Begrenzt wird der Bezirk: im O. vom Kanton Graubünden,
im SO. von Italien, im S. vom Bezirk Lugano,
im W. vom Bezirk Locarno und
im N. von der Riviera.
Er umfasst zwei Gebirgsgebiete, die von einander getrennt werden durch den weiten Halbkreis des Tessinthales,
in welches wieder eine Reihe von Seitenthälern ausmünden.
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Ein kleiner Teil des Bezirkes gehört dem Sotto Cenere an, so der obere Abschnitt des vom Camoghè bis
Bironico vom Vedeggio entwässerten Val d'Isone. Die höchsten Gipfel liegen an der NW.-Grenze des Bezirkes: der Gaggio (2268
m), die Madone (2393 m) und der Poncione di Piota (2446 m);
im SW. die Schwelle des Monte Cenere (553 m), den die Strasse Bellinzona-Lugano überschreitet
und die Gotthardbahn in einem 1673 m langen Tunnel unterfährt;
an der italienischen Grenze liegt der San Jorio. Der Hauptfluss
ist der Tessin,
der den Bezirk von N.-SW. in 20 km langem Bogen durchzieht und der heute von Bellinzona abwärts
auf eine Strecke von 8,5 km völlig kanalisiert ist.
Hauptbeschäftigung der Bewohner sind Ackerbau und die an Bedeutung
stets zunehmende Viehzucht. Man zählt im Bezirke 51 Alpweiden, von denen 39 Eigentum von Korporationen und 12 von Privaten
sind und die 1895 an Käse einen Ertrag von 67850 Fr., an Butter von 45175 Fr. und an Milch von 8290 Fr.
brachten. In der Ebene herrscht Weinbau vor; die 1895 gewonnenen 5250 hl Wein galten 180735 Fr., davon entfielen 3156 hl mit 131915
Fr. auf einheimische und 2095 hl mit 48820 Fr. auf amerikanische Reben. Die geschätztesten Lagen sind
die von Gudo, Sementina und Carasso. Ausser dem Weinbau sind noch Frucht und Obstbau, sowie die Zucht von Maulbeerbäumen zu
nennen. *) [*) Trotz aller Anstrengungen ist es uns nicht gelungen, für die verschied. Arten des Anbaues im Bezirk Arealzahlen
zu erhalten.]
Die Viehstatistik ergibt folgende Zahlen:
1876
1886
1896
Hornvieh
5975
6217
5768
Pferde
184
145
187
Schweine
1224
1348
2526
Ziegen
8278
6901
7273
Schafe
1550
917
695
Bienenkörbe
265
777
934
Seit
der Eröffnung der Gotthardbahn im Jahre 1882 haben Handel und Industrie einen grossen Aufschwung genommen, beschränken
sich aber in der Hauptsache noch auf den Hauptort Bellinzona. Der Bezirk wird von der Gotthard- und der St. Bernhardin-Strasse
durchzogen.
Die Auswanderung ist zur Zeit eine wenig beträchtliche.
In seinem Aeussern gleicht Bellinzona ganz den kleinen Voralpenstädtchen der Lombardei. Die Strassen
der Altstadt sind eng, gewunden und unregelmässig und stehen zu den regelmässigen Strassenzügen der neuen Quartiere in eigenartigem
Gegensatz. Aus der Ferne gesehen macht die Stadt mit ihren alten Mauern und Kastellen einen strengen, kriegerisch-trotzigen
Eindruck. Die von der Eidgenossenschaft 1853 z. T. ausgebesserten, z. T. neu angelegten Befestigungsanlagen
haben ihre Bedeutung eingebüsst.
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seit mit der Konzentration der Verteidigungswerke um den St. Gotthard das zu weit vorgeschobene Bellinzona als befestigter
Platz aufgegeben worden ist. Aus dem Mittelalter haben sich in unsere Zeit noch hinübergerettet die alte Mauer, die drei Kastelle
und die Kirchen San Biagio und Santa Maria delle Grazie.
