Titel
Beweis
,
die Darlegung der
Wahrheit oder
Falschheit eines
Urteils aus
Gründen. Ein Beweis
ist daher
nur für solche
Urteile
erforderlich, deren
Wahrheit nicht von selbst einleuchtend (evident) ist. Er setzt aber notwendig unmittelbar
einleuchtende
Urteile voraus, weil die Begründung durch
Gründe, die selbst wieder Begründung fordern, nicht ins Unendliche
gehen kann.
Alle
Urteile, evidente und nicht evidente, sind nun nach
Kants klassischer
Einteilung entweder analytische (identisch,
s. d.) oder synthetische, alle nicht evidenten, also eines
Beweises
bedürftigen und fähigen, aber nur synthetische und zwar, je nachdem sie apriorische (ausnahmslose) oder nur empirische
(beschränkte) Allgemeinheit besitzen, reine Vernunftsätze (Synthesen
a priori) oder bloße
Erfahrungen (Synthesen
a posteriori).
Nimmt man nun bei dem Beweis
Rücksicht a) auf dasjenige, was
(Objekt, thesis probanda), b) auf dasjenige,
wodurch (Beweis
grund, argumentum), c) auf denjenigen, für welchen
(Subjekt, obnoxius probationi), d) auf die
Weise, wie bewiesen
werden soll (modus probandi), so ergibt sich folgendes. In Bezug auf a) unterscheidet man Beweise
für
Erfahrungen, dergleichen
auf dem Weg empirischer
Natur- oder Geschichtsinduktion gewonnene Überzeugungen, von solchen für Vernunftsätze,
dergleichen auf dem Weg mathematischer oder philosophischer
Deduktion erworbene
Ansichten sind.
Letztern wohnt das
Gefühl unerschütterlicher
Festigkeit,
[* 2] welche durch keine wie immer geartete
Erfahrung aufgehoben, jenen
das niemals verlöschende
Bewußtsein bei, daß die nur auf induktivem Weg erlangte
Gewißheit durch entgegenstehende
Erfahrungen
auch wieder auf demselben Weg vernichtet werden kann. In Bezug auf b) unterscheidet man Beweise
aus der
Erfahrung, d. h. mittels
Wahrnehmungen,
Beobachtungen,
Versuche, Zeugnisse, von solchen aus der
Vernunft, d. h. aus dem
evidenten
Inhalt und der gesetzmäßigen Form des menschlichen
Denkens. Zu jenen gehören die sogen.
Erfahrungs- (historischen
und naturhistorischen), zu diesen die sogen.
Vernunft- (mathematischen und philosophischen) Beweise.
Den
¶
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erstern kann, da sie auf empirischen Urteilen beruhen, auch keine andre als empirische Gewißheit (Erhebung des Bewiesenen zu
einem unter Umständen so hoch, daß die Annahme des Gegenteils Wahnwitz wäre, sich steigernden Grad von Wahrscheinlichkeit),
den letztern wird, insofern sie auf apriorischen Urteilen fußen, selbst apriorische Gewißheit (Erhebung des Bewiesenen
zu apodiktischer Notwendigkeit) zukommen. In Bezug auf c) stehen den Beweisen
ad omnes (sc. homines), welche für jedermann,
der sich seiner gesunden Sinne und seines Verstandes bedienen will, die Beweise
ad hominem (sc. singulum) gegenüber, welche
nur für ein bestimmtes einzelnes oder eigengeartetes Individuum beweis
kräftig sind. In Bezug auf d) endlich
wird der direkte Beweis, welcher das zu Beweisende als wahr, von dem indirekten oder apagogischen Beweis (s.
Apagoge), welcher das Gegenteil desselben als falsch darthut (woraus dann die Wahrheit des zu Beweisenden von selbst erhellt),
unterschieden.
Jener ist progressiv, wenn er die Beweisgründe als wahr annimmt und daraus das zu Beweisende als unvermeidliche Folgerung ableitet; regressiv dagegen, wenn das zu Beweisende vorläufig als wahr vorausgesetzt und daraus auf die unvermeidlichen Bedingungen zurückgeschlossen wird, welche, wenn sie mit den anerkannten Beweisgründen zusammentreffen, die Wahrheit des von ihnen notwendig Bedingten erhärten. Die formelle Richtigkeit der Ableitung des zu Beweisenden aus den Beweisgründen vorausgesetzt, liegt die eigentliche Beweiskraft (nervus probandi, die Seele) in diesen.
