Schachspiel
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eins der ältesten und beliebtesten Brettspiele, dessen weitestverbreitete Art, das Zweischach oder schlechthin Schach, von zwei Parteien auf dem gewöhnlichen Damenbrett [* 2] von 64, abwechselnd hell und dunkel (gewöhnlich weiß und schwarz) gefärbten Feldern gespielt wird. Jede Partei hat 16 Steine oder [* 1] Figuren, darunter 8 kleinere, einander gleiche, Bauern genannt, die beim Anfang des Spiels auf die zweite Felderreihe gestellt werden, während die 8 größern, Offiziere genannt, auf die erste Reihe zu stehen kommen. In beiden Eckfeldern stehen die Türme oder Rochen, daneben die Springer (auch Rössel oder Ritter genannt, mit einem Pferdekopf), neben diesen die Läufer (von schlanker Gestalt), auf den beiden mittlern Feldern die beiden Hauptfiguren König und Königin.
Die letztere (auch Dame genannt) steht auf dem Felde, das ihrer Parteifarbe entspricht, so daß die Königin der weißen Partei aus dem hellen, die der schwarzen Partei auf dem dunkeln Mittelfelde der ersten Reihe Platz findet. Beim Spielen selbst, wobei jede Partei abwechselnd einen Zug macht, werden die [* 1] Figuren gemäß ihrer Gangart auf dem Brett bewegt. Es gehen die Bauern bei jedem Zuge um einen Schritt vorwärts in das nächst vor ihnen gelegene Feld, dürfen aber bei ihrer ersten Bewegung auf einmal auch zwei Felder weiter vorrücken.
Die Türme bewegen sich in geraden Linien über beliebig viele unbesetzte Felder, die Läufer aber in schrägen Linien stets auf Feldern derselben Farbe. Die Springer springen, ihr Standfeld eingerechnet, auf ein drittes Feld von anderer Farbe als das Standfeld. Die Königin vereinigt in sich den Gang [* 3] von Turm und [* 4] Läufer, d. h. sie geht nach Belieben des Spielers bald wie der eine, bald wie der andere dieser beiden Offiziere. Der König bewegt sich um einen Schritt bei jedem Zuge in irgend ein vor oder hinter ihm, seitwärts oder schräg gelegenes Feld.
Nur Felder, die von feindlichen Steinen bestrichen oder bedroht werden, darf er nicht beziehen. Von seiner Erhaltung hängt nämlich der Ausgang des Spiels ab, bei dem es für jede Partei darauf ankommt, den feindlichen König so mit einer [* 1] Figur anzugreifen, daß der Gegner einen solchen Angriff in seinem nächsten Zuge nicht abzuwehren vermag. Wer diesen Zweck erreicht, macht den feindlichen König matt, richtiger mat (persisch, d. i. tot) und gewinnt hiermit die Partie.
Beim Anfang des Spiels handelt es sich für beide Spieler zunächst darum, die mittlern Bauern vor König und Königin vorzuziehen, sodann die wichtigsten Offiziere, vor allen Springer und Läufer auf der Königsseite, herauszubringen. Sobald die Felder zwischen König und einem der Türme leer geworden, kann der König, falls er nicht im Schach steht, d. h. von einer feindlichen [* 1] Figur bedroht ist, rochieren, indem er zwei Felder weit seitwärts geht und der Turm sich zugleich auf die andere Seite neben ihn stellt.
Hierbei darf jedoch das vom König übersprungene Feld, auf welches der Turm zu stehen kommt, ebenfalls nicht von einer feindlichen [* 1] Figur bedroht sein. Mittels der Rochade (Rokade) wird der König nach der Ecke zu in Sicherheit und der Turm in freiere Wirksamkeit gesetzt. Wenn in solcher Weise die [* 1] Figuren auf Königs- wie Königinseite herausgebracht und die Verbindung der Türme durch die Rochade hergestellt ist, hat die erste Entwicklung oder die Eröffnung des Spiels ihr Ende erreicht.
