Rabelais
(spr. rabb'lä), François, der größte Satiriker der Franzosen, geb. 1483 zu Chinon in der Touraine, besuchte die Schule zu Angers und trat dann in das Franziskanerkloster zu Fontenay le Comte ein, wo er mit Vorliebe Sprachstudien trieb und sich insbesondere eine ungewöhnliche Kenntnis des Griechischen erwarb. Aber seine Gelehrsamkeit und sein Sarkasmus machten ihn seinen Klostergenossen verhaßt; man nahm ihm die griechischen Bücher weg und warf ihn wegen ungeziemenden Betragens ins Gefängnis, und nur der Vermittelung einflußreicher Freunde verdankte er die Freiheit und später die Erlaubnis, den Orden [* 2] des heil. Franz mit dem der Benediktiner zu vertauschen.
Infolgedessen trat er in die Abtei Maillerais ein, hielt es aber auch hier nicht lange aus, legte die Kutte ab, um Weltgeistlicher zu werden, genoß eine Zeitlang die Gastfreundschaft des Bischofs Geoffroy d'Estinac, auf dessen Schlosse sich viele Freigeister und Feinde der römischen Kirche zusammenfanden, und ging 1530 nach Montpellier, [* 3] um Medizin zu studieren, brachte es auch bald so weit, daß er einige Schriften des Hippokrates und Galen herausgeben konnte. Trotzdem er erst 1537 den Doktorgrad erwarb, finden wir ihn schon 1532 in Lyon [* 4] als praktischen Arzt; zugleich aber setzte er eifrigst seine gelehrten Studien fort, besonders in der italienischen und altfranzösischen Litteratur, und war ein thätiger Mitarbeiter seines Freundes Etienne Dolet, des gelehrten und freisinnigen Buchdruckers, der 1546 als Ketzer verbrannt wurde.
Aus dem Jahr 1532 datiert auch sein weltberühmter
Roman
»Chronique Gargantuine«, wiewohl zweifelhaft ist, ob der unter dem
Titel: »Les grandes et inestimables chroniques du grand et enorme géant Gargantua
etc.« veröffentlichte
Band
[* 5] von Rabelais
herrührt. Dagegen die Fortsetzung: »Pantagruel«
(1533) ist von Rabelais
, und 1535 hat er selbst jenen ersten Teil entweder neu gemacht, oder umgeformt
unter dem
Titel: »Gargantua. La vie inestimable du grand Gargantua, père de Pantagruel«.
Diese
Bände wie die folgenden drei zeichnete Rabelais
mit seinem
Anagramm »Alcofribas Nasier«, um die
Angriffe der arg mitgenommenen
Mönche und
Pfaffen irre zu leiten. Eine
Reise nach
Rom
[* 6] als ärztlicher Begleiter des
Kardinals
Jean du Bellay
benutzte er, um vom
Papst
Paul III. sich
Briefe zu verschaffen, die sein eigenmächtiges Austreten aus dem
Kloster sanktionierten
und ihm fernerhin die Ausübung der Heilkunst und den
Besitz von
Pfründen gestatteten. Er erhielt auch gleich nach
seiner Rückkehr vom
Kardinal eine
Präbende im
Stift von St.-Maur des
Fossés, wo er sich jedoch nur vorübergehend aufzuhalten
pflegte.
Das dritte
Buch seines
Romans, welches neue und schärfere
Angriffe gegen die
Geistlichkeit enthielt, wurde mit königlichem
Privilegium gedruckt; jedoch war die Macht seiner Gegner so groß, daß Rabelais
nach dem
Tod
Franz' I., seines mächtigen Beschützers, sich nach
Rom zu du Bellay flüchtete und von dort aus sich bemühte, die
Gunst
Heinrichs II. zu gewinnen. Dies gelang ihm durch einige Schmeicheleien, welche
er an die Geliebte
Heinrichs,
Diana von
Poitiers,
richtete. Er wurde 1551 zum
Pfarrer von
Meudon ernannt und gab 1552 das vierte
Buch seines
Romans heraus,
gegen das zwar wiederum
Sorbonne und
Parlament ihr Anathem schleuderten, ohne jedoch gegen die mächtigen Beschützer Rabelais'
etwas
ausrichten zu können.
