Bettelwesen.
Die
Stellung der Bettelei zur menschlichen
Kulturgeschichte ist eng verbunden mit der
Entwickelung des
Armenwesens. Es kann nicht überraschen, daß die ethische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Beurteilung
des Bettelwesens
in verschiedenen
Zeiten eine sehr ungleiche gewesen ist.
Instinktiv pflegt man im Bettler zunächst einen
beklagenswerten und unglücklichen
Menschen zu sehen. Wo, wie bei orientalischen Völkern, das Almosengeben dem Einzelnen
als religiöse
Pflicht auferlegt wird, kann der Bettler selbst, der den
Reichen an seine Gewissensschuld
erinnert, nicht getadelt werden.
Selbst bei den Griechen stellte der alte Volksglaube die Bettler unter den
Schutz des
Zeus
[* 2] Hiketesios. Innerhalb der christlichen
Kirche übte die asketische
Richtung einen bedeutenden Einfluß auf die Behandlung des Bettelwesens.
Einerseits
galt es als verdienstlich, sich seines weltlichen Besitztums zu entschlagen, weil
Christus die
Armut gepriesen und dem
Reichtum
den Eingang in das
Himmelreich erschwert sah. Anderseits betrachtete die
Kirche selbst sich berufen, zum
Zweck der Almosenspendung
die Errichtung frommer
Stiftungen thunlichst zu befördern.
Die Verdienstlichkeit der Armut und die Ehrenhaftigkeit der Bettelei kamen in den Bettelorden zum schärfsten Ausdruck (vgl. Bettelmönche). Schon im Mittelalter empfanden aber auch die Städte die Gefahren eines erheblich angewachsenen Proletariats. Man begann daher, durch polizeiliche Anordnung den unberechtigten Bettel zu unterdrücken, indem man anderseits bei gewissen hilflosen und gebrechlichen Personen durch Ausstellung obrigkeitlicher Bettelbriefe ein Recht auf Mildthätigkeit anerkannte.
Als älteste Bettlerordnung in
Deutschland
[* 3] gilt die
Nürnberger von 1478, außerdem versuchte man insbesondere durch den
Reichsabschied
von 1512, den
Landfrieden von 1551 und die Reichspolizeiordnung von 1577 der Bettelei entgegenzuwirken. Unabsehbar ist die
Reihe der landespolizeilichen
Verordnungen, die in den deutschen Territorien, zumal nach dem Dreißigjährigen
Krieg, das Bettelwesen
zu hemmen bemüht waren. Vorzugsweise war es jedoch die englische
Gesetzgebung, die im 16. Jahrh. durch Auspeitschungen
und
Brandmarkungen den Bettlern und Landstreichern zu Leibe ging. Die modernen
Anschauungen sind von unbilliger
Härte ebenso
weit entfernt wie von kurzsichtiger Duldung. Unter dem Einfluß verbesserter Wirtschaftspolizei und vertiefter
Staatswissenschaft erkannte man, daß Bettelei mit der öffentlichen
Ordnung unvereinbar ist, das
Gefühl wirtschaftlicher Selbstverantwortlichkeit
und die produktive
Energie der
Arbeit beeinträchtigt, die Begehung von Eigentumsverbrechen begünstigt, das
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Ehrgefühl abstumpft und aus keinem Grund geduldet werden darf. Man hatte aber auf der andern Seite auch eingesehen, daß
durch Strafgesetze allein dem Bettelwesen
nicht zu begegnen ist. Vorbedingung für die Ausrottung der Bettelei ist
eine zweckmäßige Organisation der Armenpflege, welche die wirklich Bedürftigen der Notwendigkeit enthebt, sich an die
Mildthätigkeit der Einzelnen zuwenden. Neben den Anstalten der öffentlichen Armenpflege mögen dann Vereine bemüht sein,
in Fällen gewissenhaft konstatierter Würdigkeit milde Gaben an die richtige Stelle zu leiten.
Mit Rücksicht auf die besondere Erscheinungsform der Bettelei unterscheidet man: Hausbettel, der vielfach zur Bemäntelung von kleinen Gelegenheitsdiebstählen dient, Straßenbettel, Wanderbettelei (Vagabundentum), gewerbsmäßigen und betrügerischen Bettel. Am allerwenigsten darf der Mißbrauch der Kinder zum Zweck des Bettelns geduldet werden. Das deutsche Strafgesetzbuch bestraft Bettelei als Polizeiübertretung mit Haft (§ 361), gewohnheitsmäßige Bettler und solche, welche unter Drohungen oder mit Waffen [* 5] gebettelt haben, können nach verbüßter Haft bis zu 2 Jahren in ein Arbeitshaus eingesperrt werden (§ 362). Den selbst Bettelnden sind diejenigen gleichgestellt, welche Kinder zum Betteln anleiten oder ausschicken oder die ihrer Aufsicht untergebenen, zu ihrer Hausgenossenschaft gehörigen Personen vom Betteln abzuhalten unterlassen. Bettelei unter Vorspiegelung körperlicher Gebrechen oder unter Behauptung falscher Thatsachen wird als Betrug durch die Gerichte geahndet. (Vgl. übrigens auch Armenwesen und Arbeitshäuser.)