Polychromie
die Bemalung der
Bau- und Bildwerke mit bunten
Farben, ist ein durchgängig geltendes, von ältester Zeit bis in den Beginn,
teilweise bis zur
Blüte
[* 3] der
Renaissance herrschendes
Gesetz der bildenden
Kunst gewesen. Die bei den Griechen übliche Polychromie
ging
nicht vom Bestreben aus, die
Farben der Wirklichkeit nachzuahmen, sondern man wollte Kunstwerken auch
den
Reiz der
Wahrheit, den
Formen Deutlichkeit geben, indem man die
Wahl und Zusammenstellung der
Farben von der
Forderung einer
höhern, über die bloße Naturnachahmung hinausgehenden
Charakteristik abhängig machte, ohne dabei die
Grenzen
[* 4] des
Schönen
oder die der einzelnen
Künste zu überschreiten.
In der Architektur fand die Bemalung, wenn auch meist nur in Nebendingen, allgemeine Anwendung. An dorischen Tempeln wurde der Echinus [* 5] der Säulen [* 6] verziert; die Triglyphen wurden meist blau bemalt, der Grund der Metopen [* 7] blau oder rot, damit die ebenfalls bemalten Reliefs sich besser abhöben, ebenso die Giebelwand. Außerdem prangten die Ornamente [* 8] des Oberbaues in Farben, die Wellen, [* 9] die Perlschnüre, die Tänien, dann die Tropfen und Tropfenfelder; auch im ionischen und korinthischen Baustil war dies der Fall. Die nicht intensiv bemalten Teile (wie Säulenstamm, Wandflächen u. a.) wurden durch Wachsbeize etwas gebräunt. In den Bauwerken aus geringerm Material (Poros oder Kalkstein), welche mit Stuck überzogen wurden, veredelte die hier kräftiger aufgetragene Farbe den Kalkputz. Bei den Statuen diente die Malerei dazu, die Kleidung zu schmücken und von den nackten Teilen zu sondern. Die Gewänder erhielten farbige Säume oder volle Bemalung. Auch einzelne Teile des Körpers wurden ¶
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gefärbt: die Lippen rot, das Haar [* 11] gelb oder schwarz, der Stern des Auges wurde durch Farbe oder eingelassene Schmelzmasse, wohl auch durch Edelsteine [* 12] angedeutet. Alle Fleischteile aber erhielten nach einem von Vitruv beschriebenen Verfahren eine leichte Wachsbeize, welche den grellen, im Süden unerträglichen Glanz des Weiß dämpfen sollte. In der besten Zeit griechischer Bildhauerei pflegte man diese Bemalung besondern Künstlern anzuvertrauen; für den berühmten Praxiteles besorgte sie der erste Maler jener Epoche, Nikias. Im Relief wurde stets der Hintergrund zur Hervorhebung der Figuren dunkler gehalten.
In der römischen Zeit steigerte man diese Technik bis zur stillosen Nachahmung, indem man jedem Teil seine
natürliche Farbe geben wollte. Man geriet selbst auf den Einfall, die bunte Wirkung des bemalten Marmorbildes durch Zusammensetzen
verschiedenfarbiger Marmorstücke nachzuahmen (polylithe Skulpturen). Auch im ganzen Mittelalter spielte die Polychromie
der Statuen
eine große Rolle; man ging hier in der Naturnachahmung viel weiter als die Griechen; zahlreiche aufs
bunteste bemalte und vergoldete Altäre aus deutscher und italienischer Kunst sowie Einzelfiguren in Holz
[* 13] und Stein haben sich
noch erhalten.
Selbst in der Renaissance hörte die Polychromie
der Statuen nicht auf; besonders wurde dieselbe in Spanien
[* 14] geübt, und noch im Rokoko
bemalte man Holzbildwerke mit matten Farben und vergoldete sie. Auch die architektonische Polychromie
kam in der
gotischen Baukunst
[* 15] sehr in Aufnahme. An den Kapitälern ward das Blattwerk vergoldet, der Grund rot bemalt, die Gewölberippen
und Gesimse wurden golden und rot oder golden und blau bemalt; Altäre, Balustraden, Kanzeln, Sakramentshäuschen etc. erhielten
Vergoldung am Stabwerk und dazu farbigen Grund.
Die Renaissance brachte die Polychromie
der Architektur im großen und ganzen in Abnahme, und erst in der ersten
Hälfte unsers Jahrhunderts kam sie durch die Bemühungen hervorragender Architekten, wie Klenze, Viollet le Duc, Th. Hansen (Akademie
in Athen),
[* 16] Semper, Gnauth, wieder zu größerer Geltung; auch hat man Versuche zur Polychromie
der Statuen gemacht
(Gibson). Der sich mehr und mehr entwickelte Farbensinn der Gegenwart ist diesen Bestrebungen sehr günstig. Es entspann sich
ein Streit über die Polychromie
der Alten zwischen Kugler (»Kleine Schriften zur Kunstgeschichte«, Bd. 1, S. 265 ff.)
und Semper (vgl. den bezüglichen Abschnitt in des letztern »Stil« und dessen Schriften: »Vorläufige Bemerkungen
über bemalte Architektur und Plastik bei den Alten«, Altona
[* 17] 1834; »Die vier Elemente der Baukunst«, Braunschw. 1851), aus welchem
letzterer, den genaue Untersuchungen der griechischen Monumente vorbereitet hatten, als Sieger hervorging.
Vgl. Jahn, Aus der Altertumswissenschaft, S. 247 ff. (Bonn [* 18] 1868);
J. T. Hittorff ^[richtig: J. I. Hittorff], L'architecture polychrome chez les Grecs (Par. 1851).
Mit dem Beginn der 80er Jahre ist die Frage der Polychromie
in ihrer Anwendung auf plastische Kunstwerke wieder lebhaft diskutiert
worden. Eine Schrift des Archäologen Treu (»Sollen wir unsre Statuen bemalen?«, Berl. 1884) hat den Anlaß zu einer Ausstellung
polychromer Plastik in der Berliner
[* 19] Nationalgalerie (1885) gegeben. Doch scheint sich die Mehrzahl der deutschen
Bildhauer noch nicht für die Polychromie
entschieden zu haben, da die Versuche immer noch sehr vereinzelt sind und sich zum Teil auf
matte Tönung oder auf Beizung mit einer Wachslösung beschränken. Bei Bildwerken aus Gips,
[* 20] Thon, Wachs etc.
wird die Polychromie
am ehesten anzuwenden sein, während das edle Material des Marmors leichte Tönung am besten
verträgt, ohne von
seiner Leuchtkraft einzubüßen. Am glücklichen sind die Versuche der Polychromie
bei Bronzegüssen ausgefallen, deren Wirkung durch
galvanische Färbung sehr erhöht wird.