Die grossartige Festungsmauer, als Thalsperre erbaut, zog sich vom Kastell San Michele bis zur Tessinbrücke
«Torretta» und galt um 1500 als wahres Wunderwerk. Sie ist durchweg 3,5
m mächtig und wird auf ihrer ganzen Länge von einer 1,9 m breiten Galerie durchbrochen. Ihr einstiger starker viereckiger
Turm «Portone» wurde 1869 auf Befehl der städtischen
Behörden abgetragen. Was heute von dieser Mauer noch erhalten geblieben ist, stammt zum grössten Teile von der von Ludwig
Sforza, dem Mohren, durchgeführten Erneuerung her.
Das Kastell San Michele, auch CastelloGrande oder Uri
geheissen, erhebt sich 48 m über dem Kirchplatz auf einem zwischen Stadt
und Fluss isoliert gelegenen Felshügel. Die Zeit seiner Erbauung ist nicht bekannt. Von der Regierung 1881 fruchtlos
zum Verkauf ausgeschrieben, diente das Kastell der Reihe nach als eidgenössisches Zeughaus, dann als Gefängnis und endlich
als kantonales Zeughaus. Das schon vor 1340 erwähnte Kastell Montebello, San Martino oder Schwyz,
ö. der Stadt, die malerischste
der drei Burgen Bellinzonas, wird nicht mehr bewohnt und befindet sich in einem völlig verwahrlosten, ruinenhaften Zustand.
Von der Höhe seiner mit Schlingpflanzen dicht bewachsenen Mauern geniesst man eine prächtige Rundsicht über Stadt und Thal.
Das Kastell Sasso Corbaro, Santa Barbara oder Unterwalden endlich, 40 Minuten sö. der Stadt in 464 m gelegen,
wurde nach der Schlacht bei Giornico 1479 erbaut und gehört nicht zur Verteidigungslinie der alten Sperrmauer. Es steht auf
einem von drei Seiten von tiefen Schluchten angefressenen Felssporn und gestattet einen freien Rundblick auf Thal, Stadt und
den Langensee. Zweimal, 1500 und 1600, vom Feuer stark beschädigt, ist es in den jüngst vergangenen
Jahren unter der Leitung von Professor J. Rud. Rahn in Zürich
sachgemäss restauriert worden und soll in ein Hotel umgewandelt werden.
Von öffentlichen Gebäuden sind bemerkenswert: die Stifts- und Pfarrkirche zu St. Stephan und St. Petrus, 1546 vom Architekten
Micheletti erbaut, deren Fassade, Kuppel und Kanzel ganz aus Marmor bestehen und die mit wertvollen Bas-Reliefs
geschmückt ist;
der alte Regierungspalast, ehemaliges Kloster, in dem seit 1848 der Grosse Rat des Kantons
seine Sitzungen
hält;
^[Ergänzung: Chorherrenstift, mit 12 Chorherren, denen ein Propst vorsteht.] die kantonale Handelsschule, ein neues
Gebäude in schönem Stil;
das zierliche Theater (1847);
das eidgenössische Postgebäude;
die Kaserne,
mit Raum für 2000 Mann Infanterie und 200 Mann Kavallerie;
das städtische
Rathaus, zum grössten Teil ungefähr aus dem Jahre 1500 stammend und architektonisch interessant;
Kinderasyl;
die 1862 gegründete
Kantonalbank;
die tessinische Volksbank;
die Filiale der tessinischen Kreditanstalt;
etc. Schulanstalten
sind u. a. die in der ganzen Schweiz vorteilhaft bekannte kantonale Handelsschule, das von Theodosianerinnen geleitete Mädcheninstitut
«Santa Maria», das auf das Gymnasium oder die Handelsschule vorbereitende Knabenprogymnasium Alighieri, eine Kleinkinderschule
nach Fröbelschem Muster, etc.
