Titel
Archäologische
Litteratur (1885-90). Die heutige Archäologie charakterisiert sich durch das massenhafte Zuströmen neuen Materials, durch Ausgrabungen und Reisen und durch die rege Teilnahme aller Kulturvölker an der Hebung [* 2] dieser Schätze. Infolgedessen teilt sich die wissenschaftliche Arbeit:
1) in die Veröffentlichung neuer Funde und 2) in die geistige Verarbeitung des nunmehr gegebenen Stoffes, namentlich auch durch die vielfachen Unternehmungen, das überall zerstreute Material in Handbüchern zusammenzufassen.
I. Periodische Publikationen. Für Aufspürung und schnelle Veröffentlichung neuer Funde hat beinahe jedes Land seine eigne Organisation mit fortlaufenden Publikationen, in denen eine ganz bedeutende Arbeit niedergelegt ist. Am besten organisiert hat Italien [* 3] die Berichterstattung durch die »Notizie degli scavi«, in welchen, provinzenweise geordnet, alle neuen Funde sofort aufgezählt werden. Rom [* 4] speziell betrifft das »Bulletino della commissione archeologica di Roma«; [* 5] außerdem hat jede Provinz und fast jede Stadt ihr eignes Organ.
Frankreich hat ein archäologi
sches
Institut in
Rom und in
Athen.
[* 6] Hauptorgan ist
»Bulletin de correspondance
hellénique«; dazu kommen:
»Revue archéologique«,
»Gazette archéologique« u. a.
Deutschland
[* 7] ist ganz besonders thätig durch
sein
Archäologisches
Institut, dessen Zentraldirektion in
Berlin
[* 8] ist und
Institute zu
Rom und
Athen hat.
Organe:
2) »Jahrbuch des kaiserlich deutschen archäologi
schen
Instituts«, welches namentlich seit den letzten fünf
Jahren durch eine ausgezeichnete
Bibliographie hervorragt;
3) »Mitteilungen des
Instituts«, die in eine römische und eine athenische Abteilung gesondert sind.
Englands
Interessen richten
sich mehr auf
Ägypten
[* 9] und den
Orient. Für
Ägypten arbeitet der »Egypt
Exploration
Fund«, welcher fast alle Jahre in außerordentlich
praktischer
Weise in relativ billiger
Publikation über seine
Ausgrabungen berichtet; auf
Griechenland
[* 10] gerichtet ist das
»Journal
of Hellenic studies«. Sogar
Amerika
[* 11] hat ein Archeological
Institute zu
Athen, welches Jahresberichte herausgibt, und sein »American
journal of philology«. In
Griechenland selbst ist seit langen
Jahren die
Archäologische
Gesellschaft thätig und gibt eine
vorzüglich ausgestattete
Zeitung, die »Ephemeris archaiologiké«, heraus. Außerdem erscheinen
jährlich Sonderberichte, die »Praktiká«, und allmonatlich seit drei
Jahren ein Heft nach dem
Muster der italienischen »Notizie«:
das archäologische
»Deltion«, welches in höchst dankenswerter
Weise die neuen
Funde, namentlich von
Inschriften, der Gelehrtenwelt
mitteilt.
II. Serienpublikationen. Außer diesen periodischen Publikationen, welche das Material bringen, ¶
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wie es sich gerade darbietet, hat das Deutsche
[* 13] Institut begonnen, einen großartigen Plan zu verwirklichen: den gesamten Denkmälerschatz
des Altertums nach Gegenständen geordnet in Serienpublikationen zu vereinigen. Erschienen sind in den letzten Jahren 3 Bände
des Sammelwerks der Terrakotten,
[* 14] 2 Bände der Sarkophagreliefs, eine Lieferung der von der Wiener Akademie
unter Leitung von Conze herausgegebenen Sammlung aller griechischen Grabreliefs. Letzteres wird eins der schönsten archäologischen
Sammelwerke werden, welche es überhaupt gibt, zumal da die Grabreliefs zu den anmutigsten Schöpfungen des griechischen Geistes
gehören; auch die etruskischen Spiegel
[* 15] (Gerhard, Körte) werden gesammelt. In Vorbereitung ist eine Sammlung sämtlicher Münzen
[* 16] zu einem Corpus Nummorum. Ähnlichen Zwecken dienen private Unternehmungen, so die lieferungsweise im Erscheinen
begriffenen »Hellenistischen Reliefs«, die Th. Schreiber herausgibt, und die »Denkmäler griechischer und römischer Skulptur
in historischer Anordnung« von H. Brunn. Ein griechisches Unternehmen von hohem Reiz: »Die Museen Athens« von Kavvadias-Rhomaides
ist nach zwei schönen Lieferungen ins Stocken geraten.
