Anziehung
,
allgemeine, s. Gravitation.
Anziehung
129 Wörter, 979 Zeichen
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Anziehung,
allgemeine, s. Gravitation.
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Anziehung
oder Attraktion nennt man die Kraft,
[* 2] vermöge deren die kleinsten Teilchen der Körper
sich zu nähern und in gegenseitiger Nähe oder Berührung sich festzuhalten streben. Newton (1682) hat zuerst eine solche
allgemeine Anziehung
zur Erklärung der Bewegungen der Weltkörper angenommen und die Schwere (s. d.) als einen besondern Fall derselben
betrachtet. Diese Ansicht schien den meisten Zeitgenossen (Leibniz, Huyghens), die an eine Fernwirkung der
Massen nicht glauben konnten, unannehmbar, wurde auch noch von Faraday bekämpft. Es fehlt nicht an Versuchen die Fernwirkung
auf Vermittelung des Mediums (Äthers, s. d.) zurückzuführen, das den Raum zwischen den sich anziehenden
Massen ausfüllt. –
Vgl. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (Lpz. 1786);
Grove, Die Verwandtschaft der Naturkräfte (Braunschw. 1871);
Odstrčil, Über den Mechanismus der Gravitation und des Beharrungsvermögens (Wien [* 3] 1884).
die von Newton nachgewiesene Anziehung, welche je zwei Massenteilchen im geraden Verhältnis ihrer Massen
und im umgekehrten Verhältnis des Quadrats ihrer Entfernung aufeinander ausüben. Bezeichnen m und m' die Massen zweier
Stoffteilchen, r ihre Entfernung und f einen unverhinderlichen Zahlenfaktor, der nur von der Wahl der Grundeinheiten für Masse
und Entfernung abhängt, so wird diese Anziehung
skraft ausgedrückt durch f.mm'/rr. Aus den von Kepler entdeckten Gesetzen der
Planetenbewegung folgt, daß die Planeten
[* 5] von der Sonne
[* 6] nach diesem Gesetz angezogen werden.
Durch einen fallenden Apfel, so erzählt man, wurde Newton auf den Gedanken gebracht, daß die Schwere nichts
andres sei als die von dem Erdkörper ausgeübte Massenanziehung und sich nicht bloß an der Erdoberfläche durch den Fall
der Körper äußere, sondern sich mit abnehmender Stärke
[* 7] bis zum Mond
[* 8] und darüber hinaus erstrecke und
letztern zwinge, die Erde zu umkreisen, gerade wie die Planeten durch die Anziehung
skraft der Sonne in ihren Bahnen erhalten
werden.
Aus astronomischen Beobachtungen weiß man, daß der Mond, welcher vermöge der Trägheit in jedem Augenblick bestrebt ist, längs
der Berührungslinie seiner Bahn geradeaus zu gehen, in jeder Sekunde gegen die Erde hin eine Beschleunigung
von 0,00271 m erfährt. Ist nun diese Beschleunigung eine Äußerung der Schwerkraft, welche bekanntlich einem fallenden Körper
am Äquator der Erde eine Beschleunigung von 9,78 m erteilt, so muß sich die Mondbeschleunigung nach obigem Gesetz aus der Fallbeschleunigung
berechnen lassen. Da die Entfernung des Mondes von der Erde 60 Erdhalbmesser beträgt, derselbe also 60mal
weiter von dem Erdmittelpunkt entfernt ist als ein Punkt des Äquators, so müßte die Mondbeschleunigung 60×60 oder 3600mal
kleiner sein als die Beschleunigung eines an der Erdoberfläche fallenden Körpers, also 9,78:3600 = 0,00271 m.
Durch die vollkommene Übereinstimmung dieses Wertes mit dem aus den astronomischen Beobachtungen abgeleiteten
ist aber der sichere Beweis geführt, daß die Schwerkraft und die allgemeine Anziehung
skraft, welche den Weltkörpern ihre
Bewegungen vorschreibt, ein und dasselbe sind.
Die Anziehung, welche ein Körper auf irgend ein Massenteilchen ausübt, entspringt aus dem Zusammenwirken aller von den einzelnen
Massenteilchen des Körpers ausgehenden Einzelkräfte. Ist der Körper eine gleichartige oder aus gleichartigen
konzentrischen Schalen gebildete Kugel, so ist die auf ein außerhalb befindliches Teilchen ausgeübte Gesamtanziehung
offenbar
nach dem Mittelpunkt der Kugel gerichtet und erfolgt gerade so, als wäre die ganze Masse der Kugel in ihrem Mittelpunkt zusammengedrängt.
