Titel
Aphrodite
[* 1] (lat. Venus), in der Mythologie der Griechen die Göttin der Liebe und Schönheit. Ursprünglich war sie wohl die Göttin alles Wachsens und Entstehens. Indem auch der Natur ein sehnsüchtiges Verlangen zugeschrieben wurde, ward aus ihr die Göttin der Liebe und allmählich die der Schönheit. Es scheint, daß der Ursprung ihrer Verehrung bereits in die Epoche zurückfällt, in welcher die Griechen noch mit den übrigen indogermanischen Völkern eine Einheit bildeten; denn wir finden bei der Mehrzahl dieser Völker eine ihr wesensverwandte Göttin.
Aber diese ursprüngliche Gestalt ist auf den
Inseln und dem
Festland von
Griechenland
[* 2] durch orientalische,
besonders vorderasiatische und phönikische, Einflüsse stark verwischt worden,
indem vielfach
Züge der semitischen
Aschera
oder
Astarte (Aschtaroth) in die Aphrodite
hineingetragen wurden. Wie diese, wurde sie bewaffnet dargestellt auf
Cypern,
[* 3] wo sie in
Paphos,
Amathus, Golgoi,
Idalion,
Salamis alte Verehrungsplätze hatte (daher heißt sie auch bei den Griechen Kypris, bei
den
Römern
Cypria), auf der
Insel
Kythera (daher ihr Beiname
Kythereia), in
Sparta,
Akrokorinth und anderswo.
Als solche hieß sie
Areia und wurde zur
Gattin oder Geliebten des
Ares,
[* 4] zu welchem sie auch schon insofern in Beziehung stand,
als er Gott des
Gewitters und somit auch der
Befruchtung der
[* 5]
Erde ist. Als
Söhne des
Ares und der Aphrodite
nennt
die Hesiodische
Theogonie: Deimos
(»Furcht«) und Phobos
(»Schrecken«);
aber sie fügt auch als Tochter die wiederhergestellte »Eintracht«, Harmonia, hinzu.
Nur ihr Name, in dessen zwei ersten Silben das griechische Wort für Schaum (Aphros) gehört wurde, scheint zu der Sage Anlaß gegeben zu haben, daß sie aus dem Meer oder aus den ins Meer geschleuderten Genitalien des Uranos (s. d.) entstanden sei (Anadyomene). Die wahre Bedeutung des Namens ist unsicher; er ist möglicherweise nicht griechisch, sondern aus dem Orient entlehnt. Wie Ares, konnte ihr auch Hephästos, [* 6] welcher ursprünglich wohl Gott des Blitzes war, zum Gatten gegeben werden.
Wie alle
Vegetation aber sich auf drei
Reiche erstreckt, so schied man auch eine dreifache Aphrodite:
Urania
(Venus caelestis), die
himmlische,
Pontia oder Thalassia
(Venus marina), die
Göttin des
Meers, und
Pandemos, die bei jeglichem
Volk, also auf
Erden, waltende.
Als
Urania wurde sie zur Tochter des
Zeus
[* 7] als des lichten
Himmels und der
Dione, der weiblichen Ergänzung
desselben, gemacht und gern auf den lichten
Höhen der
Berge verehrt, daher auch Akraia genannt. Als solcher dient ihr der
Polos oder
Modius, ein runder, hoher, scheffelartiger
Aufsatz, das Abbild des Himmelsgewölbes, und in gleicher
Anschauung die
Schildkröte als
Symbol.
Als
Pontia stand sie ursprünglich nur der
Fruchtbarkeit der Tierwelt des
Meers vor, ward aber allmählich zur Meergöttin überhaupt,
besonders zur
Göttin der Meeresstille und glücklichen Meerfahrt (Euploia) sowie der Häfen. So wurde
Thalassa (das
»Meer«)
ihre
Mutter genannt
und sie selbst oft mit
Poseidon
[* 8] zusammen verehrt. Als
Göttin der
Erde hat
sie den aus
einem
Baum gebornen
Adonis (s. d.), das
Sinnbild der erblühenden und ersterbenden
Natur, zum Geliebten. Sie verbirgt ihn (den
Samen)
[* 9] in einem
Kasten und gibt ihn der in der
Unterwelt, dem
Schoß der
Erde, thronenden
Persephone;
[* 10] diese will ihn für immer
behalten, erst auf den Schiedsspruch des
Zeus gibt sie ihn für zwei Drittel des
Jahrs der Aphrodite
zurück.
Besonders ist sie die
Göttin der
Blumen,
Bäume und
Früchte, unter denen ihr
Myrte,
Rose,
Anemone,
Cypresse,
Linde und Apfel, wie
unter den
Tieren der
[* 1]
^[Abb.: Fig. 1. Aphrodite
von
Knidos
(München).]
[* 11]
¶
mehr
Bock,
[* 13] der Hase,
[* 14] die Taube, der Sperling, die Schwalbe, der Jynx (s. d.), der Schwan, heilig sind. Aber auch der menschlichen Zeugung
steht sie vor, ja sie wurde auch die Göttin der Hetären und Lustknaben, ähnlich wie im Mittelalter die büßende Magdalena
die Schutzheilige der Dirnen war. Der Dienst der Aphrodite
Pandemos wurde in Athen
[* 15] auf Theseus zurückgeführt.
Als Göttin der Liebe hat sie in ihrem Gefolge die Peitho (Suada), die Chariten,
[* 16] den Himeros, Pothos, Hymenäos, vor allen aber den
Eros,
[* 17] welchen der Mythus zu ihrem Sohn macht. Die Römer
[* 18] identifizierten die Aphrodite
mit der altitalischen Göttin Venus (s. d.).
