Boieldieu
(spr. bojelldjöh), François Adrien, Opernkomponist, geb. zu Rouen, [* 2] lernte die Elemente der Musik als Chorknabe in der Metropolitankirche und wurde dann von dem Organisten Broche gründlich unterrichtet. Besondere Neigung zeigte er frühzeitig für dramatische Musik und fühlte sich namentlich von den Werken Grétrys und Méhuls angezogen. Bald unternahm er es, selbst eine Oper zu schreiben, und da dieselbe auf dem Theater [* 3] seiner Vaterstadt Beifall fand, begab er sich nach Paris, [* 4] wo er sich anfangs durch Stundengeben und Klavierstimmen die nötigen Subsistenzmittel erwarb, bis er infolge seiner Aufnahme in das Haus des Instrumentenmachers Erard, in dessen Werkstätten stets die angesehensten Pariser Tonkünstler zusammenkamen, bekannt wurde.
Bald erregte er durch einige gelungene Romanzen, z. B. »Le [* 5] ménestrel«, »S'il est vrai que d'être deux«, »O toi que j'aime« u. a., die durch Garats unnachahmlichen Vortrag eingeführt und bald Lieblingsstücke der Pariser Damen wurden, nicht unbeträchtliches Aufsehen, welches seine darauf folgende anmutige Operette »La dot de Suzette« (1795) noch vergrößerte. Ihr folgte 1796 »La famille suisse«, welche durch ihre Naivität und Grazie ebenfalls allgemeinen Beifall fand, dann »Mombreuil et Merville« (1797),
die wegen ihres ungünstigen
Textes weniger ansprach, »L'heureuse nouvelle«, bei Gelegenheit des
Friedens von
Campo Formio komponiert, und »Zoraime et Zulnare« (1798 aufgeführt),
worin zuerst die Eigentümlichkeiten seines
Talents bestimmter hervortraten. Gleichzeitig hatten auch verschiedene Instrumentalstücke,
Sonaten für das
Klavier,
Duos und
Trios etc. seiner
Komposition vielen Erfolg, was Veranlassung war, daß
man Boieldieu
1797 unter die Zahl der Klavierlehrer am
Konservatorium aufnahm.
Bis 1802 brachte er ferner die
Opern: »Les méprises espagnoles«, »Beniowsky«,
dann den »Calife de
Bagdad«, der allgemeinen
Enthusiasmus erregte, und die reizende zweiaktige
Oper
»Ma tante
Aurore«. Seine unglückliche
Ehe mit der berühmten Tänzerin Clotilde Mafleuroy bewog ihn, einen
Ruf als kaiserlicher
Kapellmeister
nach
Petersburg
[* 6] anzunehmen, wohin er 1803 ohne seine
Frau abreiste. Er verweilte daselbst bis 1810 und schrieb während dieser
Zeit außer zahlreichen
Militärmusiken und wertvollen
Chören zu
Racines »Athalie« eine
Reihe von
Opern,
wie: »Rien de trop, ou les deux paravents«, »La jeune femme colère«,
»Amour et mystère«, »Abderkan«,
»Calypso«, »Aline«, »Les
voitures versées«, »Un tour de soubrette« etc.
Nach
Paris zurückgekehrt, schrieb Boieldieu
sein reizendes Werk
»Jean de
Paris« (aufgeführt 1812),
womit er gegen den inzwischen allgemein beliebt gewordenen Niccolò Isouard in die Schranken trat und aufs neue aller Herzen sich gewann. Darauf folgten: »Le nouveau seigneur de village« (1813),
mehrere Gelegenheitsopern in Gemeinschaft mit andern Komponisten, z. B. die politische, gegen die Allianz gerichtete Oper »Bayard à Mézières« (1814, mit Catel, Isouard und Cherubini),
»Les Béarnais« (mit Kreutzer, 1814),
dann »La fête du village voisin« (1816) und zwei Jahre
später, nachdem er aus Gesundheitsrücksichten eine
Reise nach
Italien
[* 7] unternommen hatte, die
Oper »Le petit chaperon rouge«
(Rotkäppchen), die trotz des
Rossini-Fiebers, das damals in
Frankreich zu
wüten begann, lebhaften Beifall erhielt. Boieldieu
war
inzwischen nach dem Ableben
Méhuls 1817 zum Mitglied der
Akademie mit 4000
Frank
Gehalt ernannt worden;
aber sein durch angestrengtes
Arbeiten sehr angegriffener Gesundheitszustand machte eine gründliche Erholung zur gebieterischen
Notwendigkeit.
Mehrere Jahre lebte er in einem vor kurzem erworbenen Landhaus in gänzlicher Zurückgezogenheit, die nur durch die Kompositionsstunden am Konservatorium (er erteilte dieselben in seinem Hause) sowie durch unbedeutendere Gelegenheitsarbeiten, wie z. B. die Beteiligung an der Oper »Blanche de Provence« (1821),
zur Feier der Geburt des Herzogs von Bordeaux, [* 8] und an der Oper »Pharamond« (1823),
zur
Salbung
Karls X., unterbrochen wurde.
Endlich im
Dezember 1825 trat Boieldieu
wieder mit einer neuen
Schöpfung
hervor und zwar mit seinem Meisterwerk: »La dame blanche«,
das den Erfolg aller seiner frühern
Opern noch überbot und den
Ruhm des
Komponisten über alle
Länder der zivilisierten
Welt
verbreitete. Die letzte
Oper Boieldieus
, »Les deux nuits«, die 1829 zuerst aufgeführt wurde,
hatte besonders des
Libretto (von
Bouilly) wegen keinen sonderlichen Erfolg. Inzwischen war die
Gesundheit
des Künstlers mehr und mehr geschwächt; dazu geriet er nach der
Julirevolution in pekuniäre Bedrängnisse,
da man ihm die
von der frühern Dynastie gewährten
Pensionen längere Zeit entzog
und sie erst wieder bewilligte, als er sie nicht lange
mehr genießen konnte.
Nach vergeblichem Besuch mehrerer
Bäder des südlichen
Frankreich starb er auf seinem
Gut Jarcy
bei Grosbois Nach dem
Tod seiner ersten
Frau (1826) hatte er sich zum zweitenmal mit einer Sängerin, Phillis, verheiratet.
Boieldieu
war, wie er selbst unbefangen zugab, kein
Held im
Kontrapunkt und in der
Fuge; aber er wird als Opernkomponist zu allen
Zeiten unter den ersten genannt werden müssen, welche die
Frische und Lebendigkeit der Gesangsmelodie mit einer geschmackvollen,
nicht überladenen
Instrumentation zu verbinden wußten. Blühende
Phantasie,
Wahrheit des
Ausdrucks, richtige
Zeichnung der
Charaktere,
reine
Harmonien und ungezwungene melodische
Erfindung sind die hervorstechenden Vorzüge seiner
Kunst. Am 100. Jahrestag seiner
Geburt wurde Boieldieus
Andenken durch Errichtung eines
Monuments in seiner Vaterstadt geehrt.
Vgl.
Pougin,
Boieldieu
, sa vie, ses œuvres, etc. (Par. 1875). -
Ein Sohn Boieldieus
, Adrien, geb. zu
Paris, gestorben im Juli 1883, ist ebenfalls als Opernkomponist
(»Marguerite«,
»L'aieule«, »Le bouquet de l'infante«
u. a.) mit gutem Erfolg aufgetreten u. schrieb
auch eine
Messe.