Alpenwirts
chaft,
die Viehwirtschaft auf den Weideplätzen der Hochgebirge und die damit verbundene Verarbeitung der
Milch aus
Käse,
Zieger,
Milchzucker, seltener auf
Butter. Die Alpenwirts
chaft ist in den
Schweizer
Alpen,
[* 2] in ganz
Savoyen, einem Teil von
Piemont,
Venedig
[* 3] und
Mailand,
[* 4] in ganz
Tirol,
[* 5] im
Algäu und in den vorarlbergischen Herrschaften, im südlichen Teil
von
Bayern
[* 6] und dem südöstlichsten von
Schwaben, in Obersteiermark und in einem Teil von
Illyrien, im Salzburgischen und
Berchtesgaden
eingeführt.
Ebenso findet man sie in vielen Teilen des Juragebirges und vorzüglich in der
Franche-Comté. Auch die
Berge der
Auvergne,
die von Salers,
Mont d'Or und
Cantal, die
Apenninen,
Pyrenäen und
Skandinavien haben Alpenwirts
chaft. Die Alpauffahrt geschieht
Ende Mai oder Anfang Juni, doch geht man zunächst in die weniger hohen
Regionen und erst im Juli auf die höchsten
Höhen,
von denen dann, je nach der
Witterung, früher oder später die Rückkehr erfolgt, bis die Vorboten des
Winters zur Heimkehr (Alpabfahrt) zwingen. Die schroffsten
Alpen werden nur von
Schafen und
Ziegen, minder schroffe von
Kühen
beweidet; aber aus
Revieren, zu welchen kein
Tier mehr vordringt, gewinnen verwegene Älpler noch ein vorzugsweise aromatisches
Heu (Wildheu), welches sie, in
Tücher gestopft, auf dem
Kopf heimtragen.
Hinsichtlich des Besitztitels werden die Alpen eingeteilt in Gemeindealpen (Allmenden), Staatsalpen oder Domänen, wie in Bayern und Tirol, welche an Gemeinden oder Einzelne verpachtet werden, und Privat- oder Herrenalpen. Erstere bilden in der westlichen, letztere in der östlichen Schweiz, [* 7] ebenso in Tirol, Salzburg [* 8] und Steiermark [* 9] die überwiegende Mehrzahl. Aus den Gemeindealpen ist jeder Gemeindebürger zur Auftrift einer bestimmten Menge von Rind [* 10] oder Kleinvieh berechtigt.
Die Privatalpen (meist
Eigentum von Spitälern,
Klöstern, reichen
Privatpersonen etc.) werden an
Sennen, die nur Vieh, aber
keinen Alpengrund besitzen, gegen einen
Zins (Alpenzins, Alpengeld) zur Benutzung überlassen.
Große
Alpen von mehreren
Hundert
Stößen (d. h. auf welchen mehrere
Hundert
Kühe sich ernähren können) werden meist nicht von Einem
Senn,
sondern von mehreren in
Pacht genommen. Ganze
Gemeinden nehmen einen gemeinschaftlichen
Senn an, der jedem einzelnen
Eigentümer
der gemeinsamen
Herde den ihm zukommenden
Anteil von
Butter und
Käse etc. zur gehörigen Zeit überliefert. Auch finden sich
noch manche andre wirtschaftliche
Formen.
In den
Tiroler und
Bayrischen Alpen werden die Wartung der
Herde
sowie die Gewinnung und Verarbeitung ihrer
Produkte meist von einer Magd, der Sennerin
(Sentrin, Schwagrin), besorgt. Treibt
eine ganze
Gemeinde ihr Vieh auf die
Alp, so ist, wo dasselbe zahlreich ist, ein Käsemeister mit der
Aufsicht über mehrere
Sennen betraut.
Der
Ertrag der Schweizerkühe auf den
Alpen ist nicht höher als bei einer immerwährenden gut bestellten
Stallfütterung. Die
besten Schweizerkühe, z. B. im Saanenland, geben zur Zeit, wo
sie am milchreichsten sind,
täglich etwa 18-20 kg
Milch. Allein das dauert nur eine Zeitlang, und im allgemeinen kann man bloß 14-15
kg
Milch des
Tags in den 16-18
Wochen der Alpfahrt rechnen. Nicht selten werden auf den Alpenwirts
chaften neben den Milchkühen
und Milchziegen auch viele
Arten Geltvieh und Mastochsen,
Pferde
[* 11] und
Schafe
[* 12] gehalten, und man hat eigne sogen. Mastalpen für
Mastvieh, Stieralpen oder Gustiberge für junges Hornvieh oder
Pferde- und Schafalpen, welch letztere
die steilsten sind.