Kein Argument kann dem Beweis einen höhern Grad von überzeugender Kraft [* 4] mitteilen, als es selbst besitzt; doch können verschiedene (Haupt- und Nebenargumente) ihm verschiedene Grade derselben einflößen. Dieselben machen zusammengenommen den Stoff (materia), ihre innere (logische, oft sehr verhüllte) Verbindung die Form, ihre äußere (rhetorische, oft sehr verhüllende) Einkleidung die Gestalt des Beweises aus. Letztere, obgleich sie oft mächtig zur Überredung desjenigen, dem der Beweis gilt (z. B. vor Gericht, im Parlament), beiträgt, darf nicht mehr zu dem eigentlichen Beweis (der »aus Gründen« argumentiert) gerechnet werden.
Jene vermögen entweder durch Aufnahme falscher oder durch falsche Verknüpfung wahrer Beweisgründe oder durch beides mit oder ohne Absicht des Beweisführenden Fehler im B. herbeizuführen. Sind die Beweisgründe nicht an sich, sondern nur in Bezug auf das zu Beweisende ungehörig, so daß etwas andres als das Geforderte dargethan wird, so findet Unkenntnis der Thesis (ignoratio elenchi) statt; wird mehr oder weniger bewiesen, so ist in beiden Fällen das Ziel des Beweises verfehlt (qui nimium probat, nihil probat).
Nimmt man das zu Beweisende (offen oder versteckt) als Beweisgrund an, so entsteht Kreisbeweis (circulus in demonstrando; petitio principii; idem per idem), das sogen. Hinterst-Zuvorderst (hysteron-proteron) dagegen, wenn der angewandte Beweisgrund schwieriger einzusehen oder zu beweisen ist als das durch ihn zu Beweisende selbst. Die unrichtige Verknüpfung heißt Sprung (saltus in demonstrando), wenn unentbehrliche Mittelglieder ausgelassen dagegen Fälschung des mittlern dritten (fallacia medii tertii), wenn falsche Mittelglieder eingeführt worden sind. Der unabsichtliche Fehler im B. macht diesen zum Scheinbeweis, der nicht beweist, was er soll; der absichtliche, aber möglichst verhüllte Fehler im B., um einen als falsch gekannten Satz andern als wahr erscheinen zu lassen, ist ein Trugbeweis, der beweist, was er nicht soll. Jener beruht auf logischem Fehl- (paralogismus), dieser auf vorsätzlichem Trugschluß (sophisma); s. Fehlschluß, Trugschluß.
Beweis im Zivilprozeß.
Im juristischen Sinn versteht man unter Beweis den Inbegriff der Gründe für die Wahrheit einer Behauptung. Doch wird der Ausdruck in verschiedenem Sinn gebraucht. Man versteht nämlich im Zivilprozeß darunter auch die Beweisführung, d. h. den Inbegriff der Parteihandlungen, welche dazu bestimmt sind, dem Richter die juristische Gewißheit bestrittener Thatsachen darzuthun. Aber auch das Ergebnis der Beweisführung sowie die Beweislast (onus probandi), d. h. die Verbindlichkeit zur Beweisführung, wird zuweilen als Beweis bezeichnet.
Beweismittel dagegen nennt man alles dasjenige, was die beweispflichtige Partei gebraucht, um den Richter zu überzeugen, während das unmittelbare Resultat dieser Beweismittel unter der Bezeichnung Beweisgründe zusammengefaßt wird. Beweissatz (Beweisthema) endlich ist die präzisierte Thatsache, welche den Gegenstand der Beweisführung bildet. Was die Beweismittel im einzelnen anbelangt, so kann dem Richter die juristische Gewißheit einer bestrittenen Thatsache verschafft werden zunächst durch eigne Wahrnehmung, sei es sinnliche (Augenschein) oder intellektuelle bei dem sogen. künstlichen Beweis (s. unten). Der Beweis kann ferner erbracht werden durch die Wahrnehmung andrer, sei es der Parteien (nämlich entweder durch deren gerichtliches Geständnis oder durch deren Eid) oder dritter Personen (Zeugen, Sachverständiger) oder durch die in Urkunden niedergelegten Angaben der Parteien oder dritter Personen (vgl. die Artikel Augenschein, Eid, Geständnis, Sachverständiger, Urkunde und Zeuge).
