Böotien
,
alte Landschaft Griechenlands, zwischen Megaris, Attika, dem Kanal [* 2] von Euböa, dem opuntischen Lokris, Phokis und dem Korinthischen Busen gelegen, zerfällt seiner natürlichen Beschaffenheit nach in fünf Hauptteile: die Kopaische Niederung, die Thebäische Ebene (Aonion Pedion), das Thalland des Asopos und die Küstenstriche am Euböischen und Korinthischen Meer (s. Karte »Altgriechenland«). [* 3] Die Kopaische Niederung, ein Gebirgskessel, wird durch den Helikon und seine Ausläufer (Laphystion, Tilphossion), im N. des Kephisos durch die Gebirge ¶
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Akontion und Hyphantion, die Opuntischen Berge und die sie fortsetzende Hügelreihe so vollkommen abgeschlossen, daß sie mit dem Euböischen Meer nur durch unterirdische Kanäle zusammenhängt. Aus Phokis tritt bei Chäroneia als der Hauptstrom des Landes der Kephisos ein. Er bildet mit mehreren Flüßchen und Bergbächen den See Kopais, dessen Wasser durch ca. 20 unterirdische Schlünde (Katabothren) dem Euböischen Meer zugeführt wird. Um den See zu verringern und die anliegenden Ländereien im Winter und Frühjahr vor Überschwemmungen zu schützen, verwendeten schon in uralter Zeit die Minyer, Einwanderer aus dem Orient und vortreffliche Wasserbaumeister, große Sorgfalt auf die Reinhaltung der Katabothren.
Alexander d. Gr. aber ließ durch Krates ein künstliches Emissar, einen Stollen mit senkrechten Luftschächten, anlegen und zwar von der nordöstlichen Spitze in der Richtung nach Larymna. Seit dem Verfall dieser Werke ist hier alles versumpft und verpestet. Südlich von Phönikios und Hypatos liegt die Hylische und Thebäische Ebene, erstere mit dem Hylikesee, der mit der Kopais unterirdisch zusammenhängt, letztere ein schönes Gartenland, bewässert von dem Ismenos und der Dirke.
Das Gebiet des Asopos beginnt mit der Hochebene von Platää und begreift die gegen den Kithäron an der attischen Grenze aufsteigende
Parasopia, ostwärts die schöne und fruchtbare Tanagräische Ebene. Der Asopos, langsam fließend und
oft versumpfend, nimmt links bei Tanagra den Thermodon auf und fällt in den Euripos. Der Küstenstrich am Euböischen Meer
wird durch den Messapios und Ptoos vom Binnenland Böotiens
geschieden. Das Land am Korinthischen Meerbusen und dem Halkyonischen
Meer, nördlich und südöstlich vom Helikon und Kithäron begrenzt, enthält den Fluß Oeroe und den Permessos,
welcher den Narkissos,
[* 5] die Aganippe und Hippokrene aufnimmt und unterhalb Thisbe sich in Sümpfen verliert.
Das Klima
[* 6] des Landes ist im ganzen rauher als im übrigen Griechenland
[* 7] und die Luft namentlich um die Kopais ungesund, der Winter
oft sehr schneereich und stürmisch. Erdbeben
[* 8] sind nicht selten. Hauptprodukte waren schwarzer und grauer
Marmor, feine, weiße Töpfererde bei Aulis, Salz in
[* 9] Menge an der Küste des Euböischen Meers, bei Anthedon, Hälä etc., Eisen,
[* 10] Bauholz aller Art auf dem Kithäron und Helikon, Getreide,
[* 11] besonders trefflicher Weizen, Gemüse und Obst, Wein (am besten auf dem
Kalkboden Tanagras), Flötenrohr aus dem Kopaissee, Helleborus. Herrliche Triften mit zahlreichen Rinder- und
Schafherden und den besten Pferden Griechenlands fanden sich um Orchomenos, Theben und Thespiä; auch Wild aller Art gab es sowie
Purpurmuscheln (bei Anthedon). - Im heutigen Königreich Griechenland bildet die Landschaft Böotien
mit Attika einen Nomos von 6306 qkm
(114,5 QM.) mit (1879)
185,364 Einw.