Außerdem zieht man wohl in jeder
Alp noch mehrere
Schweine
[* 13] auf, die sich von den
Abfällen der Käsefabrikation ernähren.
Da die Erträgnisse mancher
Alpen neuerdings zurückgegangen sind, so hat man alpenwirts
chaftliche
Versuchsstationen errichtet
zu dem
Zweck, eine rationelle
Pflege derselben (Bearbeitung, Düngung), bessern Betrieb, geregelteres Beweiden
u. dgl. m. einzuführen.
Die genossenschaftliche Bewirtschaftung sowohl als die Fabrikation der Milchprodukte auf gemeinsame Rechnung verbreiten sich
mehr und mehr, und anderseits sucht man auch da, wo geboten, den
Waldbau und die
Wiederbewaldung genossenschaftlich zu regeln.
Die Schweiz besitzt in 690 Gemeinden zusammen etwa 4560 Alpen (über ca. 50 Gemeinden fehlen Angaben). Als Einheit des Flächenmaßes der Alpen gilt ein Stück Weide [* 14] von solcher Ausdehnung, [* 15] daß eine Kuh darauf gesommert werden kann (Kuhrecht). Dasselbe schwankt von 2 Juchert oder Morgen (39,4 Ar) bis zu über 10, je nach der Höhe der Lage, und beträgt im Durchschnitt 1,3 Hektar. Das Korrelat des Kuhrechts ist der Stoß, d. h. die Viehzahl, welche auf ein Kuhrecht geweidet werden kann. Es kommt nämlich auf 1 Stoß 1 Kuh, auf 1 Pferd [* 16] von 1, 2 oder 3 Jahren kommen 1, 2 oder 3 Stöße, auf 3 Rinder [* 17] 2 Stöße, auf 1 Kalb ¼, auf 1 Schwein [* 18] ¼, auf 1 Ziege oder 1 Schaf [* 19] ⅕ Stoß.
Die 4559 Alpen, von welchen 1525 oder 33,5 Proz. den Gemeinden, 80 = 1,8 Proz. Gemeinden und Privaten zusammen, 453 = 9 Proz. Korporationen, 2488 = 54,6 Proz. Privaten und 11 = 0,2 Proz. dem Staat gehören, und die in Höhen von 630-2820 m ü. M. liegen, waren 1864 mit 270,389 Stößen Vieh besetzt. Die Gesamtzahl der Weidetage betrug 25,074,238. Der Kapitalwert der Alpen wird sehr niedrig, zu 77,186,103 Frank, angegeben. Der Bergzins (Pachtzins) betrug 3,362,642 Fr. Ziemlich genau ist der Ertrag ermittelt. Im J. 1864 (neuere statistische Angaben fehlen) weideten 153,320 Kühe auf den Alpen der Schweiz, welche einen Ertrag von 8,182,788 Fr. ergaben, sowie 115,941 Stück Geltvieh, d. h. nicht milchgebendes Rindvieh, und übrige Viehgattungen, die durch Zuwachs 2,703,463 Fr. abwarfen. Der Gesamtbetrag ist demnach 10,893,874 Fr. oder 14,11 Proz. des geschätzten Kapitalwerts oder nach Abzug der Zinsen und Amortisation des Betriebskapitals (Vieh etc.) 9,545,000 Fr. oder 12,4 Proz. Zu 5 Proz. gerechnet, betrüge der Wert der Alpen 190,900,120 Fr. und mit den nicht in Rechnung gezogenen Alpen wenigstens 200 Mill. Fr. Der Wert des gesamten Schweizer Viehstandes wird auf 260 Mill. Fr. geschätzt.
Vgl. Steinmüller, Beschreibung der schweizerischen Alpen und Landwirtschaft (Winterth. 1802, 2 Bde.);
Emminghaus, Die schweizerische Volkswirtschaft (Leipz. 1860-61, 2 Bde.);
Schatzmann: Schweizerische Alpenwirts
chaft
(Aarau
[* 20] 1862-66, 7 Hefte), Anleitung zum Betrieb der
Sennerei (3. Aufl., das. 1876), Anleitung
zum Betrieb der Alpenwirts
chaft (das. 1876);
»Die der Schweiz«, hrsg. vom schweizer. Statistischen Büreau (Bern [* 21] 1868);
»Die in Kärnten« ¶
mehr
(Klagenf. 1873-81, 2 Tle.);
Wilkens, Die der Schweiz, des Algäus und der westösterreich.
Alpenländer (Wien [* 23] 1874); Anderegg, Statistischer Atlas [* 24] über die Viehzucht und [* 25] Milchwirtschaft in der Schweiz (Zür. 1884); »Alpwirtschaftliche Monatsblätter«, hrsg. von Schatzmann (Aarau, seit 1866).