Tintenschn
ecken
(Kopffüßer, Cephalopoda
Cuv., fälschlich
Tintenfische, hierzu Tafel »Tintenschn
ecken«),
die am höchsten entwickelte
Klasse der
Mollusken
[* 2] (s. d.) oder
Weichtiere, verdanken ihren deutschen
Namen der
Eigenschaft, als
Verteidigungmittel eine tintenartige
Flüssigkeit auszuspritzen, welche das
Wasser trübt und die
Tiere den
Blicken ihrer Feinde
entzieht; wissenschaftlich heißen sie
Kopffüßer, weil man die
Arme, welche rund um den
Kopf angebracht
sind, früher für den umgewandelten und vierteiligen
Fuß der
Schnecken
[* 3] und
Muscheln
[* 4] ansah. Zum Verständnis des
Baues der Tintenschn
ecken
[* 5] kann
man sich das
Tier als eine
Schnecke vorstellen, welche im
Verhältnis zur
Länge außerordentlich
hoch und in normaler
Lage mit
dem
Kopf nach unten gerichtet ist.
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Gemeiner Vielfuß (Octopus vulgaris). 1/30.
Zum Artikel »Tintenschnecken«. ¶
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Infolge davon ist die Bauchseite sehr schmal, der Rücken hingegen sehr umfangreich; von letzterm ist aber bei manchen Formen der hintere Teil heller als der vordere und erscheint so, zumal wenn das betreffende Tier auf ihm ruht, leicht als Bauchseite, was er in Wirklichkeit nicht ist. Der Kopf mit den Armen ist vom Rumpf mehr oder weniger deutlich abgesetzt; bei den Oktopoden ist er wegen der mächtigen Arme so groß, daß der Rumpf, welcher alle Eingeweide [* 8] birgt, mehr als Anhängsel erscheint.
Die Arme stehen im Kranz um die Mundöffnung, sind außerordentlich muskulös und mit zahlreichen Saugnäpfen oder auch Haken versehen. Sie dienen zum Kriechen und Schwimmen sowie zum Ergreifen der Beute. Bisweilen ist zwischen ihrer Basis eine Haut [* 9] ausgespannt, welche die Bewegungen begünstigt; im übrigen sind zum Schwimmen vielfach noch zwei Flossen an den Seiten des Körpers vorhanden. Auf der hintern, in der natürlichen Lage des Tiers untern Fläche befindet sich als eine Hautfalte der sogen. Mantel, welcher eine geräumige Höhle abschließt; in diese münden Darm, [* 10] Niere und Genitalien aus, auch liegen in ihr die Kiemen.
Das für die letztern nötige Atemwasser wird in die Mantelhöhle durch einen weiten Spalt aufgenommen, dagegen nach dessen
Verschluß durch eine enge Röhre wieder ausgestoßen. Diese, der sogen. Trichter, entspricht dem
vordern Teil des Fußes der Schnecken und veranlaßt, wenn das Wasser plötzlich durch sie entleert wird, mittels des Rückstoßes
die Bewegung des Tiers mit dem Rücken voran durch das Wasser. Viele Tintenschn
ecken sind vollkommen nackt, andre bergen in einer besondern
Tasche des Mantels eine flache, feder- oder lanzettförmige Platte (»Schale«) aus Chitin, die bei der Sepie
ziemlich umfangreich und durch Kalkablagerungen hart ist (daher im gewöhnlichen Leben »Sepienknochen«, os sepiae); noch andre
haben eine äußere Schale, welche nur ausnahmsweise dünn und einfach kahnförmig (Argonauta), in der Regel spiralig gewunden
und durch Querscheidewände in eine Anzahl hintereinander liegender Kammern geteilt ist.
Das Tier bewohnt nur die vordere größte Kammer; die übrigen sind mit Luft gefüllt, werden aber von einem Fortsatz des Tierkörpers durchzogen (s. Ammoniten). [* 11] In der glatten, schlüpfrigen Haut liegen mit Pigment gefüllte kontraktile Zellen (Chromatophoren, s. d.), welche, von dem Nervensystem und dem Willen der Tiere abhängig, ein lebhaftes Farbenspiel bedingen. Zur Stütze der Muskulatur und zum Schutz des Nervenzentrums und der Sinnesorgane dient ein inneres Knorpelskelett im Kopf (dieses besteht aus den für die Mollusken typischen, hier aber häufig ganz miteinander verschmolzenen drei Ganglienpaaren).
