Beschränkte Haftpflicht
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Beschränkte
Haftpflicht
(Haftbarkeit, Haftung, Haftverbindlichkeit), im allgemeinen die Verpflichtung, für gewisse Schäden und
Nachteile aufzukommen, sei es für
bereits eingetretene, sei es für zukünftige. In dem letztern Fall
heißt es von demjenigen, welchem die Haftpflicht
obliegt: er trägt die Gefahr oder haftet für die Gefahr (s. d.);
doch bezieht sich
dieser Ausdruck eigentlich nur auf solche Schäden, welche einen Gegenstand ohne Verschulden des Haftpflich
tigen treffen. Im
allgemeinen gilt nämlich die Rechtsregel, daß jeder für den durch sein schuldhaftes Handeln verursachten
Schaden haftbar ist (s. Culpa), sei es, daß er vorsätzlicher- oder fahrlässigerweise einen andern schädigte.
Der Umfang
der Haftpflicht
ist teils durch Gesetz oder Herkommen allgemein oder durch Vertrag für den einzelnen Fall bestimmt. Besonders wichtig
sind die Fälle, in denen mehrere Verpflichtete solidarisch, d. h. einer für alle und alle für einen,
haftbar sind. In diesen Fällen spricht man von einer Solidarhaft (s. Korrealverbindlichkeit). Für zufällige schädigende
Ereignisse ist man nur auf Grund besonderer Gesetzesvorschrift oder Vereinbarung haftbar. Im engern Sinn ist Haftpflicht
die Verpflichtung,
den nicht aus eignen Handlungen oder Unterlassungen entstandenen Schaden (s. d.) zu ersetzen.
Namentlich handelt es sich dabei nicht nur um zufällig entstandenen, sondern vorzugsweise um solchen Schäden, welcher durch
dritte Personen verschuldet wurde, für welche der Haftpflichtige
eintreten muß. Diese Verpflichtung, den nicht aus eignen
Handlungen oder Unterlassungen entstandenen Schaden zu ersetzen, beruht entweder auf dem Gesetz, oder sie
wird im einzelnen Fall vertragsmäßig durch Auftrag oder Bürgschaft (s. d.) übernommen. Verschiedenartig wird die Frage beantwortet,
ob auch Empfehlungen und Ratschläge eine Haftpflicht
begründen.
Bejaht wird die Haftpflicht
für die Fälle, wo Amt, Beruf oder Gewerbe zu Erteilung von Ratschlägen besonders verpflichten, und außerdem,
wo Arglist oder grobe Fahrlässigkeit erwiesen worden ist. In Bezug auf die gesetzliche Haftpflicht
ist die Frage
viel erörtert, wie weit der Staat aus den Handlungen seiner Beamten verpflichtet werde. Die bestehende Gesetzgebung verneint
die Haftpflicht
des Staats für die Thätigkeit seiner Beamten bei der Verwaltung von Hoheitsrechten. Dagegen tritt dieselbe in
beschränktem
Maß ein:
1) bei den Versehen der Grundbuchbeamten, wenn von den letztern Schadenersatz nicht zu erlangen ist;
2) bei der gerichtlichen Hinterlegung zum Teil mit der gleichen Beschränkung;
3) die Postverwaltung haftet für den Verlust oder die Beschädigung von Sendungen mit Wertangabe, von eingeschriebenen Sendungen und von Paketen, nicht aber für gewöhnliche Briefe, nach Maßgabe des Postgesetzes vom
4) die Telegraphenverwaltung leistet keinerlei Schadenersatz außer der Erstattung der Gebühren für verlorne oder durch Schuld
des Telegraphenbetriebs mit bedeutender Verzögerung in die Hände des Empfängers gelangte oder verstümmelte verglichene
Depeschen (Telegraphenordnung vom § 24). In privatrechtlicher Hinsicht war schon im
römischen Recht begründet: eine Haftpflicht
des Hausvaters für den Haussohn, jedoch nur, soweit das Peculium (s. d.), nicht aber der
Auftrag (jussus) ging oder der Haussohn die Geschäfte des Vaters geführt hatte, also nicht für Delikte, es müßte denn der
Erwerb durch das Delikt das väterliche Vermögen bereichert haben; ferner eine Haftpflicht
für Beschädigungen durch
Tiere (Noxaklage, actio de pauperie). Eine weitere Haftpflicht
ist die der Gastwirte (s. d.). Im französischen Recht ist die Haftpflicht
für
dritte Personen besonders ausgedehnt, indem gemäß Art. 1384 haftbar sind: der Vater und nach
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seinem Tode die Mutter für den Schaden, welchen ihre minderjährigen, bei ihnen wohnenden Kinder verursacht haben; Hausherren
und Auftraggeber für den Schaden, welchen ihr Hausgesinde und die von ihnen Beauftragten in den ihnen aufgetragenen Geschäften
veranlaßten; Lehrer und Handwerker für den Schaden, welchen ihre Zöglinge und Lehrlinge während der Zeit,
wo dieselben unter ihrer Aufsicht sind, verursachten. Es können sich diese haftbaren Personen durch den Beweis befreien, daß
sie die beschädigende Handlung nicht verhindern konnten. Das deutsche Handelsgesetzbuch, Art. 395, legt dem Frachtführer die
unbeschränkte
Haftpflicht
für den Verlust oder die Beschädigung des Frachtguts auf, soweit sie nicht durch die
Beschaffenheit desselben oder durch höhere Gewalt entstanden sind. Er haftet zugleich für die Versehen seiner Gehilfen.
