Armenische
Sprache und Litteratur. Die armenische Sprache
gehört dem indogerman. Sprachstamm
[* 2] an. Ob sie zu der iranischen
Gruppe desselben zu rechnen
(Fr.
Müller) oder als ein selbständiges Mittelglied zwischen der letztern
und den europäischen
Sprachen anzusehen sei
(Lagarde, Hübschmann), ist eine in den letzten
Jahren vielverhandelte Streitfrage.
Jedenfalls sind viele der
Wörter, welche die armenische Sprache
mit den iranischen
Sprachen gemein hat, aus den letztern entlehnt.
Der grammatische
Bau und die
Laute des
Armenischen zeigen einen durchaus selbständigen
Charakter: namentlich
sind am
Verbum drei neue
Tempora, ein
Perfekt, ein Plusquamperfekt und ein
Futurum, durch Partizipia gebildet worden, während
anlautendes p in h übergegangen ist (z. B. armen. hayr = lat.
Pater,
»Vater«). Man unterscheidet das Altarmenische
, noch jetzt die gelehrte und gottesdienstliche
Sprache,
[* 3] und das Neuarmenische
,
die Volkssprache
mit fremden, besonders persischen und türkischen, Beimischungen und sehr veränderter
Aussprache, die wieder in vier
Dialekte zerfällt.
Die altarmenische
Aussprache hat sich am besten im Ostarmenischen
(Tiflis) erhalten. Die
armenische
Schrift (s. »Schrifttafeln«)
hat nach der Angabe des
Moses von Chorene der heil. Mesrop nach dem
Muster des griechischen
Alphabets gebildet;
in der That entsprechen von den 36 Zeichen des armenischen
Alphabets 22 genau den gleichwertigen
Buchstaben des griechischen
Alphabets der nachchristlichen Zeit, während die übrigen, mit denen im
Griechischen nicht vorhandene
Laute bezeichnet werden,
neuerfundene Zeichen sind.
Vgl. Gardthausen, Über den griechischen Ursprung der armenischen
Schrift (im 29.
Bande der
»Zeitschrift der
Deutschen Morgenländischen
Gesellschaft«, Leipz. 1875).
Die besten
Grammatiken des Altarmenischen
lieferten
Petermann (Berl. 1837;
Auszug mit kurzer
Chrestomathie, 2. Aufl. 1872) und
Lauer
(Wien
[* 4] 1869;
Chrestomathie, das. 1881); eine
Grammatik und ein Vokabular des Neuarmenischen
verfaßte Riggs
(Smyrna 1847).
Ein armenisch-englisches
Wörterbuch hat man von
Aucher (Vened. 1821, 2 Bde.),
ein neueres von Bedrossian (das. 1879), ein armenisch-französisch-italienisch-türkisches von
den
Mechitaristen
(Wien 1846), ein deutsch-armenisches
von Goilaw (das. 1884). Sprachvergleichend ist das
Armenische namentlich
von
Bopp und
Petermann, neuerdings von
Fr.
Müller,
Lagarde, Derwischjan und Hübschmann untersucht worden. Über die
Stellung
des
Armenischen im
Kreis
[* 5] der indogermanischen
Sprachen schrieben Hübschmann (im 23.
Bande der
»Zeitschrift
für vergleichende Sprachforschung« 1875) und
Fr.
Müller (in den Sitzungsberichten der
Wiener
Akademie 1876). Eine sprachvergleichende
Darstellung des armenischen
Wortschatzes lieferte Hübschmann in seinen »Grundzügen
der armenischen
Etymologie« (Leipz. 1884).
Die Litteratur der Armenier verdankt ihre Entstehung dem Christentum, das im Anfang des 4. Jahrh. in Armenien eingeführt wurde. Aus der heidnischen Zeit sind nur wenige Lieder und Sagen, die Moses von Chorene aufbewahrt hat, überliefert. Als erster Schriftsteller gilt Gregor der Erleuchter (Illuminator, armenisch: Lusaworitsch), der die Armenier zum Christentum bekehrte und 302-332 Katholikos von Armenien war. Ihm werden die Homilien zugeschrieben, welche in Venedig [* 6] 1838 unter seinem Namen herausgegeben wurden.