Man unterscheidet folgende Arten des Beweises:
1) Beweis (probatio) und Gegenbeweis (reprobatio); den erstern nennt man im Gegensatz zum letztern Hauptbeweis. Der Gegenbeweis ist nur ein relativer Begriff, indem er bloß in Beziehung auf den Beweis (Hauptbeweis) und zwar als dessen Gegensatz gedacht werden kann. Wo es keinen Hauptbeweis, von dessen Erbringung der Sieg des Beweisführers abhängt, gibt, da kann auch von keinem Gegenbeweis die Rede sein, dessen Zweck immer das Gegenteil von dem Zweck des Hauptbeweises ist. Nach der Art der Erwirkung dieses Zweckes ist der Gegenbeweis entweder ein direkter (wahrer oder eigentlicher) oder ein indirekter (uneigentlicher).
Der direkte Gegenbeweis will bloß das Gelingen des Hauptbeweises und dadurch den Sieg des Hauptbeweisführers verhindern, weshalb sein Thema das gerade Gegenteil des Beweisthemas ist. Er ist in Wahrheit ein Gegenbeweis, weil er direkt gegen den Hauptbeweis und dessen Thema gerichtet ist, und nur von diesem eigentlichen Gegenbeweis gilt der Rechtsgrundsatz: Reprobatio reprobationis non datur, d. h. gegen den Gegenbeweis ist ein weiterer Gegenbeweis nicht zulässig.
Denn der Gegenbeweis gegen den Gegenbeweis könnte bloß wieder die Bewahrheitung des Hauptbeweissatzes bezwecken, wäre also nur ein wiederholter oder neuversuchter Hauptbeweis und sonach kein wahrer Gegenbeweis. Der indirekte Gegenbeweis greift dagegen den Hauptbeweis, dessen rechtliche Folgen er nur mittelbar zerstören will, unmittelbar gar nicht an, läßt denselben vielmehr ganz unangefochten, er sucht bloß die rechtliche Wirksamkeit desselben durch die Erweisung einer solchen Behauptung aufzuheben, welche das Recht selbst, das der Hauptbeweisführer durch leinen Beweis als thatsächlich bestehend begründete, ¶
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entweder als unwirksam gegen den Gegenbeweisführer oder als wieder erloschen darstellt. Was man indirekten Gegenbeweis nennt, ist daher in Wahrheit ein selbständiger, von einem Hauptbeweis völlig unabhängiger Beweis. Er ist der Beweis der Einreden in Bezug auf den Klageangriff, Beweis der Dupliken in Bezug auf den Replikangriff etc. Der sogen. indirekte Gegenbeweis unterscheidet sich sonach von dem Hauptbeweis, dessen rechtliche Folgen er aufzuheben strebt, bloß dadurch, daß er in Bezug auf denselben einen Verteidigungsangriff zum Gegenstand hat und ebendeshalb nur eventuell für den Fall der Wirksamkeit des unmittelbar vorausgegangenen Angriffs notwendig ist. Hiervon abgesehen, ist er selbst ein wahrer Hauptbeweis, für den die über den Hauptbeweis aufgestellten Regeln analog gelten. Der Beweis ist ferner
2) in Bezug auf die Art des Beweisverfahrens und zwar a) nach der Art der Bewirkung der richterlichen Überzeugung ein natürlicher oder ein künstlicher, je nachdem der Beweisführer den Richter unmittelbar von der Wahrheit der streitigen Behauptung selbst oder zunächst von der einer andern zu überzeugen sucht, aus welcher sich die Wahrheit der erstern als Folgerung ergibt; b) nach der Zahl der gewählten Beweismittel ein einfacher oder ein zusammengesetzter, je nachdem ein und derselbe Thatbestand nur durch ein einziges oder durch mehrere Beweismittel, z. B. Zeugen und Urkunden, zugleich bewahrheitet wird; c) nach dem Gegenstand ein Haupt- oder ein Nebenbeweis, je nachdem er die Hauptsache selbst oder nur einen Nebenpunkt betrifft; d) nach der Zeit der Beweisführung entweder ein ordentlicher oder ein außerordentlicher, je nachdem er in der eigentlichen Beweisperiode oder früher geführt wird, wie dies bei dem Beweis zum ewigen Gedächtnis oder bei der Sicherung des Beweises (s. unten) der Fall ist. Endlich teilt man den Beweis.
