Unsterblichkeit,
die Fortdauer der menschlichen Persönlichkeit nach dem Tode. Der Glaube an eine persönliche Fortdauer beruht auf dem Triebe des Menschengeistes, sein im Selbstbewußtsein als unter allem Wechsel beharrend erlebtes Dasein auch die mit dem Tode eintretende Veränderung überdauern zu sehen; insbesondere nachdem er es als ein von allem unbewußtem oder nur animalischem Leben verschiedenes und eigentümlich wertvolles erkannt und genossen hat; daher ihm seine Vernichtung als unnatürlich und widersinnig erscheint.
Die älteste Form dieses Glaubens ist die Manenverehrung oder die Vorstellung, daß der Tote auf geheimnisvolle Weise seine bisherige Thätigkeit fortsetze. (S. Manen.) Ein fortgeschrittenerer Standpunkt ist es, wenn, wie dies ebenfalls bei vielen Naturvölkern der Fall ist, der Zustand und das Thun des Toten als von seinem bisherigen verschieden vorgestellt wird. Dieser Stufe gehört die Auffassung der abgeschiedenen «Seelen» als Schatten (grch. eidola),
als «Geister», «Gespenster» oder «Dämonen» an. Auch auf dieser Stufe sind die Seelen keineswegs rein geistig gedacht; es kommt ihnen eine schattenhafte, gespenstige Leiblichkeit, gleichsam eine körperlose Leiblichkeit zu.
Wesentlich derselben Entwicklungsstufe gehört die Annahme an, daß die Seelen der Toten ihren bisherigen Körper verlassen und wieder in ihn zurückkehren, oder auch in andere Körper fahren können. Der sog. Totemismus (s. Totem) der Indianer beruht auf der Anschauung, daß die Seelen der Vorfahren in Tierkörper gefahren sind. Verwandt ist die Lehre von der Seelenwanderung (s. d.), die bei den Indiern zu einer philos. Theorie über einen wiederholten Reinigungsprozeß der sündigen Seele ausgebildet ist.
Dem gegenüber gründet sich die bei den Griechen und den alten Hebräern verbreitete Vorstellung von einem Schattenreiche (Hades, hebr. Scheol) auf eine Erweiterung der Vorstellung vom Grabe als dem Aufenthaltsort der Toten, das ihnen zugeschriebene schattenhafte Dasein, das als körperlos, bewußtlos, fühllos dargestellt wird, auf eine sinnliche Veranschaulichung ihres Nichtdaseins. Ein Wiedererwachen zu wirklichem Leben betrachtete das spätere Judentum als bedingt durch eine Wiedererweckung des gestorbenen Leibes (s. Auferstehung), während die griech. Philosophie seit Plato die Idee der im Sinne einer leiblosen Seelenfortdauer ausbildete.
Hinter diese Vorstellung trat auch die aus dem Judentum ins Christentum übergegangene kirchliche Auferstehungslehre, namentlich unter dem Einflusse der Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrh., wieder zurück. In Verbindung hiermit stand die Verdrängung der Vergeltungslehre durch die Idee einer künftigen Vervollkommnung des Menschengeistes oder einer höhern Ausbildung der geistigen Anlagen in einem zukünftigen und jenseitigen Zustande, zu dem der gegenwärtige den Vorbereitungszustand oder die Prüfungszeit bilde. In diesem Sinne ist der Unsterblichkeitsglaube in der Neuzeit sowohl bei Dichtern (Gellert, Klopstock, Novalis, Byron) als bei Philosophen (Kant und Fichte) aufgefaßt. Da diese Vorstellung auf der Voraussetzung beruht, daß das geistige Sein entweder ein vom materiellen verschiedenes, oder im Gegensatz zu diesem als bloßer Erscheinung, das allein wahre Sein sei, so trat ihr schon im 18. Jahrh. im franz. Materialismus die Leugnung des Unsterblichkeitsglaubens in jeder Gestalt gegenüber.