Bei der Wichtigkeit, welche diese Anfangszüge auf den weitern Verlauf der Partie haben, erscheint es gerechtfertigt, daß
das Bestreben der Schachspieler
darauf gerichtet war, unter der Fülle der sich darbietenden Möglichkeiten die für die
Entwicklung des
Spiels günstigsten herauszufinden und zu fixieren. So hat sich eine
Theorie der Eröffnungen
herausgebildet. Häufig vorkommende Spielweisen, die für gut befunden wurden, erhielten besondere
Namen. Sichere und gebräuchliche
Eröffnungen dieser Art sind: das Läuferspiel, die verschiedenen Springerspiele, die ital.,
franz., span., sicil.
Partie, das Fianchetto u. a. m. Will man das Spiel lebhafter gestalten, so bedient man sich der sog. Gambits; das sind die Eröffnungen, in denen man mit materiellem Nachteil einen Angriff zu erlangen sucht. Erwähnt seien hier: das Läufergambit, das Springergambit, welches wieder die verschiedenartigsten Fortsetzungen einschließt, von denen das Muzio- oder Poleriogambit die interessanteste ist, ferner das Evansgambit, ein schwer zu parierendes Angriffsspiel. Jedes dieser Spiele giebt der Partie eine eigene Physiognomie. Der Spieler wird daher gut thun, eine Eröffnung zu wählen, die dem Charakter seiner Spielmanier am besten entspricht.
Auf die Eröffnung folgt nun das sog. Mittelspiel, in welchem beide Parteien bestrebt sind, irgend eine Schwäche in der feindlichen Stellung auszunutzen und darauf hin einen Plan zu gründen, der entweder direkt bis zur Mattsetzung des feindlichen Königs oder zunächst zur Erlangung irgend eines ¶
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entscheidenden Vorteils an besserer Stellung oder an gewonnenen [* 5] Figuren führt. Das Mittelspiel ist das eigentliche Feld der Kombination; die interessantesten Verwicklungen, hervorgerufen durch das Ineinandergreifen der einzelnen Steine, geben häufig zu den glänzendsten Wendungen Anlaß, oft lösen sie sich in einfacher Weise. Eine Übermacht an Kräften wird durch vorteilhaftes Schlagen feindlicher Steine erreicht, wobei die Offiziere ebenso schlagen, wie sie gehen, während die Bauern nur in die schräg vor ihnen gelegenen nächsten Felder zur Rechten oder Linken schlagen.
Durch wiederholtes Schlagen auf beiden Seiten mindern sich allmählich die Streitkräfte, und wenn keine Partei dabei in Nachteil gerät, so kann der Fall eintreten, daß in dem sog. Endspiel mit noch wenigen Steinen bei nur einigermaßen vorsichtigem Spiel keine Partei die andere zu überwältigen vermag. Das Spiel bleibt dann unentschieden, d. h. es wird remis gegeben. Mit patt bezeichnet man eine Stellung, in welcher ein König der am Zuge befindlichen Partei, ohne im Schach zu stehen und ohne daß gleichzeitig ein anderer Stein dieser Partei sich regelrecht bewegen darf, nicht ziehen kann.
Patt gilt nach den heutigen Spielregeln allgemein als «remis». In England hatte früher der Pattgesetzte das Spiel gewonnen. Bisweilen gelingt es einem Spieler, irgend einen Bauer bis in die feindliche Offizierreihe vorzubringen, wo dann der Bauer den Rang der Königin oder eines beliebigen Offiziers, den der Spieler verlangt, erwirkt. Mit Hilfe der neuen Königin wird dann sehr oft das Spiel noch entschieden, d. h. der feindliche König matt gemacht. Das Endspiel, das dem Laien oft sehr leicht erscheint, birgt in Wahrheit eine Menge versteckter Feinheiten.
Ein Bauernspiel z. B. macht selbst geübten Spielern nicht selten große Schwierigkeit, da der Gewinn oder der Verlust der Partie oft von einem einzigen Tempo abhängt. Schon frühzeitig wurde ebenso wie auf die Eröffnungen auch auf das Endspiel viel Sorgfalt verwandt. Um die Kunst, derartige schwierige Schlußspiele erfolgreich durchzuführen, sich besser aneignen zu können, konstruierte man künstliche Endstellungen, in denen entweder ein verborgener, nicht nahe liegender Zug eine überraschende Wirkung hervorbringt oder glänzende Opferkombinationen den Sieg erzwingen.