3) in Bezug auf das Ergebnis der Beweisführung in den vollständigen und unvollständigen (probatio plena et minus plena) ein. Er heißt vollständig, wenn er das Beweisthema als völlig juristisch wahr darstellt, im entgegengesetzten Fall aber unvollständig. Der unvollständige Beweis muß durch einen vom Richter aufzuerlegenden Parteieid ergänzt werden. Übrigens spricht man auch von einem unvollständigen Beweis dann, wenn es sich darum handelt, nicht die volle Gewißheit, sondern nur die Wahrscheinlichkeit einer Angabe darzuthun. Es sind dies die Fälle, in denen eine Bescheinigung (Glaubhaftmachung) genügt; so besonders bei einstweiligen Verfügungen.
Gegenstand des Beweises können nur bestrittene, ungewisse, erhebliche Thatsachen sein. Es muß sich also vor allem um eine thatsächliche Behauptung einer Partei handeln. Hieraus folgt, daß das im Land publizierte Gesetz, weil dasselbe vermöge der Publikation von jedem anerkannt werden und namentlich dem Richter bekannt sein muß (jura noscit curia); nicht Gegenstand der Beweisauflage sein kann. Dagegen können solche Rechtsnormen, welche nicht auf öffentlicher allgemeiner Bekanntmachung im Land beruhen, wie Gewohnheitsrecht, Privilegien, ausländische Gesetze und lokales Recht, als Beweisthema vorkommen.
Die betreffende Thatsache muß ferner vom Gegenteil bestritten, verneint sein, denn sonst ist ein Beweis derselben nicht erforderlich, und sie muß zudem eine ungewisse sein. Deshalb bedarf insbesondere keines Beweises das Notorische, d. h. eine Thatsache, welche mit solcher Gewißheit bekannt ist, daß ein Wegleugnen derselben nur als Schikane betrachtet werden könnte. Nach den Umfang des Bereichs, in welchem diese Gewißheit vorausgesetzt wird, unterscheidet man die Volks- oder Ortskundigkeit, die Erfahrungskundigkeit und die Gerichtskundigkeit. Da das wirklich Notorische thatsächliche Wahrheit (Evidenz) ist, so kann es nicht mit Erfolg verneint und braucht daher auch nicht bewiesen zu werden.
Dasselbe gilt von einem Vorbringen, welches sich auf eine Rechtsvermutung stützt, weil hier der zureichende Grund für die Gewißheit der Thatsache im Gesetz selbst liegt, sei es nun, daß das Gesetz den Beweis des Gegenteils zuläßt (Rechtsvermutung im eigentlichen Sinn, praesumtio juris) oder ausschließt (gesetzlich begründete Gewißheit, Fiktion, praesumtio juris et de jure). Die bloße Wahrscheinlichkeit einer Thatsache (praesumtio hominis) dagegen befreit vom Beweis nicht.
Endlich sind auch unerhebliche, irrelevante Behauptungen, d. h. solche, welche keinen wesentlichen Einfluß auf die Entscheidung des Rechtsstreits haben, vom Beweis ausgeschlossen. Was die Beweislast anbelangt, so bestimmt sich dieselbe im wesentlichen nach folgender Regel: Jede Partei hat ihre eigne, von der andern mit Nein oder Nichtwissen beantwortete Behauptung, worauf sie einen selbständigen Angriff oder Gegenangriff gründet, zu beweisen (ei incumbit probatio, qui dicit, non qui negat).
Der Kläger hat also die Behauptung, worauf er die Klage, Replik etc., und der Beklagte die Behauptung, worauf er die Einrede, Duplik etc. stützt, zu beweisen. Wer also z. B. aus einem Kaufvertrag auf Zahlung des Kaufpreises klagt, hat den Beweis aller derjenigen Thatsachen zu erbringen, welche das Recht des Verkäufers auf Zahlung eines bestimmten Kaufpreises seitens des Käufers begründen, insofern der Käufer und nunmehrige Verklagte diese Thatsachen bestritten hat.