Vgl. Roscher, Lexikon der Mythologie, Sp. 390 ff.
Aphrodite
gehört zu den von der alten Kunst mit am häufigsten dargestellten Gottheiten. Die ältere Periode und die erste Blütezeit
der griechischen Kunst (Pheidias) stellte sie bekleidet, teils thronend, teils stehend, dar. Erst in der zweiten Blütezeit
(Skopas und Praxiteles) wagte man die Göttin in ihrer nackten Schönheit zu zeigen, aber auch hier nur mit
Motivierung der Nacktheit durch das Bad.
[* 19] Mit der Zeit stellte man die Göttin in ihrer Nacktheit nur um ihrer Schönheit willen
dar, bis man ihr endlich alles Göttliche abstreifte und sie nur noch als schönes, häufig ganz genrehaft aufgefaßtes
Weib erscheinen ließ.
Ebenso stieg natürlich auch die Gesichtsbildung vom Ernsten und Würdigen zum Lieblichen und Anmutigen und von da zum Sinnlichen
und Koketten herab. Dem spätern Ideal der Aphrodite
ist das anmutige Oval
[* 20] des Gesichts, das Lächeln und besonders das schmale, schwimmende,
die Liebessehnsucht ausdrückende Auge
[* 21] eigen. An Stelle der zierlichern Körperformen dieser jüngern Zeit
bildete die ältere die Aphrodite
mit kräftigern Formen von junonischer Fülle und großartiger Erscheinung. So war noch die berühmteste
Statue der Göttin, die knidische Aphrodite
des Praxiteles, aufgefaßt, von welcher uns Münzbilder und eine Statue des Vatikans eine
Vorstellung geben, während die Münchener Kopie
[* 12]
(Fig. 1) schon zärtlicher gestaltet ist.
Berühmt war auch das Gemälde der Aphrodite
Anadyomene von Apelles. Unter den uns erhaltenen Statuen behauptet den ersten Rang die
durch Hoheit der Auffassung vor allen ausgezeichnete von Melos im Louvre (1820 auf der Insel Milo in der Umgebung des Theaters
aufgefunden,
[* 12]
Fig. 2), über deren Meister, Zeit und Auffassung die Wissenschaft noch zu keinem sichern
Resultat gelangt ist, die aber jedenfalls nicht mit dem einen Apfel haltenden Fragment, welches ebenfalls in Milo gefunden wurde,
ergänzt werden darf (vgl. Göler v. Ravensburg,
[* 22] Die Venus von Milo, Heidelb. 1879; Hasse, Venus von Milo, Jena
[* 23] 1882; Kiel,
[* 24] Venus von Milo, Hannov. 1882). Außer ihr sind als die berühmtesten Statuen namhaft zu machen: Die in Neapel
[* 25] befindliche
von Capua, als Siegesgöttin (Venus Victrix) dargestellt, den Fuß auf den Helm des Ares setzend, mit den Armen den Schild
[* 26] emporhebend,
eine Nachbildung des Typus der melischen Aphrodite
, aber von sehr geringer Ausführung;
die Aphrodite
Medici zu Florenz,
[* 27] nach der jetzt als modern erwiesenen Inschrift ein Werk des
Kleomenes aus Athen (im Portikus der Octavia zu Rom
[* 28] gefunden, früher
in der Villa Medici daselbst, seit 1770 in Florenz; s. Tafel »Bildhauerkunst
[* 29] IV«,
[* 30] Fig. 5), und die im Bad
kauernde Aphrodite
im Vatikan
[* 31] (wahrscheinlich nach Dädalos
[* 32] von Sikyon), ein Beispiel der genrehaften Auffassung.
Ist in den beiden
letztern Statuen fast alles Göttliche abgestreift, so grenzt die Aphrodite
Kallipygos zu Neapel (angeblich in den Kaiserpalästen
zu Rom gefunden) trotz der Formvollendung beinahe an das Gemeine. Besondere Bildungen sind die meergeborne,
die Schiffahrt schützende Aphrodite
(daher im Chor der Nereiden und Tritonen in einer Muschel sitzend und ähnlich gebildet) und die
kriegerische Aphrodite, welche mit Ares sehr häufig so gruppiert wurde, daß sie denselben umfaßte oder ihm Helm und Schild hielt.
In Sparta kannte man altertümliche Holzbilder von Aphrodite, welche sie geharnischt zeigten,
und noch in pompejanischen Wandbildern erscheint sie gelegentlich als den Schmuck ablegend und zur Lanze greifend. In Reliefs
und auf geschnittenen Steinen wird sie gern mit dem Eros tändelnd oder von den Chariten geschmückt dargestellt, oder sie ist
die kundige Liebesvermittlerin zwischen Paris
[* 33] und Helena.
Diesen letztern Mythenkreis, zumal das Urteil des Paris, hat die antike Kunst unzählige Male behandelt. In Pompeji [* 34] findet man dagegen den Mythus von Adonis (der verwundet in ihrem Schoß liegt) bevorzugt. In Szenen der Brautschmückung, des heitern Frauenverkehrs wird sie mit Vorliebe auf attischen Vasen [* 35] eingeführt. Hier ist sie durch die Zierlichkeit und Haltung des Gewandes und durch Attribute (Spiegel, [* 36] Blume, Taube, auch Jynx und Hase) kenntlich. Über die Aphroditedarstellungen des Altertums vgl. Bernoulli, Aphrodite (Leipz. 1874).
[* 12] ^[Abb.: Fig. 2. Aphrodite von Melos (Paris, Louvre).]