Titel
Perugia
1)
Provinz und Landschaft im Königreich
Italien,
[* 2] auch
Umbrien genannt, grenzt im N. und O. an die
Marken, im SO. an die
Provinz
Aquila, im
S. und
SW. an Latium und im W. und NW. an
Toscana, hat 9633 (nach Strelbitskij 9474) qkm mit (1881) 572000,
nach einer Berechnung vom 597930 E.,
d. i. 62 E. auf 1 qkm, und zerfällt in die sechs
Kreise
[* 3] Foligno, Orvieto,
Perugia
, Nicti,
Spoleto und
Terni mit zusammen 152 Gemeinden. Die
Provinz ist größtenteils gebirgig (im Norden
[* 4] der
Römische
[* 5]
Apennin,
im
Süden die Sabinerberge), hat aber auch Ebenen und ist bewässert durch den
Tiber und seine Nebenflüsse
Nestore, Paglia mit Chiana, Chiascio mit Topino (mit Clitunno oder Maroggia), Nera mit
Velino (mit Salto und Turano) sowie
durch den
Lago Trasimcno. Gebaut werden besonders Weizen,
Mais, Hülsenfrüchte,
Wein, Maulbeer-, Öl- und Obstbäume; in den
höhern Gegenden findet sich Viehzucht.
[* 6] An
Mineralien
[* 7] kommen Marmor,
Töpfer- und Porzellanerde, Eisenerze
und
Kohlen vor.
Die Industrie erstreckt sich auf Seidenfabrikation, Eisenhütten und Papierfabritation. Die
Provinz wird von
mehrern
Eisenbahnlinien durchschnitten.
2) Hauptstadt der
Provinz Perugia
, zwischen dem
Tiber und dem
Lago Trasimeno, in schönster
Lage, 400 m über dem
Tiber, 493 m
ü.
d. M., an der Linie Terontola-Foligno des
Adriatischen
Netzes, Sitz des
Präfekten, eines
Bischofs, Appellationshofs,
Tribunals
erster Instanz und des Kommandos der Infanteriebrigade
«Brescia», hat (1881) 17395, als Gemeinde 51354, nach einer Berechnung
vom 31. Dez. 1892: 54500 E., in Garnison das 20. Infanterieregiment und eine Eskadron des Kavallerieregiments «Foggia»,
eine
Universität, ein Lyceum, Gymnasium, eine Obcrrealschule, technische Schule, höhere
Lehr- und Erziehungsanstalt
(Collegio della Sapienza),
Akademie der schönen Künste, Ökonomisch-agrarische Gesellschaft und ein großes Waisenhaus;
Fabriken für Seidenzeuge,
Sammet, Leinwand und
Branntwein,
Handel mit Getreide,
[* 8] Öl und
Wein.
Die
Universität war im Mittelalter eine der berühmtesten.
Schon im 13. Jahrh, gab es Rechtslehrer in
Perugia
, 1308 erlieh Papst Clemens V. den Stiftsbrief; in den folgenden Jahren blühte die
Universität besonders durch den berühmten
Rechtslehrer Jacob von Belvisio. 1362 wurden die tbeol.
Studien eingeführt, und unter der päpstl. Herrschaft war die
Universität
in hoher
Blüte.
[* 9] 1860 wurde sie zur freien Hochschule erklärt und ist seitdem bedeutend gesunken. Sie
hat eine jurist. und eine mediz.-chirurg.
Fakultät, einen pharmaceutischen und einen Veterinär-Kurs mit (1891/92) 23
Docenten, 182 Studierenden
und 16 Hörern; ferner eine
Bibliothek (15000
Bände, 2000 kleinere
Schriften), einen botan.
Garten,
[* 10] naturwissenschaftliche und
kunstgeschichtliche Sammlungen und ein Musenm etrusk. und röm.
Altertümer. Die Biblioteca di
San Pietro hat 10497
Bände, 553 kleinere
Schriften und 109 Handschriften.
Denkmäler. Auf der Piazza del Municipio erhebt sich der schöne dreischalige Brunnen [* 11] Fönte Maggiore von 1277, der schönste italienische jener Zeit, mit zahlreichen Reliefs von Niccolò Pisano und dessen Sohn Giovanni und 24 Statuetten von Arnolfo di Cambio;
auf der Piazza del Papa eine Bronzestatue des Papstes Julius III., von Vincenzo Danti (1556);
auf der Piazza del Eopramuro ein Denkmal Garibaldis;
auf der Piazza Vittorio Emanuele das Reiterstandbild Victor Emanuels II., Erzguß nach Tadolinis Entwurf (1890);
auf dem Friedhof das Denkmal für die 1859 gefallenen Freiheitskämpfer P.s.