III. Reisewerke und Ähnliches. An diese nach bestimmten Gesichtspunkten geordneten Sammelwerke schließen sich die Reisewerke an. Hier ist in erster Linie Kleinasien zu nennen, für welches namentlich von den Österreichern viel gethan wird. So erschien bereits 1885 ein Prachtwerk: »Reisen in Lykien und Karien«, von Benndorf und Niemann, das später durch ein zweites, prächtig ausgestattetes: »Das Heroon von Gjölbaschi-Trysa«, von Benndorf ergänzt wurde. Es bringt eine große Zahl der an diesem Denkmal gefundenen Reliefs, die, aus dem 4. Jahrh. v. Chr. herrührend, meistenteils Szenen des troischen Sagenkreises darstellen (jetzt im Wiener Museum). 1889 erschien »Reisen im südwestlichen Kleinasien« (Lykien, Milyas und Kibyratis),
von Petersen und Luschan. Die Krone von allen aber in Wiedergabe der Landschaft und der Architektur ist das von Niemann mitbearbeitete Werk des Grafen Lanckorónsky: »Städte Pamphyliens und Pisidiens«. Das große Werk über Pergamon [* 17] ist um einen neuen Band [* 18] bereichert: »Altertümer von Pergamon«, Bd. 8, Inschriften bis zum Ende der Königszeit enthaltend (1890). Die weitere Umgebung behandelt v. Diest in der Schrift: »Von Pergamon über den Dindymos zum Pontus« (1890). Mit der mythischen Vorgeschichte beschäftigt sich großenteils Thrämers »Pergamos« (1888). Eine pergamenische Landstadt schildert Bohn, »Pergae« (1889). An Inschriften reich ist das von den Amerikanern herausgegebene Werk »An epigraphical journey in Asia minor«, von Sittlington-Sterret.
Über den Hügel von Hissarlik, die Stätte, wo sich die Homerischen Sänger die Lage Trojas dachten, erschienen in Zeitungen und besondern Sendschreiben vielerlei Streitartikel von Ernst Bötticher, welcher in Schliemanns Troja [* 19] eine Feuernekropole erblickte, und Repliken seiner Gegner. Zusammengefaßt hat schließlich Bötticher seine Meinungen in zwei Schriften: »La Troie de Schliemann, une nécropole à incinération« (1889),
und, nachdem er selbst an Ort und Stelle gewesen, in der Schrift »Hissarlik wie es ist« (1890). Hätte er länger dort bleiben können, so wäre er möglicherweise von seiner Theorie ganz abgekommen, er stellt wenigstens in der letzten Schrift einen Teil wichtiger Dinge völlig anders dar als vor seiner Anwesenheit an Ort und Stelle. Schliemanns Berichte in seinem Buch »Ilios« waren auch zu mangelhaft, als daß irgend jemand sich hätte ein völlig klares Bild machen können.
Schliemanns gesamte Ausgrabungen, also auch die von Troja, behandelt in sehr übersichtlicher, gemeinverständlicher Darstellung ein Buch von Schuchhardt: »Schliemanns Ausgrabungen in Troja, Tiryns, Mykenä, [* 20] Orchomenos, Ithaka, im Lichte der heutigen Wissenschaft« (1890). Doch gibt der Bericht über Troja zu manchen Bedenken Anlaß. Südlicher führt uns das neueste deutsche Reisewerk von Humann und Puchstein: »Reisen in Kleinasien und Nordsyrien« (1890). Lange erwartet endlich wurde ein Unternehmen, dessen erste Lieferung jetzt vorliegt: die Spezialkarte vom westlichen Kleinasien von Kiepert (1890).
Über Babylonien und Persien [* 21] handeln verschiedene Werke von Herrn und Frau Dieulafoy, so »A Suse« (1888),
»L'Art antique de la Perse« (1889). Ein bequemes Handbüchlein schrieb Babelon: »Manuel d'archéologie orientale« (1888). Die Deutschen endlich sanden im Surghulhügel und zu El-Hibba altbabylonische Begräbnisstätten (ein Bericht darüber in der »Zeitschrift für Assyriologie« 1889),
welche Feuernekropolen nach Böttichers Sinn waren. Für die Keilschriftforschung erschien eine »Keilschriftbibliothek« (Bd. 2,1890).
