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Kommission wollte 30 Monate) und das Jahreskontingent anstatt 10000 Mann 12000 (die Kommission forderte 13000) betragen sollte. Dies ward von beiden Kammern (April 1868) angenommen. Es kam nicht zur Einführung der allgemeinen Dienstpflicht; nur wurde durch ein neues Gesetz die Stellvertretung in der Armee schwieriger gemacht. Das auf Grund dieses Gesetzes aufgestellte Kriegsbudget belief sich auf nahezu 37 Mill. Frs.
Auch die Bestrebungen der radikalen Partei, das Elementarschulgesetz von 1842 einer Revision zu unterziehen und die durch dasselbe dem Klerus gewährleistete Mitwirkung an der Leitung des Volksschulunterrichts auf das notwendigste Maß zurückzuführen, fanden anfangs bei dem Ministerium nur wenig Anklang. Selbst die vom Minister Vandenpeereboom eingerichteten Volksschulen für Erwachsene sollten den Bestimmungen des allgemeinen Schulgesetzes, somit ebenfalls der Aufsicht des Klerus unterworfen werden.
Die Mißliebigkeit dieser Maßregel brachte jedoch Uneinigkeit ins Kabinett und bestimmte sowohl Vandenpeereboom wie den Chef des Kabinetts Rogier zum Rücktritt. Jetzt ward Frère-Orban der ausschließliche Leiter desselben. Vandenpeerebooms Nachfolger Pirmez verfügte, daß die genannten Schulen je nach dem Dafürhalten der Gemeindebehörden der Mitwirkung der Geistlichkeit unterworfen oder entzogen werden sollen. Auch in betreff der Wahlreform wurde vom Ministerium nur wenig zu stande gebracht. Es erklärte sich öffentlich gegen das allgemeine Wahlrecht, das auch in den Kammern nur wenig Anklang fand. Außer zwei Gesetzen gegen betrügerische Wahlumtriebe wurde ein Gesetz angenommen, wonach in betreff der Wahlen für Provinzial- und Gemeinderäte (denn für die Kammern war im Grundgesetz ausschließlich der Wahlcensus vorgeschrieben) die Steuerquote auf 15 Frs. herabgesetzt wurde für diejenigen, welche sich über den dreijährigen Besuch einer Mittelschule ausweisen könnten. Dieses Gesetz aber kam niemals zur Ausführung.
Der belg. Unabhängigkeit drohten 1866, wie erst 1870
aus den Enthüllungen
Bismarcks vollständig klar geworden ist, von
der Seite
Frankreichs ernstliche Gefahren. Im folgenden Jahre, als die sog. Luxemburger Frage hervortrat,
hatte auch Belgien
,
[* 3] welches die hinsichtlich Luxemburgs abzuändernden
Traktate von 1839 unterzeichnet hatte,
an der Konferenz der Mächte teilzunehmen. Während durch den
Traktat vom sämtliche unterzeichnete Mächte sich
zur
Garantie der
Neutralität Luxemburgs verpflichteten, blieb Belgien
als neutraler
Staat von dieser Bestimmung ausgeschlossen.
Einen ernstern Charakter hatte der zwischen und Frankreich im Febr. 1869 ausgebrochene sog. Eisenbahnkonflikt. Ein von der Regierung eingebrachtes Gesetz verfügte, daß künftighin Eisenbahnkonzessionen nur mit Ermächtigung der Regierung abgetreten werden dürfen, und hatte den unmittelbaren Zweck, die Gesellschaft des Grand-Luxembourg zu verhindern, einem bereits vereinbarten Kontrakt gemäß ihre Bahn an die Compagnie de l'Est français abzugeben.
Das Gesetz fand in beiden Kammern willige
Annahme, veranlaßte aber eine bedenkliche
Spannung zwischen den beiden Regierungen.
Auf
Grund persönlicher Unterhandlungen zwischen der franz. Regierung und dem belg.
Finanzminister Frère-Orban wurde die Sache durch ein
Protokoll vom 27. April vor eine von beiden
Teilen beschickte Konferenz verwiesen.
