Bernīna,
Hochgebirgsgruppe der
Graubündner Alpen, zerfällt durch den
Sattel des wilden und vergletscherten Murettopasses
in eine westliche und östliche Hälfte, jene mit dem
Monte della Disgrazia (3680 m), diese mit dem
Piz Bernina
(4052
m) als
Haupt. Hier erreichen die
Graubündner Alpen ihre mächtigste
Entwickelung; aus einer großartigen
Schnee- und
Eiswelt ragt ernst und feierlich ein
Kranz von Felsgipfeln auf. Der Eisstrom des
Morteratschgletschers, der sich in seiner
obern Hälfte mit dem Persgletscher vereinigt, ist 7,5 km lang und ein wahrer Modellgletscher,
insofern sich auf ihm alle Gletscherphänomene vorfinden.
Gleich ihm entsenden auch der Roseg-
und der Tschiervagletscher in ihrer Vereinigung (zur Zeit stark
im Rückgang begriffen) einen Abfluß zum
Inn. Aus der Mitte des
Gletschers erhebt sich eine mit Kräutern bewachsene Felseninsel,
ein beliebtes Touristenziel. Der
Roseggletscher bietet von
Pontresina aus einen herrlichen Anblick dar. Von
Pontresina, der
besten
Station für die Bernina
gruppe, führen Wege (1¼, bez. 2½
Stunden) zu dem Unterende des Morteratsch-
sowie des
Roseggletschers, die man beide von ihrer
Fronte besteigen kann.
Durch schön grüne Färbung zeichnet sich der Palügletscher aus, der gegen
Val
Poschiavo hinabsteigt und mit ein paar andern
Eisströmen der Südabdachung des
Gebirges angehört. Auch die abgetrennte Westhälfte des ganzen Bernina
gebirges, diejenige
des
Monte della Disgrazia, birgt ihre mächtigen Eisströme auf der Schweizerseite, in den Nebenthälern
des
Bergell: den Fornogetscher ^[richtig: Fornogletscher] und den Albignagletscher. Die Ersteigung der schwierigsten Gipfel
eröffnete der
Churer Forstinspektor Coaz mit dem
Piz Bernina.
Es folgten zunächst
Piz Morteratsch
(Brügger u. a., 1858),
Piz Tremoggia (J. J.
^[Johann
Jacob] Weilenmann, 1859),
Monte della Disgrazia
(Kennedy und
Leslie Stephen,
1862),
Piz Zupò (Enderlin und Serardy, 1863), Muot da Palü, die mittlere (höchste)
Spitze des Palüstocks
(Buxton u. a.,
1863),
Piz
Roseg, die etwas niedrigere Nordspitze (Birham, 1863),
Piz Roseg
, der höhere Südgipfel
(Moore und
Walker,
[* 2] 1865),
Crasta Güzza (J. J.
^[Johann
Jacob] Weilenmann, 1865).
Diesen ersten Besteigungen folgten weitere gründliche
Durchforschungen der ganzen Gebirgsgruppe, in neuester Zeit besonders durch
Güßfeldt,
Professor
Minnigerode,
Professor
Schulz.
Heute ist die Bernina
gruppe ein Hauptziel des alpinen
Sports. Die
Spitze des Bernina
erreicht man auf dem gewöhnlichen
Weg in 8-9
Stunden von der Bovalhütte aus, die 4
Stunden von
Pontresina an der Westseite des
Morteratschgletschers
liegt. Einen vortrefflichen Ein- und Überblick der Bernina
gruppe gewähren auch die nördlich gelegenen Felsnadeln des
Piz
Languard und des
Piz Ot. Die Einsenkung zwischen der Bernina
gruppe und den mit
Piz
Languard zur Ofenpaßgruppe gehörigen nächsten
Gebirgsstöcken bildet den
Paß
[* 3] Bernina
(2330 m), der
Engadin und
Veltlin (zunächst
Puschlav) verbindet (s.
Flatz
und
Poschiavo).
Die Paßstraße, erst 1864 vollendet, ist die dritthöchste Fahrstraße der
Schweiz
[* 4]
(Furka 2436 m,
Flüela 2403
m) und auch im
Winter lebhaft benutzt. Sie steigt hinter
Pontresina, angesichts des
Morteratschgletschers, hinan, am Bernina
wirtshaus vorüber;
weiterhin erscheinen rechts die beiden 7
Monate jährlich zugefrornen Hochseen, deren einer, der
Lago
Nero,
zum Inngebiet gehört, während der Abfluß des
Lago
Bianco dem
Po sich zuwendet. Etwa 10
Minuten unterhalb der Paßhöhe, noch
auf der
Engadiner Seite, erreicht man das sogen. Ospizio (2309 m), ein gewöhnliches Wirtshaus.
Von hier aus folgt ein näherer (älterer) Fußweg dem Abfluß des
Lago
Bianco über Cavaglia, von wo der
schöne Palügletscher besucht werden kann; die
Straße aber biegt links ab und steigt in zahlreichen Windungen thalwärts
am Wirtshaus La
Rosa vorüber nach
Poschiavo.
Vgl. Studer, Über Eis [* 5] und Schnee, [* 6] Bd. 3 u. 4 (Bern [* 7] 1871 u. 1883).