Über Griechenland sind als eigentliche Reisewerke nur die Reisehandbücher von Bädeker, Meyer, neuerdings auch ein Führer durch Athen von v. Schweiger-Lerchenfeld zu verzeichnen. Sonst erschien über die einzelnen Gegenden reichliche Litteratur. Athen: Die Karten von Attika, herausgegeben von Curtius und Kaupert, erlangten mit Heft 6 (Marathon 1889) einen vorläufigen Abschluß. Die ganze Landschaft behandelt Lolling in der »Hellenischen Landeskunde u. Topographie« (in Iwan Müllers »Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft«);
die Stadt Athen besonders Wachsmuth in dem bereits 1874 begonnenen Werke: »Die Stadt Athen im Altertum« (2. Bd., 1890);
Harrison: »Mythology and monuments of ancient Athens« (1890),
mit sehr vielen Abbildungen;
Gregorovius: »Die Stadt Athen im Mittelalter« (1889);
ein hübsches, bequemes Büchlein ist Baumgartens »Rundgang durch Athen«.
Die Akropolis [* 22] stellt dar Bohn: »Die Akropolis von Athen«, ein schönes, großes Ansichtsblatt der Launitzschen Wandtafeln;
ein zusammenfassendes Werk über die Burg ist Böttichers »Akropolis« (1887).
Viele Tafeln betreffen Athen in der von Reinach neu herausgegebenen »Voyage archéologique en Grèce et Asie Mineure« von Le [* 23] Bas (neue billige Ausgabe des kostbaren Werkes 1889). Über Delphi erschienen »Beiträge zur Topographie« von Pomtow (1889); über Theben ein Programm von Fabricius (1889); über Olympia ein französisches Prachtwerk: »Restauration d'Olympie«, von Laloux und Monceaux (1889). Über Mykenä und seine Kultur erschien das wichtige Werk von Furtwängler und Loeschcke, »Mykenische Vasen. [* 24] Vorhellenische Vasen aus dem Gebiete des Mittelmeers« [* 25] (1886). Den wichtigsten Fund, die Becher [* 26] von Vaphio, behandelt die griechische »Ephemeris« von 1889. Außerordentlich wichtig für unsre Kenntnis von Altgriechenland [* 27] ist det Perieget Pausanias. Seine Glaubwürdigkeit hat Kalkmann in der Schrift »Pausanias der Perieget« (1886) sehr in Frage gestellt, wogegen er einen energischen Verteidiger in Gurlitt (»Über Pausanias«, 1890) gefunden hat.
Von den griechischen Inseln erfreut sich Cypern [* 28] der Aufmerksamkeit besonders, wofür die Veröffentlichungen von Holwerda (»Die alten Kyprier in Kunst und Kultur«, 1885),
Hogarth (»Devia Cypria«, 1889) ¶
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u. Oberhummer (»Die Insel Cypern«, 1890) sprechen. Über Lesbos erschien: Koldewey, »Die antiken Baureste der Insel Lesbos« (1890). Über Korfu [* 30] und Leukas hat Partsch Monographien in den Mitteilungen zu »Petermanns Geographischen Ergänzungsheften« veröffentlicht.
Auch in Italien zeigt sich reger Eifer. Ein Prachtwerk ist Holm und Cavallaris »Topografia archeologica di Siracusa« (1885),
aus dem Lupus (»Syrakus«, [* 31] 1887) einen Auszug in deutscher Sprache [* 32] geboten hat. Das Hauptinteresse konzentriert sich auf Rom. Eine vortreffliche allgemeine Darstellung liegt in O. Richters »Topographie von Rom« (1888) vor, nächst der Gilberts »Geschichte und Topographie der Stadt Rom« (1889) zu erwähnen ist. Das Forum [* 33] Romanum stellen dar zwei Ansichtsblätter von Lange. Eine schöne Auswahl von Ansichten bieten die von Strack herausgegebenen »Baudenkmäler des alten Roms«; einen ähnlichen Zweck verfolgt Lanciani, »Ancient Rome in the light of recent discoveries« (1888). Wichtig für die Kenntnis auch des alten Rom ist »La sfognatura (die Kanalisation) di Roma« von Narducci (1889). Von Einzelwerken sind »Les palais des Césars« von Babelon (1890) und »Castel Sant' Angelo in Roma« von Borgatti (1889) hervorzuheben.
Über die Römer [* 34] in Deutschland haben Emil Hübner (»Römische [* 35] Herrschaft in Westeuropa«) und J. ^[Jakob] Schneider (»Die alten Heer- und Handelswege der Germanen, Römer und Franken im deutschen Reiche«) neue Untersuchungen veröffentlicht. Als Kommentare zu Cäsars Feldzügen sind der »Bilderatlas zu Cäsars Bellum Gallicum« von Öhler (1890) und »Das Kriegswesen Cäsars« von Fröhlich von Nutzen.
