Titel
Uralaltaische
Sprachen, weitverzweigte Sprachen
familie, die auch als turanische oder finnisch-tatarische oder skythische
oder altaische bezeichnet wird und sich von
Ungarn
[* 3] und
Finnland bis Nordostasien erstreckt. Sie wird gewöhnlich in fünf Hauptgruppen
zerlegt:
Russische Ostseeprovin

* 5
Esthland. 1) Die finnisch-ugrische
Gruppe, in Rußland und
Ungarn, umfaßt das
Finnische oder
Suomi, das in
Finnland von etwa 2 Mill.
Menschen gesprochen wird, die altertümlichste
Sprache
[* 4] dieser
Gruppe, nebst dem Esthnischen in
Esthland,
[* 5] dem im Aussterben begriffenen
Livischen in
Livland und einigen minder wichtigen
Dialekten; das Lappische, in
Lappland; dann östlich und südöstlich von
den vorigen die immer mehr verschwindenden Nationalsprachen
verschiedener kleinerer
Stämme, der
Tscheremissen zwischen
Kasan
[* 6] und
Nishnij Nowgorod, der
Mordwinen an der mittlern
Wolga, bis zum südlichen
Ural hin, der
Syrjänen,
Wotjaken und
Permier, nordöstlich
von den vorigen, endlich die
Sprachen der
Ostjaken und
Wogulen, am Ob über weite, aber sehr dünn bevölkerte
Strecken sich
ausdehnend, nahe verwandt mit der wichtigsten
Sprache dieser
Gruppe, dem Magyarischen der
Ungarn. Das Magyarische,
durch eine verhältnismäßig alte und bedeutende Litteratur ausgezeichnet, umfaßt ein größeres Gebiet im W. von
Ungarn,
von
Preßburg
[* 7] an, wo das deutsche Sprachgebiet beginnt, und ein kleineres, von dem vorigen getrenntes im SO.,
wo es ringsum von
Rumänen umgeben ist.
2) Die samojedische Gruppe, nördlich von der vorigen, am Eismeer hin weit nach Sibirien hinein reichend, zerfällt in vier Dialekte, die aber zusammen nur von ungefähr 20,000 Individuen gesprochen werden.
Karte zur Geschichte d

* 8
Türkei.3) Die türkisch-tatarische Gruppe, die verbreitetste von allen, reicht von der europäischen Türkei [* 8] mit geringen Unterbrechungen bis zur Lena und begreift folgende Sprachen in sich: Jakutisch, die Sprache der Jakuten, an der Lena im nordöstlichen Sibirien, welche ringsum von Tungusen (s. unten) umgeben sind;
Kirgisisch, in dem an China [* 9] angrenzenden Teil von Turkistan;
Uigurisch, mit einem besondern, aus den syrischen Buchstaben zurechtgemachten Alphabet, nebst Turkmenisch, Tschagataisch und Uzbekisch, im übrigen Turkistan;
Kumükisch, im nordöstlichen Kaukasus, und Nogaisch, nördlich vom Schwarzen Meer und in der Krim; [* 10]
Osmanli oder Türkisch, die wichtigste Sprache dieser Gruppe, in Konstantinopel, [* 11] Philippopel und einigen andern Enklaven in der europäischen Türkei sowie im Innern von Kleinasien herrschend;
verwandt damit ist das isolierte Tschuwaschisch, das von dem Tscheremissischen und Mordwinischen umschlossen wird.
4) Die mongolische Gruppe zerfällt in das eigentliche Mongolisch im nördlichen China, das Burätische am Baikalsee und das Kalmückische westlich davon, mit Ausläufern, die bis nach Südrußland reichen.
Übersicht der wichtige