Erst 1564 erschien das fünfte und letzte
Buch, elf Jahre nach seinem
Tod, welcher erfolgte. Vielfach werden
Daten und Ereignisse aus seinem
Leben auch anders angegeben, denn schon bald nach seinem
Tod bemächtigte sich die
Legende des
hochberühmten
Namens. Rabelais
gehört in die
Reihe der
Geister ersten
Ranges. Die
Bildung seiner Zeit
in sich fassend, stand
er an geistiger
Freiheit und in Hinsicht auf seine ganze Weltanschauung weit über dieser.
Nie hat ein Satiriker die
Geißel
des
Spottes kühner und furchtloser geschwungen als Rabelais.
Die Scheinheiligkeit, die Dummpfiffigkeit des Pfaffentums,
die Wortklaubereien der
Juristen, der marktschreierische Charlatanismus der
Ärzte, die Ausschreitungen der weltlichen Macht,
der Übermut und die Unbildung der großen
Herren hatten in ihm einen unversöhnlichen und mit vernichtenden
Waffen
[* 7] ausgerüsteten Gegner. Den
Kampf gegen die Feinde führte er in seinem
Roman mit der überlegenen Heiterkeit unerschöpfliche
geistigen
Reichtums. Aber auch an wahrhaft tiefsinnigen
Gedanken, an echter
Weisheit ist dies wunderbare
Buch reich, wennschon
diese
Elemente überwuchert werden von den oft kolossal grotesken Einfällen des Übermuts, des Cynismus,
der humoristischen
Laune und ganz besonders
¶
mehr
der Allegorien, durch welch letztere das Verständnis bedeutend erschwert wird. Wie man in Grangousier, Gargantua, Pantagruel
Ludwig XII., Franz I. und Heinrich II. zu erkennen glaubt, so sieht man in Panurg bald den Kardinal von Amboise, bald Rabelais
selbst,
bald den Vertreter des gesunden Menschenverstandes. Von der größten Bedeutung ist auch für die Entwickelung
der französischen Sprache
[* 9] gewesen, die er in noch sehr ungelenker und roher Gestalt vorfand und gleichsam erst zur Darstellungsfähigkeit
seiner Gedanken umgebildet und mit einer Masse von Ausdrücken und Wendungen bereichert hat, die bleibendes Gemeingut geworden
sind.
Außer dem Roman haben wir von Rabelais
noch: »Pantagruéline
pronostication«, die »Almanachs«, die »Sciomachie«, einige Episteln in französischen Versen, einige lateinische Verse und eine
kleine Anzahl von Briefen. Die besten neuern Ausgaben des »Gargantua und Pantagruel« sind: von Esmangart und Johanneau (1823-26, 9 Bde.);
von P. Lacroix (1825-27, 5 Bde.; 1840 u. öfter);
von Burgaud des Marets und Rathery (1857, 2 Bde.; 1870-73);
von Montaiglon und Lacour (1868, 3 Bde.);
mit Illustrationen von Doré (1872, 2 Bde., mit Einleitung und Glossar);
von Marty-Laveaux (1872 ff., 6 Bde.);
von Favre (Niort 1875-80, 5 Bde.).
Über die deutsche Umarbeitung des »Gargantua« von J. Fischart s. d. Eine vorzügliche Übersetzung lieferte G. Regis (Leipz. 1832-41, 3 Bde.), eine populäre F. A. Gelbke (das. 1880).
Vgl. Brunet, Recherches bibliographiques sur Rabelais
(Par. (1852);
Lacroix, Rabelais
, sa vie et
ses ouvrages (das. 1859);
Mayrargues, Rabelais
, étude sur le XVI. siècle (das. 1869);
Fleury, Rabelais
et ses œuvres (das. 1877, 2 Bde.);
Gébhart, Rabelais
, la Renaissance et la Réforme (Nancy
[* 10] 1877);
Arnstädt, F. Rabelais
und sein »Traité d'éducation«
(Leipz. 1871);
Ligier, La politique de Rabelais
(Par. 1880).