Diese brachte
Mitte Juli die Angelegenheit durch die Herstellung eines geregelten, auf einheitliche Tarifsätze
zurückgeführten Eisenbahndienstes zwischen der
Schweizer und der niederländ. Grenze über Belgien
zu gütlichem
Ausgleich.
Die Anstrengungen der Katholiken und deren
Verbindung mit den Radikalen, sowie die Unzufriedenheit vieler Liberalen mit der
Abneigung des Ministeriums gegen mancherlei
Reformen bewirkten endlich, nach fast 13jährigem Bestehen,
den Fall des Ministeriums Frère-Orban. Die Juniwahlen von 1870
reducierten seine
Majorität fast auf
Null und nötigten es
zum Rücktritt. Am 2. Juli trat ein rein kath.
Kabinett an seine
Stelle unter Vorsitz des
Barons d'Anethan. Der erste Schritt der
neuen Regierung war die
Auflösung der beiden Kammern und die
Anordnung neuer
Wahlen (2. Aug.
). Durch diese
Wahlen
erwarb sie eine
Majorität von 73 gegen 51 in der
Zweiten und von 33 gegen 29 in der Ersten Kammer. Nicht wenig zu diesem fast
unverhofften Resultat trug der wenige
Tage nach der
Bildung des neuen
Kabinetts ausgebrochene
Deutsch-Französische
Krieg bei. Die polit.
Fraktion, zu welcher sich die neuen Minister bisher gehalten hatten, erstrebte zwar möglichst starke
Verminderung der Militärausgaben; aber der Druck der Umstände nötigte sie, hiervon vorläufig abzusehen, und ihre erste
Forderung an die eröffneten Kammern war ein Kredit von 15 Mill.
Frs. für die durch die Mobilmachung
der
Armee entstandenen Bedürfnisse.
Gleich beim
Ausbruch des
Krieges hatte Belgien
den beiden kriegführenden Mächten die Mitteilung
gemacht, daß es die
Neutralität seines Gebietes mit allen Kräften zu schützen gesonnen sei, und dagegen von jeder derselben
die Versicherung erhalten, daß auch sie diese
Neutralität so lange achten werde, als sie von der Gegenpartei
nicht verletzt würde. Überdies nahm England Belgien
noch in seinen besondern Schutz, indem es durch einen mit
Deutschland
[* 4] und
Frankreich abgeschlossenen
Vertrag vom 9. Aug.
der Aufrechthaltung der belg.
Neutralität eine neue
Garantie gab. Während des
Krieges
hat Belgien
die Pflichten der
Neutralität in loyaler
Weise beobachtet. Etwa 80000 Mann belg.
Truppen standen
an den Grenzen
[* 5] und entwaffneten sofort alle franz. Flüchtlinge, die darauf in Belgien
interniert
wurden; die Ausfuhr von Waffen
[* 6] und Kriegsmaterial wurde verboten.
Hinsichtlich der innern Politik stellte die neue Regierung zuvörderst an der Stelle des noch nicht ausgeführten Gesetzes vom einen Gesetzentwurf über die Wahlreform auf, wonach hauptsächlich der Census für die Kommunalwahlen durchgängig auf 10, für die Provinzialwahlen auf 20 Frs. herabgesetzt wurde; wurde der Entwurf zum Gesetz. Die Ernennung des bei den Langrandschen Bankinstituten kompromittierten Exministers de Decker zum Gouverneur von Limburg [* 7] brachte das Kabinett d'Anethan zu Falle.