Dabei ist aber zu beachten, daß die Fortdauer eines einmal entstandenen Rechts bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wird; die gegnerische Behauptung, daß das Recht aufgehört habe, zu bestehen, ist eine wahre Einrede, daher des Beweises bedürftig. In der Beweislast liegt demnach die Verbindlichkeit, den thatsächlichen Grund des Angriffs oder des Gegenangriffs, d. h. das faktische Entstandensein des geltend gemachten Rechts, rechtsgenügend zu bewahrheiten. Wenn demnach der Gegner die Fortdauer des entstandenen Rechts in Abrede stellt, z. B. die Zahlung einer geklagten Schuld behauptet, so verneint er nicht bloß die gegenteilige Behauptung, sondern er behauptet eine neue Thatsache, durch welche das Recht in seiner Wirksamkeit suspendiert oder aufgehoben, also wirkungslos geworden ist, und macht also einen wahren Gegenangriff, welchen er zu beweisen hat.
Was das Beweisverfahren anbetrifft, so unterschied der frühere gemeinrechtliche Prozeß scharf zwischen dem vorbereitenden Schriftenwechsel und dem Beweisverfahren, welch letzteres wiederum in mehrere Abschnitte zerfiel. Nachdem im ersten Verfahren durch den Schriftenwechsel die thatsächlichen Streitpunkte festgestellt waren, erließ das Gericht ein förmliches Beweisurteil (Beweisbescheid, Beweisinterlokut), in welchem Beweislast, Beweissatz und Beweisfrist festgestellt wurden. Hieran schloß sich alsdann das Beweisverfahren. Nach dem Vorgang des französischen Rechts haben jedoch die neuern deutschen Prozeßordnungen und insbesondere die deutsche Zivilprozeßordnung vom jene beiden Prozeßperioden verschmolzen. Im vorbereitenden Schriftenwechsel oder doch in der mündlichen Verhandlung und jedenfalls vor Schluß der ¶
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Titel
Beweis
in jurist. Bedeutung.
1) Im Civilprozeß. Beweisen im allgemeinen heißt dem Gericht zur Erlangung einer sichern thatsächlichen Unterlage für die abzugebende Entscheidung die Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit des Parteivorbringens verschaffen. Demnach sind Gegenstand des Beweis nur Thatsachen, nicht Rechtsnormen. Die Kenntnis des letztern wird beim Richter grundsätzlich vorausgesetzt (jura novit curia). Es bedürfen aber des Beweis einerseits nur die für die Entscheidung erheblichen Thatsachen. Welche Thatsachen dies sind, bestimmt sich nach dem bürgerlichen Recht (s. Beweislast). Es ist Sache der Parteien, dies Recht zu kennen; der Richter sagt es ihnen nicht. Das in frühern deutschen Partikularrechten und auch im österr. Recht (vgl. Menger, Österr. Civilprozeß, S. 338) vorkommende Beweisurteil, in welchem nach Abschluß der Parteibehauptungen das Gericht aussprach, was und von wem zu beweisen sei, ist von der Deutschen Civilprozeßordnung nicht übernommen. Andererseits erübrigt sich vom prozessualen Gesichtspunkt aus der Beweis solcher Thatbehauptungen, welche vom Gegner im Laufe des Rechtsstreits vor dem erkennenden oder einem beauftragten oder ersuchten Richter zugestanden oder dem Gericht offenkundig (s. Notorietät) sind. Die Beweispflicht beschränkt sich daher auf streitig gebliebene erhebliche Behauptungen.
Die Beweisführung ist grundsätzlich Sache der Parteien. Nur für gewisse Thatfragen, beziehentlich gewisse Beweismittel konkurriert eine Amtsermittelungspflicht des Gerichts. Der leitende Grundsatz für die Beweisführung ist nach der Deutschen Civilprozeßordnung der der Beweisverbindung. Derselbe besteht wesentlich darin, daß jede Partei in der mündlichen Verhandlung einesteils für ihre eigenen und zur Widerlegung der gegnerischen Behauptungen zugleich den Beweis anzutreten, andernteils sich über die Beweismittel des Gegners zu erklären hat.
