Chokand
(Kokan), ehemaliges Chanat in Zentralasien, [* 2] das 1876 als Provinz Ferghana (s. d.) dem russischen Generalgouvernement Turkistan einverleibt wurde, grenzte im O. an die chinesische Tatarei, im W. an Bochara, im N. an die Große Horde der Kirgisen, im S. an Karategin (s. Karte »Zentralasien«). Nach der großen Invasion der Mongolen kamen auch hier die Uzbeken zur Herrschaft. Timur entthronte die Nachkommen von Dschengischan; seine Nachkommen regierten lange, Baber war der letzte.
Als dieser von Obeidullah (1511) geschlagen war, verlor Chokand
seine Selbständigkeit, welche es erst nach dem
Sturz der Scheibaniden
(s.
Bochara) wiederherstellte. Unter der schlaffen
Regierung der letzten
Aschtarchaniden (s. d.) waren die Herrscher Chokands
nur wenig oder gar nicht beunruhigt. Mit dem Auftreten des
Hauses
Mangit (s. d.) änderte sich aber das
Verhältnis.
Emir Maasum führte wegen
Chodshent einen blutigen
Krieg, und sein Enkel Nasrullah suchte sich Chokands
zu bemächtigen,
dem Mehemmed
Ali
Chan von Chokand
durch Grenzerweiterung und durch
Hebung
[* 3] des innern Wohlstandes einen gewissen
Glanz verliehen hatte.
Dieser aber ergriff 1841 selbst die
Offensive, indem er die bocharische
Garnison aus
Ura Tjube vertrieb.
Nasrullah nahm die Stadt wieder, machte sich aber durch seine Grausamkeit die Bewohner zu bittern Feinden. Kaum war er wieder
in
Samarkand, als letztere im Einverständnis mit den Chokandern
die bocharische
Besatzung niedermachten. Nasrullah kehrte
sofort zurück, Mehemmed
Ali, der zur Überwachung der bereits am
Sir Darja aufwärts rückenden
Russen
einen großen Teil seiner Streitkräfte verwenden mußte, wurde bei
Chodshent geschlagen, mußte die
Suzeränität Nasrullahs
anerkennen und
Chodshent mit vielen andern
Orten abtreten.
Sein
Bruder und Thronrival wurde zum
Gouverneur der eroberten
Provinz ernannt.
Bald aber versöhnten sich die
Brüder, und
Chodshent mit den übrigen
Orten vereinigte sich abermals mit Chokand.
Sofort brach Nasrullah wieder auf, Mehemmed mußte
fliehen, wurde aber bei Mergolan eingeholt und samt seinem
Bruder und zwei
Söhnen in der eignen Hauptstadt hingerichtet. Der
Emir kehrte nach
Bochara zurück und ließ eine
Garnison in der eroberten Stadt. Bis dahin waren die
Kiptschaken
ruhige Zuschauer gewesen.
Durch den Übermut der Bocharen indessen gereizt, bemächtigten sie sich bald der Stadt und setzten
Schir Ali
Chan, einen Sohn
Mehemmeds, auf den
Thron.
[* 4]
Wieder rückte ein bocharisches
Heer ein, dessen Anführer Musulman
Kul aber gemeinsame
Sache mit den
Chokandern
machte. Ein zweites
Heer gelangte nur bis nach
Ura Tjube, indem der
Tod des
Emirs (1860) dem
Krieg
ein Ende machte. Musulman
Kul riß nun die Herrschaft in Chokand
an sich, wurde aber bald beiseite geschafft und der dritte Enkel
Mehemmed
Alis, Chudajar
Chan, an seine
Stelle gesetzt.
Dieser erlitt von den Russen eine Niederlage nach der andern. Chudajar wurde von seinem ältern Bruder, Molla Chan, entthront und zur Flucht nach Bochara genötigt, aber von Mozaffar ed din, jetzt Emir von Bochara, nach Ermordung Molla Chans wieder eingesetzt. Indes kam es bald zur Teilung. Der Schützling der Kiptschaken, Schamurad, älterer Bruder Chudajars, erhielt den Osten des Chanats von Oosch bis Mehrem, während der Norden [* 5] von Ura Tjube bis über Taschkent hinaus Chudajar zufiel, der seine Residenz in Samarkand nahm.
Dem Vorschreiten der
Russen einen
Damm entgegenzusetzen, vermochte Chokand
nicht: 1864 fiel die Stadt
Turkistan in ihre
Hände, dann
Tschemkent und
Taschkent, ohne daß die
Kiptschaken Chudajar beigestanden hätten. Jetzt nahm sich der
Emir von
Bochara seines Schützlings an: er züchtigte zunächst die
Kiptschaken, eroberte das östliche Chokand
und setzte Chudajar
hier als
Chan ein. Gegen die
Russen aber verlor er die
Schlacht bei Jirdschar bald fiel auch
Chodshent.
Chudajar mußte die Thalgegend des
Sir Darja von Mehrem ab abtreten, seine
Städte den
Russen öffnen und eine Kriegskontribution
zahlen. Die äußere
Politik wurde ausschließlich von
Taschkent aus geleitet, in den innern Angelegenheiten blieb er indes
sein eigner
Herr. Infolge seiner Bedrückungen empörte sich jedoch 1875 sein
Volk und zwang ihn, auf russisches
Gebiet zu fliehen; an seiner
Stelle wurde sein Sohn
Nassr ed din von dem
Kiptschaken Abdurachman zum Herrscher von Chokand
eingesetzt.
Darauf überschritten die Aufständischen die russische Grenze. Aber das Gefecht bei Teljan, die Einnahme der Feste Machram und von Kokan zwangen Nassr ed din zur Abtretung des rechten Ufers des Sir Darja von der russischen Grenze bis zum Naryn. Bald brachen aber im südlich des Sir Darja gelegenen Gebiet Unruhen aus, die sich selbst in dem nunmehr russischen Territorium ausbreiteten. Pulat Bek wurde von Abdurachman zum Chan ausgerufen, nach der Einnahme von Andydjan jedoch mit diesem gefangen genommen und die Ruhe wiederhergestellt. Nassr ed din kehrte als Chan zurück, geriet jedoch bald wieder in die Hände der russenfeindlichen Partei und verpflichtete sich sogar, den Krieg von neuem zu beginnen. Daraufhin ¶
mehr
erging unter dem 3. März von Petersburg
[* 7] aus der Befehl, das bisherige Chanat Chokand
als Gebiet Ferghana dem Generalgouvernement Turkistan
einzuverleiben.
Vgl. Vambéry, Geschichte Bocharas (Stuttg. 1872);
Derselbe, Reise in Mittelasien (Leipz. 1873);
Krahmer, Die Eroberungen der Russen in Mittelasien (»Grenzboten« 1877).