Auf stürmische Debatten, welche dieselbe in der Kammersitzung vom hervorgerufen hatte, folgten in Brüssel [* 8] tumultuarische Straßenkundgebungen, welche mehrere Tage dauerten und schließlich, als auch der freiwillige Rücktritt de Deckers nichts fruchtete, den König veranlaßten, seine Minister zu entlassen. Es folgte nun (7. Dez.) das Kabinett de Theux-Malou (der Conseilpräsident Graf de Theux starb aber 1874), welches vorzugsweise bemüht war, allen aufregenden Parteifragen auszuweichen und namentlich die freundschaftlichen ¶
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internationalen Beziehungen aufrecht zu halten, welche durch die Kundgebungen ihrer eigenen Partei gegen Italien [* 10] und die damalige kirchliche Politik Bismarcks gefährdet wurden. In der Militärorganisierungsfrage zeigte sich das Ministerium Malou der Einführung der persönlichen und allgemeinen Wehrpflicht nicht minder abgeneigt als die liberale Verwaltung Frères; der Kriegsminister Guillaume nahm deshalb seine Entlassung (Dez. 1872). Sein Nachfolger Thiebauld bezweckte zunächst das Stellvertretungssystem so unschädlich als möglich zu machen, indem die Beschaffung der Einsteher der Privatspekulation abgenommen und der Regierung selbst übergeben wurde (Gesetz vom Ein trauriges Beispiel der Aufregung, welche im Volke durch die heftige Sprache [* 11] der Bischöfe und ultramontanen Presse [* 12] veranlaßt ward, gab der Kesselschmied Duchesne in Seraing, welcher an den Erzbischof von Paris [* 13] das Anerbieten richtete, den deutschen Reichskanzler zu ermorden (Febr. 1871). Dies gab zu einem Notenwechsel zwischen der deutschen und der belg. Regierung Anlaß, welcher letztere veranlaßte, zur Ergänzung einer Lücke in der Strafgesetzgebung, das Gesetz vom einzubringen, wodurch Strafbestimmungen gegen das Anerbieten, ein mit Todesstrafe oder Zwangsarbeit belegtes Verbrechen zu begehen, erlassen wurden.
Die immer krasser um sich greifende Wahlkorruption der Klerikalen nötigte Malou, derselben durch eine Gesetzesvorlage zu steuern, welche, nachdem ein die Beeinflussung der Wahlen im Beichtstuhl für zulässig erklärender Paragraph daraus gestrichen worden war, in der Zweiten Kammer mit starker Majorität zur Annahme gelangte. Zu den wichtigsten Akten des Kabinetts gehörte auch die Regulierung des Gebrauchs der vläm. Sprache im Prozeßverfahren vor der Kriminal- und Korrektionaljustiz, was ein bedeutendes Zugeständnis an die flamländ.
Bewegung war. Während das Kabinett Malou maßvoll und vorsichtig seine Ziele verfolgte, sammelten sich alle Fraktionen des Liberalismus zu einer sämtliche Bezirke des Landes umfassenden Verbindung, die sich die Losreißung des öffentlichen Volksunterrichts von jeglicher Aufsicht und Mitwirkung der geistlichen Behörde zur Aufgabe machte. Konfessionslosigkeit oder Neutralität der offiziellen Schule, lautete fortan das Losungswort der Liberalen.
Die Wahlen vom fielen für die Liberalen günstig aus, und bereits 19. Juni trat ein neues Kabinett Frère-Orban ins Amt. Die Bildung eines besondern Ministeriums des Unterrichts bekundete von vornherein die Absicht des neuen Kabinetts, die Reform des Unterrichtswesens mit Entschiedenheit durchzuführen. Am wurde unter dem Widerspruch der gesamten Rechten ein neues Gesetz angenommen, nach welchem alle Gemeinden öffentliche Primärschulen unterhalten sollten, welche konfessionslos, daher jeder Aufsicht der Geistlichkeit entzogen sein sollten, obgleich derselben zur Erteilung des Religionsunterrichts vor und nach den Schulstunden die Schullokale überlassen wurden.
Die Aufreizung der ultramontanen Presse bewirkte die offene Widerspenstigkeit von sechs der neun bestehenden Provinzialverwaltungen und Hunderten von Gemeinderäten. Die Regierung nahm mit Energie die Durchführung ihres Werks in Angriff, trat der Widersetzlichkeit der feindlichen Bürgermeister und Provinzialbehörden mit Schärfe entgegen und suchte das Oberhaupt der Kirche zu veranlassen, den Widerstand des Episkopats wo nicht zu brechen, doch in den Schranken der Gesetzlichkeit und des Anstands zurückzuhalten.
