im allgemeinen die
Sucht,
Bücher zu sammeln, ohne sie gehörig zu gebrauchen; dann insbesondere die
Sucht, alte und seltene
Bücher zusammenzubringen, um sie zu benutzen, wobei aber ein zu großer Wert auf Nebendinge gelegt wird. Der echte Bibliomān
im jetzt üblichen
Sinn des
Worts kauft sonach nicht ohne Auswahl alles zusammen, was ihm vorkommt, sondern
sammelt als Kenner nach gewissen Rücksichten, läßt sich aber bei dem Ankauf mehr durch außerwesentliche und zufällige
Umstände und
Beschaffenheiten der
Bücher als durch den wissenschaftlichen Wert derselben bestimmen.
Werden dergleichen Sammlungen nicht bloß aus Liebhaberei, sondern zum Behuf wissenschaftlicher
Studien angelegt, so gestaltet
sich die Bibliomanie zur Bibliophilie (»Bücherliebhaberei«). Ehemals
erstreckte sich die am meisten auf Sammlung von
Büchern, welche durch ihre
Schicksale merkwürdig sind; dahin gehören seltene,
verbotene (insbesondere in der römischen
Kirche auf den
Index gesetzte), kastrierte
Bücher.
Noch immer
allgemein gesucht sind die in den frühsten
Zeiten der
Buchdruckerkunst erschienenen
Bücher
(Inkunabeln), insbesondere die ersten
Ausgaben (editiones principes) klassischer Schriftsteller. In neuerer Zeit erstreckt sich die
Neigung der Sammler besonders
auf das
Material der
Bücher. In dieser Beziehung werden oft unerhörte
Preise gezahlt für Pracht- und
illustrierte
Ausgaben, unbeschnittene
Exemplare älterer seltener Werke, solche mit breitem
Rand (Großpapier), für
Bücher,
die mit
Miniaturen und schön gemalten Anfangsbuchstaben
(Initialen) verziert sind, für
Drucke auf
Pergament,
Velin,
Papier von
ungebräuchlichen
Stoffen, farbigem
Papier,
Seide,
[* 7] ferner für
Drucke in
Gold,
[* 8]
Silber und andern
Farben sowie
für
Bücher, deren
Text ganz in
Kupfer
[* 9] gestochen ist, endlich für
Bücher mit dem eingeschriebenen
Namen des frühern Besitzers
oder solche, die einst berühmten
Personen angehörten. In
Frankreich und besonders in
England sind auch kostbare oder von gewissen
Buchbindern (Derome, Bozérian,
¶
mehr
Lewis, Payne) herrührende Einbände sehr gesucht. Selbst der Schnitt der Bücher ist oft mit den saubersten Gemälden verziert.
Auch durch Sonderbarkeiten andrer Art suchte man bisweilen den Einbänden einen eigentümlichen Wert zu geben. Der Buchhändler
Jessery zu London
[* 11] ließ Fox' Geschichte Jakobs II. mit Anspielung auf den Namen des Verfassers in Fuchsleder
(fox-skin), und der bekannte englische Biblioman Askew ein Buch sogar in Menschenhaut binden. Auch die Göttinger Universitätsbibliothek
besitzt eine Ausgabe des Hippokrates, in Menschenhaut gebunden.
Bei der Versteigerung der Bibliothek des Herzogs von Roxburghe zu London 1812 ging ein Exemplar der ersten, bei Valdarfer 1472 erschienenen
Ausgabe des Boccaccio um 2260 Pfd. Sterl. weg, und es bildete sich ein besonderer Bibliomanenklub,
der sogen. Roxburghe Club, der sich jährlich 13. Juli, dem Jahrestag des Verkaufs des Boccaccio, in der St. Alban's Tavern versammelte.
England ist seitdem der Hauptsitz der Bibliomanie geblieben, und der Preis, den man für einzelne kostbare und seltene
Werke zahlt, ist ins Unglaubliche gestiegen. So wurden bei Versteigerung der großartigen Syston-Bibliothek zu London im Dezember 1884 eine
sogen. Mazarinbibel, das erste aus der BuchdruckpresseGutenbergs (1455) hervorgegangene Buch, mit 3900 Pfd. Sterl. und ein
Pergamentexemplar des seltenen »Psalmorum codex« (1459 von Fust und Schöffer gedruckt) sogar mit 4950 Pfd. Sterl.
erstanden.