Die industrielle Thätigkeit ist eine sehr rege: die grossen Reparaturwerkstätten der Gotthardbahn beschäftigen
über 700 Arbeiter;
ausserdem eine Wagenfabrik, je eine Stroh- und Filzhutfabrik, eine Weberei, eine Flachsspinnerei, zwei
Selterswasserfabriken, eine Bierbrauerei, zwei lithographische Anstalten und vier Buchdruckereien. In Bellinzona erscheinen
eine Tageszeitung und mehrere Wochen-, Halbmonats- und Monatsschriften und -zeitungen.
Man zählt 26 berufliche und gesellige
Vereinigungen: Theatergesellschaft, Kaufmännischer Verein, Offiziers-, Schützen-, Feuerwehr- und landwirtschaftlicher
Verein, Velo- und Mandolinistenklub, Turn-, Musik- und Gesangvereine und endlich zahlreiche politische Gesellschaften.
Der heutige Name des Ortes tritt urkundlich 590 zum erstenmale auf als Belitio oder Belintiona, dann finden wir Berinzona,Beliciona, Birrinzona, Birizona (1168) und später Belinzona. Seine Entstehung reicht bis in die Römerzeit
zurück. Als Schlüssel zum St. Gotthard, Lukmanier und St. Bernhardin war Bellinzona zu jeder Zeit einer der wichtigsten Punkte
der Lombardei. Die Stadt Como, sein damaliger Eigentümer, verkaufte den Ort 1242 an Mailand, von dem er 1294 an die Visconti
überging; 1307 neuerdings an Como verkauft, kam er 1390 wieder an Mailand, das ihn 1419 um den Preis
von 2400 Florentinern an Uri
und Unterwalden veräusserte. Schon im folgenden Jahre nahm der Feldherr Pergola auf Wunsch der Mehrzahl
der Stadtbürger von Bellinzona wieder Besitz für die Visconti. 1499 kam die Stadt zusammen mit dem ganzen Herzogtum Mailand
unter die Herrschaft des Königs Ludwig XII. von Frankreich, der sie 1503 im Vertrag von Arona an die drei Kantone Uri,
Schwyz
und
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1) Bezirk im schweiz. Kanton Tessin,
[* 5] hat (1888) 14 873 E., darunter 286 Evangelische, in 22 Gemeinden und zerfällt
in die Kreise
[* 6] Bellinzona, Ticino und Giubiasco. - 2) Amtsstadt im Bezirk in 237 m Höhe, in üppiger romantischer Gegend, auf der linken
Seite des vom Ticino durchflossenen Rivierathals am Fuße dreier Hügel, von denen die beiden östlichen die Ruinen der alten
BurgenCastello di Mezzo oder di Svitto (Schwyz)
und Corbario oder Corbe (458 m, Unterwalden) und der westliche das
CastelloGrande(Uri),
jetzt Strafanstalt und Zeughaus des Kantons, tragen, hat (1888) 3302 E., darunter 172 Evangelische. Die eng gebaute
Stadt zeigt durchaus ital. Charakter; das ansehnlichste Gebäude ist die Hauptkirche
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zu St. Peter und Stephan, ein Bau des 16. Jahrh. mit neuerer Marmorfaçade. Das ehemalige Augustinerkloster ist jetzt
Sitz der Kantonsregierung. Ein großer 700 m langer Damm schützt die Stadt vor den Überschwemmungen des Ticino, über den
sich hier mit 14 Bogen
[* 8] eine 260 m lange, 7 m breite, aus Granitquadern erbaute Brücke
[* 9] spannt. Als Schlüssel
der Gotthardstraße und -Bahn (Luzern-Chiasso), von der hier die Zweiglinie Bellinzona-Luino (39,6 km) und Bellinzona-Locarno (22 km) und
unweit die Straße über den SanBernardino und die Monte-Cenerebahn abzweigen, hat Bellinzona große militär.
Bedeutung und besitzt eine bedeutende Kaserne und einige Festungswerke, die neuerdings an der Stelle der
von den Visconti im Mittelalter erbauten wiederhergestellt sind.