Eine besondere (und diese Haftpflicht
ist jetzt zumeist gemeint, wenn man von Haftpflicht schlechthin spricht)
ist durch das Reichsgesetz vom betreffend die Verbindlichkeit zum Schadenersatz für die bei dem Betrieb
von Eisenbahnen, Bergwerken, Fabriken, Steinbrüchen und Gräbereien herbeigeführten Tötungen und Körperverletzungen (Haftpflich
tgesetz)
geregelt worden. Den Anstoß zu diesem Gesetz gaben die sich stets mehrenden Unglücksfälle bei industriellen Etablissements,
in Bergwerken (Katastrophe im Plauenschen Grund) und bei Eisenbahnen.
Dies Gesetz macht einen wichtigen Unterschied zwischen dem Eisenbahnbetrieb und sonstigen industriellen Unternehmungen. Wird nämlich bei dem Betrieb einer Eisenbahn (also nicht bloß bei der Beförderung auf der Bahn) ein Mensch getötet oder körperlich verletzt, so haftet der Betriebsunternehmer für den dadurch verursachten Schaden. Dabei ist in Ansehung der Eisenbahnunfälle [* 4] die Beweislast abweichend von den allgemeinen Rechtsregeln bestimmt. Nicht der Beschädigte hat seinen Entschädigungsanspruch durch die Behauptung u. durch den Nachweis eines Verschuldens auf seiten der Bahnverwaltung zu begründen, sondern der Betriebsunternehmer haftet schlechthin für jenen Schaden, sofern nicht er den Nachweis erbringt, daß der Unfall durch höhere Gewalt oder durch eignes Verschulden des Getöteten oder Verletzten entstanden.
Anders liegt die Sache bei dem Betrieb von Bergwerken, Steinbrüchen, Gräbereien und Fabriken. Der Unternehmer haftet hier allerdings auch in dem Fall, daß ein Bevollmächtigter oder ein Repräsentant oder eine zur Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebs oder der Arbeiter angenommene Person durch ein Verschulden in Ausführung der Dienstverrichtungen den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen herbeigeführt hat, für den dadurch verursachten Schaden.
Der Beweis der Verschuldung liegt jedoch in solchem Fall dem Verunglückten oder seinen Hinterbliebenen ob. Die Schwierigkeit
einer solchen Beweisführung, die Umständlichkeit und Kostspieligkeit des gerichtlichen Verfahrens machten nun freilich die
Wohlthaten, welche das Haftpflich
tgesetz namentlich dem Arbeiterstand bringen sollte, vielfach gegenstandslos, und
ziemlich allgemein ward schon wenige Jahre nach dem Erlaß des Haftpflich
tgesetzes dessen Verbesserungsbedürftigkeit anerkannt.
Der große Aufschwung der modernen industriellen Verhältnisse mit ihrer Massenproduktion und ihrem Maschinenbetrieb schien
eine größere Sicherung der Arbeiter gegen die Unfallsgefahr zu erheischen. In dem Bestreben, damit auch zur Lösung der Arbeiterfrage
überhaupt einen Schritt vorwärts zu thun, entschloß man sich zur Einführung einer allgemeinen Unfallversicherung
für
die Arbeiter mit gesetzlichem Versicherungszwang, und so entstand das Unfallversicherungsgesetz vom welches
das Haftpflich
tgesetz in Ansehung der Arbeiterbevölkerung im wesentlichen gegenstandslos macht (s.
Unfallversicherung).
Für die Unfallentschädigung für dritte Personen, also bei dem Eisenbahnbetrieb insbesondere in Ansehung
der Reisenden, ist das Haftpflich
tgesetz nach wie vor maßgebend.
Vgl. Endemann, Die Haftpflicht
(3. Aufl., Berl. 1885);
Kah, Das Haftpflichtgesetz (Mannh. 1874);
Meili, Die Haftpflicht der Postanstalten (Leipz. 1877);
Eger, [* 5] Das Reichshaftpflichtgesetz (3. Aufl., Bresl. 1885);
»Die Haftpflichtfrage« (Gutachten und Berichte in den Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 19, Leipz. 1880).