An den Seiten des Kopfes befinden sich zwei mächtige Augen, die fast so kompliziert gebaut sind wie die der Wirbeltiere. Gehör- und Geruchorgane sind gleichfalls vorhanden. Der Mund ist mit hornigem Ober- und Unterkiefer in Gestalt eines Papageienschnabels und mit einer Zunge (Radula), welche zahnartige Platten und Haken zum Einziehen der Nahrung trägt, bewaffnet. Der Darm ist ziemlich kurz, Speicheldrüsen und Leber sind sehr groß. Als Atmungsorgane dienen ein oder zwei Paare federförmiger Kiemen.
Das Gefäßsystem ist sehr entwickelt und besteht aus einem muskulösen Herzen nebst Arterien, Venen und Kapillaren. Die Gefäße, welche das Blut zu den Kiemen führen, sind gewöhnlich ebenfalls kontraktil (Kiemenherzen). Das Blut enthält kristallisierbares Hämocyanin, welches gleich dem Hämoglobin der Wirbeltiere die Aufnahme des Sauerstoffs besorgt. Doch findet sich in ihm nicht wie bei dem letztgenannten Eisen, [* 12] sondern Kupfer [* 13] vor, welches auch die bläuliche Farbe des Bluts veranlaßt.
Als Nieren fungieren traubige Anhänge der Kiemenarterien. Ein andres Exkretionsorgan ist der oben erwähnte Tintenbeutel, welcher
in den Darm ganz dicht am After ausmündet; sein Produkt bei der Sepie dient als Malerfarbe. Die Geschlechter sind bei den Tintenschn
ecken getrennt.
Männchen und Weibchen unterscheiden sich zuweilen in ihrer Gestalt wesentlich (Argonauta, s. Papiernautilus). Ersteres erzeugt
für seine Samenfäden in einem besondern Abschnitt der Geschlechtswerkzeuge komplizierte, über 1 cm lange
Patronen (sogen. Needhamsche Maschinen), welche im Wasser platzen.
Die Eier
[* 14] werden in einem unpaaren Ovarium produziert und dann nach Umhüllung mit Eiweiß und Kapseln
[* 15] entweder einzeln oder in
Trauben und Schläuchen an allerlei Gegenstände angeheftet. Die Begattung erfolgt vielfach in der Art, daß ein dazu besonders
eingerichteter Arm des Männchens die Samenpatronen in die weibliche Geschlechtsöffnung überträgt.
Bei einigen Arten löst sich dieser Arm nach seiner Füllung mit Samen
[* 16] vom Körper los und schwimmt einige Zeit im Meer umher,
um schließlich auch in die Mantelhöhle des Weibchens zu geraten. Bei seiner Entdeckung wurde er für einen Eingeweidewurm
(Hectocotylus octopodis Cuv.), später sogar für das ganze Männchen der Tintenschnecke gehalten; jetzt
weiß man, daß es ein abgelöster, sogen. hektokotylisierter Arm ist. Die Entwickelung der Tintenschn
ecken erfolgt direkt, so daß das
junge Tier, wenn es das Ei
[* 17] verläßt, schon bis auf die Größe den Alten gleich ist.
Die Tintenschnecken
sind ohne Ausnahme Bewohner des Meers, und zwar leben sie sowohl an den Küsten als in großen Tiefen
und auf der offenen See. Sie kriechen und schwimmen sehr behende und entfalten namentlich in einigen Formen eine im Verhältnis
zur Größe ungeheure Körperkraft. Von den Wirbellosen sind es wohl die gewaltigsten und klügsten Raubtiere.
[* 18] Im allgemeinen bleiben sie ziemlich klein, jedoch erreichen die Formen der Tiefsee, von denen sich freilich nur selten Exemplare
an die Oberfläche verirren und so gefangen werden, enorme Dimensionen (s. Kraken).