Daran schließen sich die dem Jakob von Nisibis zugeschriebenen Homilien (mit lateinischer Übersetzung von Antonelli, Rom [* 7] 1756; Text allein, Konstant. 1824);
die Geschichte des heil. Gregor des Erleuchters von Agathangelos (Venedig 1862; franz. bei Langlois, s. unten; über Zeit und Quellen vgl. Armenische v. Gutschmid, Agathangelos, Leipz. 1877, aus der »Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft«, Bd. 31);
die Geschichte der Provinz Taron von Zenob Glak (Vened. 1832; franz. bei Langlois, s. unten);
die Geschichte Armeniens von Faustus von Byzanz (das. 1832, Petersb. 1883; franz. bei Langlois, s. unten; deutsch von Lauer, Köln [* 8] 1879).
Die genannten Werke werden meistens, aber mit Unrecht, ins 4. Jahrh. gesetzt; sie können, in armenischer Sprache wenigstens, frühstens im 5. Jahrh. geschrieben worden sein, nachdem Mesrop auf Grund des griechischen Alphabets das nationale armenische Alphabet im Anfang des 5. Jahrh. geschaffen hatte. Nach Schaffung dieses Alphabets wurde die Bibel [* 9] durch Sahak d. Gr. und Mesrop ins Armenische übersetzt und der armenischen Litteratur damit eins ihrer schönsten Denkmäler gegeben (krit. Ausg., Vened. 1805). Zu den zahlreichen Schülern dieser beiden ausgezeichneten und hochverdienten Männer gehört: Moses von Chorene (gest. 487), der bedeutendste, wenn auch bei genauer Betrachtung ein politisch ¶
mehr
tendenziöser Historiker Armeniens (vgl. Armenische v. Gutschmid, Über die Glaubwürdigkeit der armenischen Geschichte des Moses von Khoren, Leipz. 1876), unter dessen Werken (Gesamtausgabe, Vened. 1865) besonders die »Armenische Geschichte« (hrsg. mit lat. Übersetzung von den Brüdern Whiston, Lond. 1736; mit franz. Übersetzung von Levaillant de Florival, Par. 1841; ins Italienische übersetzt, Vened. 1849-1850; franz. bei Langlois, s. unten; russ. von Emin, Moskau [* 11] 1858; deutsch von Lauer, Regensb. 1869) und ein geographisches Werk (mit franz. Übersetzung von Saint-Martin, Par. 1819; armen. u. russ. von Patkanean, Petersb. 1877; armen. u. franz. von Arsène Soukry, Vened. 1881) von Wichtigkeit sind. Neben ihm sind als Geschichtschreiber aus dem 5. Jahrh. zu nennen: Elisäus mit seiner »Geschichte der Kriege Wardans gegen die Perser« (Konstant. 1764 u. öfter; engl. von Neumann, Lond. 1830; ital. von Capelletti, Vened. 1840; franz. von Kabaragy, Par. 1844; russ. von Schanschejew, Tiflis 1853; Werke, Vened. 1859) und Lazar von Pharp mit seiner »Geschichte Armeniens von 388 bis 485« (das. 1873); neben ihnen Koriun der Wunderbare (Skantscheli) mit einer Biographie Mesrops (das. 1833). In derselben Zeit unternahm man viele Übersetzungen griechischer und syrischer Schriften, von denen die Originale nicht mehr vorhanden sind, z. B. der Chronik des Eusebios (hrsg. von Aucher, Vened. 1818, 2 Bde.; Schöne und Petermann, Berl. 1866-75), der Reden Philons (hrsg. von Aucher, Vened. 1822), der Homilien des Chrysostomos (das. 1826-62, 5 Bde.), des Basilius Magnus (das. 1830), des Ephrem Syros (das. 1836, 4 Bde.) u. a. Damit war den litterarischen Interessen Armeniens ein ziemlich universeller Charakter aufgedrückt. So erscheint denn der genannte Moses von Chorene auch als Verfasser einer Rhetorik (Vened. 1842, 1865), sein Neffe David »der Unbesiegbare« (Anhaghth) als tüchtiger Philosoph (»Buch der Definitionen«, Konstant. 1731, Vened. 1833; außerdem Handschriftliches über die Logik des Aristoteles, Pyrrhon etc.). Aus der theologischen Litteratur ist besonders Eznik hervorzuheben mit seiner »Widerlegung der Sekten« (Smyrna 1762, Vened. 1826; franz. von Levaillant de Florival, Par. 1853), weil sie merkwürdige Nachrichten über den Parsismus und die Manichäer gibt. Im 6. Jahrh. produzierte die armenische Litteratur kaum etwas Bedeutendes, da ihr durch das Verbot des Verkehrs mit den Byzantinern, welches die persischen Könige erließen, die Lebensadern unterbunden waren.
