften der Juristen das Brauchbare zu exzerpieren, und so entstanden die Pandekten oder Digesten, d. h. wörtlich eine das gesamte Recht umfassende Sammlung. Im ganzen wurden in der Sammlung die Schriften von 39 Juristen benutzt und gegen 2000 Abschnitte daraus exzerpiert. Um aber das Praktische herauszuheben, Widersprüche zu vermeiden und die ältern Schriften dem bestehenden Recht anzupassen, hatte die Kommission Vollmacht, wegzulassen, zu ändern und Zusätze zu machen. Diese Veränderungen werden Emblemata Triboniani genannt, und obschon deren viele vorgenommen worden sind, so haben sie doch nicht gerade dazu gedient, die Sammlung von allem ¶
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Veralteten frei zu erhalten. Auch finden sich viele Stellen am ungehörigen Ort (leges fugitivae, erraticae), oder sie wiederholen sich (geminationes). Die Pandekten zerfallen in 50 Bücher, welche, ausgenommen die von 30-32, in einzelne Titel geteilt werden, und diese letztern bestehen wieder in einzelnen Fragmenten oder Leges, deren jedes als ein vom Kaiser ausgegangenes Gesetz betrachtet werden soll. Die Leges sind mit Inskriptionen versehen, um die Schrift des Juristen zu bezeichnen, aus der sie entlehnt sind, und zerfallen meist wieder in ein Principium und Paragraphen.
Mit besonderer Rücksicht auf den Unterricht in den Rechtsschulen zerlegte Justinian die Digesten in sieben Teile: der erste Teil, Buch 1-4, enthält die allgemeinen Lehren [* 3] von Recht, Personen und Sachen;
der zweite, Buch 5-11, handelt von dinglichen Klagen;
der dritte, Buch 12-19, von persönlichen Klagen;
der vierte, Buch 20-27, vom Pfandrecht, der Lehre [* 4] von den Beweismitteln, der Ehe und Vormundschaft;
der fünfte, Buch 28-36, und der sechste Teil, Buch 37-44, vom Erbrecht;
der siebente Teil, Buch 45-50, von verschiedenen Materien, im 46. und 47. Buch aber namentlich von Verbrechen und Strafen (libri terribiles).
Was die Methode anbelangt, welche die Gesetzgebungskommission bei der Anfertigung, Anordnung und Stellung der einzelnen Titel
befolgt hat, so wurden alle dabei zu benutzenden juris
tischen Werke in drei Hauptklassen oder Massen eingeteilt,
von welchen die eine besonders aus den Kommentaren zu den Schriften des Sabinus, die zweite aus Schriften über das prätorische
Edikt und die dritte aus Werken von Papinian bestand, die sogen. Sabinus-, Edikts- und Papiniansmasse.
Gleichzeitig mit den Digesten entstanden ferner die Institutionen, welche Justinian durch Tribonian und die beiden Rechtslehrer Theophilus und Dorotheus als ein bei den Rechtsschulen zu gebrauchendes Lehrbuch fertigen ließ. Sie beruhen auf dem gleichnamigen ältern Werk des Gajus (s. d.). Diese Institutionen wurden 21. Nov. 533 bekannt gemacht und erhielten gleichzeitig mit den Digesten 30. Dez. d. J. gesetzliche Kraft. [* 5] Sie zerfallen in vier Bücher, diese in Titel und letztere wieder in ein Principium und Paragraphen.
Das erste Buch behandelt die Lehre von den Personen als Subjekten des Rechts, das zweite und dritte die eigentlichen Vermögensrechte und das vierte die Lehre von den Klagen und einiges Prozessualische. Endlich publizierte Justinian noch eine revidierte und verbesserte Ausgabe seines Kodex, welche unter dem Namen Codex repetitae praelectionis bekannt ist und 29. Dez. 534 mit Gesetzeskraft bekleidet wurde. Der neue Kodex zerfällt in zwölf Bücher, im übrigen befolgt er im wesentlichen die Ordnung der Digesten nach den sieben Partes; nur enthält, abweichend hiervon, das erste Buch religiöse Bestimmungen und das neunte bis zum zwölften Buch das öffentliche und das Staatsrecht der spätern Kaiserzeit.
