Blindheit
(griech.
Anopsie, lat. Caecitas), eigentlich vollkommener Mangel des Sehvermögens; doch wird auch
schon der Zustand aber unvollkommene Blindheit
(Amblyopie) genannt, wobei die Betroffenen nur noch Gegenstände
wahrzunehmen, dieselben aber nicht mehr zu unterscheiden im stande sind. Die
Ursachen der Blindheit
sind teils angeboren, teils und
zwar in den allermeisten
Fällen erworben. Die angeborne Blindheit
beruht in der
Regel auf Bildungshemmung des
Auges und seiner
Häute,
namentlich auf angeborner
Spaltung in den Augenhäuten,
Kolobom genannt, wenn dieselbe auf
Netzhaut und
Aderhaut sich forterstreckt, aus angebornem grauen
Star, der jedoch meist operationsfähig ist, auf Stehenbleiben der in der
frühsten
Epoche des Fötuslebens existierenden Pupillarmembran, eines feinen, zarten Häutchens, das lange
vor der
Geburt des
Menschen schon verschwinden sollte und in der
Regel verschwindet, bei einigen
Säugetieren aber bekanntlich
einige Zeit nach der
Geburt noch bestehen bleibt, weshalb neugeborne
Hunde,
[* 2]
Katzen,
[* 3]
Kaninchen
[* 4] etc. blind sind.
Solche und andre
Hemmungsbildungen des menschlichen
Auges treffen aber selten beide
Augen zugleich, sondern meist nur eins,
und es ist deshalb in der
Regel keine vollkommene Blindheit
vorhanden.
Anders ist dies mit der erworbenen Blindheit
, die
leider nur zu oft schon im zartesten Kindesalter beide
Augen zugleich trifft. Die
Augenentzündung der Neugebornen (s.
Augenpflege)
zerstört oft beider
Augen Sehvermögen vollkommen, ebenso
Entzündung der innern Augengebilde in spätern
Lebensaltern, wie
z. B. die
Entzündungen der
Regenbogenhaut,
Aderhaut,
Netzhaut etc.; ferner gehören hierher die Alterstrübungen der
Kristalllinse
und die angeborne
Wassersucht des
Auges; auch werden die Nervengebilde des
Auges, der
Sehnerv und die
Netzhaut, nicht selten von
Krankheiten besaßen, welche Blindheit
zur
Folge haben.
Die
Heilung der Blindheit
ist nur dann möglich, wenn sich die ihr zu
Grunde liegende anatomische
Störung beseitigen läßt. So ist
die durch den grauen
Star bedingte Blindheit
heilbar,
da man die getrübte
Kristalllinse entfernen kann; auch
Verwachsungen
der
Regenbogenhaut, die Pupillensperre, werden in neuester Zeit mit
Glück durch die
Bildung einer künstlichen
Pupille gehoben;
der ausgebildete sogen. schwarze
Star, die Amaurose, aus cerebraler
Ursache ist in der
Regel unheilbar.
Unter mehreren Handwerkern und bei Fabrikanten ist Blindheit
sehr verbreitet, besonders bei denen,
welche sich schnellen und heftigen Einwirkungen des
Feuers und
Lichts, z. B. in Schmelzhütten, aussetzen oder bei Lampenlicht
feine
Arbeit verrichten. Im allgemeinen finden sich in heißen
Ländern mehr
Blinde als in gemäßigten und kältern Klimaten,
aber in den
Ländern des höchsten
Nordens scheint auch der blendende
Schnee
[* 5] die Blindheit
zu befördern. In der
Zeit von 1860 bis 1870 kamen
Blinde in:
¶
mehr
auf 10,000 Einw. | 1 Blinder auf Einw. | auf 10,000 Einw. | 1 Blinder auf Einw. | ||
---|---|---|---|---|---|
Norwegen | 13.7 | 733 | Schweden | 7.1 | 1419 |
Kaukasus | 11.1 | 900 | Sachsen | 6.1 | 1635 |
Thüringen | 10.1 | 995 | Belgien | 5.9 | 1685 |
England | 9.6 | 1037 | Österreich | 5.8 | 1785 |
Schottland | 9.2 | 1086 | Dänemark | 5.6 | 1908 |
Italien | 8.2 | 1218 | Preußen | 5.2 | 1950 |
Frankreich | 8.2 | 1235 | Nordamerika | 4.0 | 2490 |
Schweiz | 7.3 | 1368 |
Nach amtlichen Ermittelungen zählte man 1871 in Preußen [* 7] 22,978 Blinde oder 1 auf 1075 Einw. Hierbei stellte sich das Verhältnis in den einzelnen Provinzen als ein sehr ungleiches heraus. In Brandenburg [* 8] kam auf 1374, in Hannover [* 9] auf 1212, in Sachsen [* 10] auf 1178, in Schlesien [* 11] auf 1081, in Posen [* 12] auf 918, in Preußen auf 842, in Berlin [* 13] auf 1649 ein Blinder. Die verhältnismäßig größte Zahl von Blinden hat Finnland, wo infolge der ägyptischen und granulösen Augenentzündung schon auf 348 Einw. ein Blinder kommt.