Eine Nachbildung des oben genannten Roxburghe Club ist unter andern die Société des bibliophiles français in Paris
[* 12] (seit 1820),
welche durch die gewöhnlich nicht in den Buchhandel kommenden Abdrücke alter Druckseltenheiten oder Handschriften, die sie
veranstaltet, der litterarischen Raritätensucht neue Nahrung gibt. In England treten auch oft Gesellschaften
zusammen, welche auf ihre Kosten irgend ein Werk in wenigen Prachtexemplaren drucken lassen, oder ein Einzelner läßt aus
Liebhaberei von einem solchen Prachtwerke nur ein einziges Exemplar mit ungeheurem Aufwand abdrucken, um es allein zu besitzen.
Neuerlich hat die in England eine Richtung eingeschlagen, welche der Wissenschaft mehr förderlich ist.
So haben die Camden Society (seit 1837), die Percy Society, Shakespeare Society, Historical Society, Aelfric Society, die Early EnglishText Society und der SpaldingClub zu Aberdeen
[* 13] (seit 1839) für die ältere englische Litteratur sehr Ersprießliches geleistet.
- Der natürliche Gegensatz von Bibliomanie würde Bibliophobie (»Bücherscheu«)
sein, doch hat sich dieses Ausdrucks nur Dibdin (s. d.) bedient, um den Widerwillen des Zeitalters gegen
Litteratur und Büchererwerb zu bezeichnen.
und Bibliophilie. Bibliomanie, ein in neuerer Zeit ans dem Griechischen gebildetes Wort, ist soviel wie
Büchersucht. Der echte Bibliomane kauft nicht ohne Auswahl alles zusammen, sondern sammelt nach gewissen Rücksichten, legt
aber nicht auf die Gediegenheit des Inhalts, sondern auf unwesentliche Beschaffenheiten der Bücher den
Wert. Diese Rücksichten beziehen
sich teils auf sog. Kollektionen, teils auf Schicksale und Alter der Bücher, teils auf deren
Material.
Die Kollektionen oder Sammlungen von Büchern, die als zusammengehörig betrachtet werden, weil sie einen gewissen, den Bibliomanen
wichtigen Gegenstand betreffen (z. B. die Elzevierschen «ResPublicae»),
oder in einer gewissen beliebten
Manier gearbeitet, oder in einer berühmten Druckerei (wie Elzevier, Aldus, Giunti, Stephanus, Bodoni u. a.) erschienen sind,
haben noch den meisten wissenschaftlichen Wert. Zu den durch ihr Schicksal merkwürdigen Büchern gehören solche, die den
eingeschriebenen Namen (Ex-libris) ihrer frühern Besitzer enthalten oder einst berühmten Besitzern angehörten;
auch solche, die nur in ganz geringer Anzahl gedruckt und mit Nummern versehen sind (numerierte); endlich verbotene oder
kastrierte Bücher. Am gewöhnlichsten aber bezieht sich der Sammeleifer der Bibliomanen auf das Material der Bücher.
Gesucht werden namentlich Prachtausgaben, Exemplare mit Miniaturen und schöngemalten Anfangsbuchstaben,
Drucke auf Pergament oder Velin, auf farbiges Papier und solches aus ungewöhnlichen Stoffen (Asbest), Großpapiere (mit sehr
breitem Rande) und unbeschnittene Exemplare älterer und seltener Werke, sodann Drucke mit Gold, Silber und andern Farben, Bücher,
deren Text ganz in Kupfer gestochen ist, solche, in denen die leiten mit einer Einfassung von einfachen
oder doppelten, mit der Feder gezogenen Linien geziert sind (Exemplaires réglés), sog. illustrierte
Exemplare. In Frankreich und England sind auch kostbare oder von gewissen Buchbindern (Derome, Grolier, Bozérian, Lewis,
Payne, Majoli) gefertigte Einbände gesucht.
Auch in Deutschland
[* 14] veranstaltet man neuerdings eigene «Ausgaben für Bücherfreunde» und stellt von gewissen
Prachtwerken (z. B. Graf Stillfried und Bibliomanie Kugler, «Die Hohenzollern
[* 15] und das deutsche
Vaterland») auch eine Fürstenausgabe her. Unter den Versteigerungen, in denen sich die Bibliomanie besonders zeigte,
ist die der Bibliothek des Herzogs von Roxburghe zu London 1812 die merkwürdigste. Die meisten Bücher wurden mit unerhörten
Preisen bezahlt, so namentlich die erste bei Valdarfer 1471 erschienene Ausgabe des Boccaccio mit 2260 Pfd.
