Schöffenge
richte.
Die ältere germanische
Gerichtsverfassung beruhte auf dem Zusammenwirken der
Richter, als der
Organe
des
Königs, oder der
Gerichtsherren mit
Schöffen (scabini), die als
Zeugen der im
Volk lebenden
Rechtsgewohnheiten auf die
Frage
des
Richters das
Recht zu »weisen« oder zu »finden«
(»schöpfen«) hatten. Durch die
Aufnahme des römischen
Rechts in
Deutschland
[* 2] und die Übung, gelehrte
Richter herbeizuziehen
oder die schriftlichen Aufzeichnungen an juristische
Fakultäten zur Einholung eines Spruchs zu versenden, ward die alte Schöffenge
richtsverfassung
dem
Verfall entgegengeführt. Die
Halsgerichtsordnung
Karls V. von 1532 setzt aber noch den Fortbestand
der S. voraus. Mit dem Ende des 16. Jahrh. verschwinden die Urteilsschöffen; wo sich
Schöffen finden, dienen sie als
Urkundspersonen
oder Solennitätszeugen bei einzelnen wichtigen Gerichtsakten. Ausnahmsweise verblieb ihnen in manchen deutschen Landesteilen
(wie z. B.
Württemberg)
[* 3] eine
¶
mehr
sehr wenig bedeutende Wirksamkeit in Straffällen geringster Art. Verschieden von den alten Schöffen sind die neuerdings eingerichteten S., in denen die Strafgerichtsbarkeit auf der untersten Stufe der sogen. Polizeiübertretungen nach einer gewissen Analogie der Schwurgerichtsbarkeit auf das Zusammenwirken rechtsgelehrter Richter mit Laien gegründet ist. Dies geschah nach der Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens durch die neuern Strafprozeßordnungen oder Gerichtsverfassungesetze in Hannover, [* 5] Kurhessen, Oldenburg, [* 6] Bremen, [* 7] Baden [* 8] und in den 1866 neuerworbenen Provinzen Preußens. [* 9]
Eine besondere Gestaltung erlangten die S. in Württemberg (Strafprozeßordnung von 1868), wo man auch die mittelschweren,
sogen. Vergehensfälle einem gemischten Kollegium aus drei rechtsgelehrten Richtern und zwei Schöffen (oder
unter Umständen vier Richtern und drei Schöffen) zuwies. In ähnlicher Weise übertrug ein königlich sächsisches Gesetz vom die
Aburteilung schwerer, nicht zur Kompetenz der Geschwornen gehöriger Straffälle Schöffenge
richten, die aus drei Richtern und
vier Schöffen zusammengesetzt waren.
Vorzugsweise bei den Gegnern des Schwurgerichts fanden die S. vielfach Anklang. Ihre Vorzüge wurden namentlich von Schwarze im Gegensatz zu den Geschwornengerichten in ein helles Licht [* 10] gestellt. In dem ersten Entwurf des Reichsgesetzes über die Gerichtsverfassung und demjenigen der deutschen Strafprozeßordnung gedachte das preußische Justizministerium die Schwurgerichte durch S. zu ersetzen; ein Plan, der jedoch angesichts der dadurch hervorgerufenen Bewegung der öffentlichen Meinung aufgegeben werden mußte.
Das nunmehrige deutsche Gerichtsverfassungsgesetz verweist die schweren Verbrechen vor die Schwurgerichte, die leichtesten
Straffälle vor die S. Die mittlern Vergehensfälle gehören vor die lediglich mit rechtsgelehrten Richtern besetzten Strafkammern
der Landgerichte. Der Kompetenzkreis der S. wird durch die Übertretungen und diejenigen Vergehen gebildet,
welche nur mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu 600 Mk. bedroht sind, ferner für Beleidigungen
und Körperverletzungen, die im Weg der Privatklage verfolgt werden, für einfachen Diebstahl und Betrug, einfache Unterschlagung
und Sachbeschädigung, wofern der Wertbetrag des Verbrechensgegenstandes die Summe von 25 Mk. nicht übersteigt,
endlich für Begünstigung und Hehlerei, wofern die verbrecherischen Handlungen, auf welche sich diese beziehen, in die schöffenge
richtliche
Kompetenz fallen.
Außerdem können noch gewisse andre leichtere Vergehen von den Strafkammern der Landgerichte an die S. verwiesen werden, wenn die Strafe den Zeitraum von drei Monaten voraussichtlich nicht übersteigen wird. Die S. sind aus dem Amtsrichter und zwei aus dem Volk erwählten Schöffen, welche gleiches Stimmrecht mit ersterm haben, zusammengesetzt. Für jeden Gemeindebezirk fertigt dessen Vorstand alljährlich ein Verzeichnis der zum Schöffenamt befähigten und verpflichteten Personen (Urliste) an. Aus den Urlisten stellt der Amtsrichter für seinen Gerichtsbezirk unter Zuziehung von Vertrauensmännern die Jahresliste der Hauptschöffen und der Hilfsschöffen zusammen, welch letztere an die Stelle von hinwegfallenden Schöffen treten.
Für die einzelnen Sitzungstage werden die Schöffen durch das Los bestimmt. Der wesentliche und tiefgreifende Unterschied
zwischen Schwurgerichten und Schöffenge
richten liegt darin, daß bei letztern die heterogenen Elemente des
Richterstandes
und des Laientums zu Einem Kollegium vereinigt sind, indem eine Trennung der That- und der Rechtsfrage, wie bei den Schwurgerichten,
nicht stattfindet. Der Beifall, welchen die S. in Deutschland fanden, erklärt sich zum Teil aus der Hoffnung, durch eine Erweiterung
der S. (sogen. große S.) das Schwurgericht verdrängen zu können.
Für das Schöffenge
richt schrieben: Schwarze, Geschwornengerichte und S. (Erlang. 1864);
Hye, Über das Schwurgericht (Wien [* 11] 1864);
Zachariä, Das moderne Schöffenge
richt (Berl. 1873);
H. Meyer, Die Frage der S. (Erlang. 1873);
Binding, Der Kampf um die Besetzung der deutschen Strafgerichtsbank (»Preußische Jahrbücher«, Bd. 32);
gegen die S.: Mittermaier, Das Volksgericht in
Gestalt der Schwur- und Schöffenge
richte (Berl. 1866);
Glaser, Zur Juryfrage (Wien 1864);
John, Über Geschwornengerichte und S. (Berl. 1872);
Wahlberg, Kritik des Entwurfs einer Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich [* 12] (Wien 1873);
Hermann, Die altdeutschen S. (Bresl. 1881).
Vgl. außerdem: Voitus, Handbuch für Schöffen (Berl. 1879);
Kochs, Der Schöffe im Deutschen Reich (das. 1879);
Eichhorn, Schöffensachen (das. 1881).