Viele Tintenschnecken
werden gegessen, auch wird der Farbstoff des Tintenbeutels sowie der »Sepienknochen« (s.
oben) technisch benutzt. Nach der Anzahl der Kiemen teilt man die Tintenschnecken
in Tetrabranchiata (Vierkiemer) und
Dibranchiata (Zweikiemer), letztere wieder in Octopoda (Achtarmer) und Decapoda (Zehnarmer) ein. Die Oktopoden, mit acht
Armen, die an ihrer Basis durch eine Haut verbunden sind, mit kurzem, rundlichem Körper, ohne innere Schale und meist auch ohne
Flossenanhänge, zerfallen in zwei Familien: Philonexidae d'Orb., mit dem Argonauten oder Papiernautilus
(s. d.) und Octopodidae d'Orb., zu welcher unter andern der Pulpe oder Vielfuß (Octopus, s. Tafel) und die Moschuseledone
(Eledone Leach) gehören.
Die Dekapoden besitzen außer den 8 Armen noch 2 lange, tentakelnartige Fangarme, ferner 2 Flossen und eine innere Schale. Hierher gehören die Gattungen Loligo (Kalmar), Sepia (Sepie), Spirula (Posthorn), die fossilen Belemniten [* 19] etc. Die Vierkiemer besitzen vier Kiemen in der Mantelhöhle, zahlreiche zurückziehbare Tentakeln am Kopf und eine vielkammerige Schale; sie sind in der Gegenwart durch die einzige Gattung Nautilus L. vertreten. Zu derselben Familie (Nautilidae Ow.) gehören auch die Gattungen Orthoceras Breyn., Lituites Breyn. (s. Tafel »Silurische Formation«) [* 20] ¶
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und Clymenia Münst. (s. Tafel »Devonische Formation«),
während die Familie Ammonitidae Ow. die Gattungen Goniatites de Haan (s. Tafeln »Devonische Formation« und »Steinkohlenformation I«),
Ceratites
[* 22] de Haan (s. Tafel »Triasformation
[* 23] I«) und Ammonites Breyn. (s. Tafel »Juraformation
[* 24] I«)
umfaßt (s. Ammoniten). - Die Tintenschnecken
sind sowohl wegen der großen Mannigfaltigkeit der Formen als auch wegen
der Häufigkeit des Vorkommens für die Erkenntnis versteinerungsführender Schichten wesentlich. Die Vierkiemer traten schon
im Silur mit Nautilen und Geradhörnern, im Devon
[* 25] auch mit Goniatiten auf; von allen diesen Formen überlebten nur die echten
Geradhörner, Goniatiten und Nautilen das paläozoische Zeitalter, doch starben Orthoceras und Goniatites
in der Trias aus.
Dafür aber erscheinen nun außer den bereits in der Trias wieder aussterbenden Ceratiten die Ammoniten, die sich schon in genannter Formation, mehr noch im Jura und ebenso noch in hohem Grad in der Kreide [* 26] (hier außer durch normale Formen auch durch Nebenformen: Baculites, Ancyloceras, Toxoceras, Crioceras, s. Tafel »Kreideformation«) [* 27] entwickeln, aber mit dem Schluß der Kreide (des mesozoischen Alters) ihr Ende erreichen; es bleibt also für Tertiär- und Jetztzeit nur Nautilus.
Die Zweikiemer beginnen in der Trias mit belemnitenartigen Tieren, echte Belemniten und ihre Nebengenera sind äußerst häufig in Jura und Kreide (Belemnites, Rhynchoteuthis, s. Tafeln »Juraformation I« und »Kreideformation«); die ganze Familie aber stirbt mit der Kreide aus, während die ebenfalls im Jura auftretenden Kalmare und Sepien bis jetzt zugenommen haben. Spirula, Octopus haben keine, Argonauta hat nur tertiäre fossile Repräsentanten.
Vgl. Ferussac und d'Orbigny, Histoire naturelle des Céphalopodes (Par. 1835-45);
Verany, Mollusques méditerranéens.
Bd. 1: Céphalopodes (Genf [* 28] 1847-51); Bronn-Keferstein, Klassen und Ordnungen des Tierreichs; Bd. 3: Cephalopoden (Leipz. 1869).