Für Ägypten sind zu nennen die Publikationen des »Egypt Exploration Fund«, Naukratis, Tanis, Hawara, Biahmu, Arsinoe umfassend. Über die gesamte Thätigkeit dieser englischen Gesellschaft findet sich ein ausführlicher, vollständig orientierender Bericht von Erman in der Berliner [* 36] philologischen Wochenschrift 1890, Nr. 29/30. Allgemein orientierend sind: Erman, »Ägypten und ägyptisches Leben im Altertum« (Bd. 2,1888) und Maspéro, »Ägyptische Kunstgeschichte« (deutsch von Steindorff, 1889).
IV. Handbücher und Verwandtes. Die Fülle des Materials, welches namentlich in den vielen periodischen Publikationen erscheint, ist so groß, daß sich lebhaft das Bedürfnis nach übersichtlicher Zusammenfassung in Form von Handbüchern, Atlanten, Lexika kundgibt. Ein groß angelegtes Unternehmen dieser Art ist Iwan Müllers »Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft« (seit 1885 im Erscheinen begriffen),
welches das gesamte Gebiet der Altertumswissenschaft umfaßt. In ihm erschienen z. B. Richters »Topographie von Rom« und Lollings »Topographie von Athen«. Die Kunst allein behandelt das noch nicht abgeschlossene illustrierte Werk von Perrot und Chipiez: »Histoire de l'art dans l'antiquité« (seit 1881),
dessen 5. Band (»Phrygie, Lydie, Carie, Lycie, Perse«) 1889 erschien. Eine durch vortreffliche Abbildungen hervorragende »Weltgeschichte der Kunst bis zur Erbauung der Sophienkirche« schrieb Ludwig v. Sybel (1887); die Keramik [* 37] Griechenlands behandeln Dumont und Chaplain: »Les céramiques de la Grèce propre« (1890 abgeschlossen) und Rayet u. Collignon: »Histoire de la céramique grecque« (1888);
die etruskische Kunst Martha in »L'art étrusque« (1888).
Die französischen Publikationen sind meist leicht verständlich gehalten und mit guten Abbildungen geschmückt.
Von einzelnen Gebieten behandeln in besondern Werken das Bühnenwesen: Müller (»Lehrbuch der griechischen Bühnenaltertümer«, 1886) und Öhmichen (»Der griechische Theaterbau«, [* 38] 1886) und von ganz neuen Gesichtspunkten ausgehend Kawerau-Dörpfeld in Baumeisters »Denkmälern«;
das Seewesen: Breusing (»Die Nautik der Alten«, 1886) und in gegnerischer Auffassung Aßmann (»Seewesen«, ebenfalls bei Baumeister);
Imhoof-Blumer hat über »Porträtköpfe auf den Münzen hellenischer und hellenistischer Völker« (1887) geschrieben und mit Keller »Tier- u. Pflanzenbilder auf Gemmen, [* 39] Münzen etc.« (1889) herausgegeben.
Die Atlantenform
wählte Schreiber in dem »Kulturhistorischen Bilderatlas« (»Altertum«, 1888) sowie die Seemannsche Verlagsbuchhandlung zu Leipzig
[* 40] in den »Kunsthistorischen Bilderbogen«. Die lexikalische Anordnung befolgen Daremberg und Saglio im »Dictionnaire
de l'antiquité« (1890 bis zum Buchstaben E gekommen); Roschers »Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie«
(1. Bd. 1890) und das bedeutende, von Baumeister herausgegebene Werk »Denkmäler des klassischen Altertums« (1885-89,3 Bde.).
In diesem Lexikon findet sich eine ungemein reiche Sammlung von Abbildungen und archäologischen
Artikeln
aller Art, wenn auch bei so verschiedenen Mitarbeitern Mängel und Ungleichheiten vorkommen.
Namentlich über Architektur, Seewesen, Theaterbau, Vasenkunde, Topographie und Kunst von Athen, Rom, Olympia, Pergamon, Troja, Mykenä, Tyrins findet man das Beste und Neueste vereint. Wer sich also über ein Gebiet der Altertumswissenschaft orientieren will, wird gut thun, in den beiden Werken: Iwan Müllers strengwissenschaftlichem, systematisch bearbeitetem »Handbuch« oder Baumeisters »Denkmälern« (allgemein orientierend, obwohl auch hier völlig anschließende Artikel) nachzusehen.