Der Papst zeigte sich willig, das Auftreten der Bischöfe zu zügeln, und mißbilligte die von den 1. Aug.
zu Mecheln
[* 14] versammelten
Bischöfen gegen die Ausführung des Gesetzes beschlossenen Maßnahmen; der fanatische Bischof von Tournai wurde sogar zur Niederlegung
seines Amtes gezwungen. Als jedoch im Verlauf der Unterhandlungen es sich herausstellte, daß die Kurie falsches Spiel getrieben
und die Auflehnung des Klerus gegen die Schulreform nichts weniger als zu dämpfen gesucht habe, brach die Regierung die
diplomat. Beziehungen zum Vatikan
[* 15] ab, rief ihren Gesandten aus Rom
[* 16] zurück und stellte dem päpstl.
Nuntius Vanutelli seine Pässe zu.
Außer der Reform des Primärschulwesens nahm das Kabinett Frère-Orban auch die des mittlern Unterrichts vor, vermehrte durch das Gesetz vom die Anzahl der vom Staate unterhaltenen Gymnasien (Athénées) und Mittelschulen in erheblicher Weise und beschloß die Errichtung von 50 konfessionslosen Töchterschulen. Sehr gefährlich wurde dem Kabinett seit Juli 1881 das Drängen der unter Führung des Abgeordneten Janson stehenden Radikalen auf umfassende Wahlreform.
Die Regierung gab nur teilweise nach. Am brachte sie eine Gesetzvorlage ein, zufolge der für die Gemeinde- und Provinzialratswahlen, außer den durch den Census qualifizierten, auch alle Inhaber bestimmter wichtigerer Ämter und alle solche, welche eine besonders dafür verordnete Prüfung (examen électoral) in den gewöhnlichen Elementarkenntnissen würden bestanden haben, ohne weiteres als Wähler gelten sollten (électeurs capacitaires). Nachdem der Antrag von sechs Brüsseler Abgeordneten auf Verfassungsrevision behufs Einführung des allgemeinen Stimmrechts abgelehnt war, wurde der ministerielle Entwurf angenommen.
Auch die Klagen der Vlamingen über Sprachvergewaltigung fanden Gehör, [* 17] indem durch das Gesetz vom für die vläm. Bezirke das Vlämische als Volksunterrichtssprache in den vorbereitenden Klassen der Mittelschulen sowie für den Unterricht des Englischen und Deutschen vorgeschrieben ward. Die Wahlen des Juni 1884 brachten an die Stelle einer liberalen Mehrheit von 18 eine klerikale von 20 Stimmen. So überraschend dieser Umschwung auch war, so war er doch bei der gewaltigen Opposition, auf welche die neue Schulordnung überall gestoßen war, und der tiefen Entrüstung, welche der Bruch mit dem Heiligen Stuhl bei der im Grunde streng kath. Bevölkerung [* 18] hervorgerufen hatte, leicht erklärlich. Dazu kam, daß nach einer vom Finanzminister erlassenen Ankündigung das ordentliche Staatsbudget mit einem Ausfall von 26, das außerordentliche mit einem solchen von 41 Mill. abschloß und daß die Jahresausgabe für den öffentlichen Unterricht allein über 22 Mill. Frs. erforderte.