Der neuere deutsche Materialismus meint sogar den naturwissenschaftlichen Beweis dafür antreten zu können, daß das geistige Leben des Menschen nichts anderes sei als eine Funktion seiner körperlichen Organe, mit deren Zerstörung natürlich auch die «Seele» und ihre Thätigkeit verschwinden müsse. Dem gegenüber wurde von einzelnen Naturforschern und Philosophen wieder die Platonische Vorstellung einer eigenen «Seelensubstanz» geltend gemacht, die mit dem Leibe nur in vorübergehende Verbindung getreten sei. In anderer Weise suchten Leibniz und Herbart durch ihre Monadenlehre für die der Seele Raum zu schaffen.
Die konsequente Aufhebung der dualistischen Anschauung in der Hegelschen Philosophie führte zwar wieder zu der Lehre, daß der Geist die innerste Substanz alles Daseins sei, schien aber die Fortdauer des Individuums aufzuheben und eine Rückkehr des individuellen Geistes in das Allgemeine zu fordern. Ausdrücklich wurde diese Meinung als diejenige
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Hegels vertreten in Richters «Lehre von den letzten Dingen», Bd. 1 (Bresl. 1833). Göschel dagegen, in den Schriften «Von den Beweisen für die der menschlichen Seele im Lichte der spekulativen Philosophie» (Berl. 1335) und «Die siebenfältige Osterfrage» (ebd. 1836),
suchte die Hegelsche Philosophie gegen diesen Vorwurf zu verteidigen. Auch C. H. Weiße («Die philos. Geheimlehre von der des menschlichen Individuums», Dresd. 1831) und J. H. Fichte («Die Idee der Persönlichkeit und der individuellen Fortdauer», Elberf. 1834: 2. Aufl., Lpz. 1856) versuchten eine philos. Begründung der Unsterblichkeitslehre, und Fechner unternahm einen ähnlichen Nachweis auf Grund einer poetisch-phantasievollen Naturanschauung in seinem «Büchlein vom Leben nach dem Tode» (3. Aufl., Hamb. 1887) und im dritten Teile seines «Zendavesta, oder über die Dinge des Himmels und des Jenseits» (Lpz. 1851). Auf dem heutigen Stande der Forschung wird sich kaum verkennen lassen, daß ein philos. Beweis ebensowenig für als gegen die geführt werden kann und daß auch die materialistische Bestreitung der keine wissenschaftlich zwingende ist.
Vgl. Flügge, Geschichte des Glaubens an Auferstehung u. s. w. (3 Bde., Lpz. 1794-99);
Mitteilungen aus den merkwürdigsten Schriften der verflossenen Jahrhunderte über den Zustand der Seele nach dem Tode, hg. von Hub.
Beckers (2 Hefte, Augsb. 1835-36); Jürg. Bona Meyer, Die Idee der Seelenwanderung (Hamb. 1861): Schelling, Clara, oder Zusammenhang der Natur mit der Geisterwelt (2. Aufl., Stuttg. 1865): Alberti, Über die der Seele als persönliche Fortdauer des Menschen nach dem Tode (2. Ausg., Stett. 1865);
H. Ritter, Unsterblichkeit (2. Aufl., Lpz. 1866): J. H. Fichte, Die Seelenfortdauer und die Weltstellung des Menschen (ebd. 1867);
Arnold, Die der Seele, betrachtet nach den vorzüglichsten Ansichten des klassischen Altertums (Landsh. 1870): Teichmüller, Über die der Seele (ebd. 1874);
Spieß, Entwicklungsgeschichte der Vorstellungen vom Zustande nach dem Tode (Jena 1877): Schmick, Ist der Tod ein Ende oder nicht? (7. Aufl., Lpz. 1891): ders., Die nachirdische Fortdauer der Persönlichkeit (ebd. 1891);
ders., Die der Seele naturwissenschaftlich und philosophisch begründet (4. Aufl., ebd. 1892);
H. Sommer, Der christl. Unsterblichkeitsglaube (2. Aufl., Braunschw. 1891): E. Petavel-Olliff, Le problème de l'immortalité (2 Bde., Par. 1891 fg.; englisch von Freer in 1 Band, Lond. 1892): O. Riemann, Was wissen wir über die Existenz und der Seele (4. Aufl., Magdeb. 1892);
G. Runze, und Auferstehung, Tl. 1: Die Psychologie des Unsterblichkeitsglaubens und der Unsterblichkeitsleugnung (Berl. 1893);
Kaufmann, Die Jenseitshoffnungen der Griechen und Römer nach den Sepulcralinschriften (Freib. i. Br. 1897).