Nach dem Abschluß der geltenden Entscheidungsquellen in jenen drei Sammlungen erließ Justinian noch viele Verordnungen, sogen. Novellae, von denen jedoch keine offizielle Sammlung, sondern nur Privatsammlungen existieren. Namentlich wurden von den Novellen, deren Zahl sich auf 168 beläuft, und welche größtenteils ursprünglich in griechischer Sprache [* 6] verabfaßt waren, 134 an der Zahl in Italien [* 7] in einer lateinischen Übersetzung gesammelt, die von den Glossatoren unter dem Namen Authenticum oder Liber Authenticorum als gesetzlicher Text anerkannt und in die brauchbaren (ordinariae, neun Kollationen) und die unbrauchbaren (extravagantes, extraordinariae) geteilt wurden.
Die genannten vier Sammlungen bilden das in Deutschland [* 8] rezipierte römische Recht; doch ist dem civilis noch manches andre angehängt, so 13 Edikte Justinians, Verordnungen späterer Kaiser, die Canones apostolorum und die Libri feudorum. Letztere, aus Arbeiten verschiedener Verfasser zusammengesetzt und in den 80er Jahren des 12. Jahrh. äußerlich aneinder gereiht, enthalten das langobardische Lehnrecht. Sie wurden als zehnte Kollation den Novellen angehängt und erlangten in Deutschland gesetzliche Gültigkeit.
Die Verbindung der einzelnen Teile des Corpus juris
zu einem geschlossenen Ganzen erfolgte durch die Rechtsschule der Glossatoren zu
Bologna, deren Unterricht vorzugsweise in einer Exegese des Corpus juris
bestand. Die daraus hervorgegangenen Glossen,
in Gestalt der von Accursius besorgten Glossa ordinaria, bilden einen Bestandteil der glossierten Ausgaben des Corpus
juris. Unter den glossierten
Ausgaben sind zu nennen die von Contius (Par. 1576, 5 Bde.),
Dionysius Gothofredus (Lyon
[* 9] 1589, 6 Bde.; mit gemeinschaftlichem Titel 1604; vermehrt und verbessert 1612),
Fehius (das. 1627, 6 Bde.) und wegen
ihrer Handlichkeit die von Baudoza (das. 1593 und mit neuem Titelblatt 1600, 4 Bde.)
Von den unglossierten Ausgaben verdient Erwähnung die in kritischer Beziehung wichtige des Haloander (Nürnb. 1529-1531, 6 Bde.).
Durch kritische oder exegetische Noten sind ausgezeichnet die von Dionysius und Jacobus Gothofredus (Genf
[* 10] 1624, 2 Bde.),
Simon van Leeuwen (Amsterdam
[* 11] 1663), Gebauer und Spangenberg (Götting. 1776-97, 2 Bde.), Beck (Leipz. 1825-36, 5 Bde.),
Schrader (unvollendet und nur die Institutionen enthaltend, Berl. 1832, Bd.
1). Die beliebteste Handausgabe mit kurzen kritischen Noten lieferten die Gebrüder Kriegel im Verein mit
Emil Herrmann und Osenbrüggen (Leipz. 1828-37; 16. Aufl. 1880, 3 Bde.),
die neueste und beste kritische Ausgabe Th. Mommsen und P. Krüger (Berl. 1868 ff., 3 Bde.; 3. Ausg. 1882 ff.).
Spezialausgaben der einzelnen Stücke des Corpus
juris haben wir zu verzeichnen für die Institutionen von Biener (Berl. 1814),
Schrader (das. 1836, neueste Aufl. 1874), P. Krüger (das. 1867), Huschke (Leipz. 1868);
für die Pandekten von Mommsen und Krüger (Berl. 1866-68, 2 Bde.);
für den Kodex von Krüger (das. 1873-77) nebst »Codicis Justiniani fragmenta Veronensia« von demselben (1874);
für die Novellen von E. Zachariä v. Lingenthal (Leipz. 1881-84, 2 Bde. mit Anhang).
Eine deutsche Übersetzung des gesamten Corpus
juris veranstalteten Otto, Schilling und Sintenis (Leipz. 1830-33, 7 Bde.).