Deshalb ist der Mittelpunkt der Erde gleichsam als Sitz der Anziehung
skraft anzusehen, von welchem aus
die Entfernungen zu rechnen sind, wie oben bei Berechnung der auf den Mond ausgeübten Wirkung geschehen ist. Eine Hohlkugel übt
auf einen auf ihrer innern Oberfläche oder im Hohlraum gelegenen Punkt gar keine Wirkung aus, weil die diesseit und jenseit
des Punktes gelegenen Teile der Kugelschale mit gleicher Kraft nach entgegengesetzten Richtungen ziehen. Ein Punkt im Innern
der Erde, z. B. auf der Sohle eines Bergwerks, erfährt daher von allen Teilen des Erdkörpers, welche weiter als er selbst
vom
Mittelpunkt abstehen, keine Einwirkung mehr und wird nur noch von dem unter ihm befindlichen Erdkern
nach dem Mittelpunkt gezogen.
Wenn aber jeder Körper den andern anzieht, warum wird man nicht, wenn man an einem Haus vorübergeht, nach dem Haus hingezogen? Die Antwort auf diese Frage lautet: man wird in der That nach dem Haus hingezogen, die Wirkung ist aber im Vergleich zu der Anziehung der ungeheueren Erdmasse so geringfügig, daß sie unsrer Wahrnehmung entgeht. Dennoch kann man durch hinreichend empfindliche Hilfsmittel die Anziehung, welche z. B. eine große Bleikugel auf eine kleinere Kugel ausübt, nachweisen und sogar messen, wie Cavendish, Reich und Baily (mittels der von Michell konstruierten Drehwage) gethan haben.
Kennt man aber die Anziehung
skraft, mit welcher eine bekannte Bleimasse in bekannter Entfernung auf eine
Metallkugel einwirkt, und vergleicht man dieselbe mit der Anziehung
skraft, welche diese Kugel von seiten der Erde erleidet,
d. h. mit ihrer Schwere, so kann man daraus auf die Größe der Erdmasse schließen; aus den Messungen der oben genannten
Physiker ergibt sich übereinstimmend, daß die Masse der Erde 5½mal so groß ist als diejenige einer gleichgroßen Wasserkugel.
Maskelyne hat ferner gezeigt, daß zur Seite einer frei stehenden Bergkette das Bleilot von dieser angezogen und daher aus
der lotrechten Richtung abgelenkt wird; aus der Größe dieser Ablenkung und dem durch Schätzung ermittelten
Gewicht des Bergs konnte ebenfalls die Masse der Erde, ziemlich nahe übereinstimmend mit der obigen Zahl, gefunden werden.
Durch das eingehende Studium, welches v. Jolly der Wage [* 9] gewidmet hat, gelang es demselben, die Empfindlichkeit dieses Meßwerkzeugs derart zu steigern, daß bei Vergleichung zweier Kilogrammstücke mit einmaliger Wägung der unvermeidliche Fehler auf 0,05 mg und im Mittelwert wiederholter Wägungen auf 0,001 mg zurückgebracht wird. Es mußte sonach möglich sein, die vom Gravitationsgesetz geforderte Abnahme der Schwere nach dem Quadrat der Entfernung vom Erdmittelpunkt unmittelbar mittels der Wage nachzuweisen. Es muß nämlich von zwei Kilogrammstücken, welche an den Armen des Wagebalkens in verschiedener Höhe aufgehängt sind, das tiefer hängende, weil es dem Erdmittelpunkt näher ist, schwerer erscheinen. Es ergab sich in der That, daß bei einem Höhenunterschied von 5,2 m das tiefer hängende Gewicht 1,5 mg schwerer war. Dieser Wert ist um 0,152 mg kleiner als der aus dem Gravitationsgesetz berechnete; die Abweichung erklärt sich aber zur Genüge aus der störenden Anziehung der umgebenden Gebäude. Auch die Anziehung, welche eine große Bleikugel auf eine Quecksilbermasse ausübt, hat Jolly mittels der Wage bestimmt und daraus die mittlere Dichte des Erdkörpers = 5,692 abgeleitet. Vgl. Fall und Schwere.