An die Stelle des Kabinetts Frère-Orban trat 16. Juni ein von Malou gebildetes, aus rein kath. Elementen bestehendes zusammen. Das Departement des öffentlichen Unterrichts wurde nicht wieder besetzt und, wie früher, zu einer bloßen Abteilung des Departements des Innern umgewandelt. Den Senat löste Malou auf und liest 8. Juli Neuwahlen veranstalten, wodurch die Klerikalen im Senat eine Mehrheit von 17 Stimmen erhielten. Das Ministerium betrachtete es als seine Hauptaufgabe, die von den Liberalen ins Leben gerufene ¶
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Volksschuleinrichtung und was damit zusammenhing von Grund aus zu zerstören. Gleich beim Beginn der parlamentarischen Session trat es mit einer bezüglichen Gesetzesvorlage hervor. Dieser gemäß sollten die Gemeinden der Verpflichtung, selbst Schulen zu unterhalten, enthoben sein, insoweit sie anstatt dieser freie, d. h. die von der Geistlichkeit errichteten, Schulen adoptierten, d. h. als öffentliche anerkannten. Infolge dieses von den Kammern angenommenen Schulgesetzes vom waren Ende 1885 bereits von den 1933 kraft des aufgehobenen Gesetzes bestehenden Schulen 877 beseitigt (dazu kamen noch 228 Kindergärten und 1079 Schulen für Erwachsene), hingegen 1465 Klosterschulen (mit 2758 Mönchen und Nonnen) adoptiert; 5316 frühere Lehrer waren von Gehaltsverminderung betroffen, 880 entlassen und mit Wartegebühr abgefertigt.
Die zweite Sorge des Ministeriums war die Wiederherstellung der diplomat. Beziehungen zum Römischen Stuhl. Nach wenigen Wochen
befand sich wieder ein päpstl. Nuntius in Brüssel. Dieser Umschwung der polit. Lage, besonders das Schulgesetz, rief im liberalen
Lager
[* 20] eine gewaltige Erregung hervor. Am 31. Aug.
wurde von liberalen Vereinen aus dem ganzen Lande in den
Straßen Brüssels unter dem Vorwande, dem König eine Adresse gegen das neue Schulgesetz zu überreichen, ein Umzug veranstaltet,
der den Gegnern die Lebenskräftigkeit der geschlagenen Partei in imponierender Weise zum Bewußtsein bringen sollte.
Als die Katholiken acht Tage darauf dieser polit. Kundgebung ebenso massenhaft die ihrige entgegensetzten, kam es zu Konflikten, welche den Umzug nicht zum Abschluß kommen ließen. Die Aufregung, die diese Ereignisse überall hervorgerufen, die Erbitterung namentlich, welche das allzu übermütige Gebaren der Minister Jacobs und Woeste selbst bei gemäßigten Katholiken erregt hatte, und der Umstand, daß die Gemeinderatswahlen vom 19. Okt. zu Gunsten der Liberalen ausfielen, veranlaßten den König, die genannten Minister und, auf dessen eigenen Wunsch, den Kabinettschef Malou zu entlassen. Vom 16. Okt. ab waren die verschiedenen Portefeuilles also verteilt: Ministerpräsidium und Finanzen Beernaert, Inneres Thonissen, Auswärtiges Fürst von Caraman-Chimay, Justiz De Volder, Ackerbau, Gewerbe und öffentliche Arbeiten de Moreau, Eisenbahnen u. s. w. Vandenpeereboom, Krieg General Pontus.
Die legislative Thätigkeit während der beiden Sitzungsperioden 1884/85 und 1885 86 war zwar häufig durch heftige Ausbrüche der Parteileidenschaft in Kulturkampfangelegenheiten aufgehalten, bot jedoch wenig Erhebliches dar. Hervorzuheben ist die einstimmige Annahme der Generalakte der Berliner [* 21] Afrikanischen Konferenz, sowie der Beschluß der Kammern 1885, dem König Leopold II. die gewünschte Ermächtigung zur Annahme des Titels «Souverän des Kongostaates» zu erteilen. Leopold ernannte den Afrikareisenden Stanley zum Gouverneur dieses Staates und setzte ein besonderes Ministerium für denselben ein, das seinen Sitz in Brüssel hatte und unter dem Präsidium des Obersten Strauch stand. Eine Weltausstellung fand 1885 in Antwerpen [* 22] statt.