Von einigem Wert scheint nur die noch ungedruckte Geschichte des ephesischen Konzils 431 von Abraham dem Mamikonier zu sein. Aus dem 7. Jahrh. sind hervorzuheben: Johannes der Mamikonier, welcher Zenobs Geschichte von Taron bis auf seine Zeit fortsetzte (Vened. 1832);
Theodoros Kherthenavor und der Katholikos Sahak III., beide Verfasser von theologischen Schriften (das. 1833);
Sebeos, Verfasser einer Geschichte des Heraklios (Konstant. 1851; russ. u. armen. von Patkanean, Petersburg [* 12] 1862 u. 1879).
Aus dem 8. Jahrh.: Johannes Odsnensis (Katholikos 718-729), unter anderm Verfasser einer Streitschrift gegen die Eutychianer und Paulicianer (Werke, Vened. 1833; mit lat. Übersetzung von Aucher, das. 1834);
Stephanus, Erzbischof von Siunia, Verfasser zahlreicher Übersetzungen aus dem Griechischen;
Ghevond (Leontius), Verfasser einer Geschichte der arabischen Eroberungen in Armenien von 732 bis 788 (hrsg. von Schahnazarean, Par. 1857, der zugleich eine französische Übersetzung lieferte, wie Patkanean 1862 eine russische).
Aus dem 10. Jahrh.: Johannes VI., Katholikos, Verfasser einer Geschichte von der Sündflut bis 925 (Jerus. 1843, Mosk. 1853; franz. von Saint-Martin, Par. 1841);
Thomas Ardzruni, Verfasser einer Geschichte der Fürsten der Ardzrunier bis 936, später fortgesetzt bis 1226 (Konstant. 1852; franz. Übersetzung von Brosset, 1874).
Später: Chosrow d. Gr., Verfasser eines Kommentars zum armenischen Brevier;
Mesrop der Priester, Verfasser einer Biographie Nerses' d. Gr. (Vened. 1853) und einer Geschichte Armeniens und Georgiens unter den Orbeliern (Madras [* 13] 1775);
Grigor Narekensis (gest. 1003), Sohn Chosrows, Verfasser zahlreicher theologischer Werke (Vened. 1840);
Moses Kalankatuensis, Verfasser einer Geschichte der kaukasischen Albanier (Par. 1860, Mosk. 1860; russ. von Patkanean, Petersb. 1862);
Stephanus Asolik oder Asolnik, Verfasser einer bis 1004 reichenden Chronik (Par. 1859; franz. von Dulaurier, das. 1883).
Aus dem 11. Jahrh.: Arisdag de Lastiverd, Verfasser eines die Zeit von 989 bis 1071 behandelnden Geschichtswerks (Vened. 1844; franz. von Prud'homme, Par. 1864);
Matthêos Jerêts, Verfasser einer Biographie des Johannes Chrysostomos (Vened. 1751);
als geistlicher Dichter Grigor Magistros.
Aus dem 12. Jahrh.: Nerses Klajetsi (genannt Schnorhali), gleich ausgezeichnet als Dichter und Theolog (Werke, lat., Vened. 1833, 2 Bde.);
Matthêos Urrhajensis, Verfasser einer Geschichte der Zeit von 952 bis 1136, fortgesetzt von Grigor bis 1163 (Jerus. 1869; franz. von Dulaurier, Par. 1858);
Nerses Lambronensis, ausgezeichneter Kanzelredner, Verfasser einer »Synodalrede« (armen. u. ital., Vened. 1812; deutsch von Neumann, Leipz. 1834; Werke, Vened. 1847).