Ebenso traurig liegen die Verhältnisse in Spanien
[* 14] und noch viel schlimmer im Orient. Nach Untersuchungen,
welche Katz im Regierungsbezirk Düsseldorf
[* 15] anstellte, war unter 810 Blinden die Blindheit
entstanden durch angeborne Fehler der Augen
in 20, durch Augenschleimfluß der Neugebornen in 41, durch ägyptische Augenentzündung und Blennorrhöe in 171, durch Entzündung
der Hornhaut in 122, der Ader- und Regenbogenhaut in 125, grauen Star in 89, grünen in 35, schwarzen in
126, Verletzungen in 81 Fällen.
Cohn in Breslau
[* 16] zählte in 1000 Fällen teils doppel-, teils einseitiger Erblindung 194 Fälle, wo die Blindheit
durch absolut unheilbare
Krankheitsprozesse erzeugt war, 255 Fälle, wo der verderbliche Ausgang vielleicht, und 551 Fälle, wo derselbe
mit Gewißheit hätte vermieden werden können. Zur ersten Kategorie zählt er 102 Fälle von schwarzem Star, zur zweiten 109 Fälle,
wo Kurzsichtigkeit die Hauptursache war. Diese ist nun zum Teil angeboren, viel häufiger aber erworben, und Cohn hat nach
Untersuchung von 10,000 Schülern festgestellt, daß die Zahl der Kurzsichtigen in allen Schulen von Klasse
zu Klasse steigt, daß die Menge derselben zunimmt mit der Höhe der Lehranforderungen an die Schule (es fanden sich 1 Proz.
in der Dorfschule, etwas über 6 Proz. in städtischen Elementarschulen, 7 Proz. in höhern Töchterschulen, 10 Proz.
in höhern Mittelschulen, 19 Proz. in Realschulen, 26 Proz. in Gymnasien), und endlich, daß auch der Grad
des Übels von Klasse zu Klasse steigt.
hat mehrere persönliche Beschränkungen zur Folge. Ein Blinder ist der Lehnssuccession unfähig;
dagegen kann er Regent werden, wenn nicht die besondere Verfassung eines Landes das Gegenteil festgesetzt hat;
er ist zur Übernahme öffentlicher Ämter oder einer Vormundschaft nicht qualifiziert, ebensowenig kann er nach kanonischem Recht Kleriker werden;
das Testament eines Blinden bedarf mehrerer Solennitäten;
als Testamentszeuge kann seine Konkurrenz wenigstens leicht angefochten werden;
für Vermögensübernahme bedarf er eines Kurators.
Anderseits kommt den Blinden auch eine geringere Zurechnungsfähigkeit zu gute, zunächst und vorzüglich rücksichtlich solcher Verbrechen, zu denen notwendig der ihnen mangelnde Sinn erforderlich ist, aber auch in allen andern Fällen, wenn der Mangel des Augenlichts sie an Erlangung gehöriger Bildung gehindert hat.
Vgl. Magnus, Die Blindheit
, ihre Entstehung und ihre Ursachen (Berl. 1883).