St. Zu ihrem Andenken wurde 1813 der bibliomanische Roxburghe-Club gestiftet, der sich an jedem 13. Juli, dem Jahrestage des
Verkaufs jenes Dekamerondrucks, in der St. Albans-Tavern versammelt.
Neuerdings haben die Preise für Seltenheiten und Kostbarkeiten namentlich bei engl.
Versteigerungen schwindelhafte Höhen erreicht, und die Engländer behaupten in der Bibliomanie, die zuerst gegen Ende des 17. Jahrh.
in Holland auftrat, einen Rang, den ihnen weder Franzosen noch Italiener und noch weniger die kleine Zahl deutscher Sammler streitig
zu machen vermögen. Auch gehört ihnen das Verdienst, in Dibdins «Bibliomania
or bookmadness» (Lond. 1811; bearbeitet von Lehr 1842; neue Ausg. 1875) die sonderbarsten Einfälle reicher Sammler in ein
System gebracht zu haben.
Während für den Bibliomanen in erster Linie nebensächliche Dinge in Betracht kommen und der Gehalt eines Buches erst in
zweiter Linie steht, ist der Bibliophile oder Bücherfreund bestrebt, entweder für die Zwecke eines bestimmten
Wissensgebietes eine Bibliothek der besten und brauchbarsten Bücher anzulegen, oder beginnt wenigstens speciellere
¶
mehr
Sammlungen nur in der Absicht, um von ihnen wissenschaftlichen Gebrauch zu machen. Der eine Bibliophile sammelt z. B. Ausgaben
der Bibel (Wernigeroder Bibliothek) oder griech. und röm. Klassiker (Editiones principes,
Ausgaben von Zweibrücken [Bipontinae], in Usum Delphini) und anderer Schriftsteller, der andere sucht die Schriften über gewisse
Begebenheiten, namentlich die gleichzeitig mit diesen erschienenen zu vereinigen, wie z. B.
über das Reformationsjubelfest (Berliner
[* 17] Bibliothek), über den Dreißigjährigen Krieg (Dresden) oder den Deutsch-FranzösischenKrieg von 1870-71 (Berlin) u. s. w. Noch andere Sammlungen beziehen sich aus ganz besondere Gegenstände,
wie auf das Schachspiel (Bledowsche Sammlung in der Königl. Bibliothek zu Berlin), auf bestimmte Persönlichkeiten, einzelne
Länder und Orte, oder bestimmte Litteraturgattungen (z. B. die Meusebachsche über die
ältere deutsche Litteratur seit der Reformation) oder die Geschichte der Typographie.
Hierher gehören die Sammlungen von Inkunabeln, von ältern Büchern mit Holzschnitten, von Kupferwerken, von Drucken aus
Amerika
[* 18] oder andern entlegenen Ländern. Um dieser litterar. Raritätensucht weitere Nahrung zuzuführen,
teilweise auch mit wirklich wissenschaftlichen Absichten, sind in neuerer Zeit, namentlich in England, zahlreiche Vereine zusammengetreten,
die Handschriften und selten gewordene, aber interessante Druckwerke in einer Anzahl von Exemplaren abdrucken und diese bloß
an die beisteuernden Mitglieder verteilen. So bildete sich, nach Vorgang des Roxburghe Club, 1323 in Schottland der
Bannatyne-Club und 1828 in Glasgow
[* 19] der Maitland-Club, denen alsbald noch viele andere solcher «Printing-Clubs»,
wie die Camden-Society, Percy-Society, Shakespeare-Society, Parker-Society, Surtees-Society, Chaucer-Society, Abbotsford-Club,
Spalding-Club folgten, die für Englands ältere Litteratur sehr thätig waren. Neuerdings sind diese Vereine meist eingegangen
oder haben wenigstens in ihrer Wirksamkeit nachgelassen. Ähnliche Zwecke verfolgt in Deutschland der
«Litterarische Verein» zu Stuttgart,
[* 20] der seit 1842 zahlreiche Handschriften und alte Drucke veröffentlicht hat;
Vgl. Le
[* 21] Petit, L'art d'aimer les livres et de les connaître
(Par. 1884);
Merryweather, Bibliomania in the middle ages (Lond. 1849);
Quentin-Bauchart, Les femmes
bibliophiles de France (2 Bde., Par. 1886). -
Nicht in Gebrauch gekommen ist der ebenfalls von Dibdin angewendete Ausdruck Bibliophobie (das Gegenteil von Bibliophilie:
Bücherfurcht, Bücherhaß). - Über die Sache vgl. Les ennemis de livres (Par. 1879) und die
vervollständigte Ausgabe davon: The ennemies of books (Lond. 1880).