* 12
Sprachstamm. 5) Die tungusische
Gruppe, in Nordostasien, reicht vom
Jenissei bis an das
Ochotskische Meer, im
NO. bis an das
Eismeer, im S.
bis weit nach
China hinein. Die wichtigste der dazu gehörigen
Sprachen ist das
Mandschu, in der chinesischen
Mandschurei, mit einer mehrere
Jahrhunderte alten Litteratur und einem besondern
Alphabet. Von einigen wird auch die
Sprache
der ältesten
Gattung der
Keilschrift, das
Akkadische oder Sumerische, zu dem uralaltaischen
Sprachstamm
[* 12] gezählt; doch ist
die
Verwandtschaft, wenn sie besteht, jedenfalls nur eine sehr entfernte. Ebenso zweifelhaft ist die von
Ewald,
Schott,
Hofmann u. a. angenommene
Verwandtschaft des
Japanischen mit
den uralaltaischen
Sprachen. Auch die fünf
oben genannten
Gruppen stehen keineswegs in nahen Beziehungen zu einander und haben keine oder wenige
Wörter und
Wurzeln, vielmehr nur den
grammatischen
Bau miteinander gemein. Sie gehören nämlich alle der sogen. agglutinierenden
Stufe des Sprachbaues (s. Sprachwissenschaft,
S. 181) an, und zwar ist die Art der
Agglutination bei ihnen eine ganz besondere, indem sie
Wurzel
[* 13] und Flexionsendungen dadurch
in eine feste Wechselbeziehung zu einander setzen, daß in den Endungen immer dieselbe Art von
Vokalen
erscheinen muß wie in der
Wurzel. So heißt im
Türkischen »von unsern
Vätern« baba-larumdan; aber der entsprechende
Kasus
von dedeh, »Großvater«, lautet dede-lerinden, weil auf die »leichten«
Vokale e der
Wurzel auch in der Endung nur leichte
Vokale folgen dürfen. In sämtlichen uralaltaischen
Sprachen sind so die
Vokale in leichte und schwere eingeteilt; doch gibt es daneben in vielen
Sprachen auch neutrale
Vokale.
Deutsche Altertümer -

* 14
Deutsche.Andre allen fünf Gruppen gemeinsame Eigentümlichkeiten sind: die Aufeinanderhäufung einer fast unbegrenzten Anzahl von Endungen an die Wurzel, welche stets unverändert bleibt, die Anhängung des besitzanzeigenden Fürwortes an das Hauptwort und die Scheidung der Konjugation in eine bestimmte und unbestimmte. Die Sprachen jeder Gruppe sind meistens unter sich sehr nahe verwandt; namentlich ist es wichtig, zu bemerken, daß z. B. das Türkische sich vom Nogaischen in Südrußland nicht stärker unterscheidet als das Hochdeutsche vom Niederdeutschen und selbst von dem weit entfernten und isolierten Jakutischen an der Lena nicht mehr absteht als das Deutsche [* 14] vom Skandinavischen.
Stärker gehen die
Sprachen der finnisch-ugrischen
Gruppe auseinander und lassen sich insofern etwa den einzelnen Sprachen
familien
des indogermanischen Sprachstammes vergleichen. Über ihre Gruppierung gehen die
Ansichten auseinander; die obige Aufzählung
gründet sich auf die neuesten Untersuchungen von
Budenz (s. d.), der sieben Unterabteilungen der finnisch-ugrischen
Gruppe annimmt, während andre sie in vier Hauptzweige einteilen, den finnischen, permischen, ugrischen und wolga-bulgarischen
Zweig.
Die erste vollständige Nachweisung des Zusammenhanges der uralaltaischen
Sprachen, welche eine der wichtigsten
Entdeckungen
der modernen Sprachwissenschaft ist, findet sich in den zahlreichen grammatischen
Arbeiten des finnischen Sprachforschers
Castrén (s. d.).
Vgl. auch Böhtlingk, Über die Sprache der Jakuten (Petersburg [* 15] 1851);
Boller, Die finnischen Sprachen (Berichte der Wiener Akademie 1853-57);
Ahlquist, Forschungen auf dem Gebiet der uralaltaischen
Sprachen (Petersb. 1861);
Vambéry, Tschagataische Sprachstudien (Leipz. 1867);
Schott, Altaische Studien (Berl. 1860-72, 5 Hefte);
Weske, Untersuchungen zur vergleichenden Grammatik des finnischen Sprachstammes (Leipz. 1873);
Budenz, Über ugrische Sprachvergleichung (Verhandlungen der Innsbrucker Philologenversammlung 1874);
Derselbe, Über die Verzweigung der ugrischen Sprachen (in den »Beiträgen zur Kunde der indogermanischen Sprachen«, 4. Bd., Götting. 1878);
Donner, Vergleichendes Wörterbuch der finnisch-ugrischen Sprachen (Helsingfors 1874-76, 2 Tle.);
Prinz L. Bonaparte, Remarques sur la classification des langues ouraliques (in der »Revue de Philologie«, Par. 1876);
Winkler, Uralaltaische
Völker und
Sprachen (Berl. 1884);
Derselbe, Das Uralaltaische
und seine
Gruppen (das. 1885).