Bakunin
,
Michael, russ. Agitator, geb. 1814 zu Torshok im Gouvernement Twer, Sprößling einer altadligen Familie, ward im Kadettenhaus zu Petersburg [* 2] erzogen und trat 1832 als Artilleriefähnrich in die Armee. Dem Militärdienst abhold, nahm er 1838 seinen Abschied und widmete sich im väterlichen Haus 1838-40 wissenschaftlichen Studien. 1841 begab er sich nach Berlin, [* 3] wo er sich mit Philosophie, namentlich der Hegelschen, beschäftigte. Seit 1842 lebte er in Dresden, [* 4] wo er unter dem Pseudonym Jules Elisard eine philosophische Abhandlung in den »Deutschen Jahrbüchern« veröffentlichte.
Durch seine freisinnigen Äußerungen und seinen Verkehr mit den Radikalen zog er die Aufmerksamkeit der russischen Agenten auf sich, und da er in Deutschland [* 5] sich nicht mehr sicher fühlte, begab er sich in die Schweiz, [* 6] wo er ein thätiges Mitglied der kommunistisch-sozialistischen Vereine ward. Die russische Regierung versagte ihm die Erlaubnis zum weitern Aufenthalt im Ausland und zog, da er dem Befehl zur Rückkehr nicht Folge leistete, sein Vermögen ein. In Paris, [* 7] wohin er sich von Zürich [* 8] aus begab, schloß er sich den Notabilitäten der Opposition an und hielt am Gedächtnistag der Warschauer Revolution von 1830, beim Polenbankett eine kühne, feurige Rede, in welcher er die Verbrüderung zwischen Russen und Polen für die gemeinsame Revolutionierung Rußlands anempfahl.
Die russische
Regierung forderte deswegen seine
Auslieferung von
Frankreich und setzte einen
Preis von 10,000 Silberrubel auf
seinen
Kopf, worauf Bakunin
von
Paris nach
Brüssel
[* 9] entfloh. Nach der
Februarrevolution kehrte er nach
Paris zurück; war nach den
Märzstürmen in
Berlin, wohnte im Juni 1848 dem Slawenkongreß in
Prag
[* 10] bei und hielt sich bald hier, bald
da auf, überall agitatorisch für eine umfassende revolutionäre Schilderhebung wirkend. Als im Mai 1849 der
Aufstand in
Dresden ausbrach, nahm Bakunin
den thätigsten
Anteil am
Kampf und wurde Mitglied der revolutionären
Regierung.
Nach dem Fall Dresdens ging er mit der provisorischen Regierung nach Chemnitz. [* 11] Hier 10. Mai verhaftet, ward er nach Dresden, dann auf den Königstein gebracht und zum Tod verurteilt, jedoch zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt. Am an Österreich [* 12] ausgeliefert, wurde er vom Kriegsgericht zu Olmütz [* 13] als Hochverräter zum Strang verurteilt, aber zu lebenslänglichem schweren Kerker begnadigt und bald darauf an Rußland ausgeliefert. Nachdem er einige Zeit in den Kasematten von Schlüsselburg gesessen, wurde er 1855 als Strafkolonist nach Ostsibirien transportiert.
Mit Erlaubnis des Generalgouverneurs in das russische Amurgebiet übergesiedelt, entkam er von da mit Zurücklassung von Weib und Kind 1860 auf einem amerikanischen Schiff [* 14] nach Japan, [* 15] wo er Mittel fand, über Kalifornien nach London [* 16] zu gelangen. Kaum auf sicherm Boden angelangt, nahm er seine agitatorische Thätigkeit wieder auf, indem er das russische und das polnische Volk in zahlreichen Ansprachen zum Befreiungskampf gegen Regierung und Adel, zur Schöpfung einer großen slawischen Föderativrepublik aufrief.
Als 1863 der letzte
Aufstand in
Polen ausgebrochen war, gehörte Bakunin
zu den Häuptern der von
Stockholm
[* 17] aus
im Frühjahr 1863 von polnischen und russischen
Emigranten beabsichtigten Expedition an die baltischen
Küsten behufs der Revolutionierung
Rußlands. Nach dem gänzlichen
Scheitern derselben kehrte er nach
London zurück, wo er sich als Anhänger der
Internationale
mit der Verbreitung sozialistischer
Lehren
[* 18] in seinem Vaterland beschäftigte. Im J. 1873 veröffentlichte
er eine
Schrift: »Kaisertum und
Anarchie« (russisch, Zürich).
Inzwischen geriet Bakunin
wegen der Ungeduld, mit welcher
er den gewaltsamen
Umsturz des bestehenden Gesellschaftsgebäudes und die Herbeiführung einer allgemeinen
Anarchie betrieb, sogar mit den Häuptern
der
Internationale, namentlich
Marx, in Streit und wurde vom
Kongreß derselben im
Haag
[* 19] 1872 förmlich ausgeschlossen.
Durch das
Alter geschwächt, lebte Bakunin
die letzten Jahre in völliger Zurückgezogenheit in Genf
[* 20] und
Lugano und starb im
Spital zu Bern,
[* 21] nachdem er durch Verweigerung der
Nahrung seinen
Tod beschleunigt hatte.