Aus dem 13. Jahrh.: Wardan d. Gr., Verfasser von Fabeln, theologischen Werken und einer Geschichte von Erschaffung der Welt bis 1267 (hrsg. von Emin, Mosk. 1861; Vened. 1862);
Kirakos von Gandzak, Verfasser einer Geschichte von 300 bis 1264 (hrsg. von Oskan, Mosk. 1858; Vened. 1865; franz. von Brosset, 1870);
Wahram, genannt Rabuni, Verfasser einer versifizierten Geschichte der Rubeniden bis 1280 (Par. 1859);
Stephanus Siunensis der Orbelier, Verfasser einer Geschichte der Provinz Siunia (hrsg. von Schahnazarean, Par. 1859, und von Emin, Mosk. 1861; franz. von Brosset, Petersb. 1864).
Aus dem Anfang des 14. Jahrh.: Sembad, Feldherr, Verfasser eines Geschichtswerks über die Zeit von 961 bis 1331 (hrsg. von Oskan, Mosk. 1856, und von Schahnazarean, Par. 1859). Mit dem Schluß des 14. Jahrh. endigt die eigentliche Blütezeit der armenischen Litteratur. Hervorzuheben sind aus der Zeit des Verfalls, im 15. Jahrh.: Thomas von Metsoph, Verfasser einer Geschichte Timurs;
im 17. Jahrh.: Arrakhel von Tabris, Geschichte der Zeit von 1601 bis 1662 (Amsterd. 1669; franz. von Brosset, 1874);
im 18. Jahrh.: Michael Tschamtschean, Verfasser einer allgemeinen Geschichte seines Volks von den ältesten Zeiten an (Vened. 1784-1786, 3 Bde; engl. von Avdall, Kalkutta [* 14] 1827, 2 Bde.);
im 19. Jahrh.: Lukas Indschidschean, Verfasser einer »Beschreibung von Altarmenien« (Vened. 1822),
einer »Altertumskunde« (1835) und »Beschreibung des thrakischen Bosporus« [* 15] (das. 1794; ital., das. 1831).
Von poetischen Produkten sind außer kirchlichen Hymnen nur die meist geistlichen Gedichte des Nerses Klajensis, der als Historiker bereits aufgeführt wurde (Vened. 1830), und des Petros Getadards, Katholikos 1019-58 (franz. von Nève, Löwen [* 16] 1855), sowie die Fabeln des Mechithar Gosch, der am Ende des 12. Jahrh. lebte (mit den Fabeln des ¶
mehr
Olympiodor, Vened. 1790 u. 1854), und des oben genannten Wardan (armen. u. franz., Par. 1825) zu nennen. - Die Hauptniederlassung der Armenier im Ausland ist die der Mechitaristen (s. d.) auf der Insel San Lazzaro bei Venedig; eine besondere Pflegestätte findet ihre Sprache und Litteratur auch in dem armenischen Institut zu Moskau. Um die Sammlung von Übersetzungen armenischer Historiker hat sich Vict. Langlois, durch französische Übersetzungen Brosset, durch russische Patkanean besonders verdient gemacht.
Langlois veröffentlichte »Collection des historiens anciens et modernes de l'Arménie« (Par. 1867-69, 2 Bde.),
wovon Bd. 1: Agathangelos, Faustus von Byzanz, Zenob Glak, Johannes der Mamikonier, Bd. 2: Koriun, Leben des heil. Nerses, Moses von Chorene, Elisäus, Lazar von Pharp u. a. enthält. Brosset gab heraus: »Histoire de la Siounie, par Stéphannos Orbélian« (Petersb. 1864);
»Histoire chronologique par Mkhithar d'Aïrivank« (13. Jahrh.; das. 1869);
»Kiracos de Gantzag« (13. Jahrh.) und »Oukhtanès d'Ourha« (10. Jahrh.; das. 1870, 2 Bde.);
»Collection d'historiens arméniens« (Bd. 1 u. 2, das. 1874-76).
Vgl. Somal, Quadro della storia letteraria di Armenia (Vened. 1829; deutsch bearbeitet mit vielen Zusätzen von K. F. Neumann, Leipz. 1836);
Karekin, Geschichte der armenischen Litteratur (in armenischer Sprache, Vened. 1865-78);
Patkanean, Catalogue de la littérature arménienne (im »Bulletin de l'Académie de St-Pétersbourg« 1860, Teil 2);
Derselbe, Bibliographischer Umriß der armenischen historischen Litteratur (russ., Petersb. 1880).