Ähnlich wie das civilis wurde im spätern Mittelalter das Corpus
juris canonici zusammengestellt. Dasselbe Umfaßt zunächst
das um 1145 verabfaßte Dekret des Gratian, eines Benediktiners, welches alle frühern Sammlungen, worin
die päpstliche Gewalt, die Rechte des Klerus, die Kirchenzucht, die heiligen Gnadenhandlungen abgehandelt waren, Echtes wie
Falsches, in ein Ganzes vereinigte. Es enthält drei Teile, von denen der erste und dritte in Distinktionen und Canones zerfallen,
der zweite aus Causae (Rechtsfällen) besteht. Hieran reihte sich eine Sammlung der päpstlichen Dekretalen
und Konzilienbeschlüsse in fünf Büchern, welche auf Befehl Gregors IX. 1234 durch Raimund von Pennaforte zusammengestellt
wurde. Die Sammlung Bonifacius' VIII. von 1298, welche ebenfalls aus fünf Büchern besteht und im Anschluß an die vorige
Sammlung der Liber sextus genannt wird, begreift die seit Gregor erlassenen Dekretalen und die Beschlüsse
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der ökumenischen Konzile zu Lyon von 1245 und 1275. Als siebentes Buch kam dazu die Sammlung Clemens' V. (Clementinen), welche größtenteils Synodalbeschlüsse enthält und aus dem Jahr 1313 herrührt. Außerdem sind dem kanonischen Rechtsbuch noch unter dem Namen Extravaganten bekannte Privatsammlungen angefügt, welche aber bei uns nicht mit rezipiert worden sind. Von den Ausgaben des canonici sind hervorzuheben die von J. H. ^[Justus Henning] Böhmer (Halle [* 13] 1747, 2 Bde.), E. L. Richter (Leipz. 1833-39, 2 Bde.), E. Friedberg [* 14] (das. 1879-81, 2 Bde.) sowie die deutsche Übersetzung von Schilling und Sintenis (das. 1834-37, 2 Bde.).
Den Namen Corpus
juris hat man auch mehreren neuern Privatsammlungen von Gesetzen und Gesetzbüchern beigelegt. So
gibt es ein romani ante justinianei« (Bonn
[* 15] 1835-44, 6 Hefte);
ein confoederationis germanicae« von Meyer (Frankf. 1822-28, 2 Bde.; 3. Aufl. 1858-69, 3 Bde. nebst Register);
ein criminalis« von Kittler (Leipz. 1834);
ein ecclesiastici Austriaci academicum« (Wien [* 16] 1764);
ein ecclesiastici catholicorum novioris« von Gärtner (Salzb. 1797-99, 2 Bde.),
von Weiß (Gießen [* 17] 1833);
ein ecclesiastici Saxonici« (Dresd. 1773-84, 2 Bde.);
ein feudalis Germanici« von Senckenberg (Gießen 1740; neu hrsg. von Eisenhart, Halle 1772);
ein Fridericianum«, preußisches Landrecht (Berl. 1750-51, 2 Tle.) und Prozeßordnung (das. 1781, 4 Tle.);
ein Germanici publici ac privati« von Königsthal (Frankf. 1760-66, 2 Bde.);
ein Germanici antiqui« von Walter (Berl. 1824, 3 Bde.);
ein Germanici tam publici quam privati academicum« von Emminghaus (Jena [* 18] 1824-44, 2 Bde. nebst Supplement; 2. Aufl. 1844-56);
ein publici Germanici academicum« von Michaelis (Tübing. 1825);
ein Hungarici« (Ofen 1779, 2 Bde.; das. 1822, 2 Bde.);
ein metallici« von Wagner (Leipz. 1791);
ein nautici« von Engelbrecht (Lübeck [* 19] 1790);
ein opificiarii« von Ortloff (Erlang. 1804, 2. Aufl. 1820);
ein Saxonici« (Dresd. 1672-73);
ein Sueo-Gotorum antiqui« von J. ^[Carl Johan] Schlyter (Lund 1838-77, 13 Bde.);
ein civilis für das Deutsche Reich [* 20] u. Österreich« [* 21] von R. Schröder (Bonn 1876-77, 2 Tle.).