Die Beweisantretung erfolgt durch Bezeichnung der Beweismittel. Die Civilprozeßordnung behandelt als Beweismittel ausdrücklich nur Augenschein, Zeugen, Sachverständige, Urkunden und Eid, ohne damit andere Beweisquellen, namentlich das außergerichtliche Geständnis, auszuschließen. Der Beweis kann darauf abzielen, die Wahrheit der zu beweisenden Thatsache unmittelbar zur Überzeugung zu bringen; er kann aber auch nur die Bewahrheitung solcher Thatsachen bezwecken, aus denen auf die Wahrheit der eigentlichen Beweisthatsache geschlossen werden kann (künstlicher oder Indizienbeweis). Die Beweiseinlassung ist denkbar in Gestalt von Einreden gegen gegnerische Beweismittel (s. Beweiseinreden) oder in Gestalt der Abgabe gewisser Erklärungen aus letztere (z. B. Annahme oder Zurückschiebung von Eiden).
Die Aufnahme und die Würdigung der genommenen Beweismittel fällt dem Amtsbetriebe des Gerichts zu, erstere, weil sie die Entscheidung vorbereitet, letztere, weil sie Teil der Entscheidung ist. - Die Beweisaufnahme bildet nach der Deutschen Civilprozeßordnung in dem Prozeßverfahren bis zum Urteil keinen getrennten Abschnitt. Vielmehr geht das Verfahren einheitlich bis zum Urteil fort, und die Beweiserhebung gilt nur als ein den regelmäßigen Verlauf unterbrechender Zwischenpunkt, soweit das Gericht eben der thatsächlichen Aufklärung bedarf.
Dementsprechend erfolgt auch die Anordnung der Beweisaufnahme nicht durch Urteil (für Österreich [* 6] s. oben), sondern durch bloßen Beschluß (Beweisbeschluß), welcher das Gericht nicht bindet, von dem es beliebig abgehen kann, und welcher für sich nicht anfechtbar ist. Dieser Beschluß ergeht, wenn nötig, nach Schluß der mündlichen Verhandlung auf Prüfung des vorgetragenen Streitstoffs. Er regelt aber nicht die Beweislast der Parteien, giebt vielmehr nur an, über welche Behauptungen und durch welche der angebotenen Beweismittel der Richter eine Erhebung veranlassen will. Seine Erledigung erfolgt grundsätzlich vor dem Prozeßgericht selbst, und nur unter gewissen Voraussetzungen vor einem beauftragten Mitgliede desselben oder vor einem ersuchten andern Richter. - Nach Abschluß der Beweisaufnahme wird die mündliche Parteiverhandlung wieder aufgenommen und zu Ende geführt, wobei solche sich auch auf das Ergebnis der Beweisaufnahme zu erstrecken hat. Für die demnächst im Urteil vorzunehmende Prüfung des Beweisergebnisses gilt in der Deutschen Civilprozeßordnung (im österr. Recht nur für das Bagatellverfahren, Menger, S. 321) der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung. Derselbe ist im Gesetz dahin formuliert, daß das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden hat, ob eine thatsächliche Behauptung ¶
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für wahr oder nicht wahr zu erachten sei. Zugleich fordert das Gesetz aber, um dem höhern Richter eine Nachprüfung der Beweiswürdignng zu ermöglichen, daß im Urteile die für die richterliche Überzeugung leitend gewesenen Gründe dargelegt werden. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung wird nur in den vom Gesetz bezeichneten Fällen durch Beweisregeln eingeengt, d. h. durch Regeln, welche dem Gericht unter gewissen Voraussetzungen vorschreiben, eine Thatsache als bewiesen oder nicht bewiesen anzusehen. Solche Regeln kommen wesentlich beim Beweis durch Urkunden und Eid, daneben als Rechtsfolgen bei Versäumung gewisser Prozeßhandlungen vor. (Vgl. die §§. 255-200,3, 135, 320-455 der Civilprozeßordnung.)