In der neuesten Zeit ist man darin noch weiter gegangen, man hat diese Endspiele gänzlich vom gewöhnlichen Verlauf der lebenden Partie unabhängig gemacht, ein selbständiges Kunstwerk geschaffen: das Problem. (Vgl. Berger, Das Schachproblem und dessen kunstgerechte Darstellung, Lpz. 1884.) Im Problem kommen die größten Feinheiten des S. zum Ausdruck. Besonders schöne, scharf pointierte Ideen, die in der Partie sich nie in gleicher Vollkommenheit darbieten können, erhalten im Problem gleichsam eine plastische Darstellung.
Geschichtliches. Im alten Indien, wo das S. lange vor unserer Zeitrechnung erfunden worden sein soll, wurde es auf dem 64felderigen Brett auch von vier Parteien gespielt, deren jede, außer dem König, vier [* 5] Figurenarten (einen Turm, Läufer, Springer und vier Bauern) hatte. Doch zog man in der Folge je zwei Parteien zusammen, und in dieser Gestalt soll das Spiel zunächst nach China [* 6] und Persien [* 7] übertragen worden sein, von wo es um die Zeit Karls d. Gr. nach Griechenland, [* 8] später durch die Sarazenen und Mauren nach Italien [* 9] und Spanien [* 10] kam.
Dem klassischen Altertum ist das Schach fremd geblieben, obschon die Griechen und Römer [* 11] andere Brettspiele leichterer Art gekannt haben. Die allgemeine Verbreitung des S. im Occident, namentlich in Deutschland [* 12] und Frankreich, erfolgte erst durch die aus dem Morgenlande heimkehrenden Kreuzfahrer. Die ersten Schriften über das Schach in seiner gegenwärtigen Gestalt gehören dem Anfange der neuern Zeit an. In Spanien, wo Lucena und Ruy Lopez (um 1500) über das Schach schrieben, entwickelte sich zuerst die theoretische und praktische Schachlitteratur, die dann zunächst in Italien (im 17. und 18. Jahrh.) von Meistern, wie Salvio, Carrera, Greco, später von Lolli und Ponziani weiter gepflegt wurde. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. beherrschte der franz. Meister Philidor das Gebiet des Schachs. Sodann traten Anfang des 19. Jahrh. die Engländer in den Vordergrund, während in neuester Zeit die deutschen Meister für die besten Spieler wie Schriftsteller auf diesem Felde gelten.
Der erneute Aufschwung des S. führte zur Begründung des Deutschen Schachbundes 1879, um dessen Förderung sich der langjährige Generalsekretär H. Zwanzig (gest. 1894) große Verdienste erwarb, und der jetzt 92 deutsche Schachklubs umfaßt.
Litteratur. Das umfassendste und gründlichste Werk über das S. lieferte in neuerer Zeit Bilguer (s. d.), ein gutes Kompendium M. Lange (Lehrbuch des S., 2. Aufl., Halle [* 13] 1865; Feinheiten des S., Lpz. 1865).
Die Geschichte des S. behandelte Maßmann (Geschichte des mittelalterlichen S., Quedlinb. 1839) und A. van der Linde (Das S. des 16. Jahrh., Berl. 1874, und Quellenstudien zur Geschichte des S., ebd. 1881), die Litteratur desselben A. Schmid, in neuerer Zeit A. van der Linde (Geschichte und Litteratur des S., 2 Bde., Berl. 1874). Ferner sind als Schachschriftsteller hervorzuheben Lewis, von Heydebrand und der Lasa, Hirschbach, Berger, Minckwitz, Schallopp, von Bardeleben und Mieses. Von Bedeutung sind die seit 1846 in Leipzig [* 14] erscheinende «Deutsche [* 15] Schachzeitung» (redigiert von K.von Bardeleben und H. von Gottschall) und die «Wiener Schachzeitung» (seit 1887, redigiert von S. Gold). [* 16]