Besonderes Interesse
für Perugia
gewähren die zahlreichen herrlichen Gemälde
Peruginos (s. d.) sowie die Werke anderer umbrischer
Meister.
Gebäude. Die schönsten Gebände sind der got. Dom San Lorenzo (15. Jahrh.), außen unvollendet, mit Altarbild von Luca Signorelli (1481), einem Marmorsarkophag mit den Resten der Päpste Innocenz III., Urban IV. und Martin IV. und kostbaren Handschriften in der Bibliothek, wie dem Codex des heil. Lucas aus dem 6. Jahrh. (Gold [* 12] auf Pergament);
die
Basilika
[* 13]
San Pietro de'Cassinensi,
um 1000 vom heil. Pietro Vincioli von Perugia
gestiftet, mit 18 antiken
Säulen
[* 14] und schön geschnitztem Stuhlwerk von Stefano da
Bergamo (1535);
San Domenico, ein got.
Bau von 1304, 1614 von Carlo Maderno erneuert, mit herrlichem Grabmal
Papst
Benedikts XI. von
Giovanni Pisano und einem gewaltigen got. Fenster (182 qm groß), dem größten dieser Art
in
Italien, 1441 von
Fra
Bartolommeo von Perugia
ausgeführt;
Oratorio di San Bernardino mit polychromer Facade, einem Prachtwerk der Frührenaissance von Agostino d'Antonio aus Florenz [* 15] (1459-61);
San Severo, ein früheres Camaldulenserkloster, jetzt Kolleg, birgt in seiner Kapelle das erste selbständige Freskogemälde Raffaels von 1505. Der Bogen [* 16] des Augustus ist ein antikes Stadtthor mit der Inschrift Colonia Vibia Augusta Perusia;
seine Fundamente stammen aus etrusk. Zeit, der obere Teil aus dem 3. Jahrh. n. Chr. Der Palazzo Pubblico (Comunale), ein gewaltiger Bau im ital.-got. Stil von 1281 und 1333, enthält eine Gemäldegalerie (Pinacoteca Vannucci), seit 1863 aus dem Besitz der aufgehobenen Klöster und Kirchen entstanden, für die Kenntnis der umbrischen Malerei von Wichtigkeit, und die Biblioteca pubblica (76585 Bände, 1200 kleinere Schriften, 1781 Handschriften vom 11. bis 15. Jahrh, und Miniaturen).
Das Collegio del Cambio, die alte Handelskammer, hat berühmte Fresken Peruginos (1500) sowie ¶
mehr
vorzügliche Renaissance-Intarsiaarbeiten an Thüren und Stuhlwerk (s. Tafel: Intarsia, [* 17] Fig. 1).
Etwa 5 km östlich von der Stadt wurde 1840 die altetrusk. Gräberstadt von Perugia
entdeckt und zwar zuerst das Grab der Volumnii
aus dem 3. Jahrh. v. Chr.
Geschichtliches. Perugia
war unter dem Namen Perusia, eine der zwölf alten etrurischen Bundesstädte, alsdann,
nachdem durch die Schlacht bei Perusia (309 v. Chr.) Etrurien von dem röm. Konsul Qu. Fabius Maximus zum Frieden gezwungen war,
ein Municipium mit den Rechten einer latinischen Kolonie. Um 40 v. Chr. wurde Perugia
der Mittelpunkt des Kampfes zwischen Octavianus
und dem Konsul Lucius Antonius, dem Bruder des Triumvirn (Perusinischer Krieg, bellum Perusinum). Bei der
Eroberung durch Octavian brannte die Stadt ab, wurde von Octavian wiederhergestellt, weshalb sie den Namen Augusta Perusia annahm.
In der Ostgotenzeit war Perugia
die wichtigste Stadt Tusciens (mittellat. Perusium),
kam 592 von den Langobarden an das Exarchat, 774 an das Patrimonium Petri (Romania), im 12. Jahrh. an das
Herzogtum Spoleto, unterwarf sich im 14. Jahrh. fast ganz Umbrien und ergab sich 1377 dem Papste. Unter franz. Herrschaft (1808-14)
war Perugia
Hauptstadt des Depart. Trasimène. Am wurde die Stadt von den
Österreichern genommen, 1859 durch die Schweizertruppen des Papstes erstürmt, wobei viele Ausschreitungen
vorkamen, und 1860 von Sardinien
[* 18] besetzt. -
Vgl. G. B. Rossi Scotti, Guida di Perugia
(Perugia 1867);
Bonazzi, Storia di Perugia
(2 Bde.,
ebd. 1875-79).
Über den Lago di Perugia
s. Trasimenischer See.