2) Im Strafverfahren wird die Aufgabe des Gerichts, die materielle Wahrheit zu erforschen, weder durch die vom Ankläger gebotenen Beweismittel noch dadurch begrenzt, daß der Beschuldigte sich der Anklage unterwirft, die ihm zur Last gelegte Strafthat gesteht. Wenn es auch zunächst Sache der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten ist, die Beweismittel herbeizuschaffen oder wenigstens deren Herbeischaffung zu beantragen, so ist das Gericht doch auch befugt, die Ladung von Zeugen und Sachverständigen und die Herbeischaffung anderer Beweismittel anzuordnen (Deutsche [* 8] Strafprozeßordn. §§. 153, 198, 213, 218 fg., 243; Österr. Strafprozeßordn. §§ 207, 222 fg., 254). Der Grundsatz der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit erfordert, daß die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung vor den zur Urteilsfindung berufenen Personen stattfindet; die Beweisaufnahme im Vorverfahren hat bloß den Zweck, die Staatsanwaltschaft und das Gericht so weit zu unterrichten, um sich über die Erhebung der öffentlichen Klage bez. die Eröffnung des Hauptverfahrens schlüssig zu machen; deshalb werden auch Zeugen in der Regel erst in der Hauptverhandlung beeidigt, dem Beschuldigten oder andern Zeugen gegenübergestellt («konfrontiert»; Deutsche Strafprozeß ordn. §§. 58, 65; Osterr. Strafprozeßordn. §. 109). Nur im Ermittelungsverfahren verfügt der Staatsanwalt, in der gerichtlichen Voruntersuchung der Untersuchungsrichter selbständig darüber, welche Beweis zu erheben sind (Deutsche Strafprozeßordn. §§. 159, 160, 182; Österr. Strafprozeßordn. §§. 88, 96, 188, 195). In der Hauptverhandlung erfolgt die Beweisaufnahme durch den Vorsitzenden und hat sich auf sämtliche herbeigeschafften Beweismittel, insbesondere also auf alle erschienenen Zeugen und Sachverständigen zu erstrecken.
Wird erst in der Hauptverhandlung ein Beweisantrag gestellt, so kann der Vorsitzende, falls dies ohne Aussetzung der Verhandlung angängig, demselben stattgeben; muß aber die Hauptverhandlung ausgesetzt, oder soll ein Beweisantrag abgelehnt werden, so bedarf es eines Gerichtsbeschlusses, der mit Gründen verkündigt werden muß. Die Ablehnung eines Beweisantrags wird namentlich dann gerechtfertigt sein, wenn die zu beweisende Thatsache für die Entscheidung unerheblich ist; sie darf aber nicht deshalb erfolgen, weil das Beweismittel oder die zu beweisende Thatsache zu spät vorgebracht sind, auch nicht deshalb, weil das Beweismittel, z. B. der benannte Zeuge, unglaubwürdig sei, da darüber erst nach Erhebung des Beweis entschieden werden kann (Deutsche Strafprozeßordn. §§. 237, 243, 244, 245; vgl. Österr. Strafprozeßordn. §§. 232, 238, 240). Unzulässige Beschränkung der Verteidigung durch Ablehnung von Beweisanträgen bildet einen der häufigsten Gründe zur Anfechtung von Strafurteilen durch das Rechtsmittel der Revision (s. d.), bez. der österr.
Nichtigkeitsbeschwerde (Österr. Strafprozeßordn. §. 281, Nr. 4). In den Verhandlungen vor den Schöffengerichten und vor den Landgerichten in der Berufungsinstanz in Übertretungs- und Privatklagesachen bestimmt das Gericht den Umfang der Beweisaufnahme nach seinem Ermessen (Deutsche Strafprozeßordn. §. 244, Abs. 2). Auch in andern Sachen wird für die Berufung (s. d.) der Grundsatz der Unmittelbarkeit nicht unbedingt durchgeführt. Die an Stelle der Beweistheorie, welche früher die Wirkung der einzelnen Beweismittel auf die richterliche Überzeugung gesetzlich regelte, getretene freie Beweiswürdigung setzt voraus, daß die Beweisaufnahme selbst in dem gesetzlich vorgeschriebenen Umfange stattgefunden hat (Deutsche Strafprozeßordn. §. 260; vgl. Österr. Strafprozeßordn. §§. 258, 326). Bezüglich der einzelnen Beweismittel s. Augenschein, Sachverständige, Urkundenbeweis, Zeuge.