Im März 1886 kam es unter dem Einfluß socialistischer Agitationen und infolge einer durch die ungünstigen Zeitumstände verursachten Herabsetzung des Lohnes in den industriellen Centren des Landes, Lüttich, [* 23] Charleroi u. s. w., zu Kundgebungen der arbeitenden Klasse gegen die Arbeitgeber, welche mehrfach zu Plünderungen und Zerstörung von Eigentum führten, und obgleich die Ruhe militärisch wiederhergestellt wurde, so fand die Regierung sich doch einer Arbeiterfrage gegenübergestellt, welche sich nicht mehr einfach ignorieren ließ.
Seit den Unruhen von 1886 kehrten die Streiks und aufrührerischen Bewegungen unter den Arbeitern unaufhörlich wieder.
Schon wurde in Brüssel ein Arbeiterkongreß abgehalten; 15. Aug.
fand daselbst ein großer, ruhiger Umzug der Socialisten
statt. Indessen hatte die Regierung schon 16. April eine königl. Untersuchungskommission eingesetzt,
welche sich auf das genaueste über die socialen Verhältnisse, die Beschwerden und Forderungen der Arbeiter unterrichten sollte.
Auch brachte die Regierung bereits Mai 1886 Gesetzentwürfe ein über bessere Beaufsichtigung der Fabrikation,
über Verkauf und Versendung von Explosionsstoffen und über Entschädigung der durch die Unruhen Benachteilten mit 1 Mill.
Frs.
Inmitten aller dieser Wirren machte die vläm. Bewegung, der es zu gute kam, daß das Kabinett der Stütze der flandr. Klerikalen nicht entbehren konnte, wiederum eine friedliche Eroberung: wurde eine königliche vläm. Akademie für Sprache und Litteratur errichtet.
Nachdem die Regierung durch die Neuwahlen vom Juni 1886 wieder gestärkt worden war, trat sie bei der Eröffnung der Kammern 9. Nov. auf Grund der durch die Untersuchungskommission vermittelten Erkundigungen mit einem ganzen Programm socialpolit. Gesetzgebung auf. Indem die Thronrede dies verkündigte, stellte sie zugleich hinsichtlich der wegen der Unruhen verurteilten Arbeiter königl. Gnadenakte in Aussicht, wie denn auch wirklich 468 Verurteilte begnadigt worden sind.
Noch in derselben Kammersitzung brachte der Abgeordnete Graf d'Oultremont einen Gesetzentwurf zur Einführung
der allgemeinen Wehrpflicht ein, und die Notwendigkeit einer tüchtigen Heeresverfassung machte sich auch für Belgien
stark fühlbar,
als im Frühjahr 1887 ein Krieg zwischen Deutschland und Frankreich ernstlich drohte, in welchen Belgien
leicht mit hineingerissen
werden konnte. Schon im Febr. 1887 faßte die Regierung den Plan zur Befestigung der Maaslinie, was jedoch
einen Bruch mit dem bisherigen System der auf Antwerpen sich konzentrierenden Landesverteidigung mit einschloß und besonders
von den Liberalen lebhaft bekämpft wurde. Doch wurden Juni 1887 die erforderlichen Kredite bewilligt; 14. Juli wurde zwar der
Antrag des Grafen d'Oultremont verworfen, doch erkannte die Regierung die Notwendigkeit einer Heeresreform
an. Große Aufregung rief noch der als Hungergesetz (Loi famine) bezeichnete Gesetzentwurf zur Erhebung einer Einfuhrsteuer
auf Fleisch und Vieh hervor, welcher dennoch angenommen und 18. Juli vom Könige bestätigt wurde.
In betreff der Arbeiterfrage wurden im Aug.
1887 drei Gesetze durchgebracht, eins, welches Schiedsgerichte zur Vermittelung
zwischen Arbeitern und Arbeitgebern einsetzte, eins, welches die Lohnzahlung regulierte und besonders die
Zahlung in Geld verordnete, eins durch welches das Recht, den Lohn mit Beschlag zu belegen, eingeschränkt wurde. Zugleich wurde
ein Gesetz gegen Aufreizung anderer zu verbrecherischen Thaten angenommen. Am trat der Minister des Innern, Thonissen,
zurück; an seine Stelle trat der Justizminister de
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