Die ältesten Bewohner von Böotien
waren Pelasger; am häufigsten werden genannt die Minyer, deren Hauptstadt Orchomenos war, und
die Kadmeier, welche oft als Phöniker bezeichnet werden, jedenfalls aus Asien
[* 12] einwanderten; im südlichen Böotien
ließen sich
auch Ionier nieder. Eine dauernde Bevölkerung
[* 13] erhielt die Landschaft, als um 1124 v. Chr. die von den Thesprotern
aus Thessalien verdrängten äolischen Böotier einwanderten, welche die Minyer besiegten und aus Böotien
einen Staat machten, an
dessen Spitze Theben stand; von ihnen erhielt Böotien
seinen Namen.
Der Zusammenhalt der einzelnen Städte war stets ein ziemlich lockerer, was durch die Verschiedenheit der Verfassungen (teils
Demokratie, teils
Aristokratie) noch befördert wurde. Der Böotische Bund wurde aus 13 (später 7) Städten gebildet, unter
welchen Theben, Orchomenos, Koroneia, Tanagra, Lebadeia, Platää (welches sich später an Athen
[* 14] anschloß) die bedeutendsten waren.
Ihr Gebiet war von verschiedener Größe; Theben besaß etwa ein Drittel von ganz Böotien
An der Spitze der Gemeinde
stand in den meisten Städten der Archon, dessen Gewalt aber gewöhnlich durch den aristokratischen Rat sehr beschränkt war.
Für die Anführung im Krieg hatte man besondere Polemarchen. Die Volksversammlung hatte eine ziemlich untergeordnete Bedeutung. An der Spitze des ganzen Bundes stand wieder ein Archon, welcher wohl regelmäßig ein Thebaner war. Die ausführende Behörde des Gesamtbundes waren aber die jährlich gewählten Böotarchen. Ein allgemeines Fest waren die Pamböotia, welche in der Gegend von Koroneia beim Tempel [* 15] der itonischen Athene [* 16] mit ritterlichen Spielen gefeiert wurden.
Der Bund ward nicht selten durch innere Streitigkeiten zerrissen, besonders wenn einzelne Städte, wie vor
allen Theben, eine zu unbeschränkte Hegemonie anstrebten, weshalb z. B. Platää sich an Athen anschloß, was dann zur Zerstörung
der Stadt 427 führte. In den Perserkriegen hielten die Böotier meist zu den Persern. Der Umsturz der aristokratischen Verfassungen
und die Errichtung demokratischer Regierungen hatten zur Folge, daß sich Böotien
456-447 dem Athenischen Bund
anschloß.
Im Peloponnesischen Kriege gehörte Böotien
zu den erbittertsten Feinden Athens. Seine mächtigste Entwickelung erhielt der Böotische
Bund unter Epameinondas und Pelopidas 371-362; er erlangte vorübergehend die Hegemonie und kämpfte zuletzt rühmlich gegen
Makedonien. Der Bund wurde 171 v. Chr. von den Römern aufgelöst, dauerte aber dem Namen nach noch in der
römischen Kaiserzeit fort. Im Mittelalter und unter der türkischen Herrschaft war Livadia die Hauptstadt, nach welcher auch
die Landschaft genannt wurde.
Die Böotier galten im Altertum, besonders in Athen, für derb, schwerfällig, geistig stumpf und unempfänglich für das Schöne, und da sie aus Eifersucht gegen Athen wiederholt mit Nationalfeinden sich verbündeten, so wurden sie viel verspottet und verhöhnt. Sie waren der Natur ihres Landes gemäß vorzugsweise ein Ackerbau und Viehzucht [* 17] treibendes Volk, das den höchsten Wert auf körperliche Kraft [* 18] und Tüchtigkeit legte, wissenschaftlichen und künstlerischen Bestrebungen nur einen untergeordneten Rang anwies und selbst den Handel wenig begünstigte; dabei machten sich bei ihnen eine Neigung zum Übermaß und ein aristokratisch-kastenhafter Hochmut bemerklich.
Doch entbehrten die Künste keineswegs aller Pflege, was schon durch den Beinamen »Aonidinnen«, »aonische
Schwestern«, den die Musen
[* 19] nach dem alten Namen Böotiens
, Aonia, erhielten, bezeugt wird. Die Musik, besonders die laute, orgiastische
des Flötenspiels, ward in Böotien
viel geübt. Bedeutende Vertreter der bildenden Kunst sind nicht vorhanden.
Als Dichter sind Hesiodos und Pindaros zu nennen. Doch mußte der böotische Dialekt mit seiner Plumpheit und Breite
[* 20] des Vokalismus
den Athenern bäurisch-grob erscheinen.