Orchideen
[* 2]
(Kuckucksblütler, hierzu Tafel »Orchideen«
),
monokotyle Familie aus der Ordnung Gynandrae, perennierende Kräuter, von denen die auf der Erde wachsenden meist einen aufrechten, einfachen Stengel [* 3] mit wechselständigen, seltener gegenständigen, oft am Grund mehr zusammengedrängten, einfachen, an der Basis scheidenförmigen, ganzen, parallel-nervigen Blättern und entweder ein kriechendes Rhizom [* 4] oder statt dessen zwei Wurzelknollen besitzen, welche der Stengel an seinem in der Erde verborgenen Ende trägt, und die entweder ganz, und zwar rund oder länglich, oder handförmig geteilt und stets um ein Jahr im Alter verschieden sind, weil jedes Jahr eine neue Wurzelknolle gebildet wird, welche die Knospe des für das folgende Jahr bestimmten Stengels trägt.
Wenige Orchideen
haben einen auf der
Erde lang hinkriechenden, seiner ganzen
Länge nach mit Blättern besetzten
Stengel, welcher durch Seitenwurzeln sich befestigt. Viele tropische Orchideen
wachsen auf
Bäumen
(Epiphyten) und haben meist einen
verkürzten, mit fleischig verdickten, grünen Blattbasen besetzten, daher mehr eine zwiebelähnliche Verdickung bildenden
Stengel, aus welchem die Blütenschäfte getrieben werden, und welcher gewöhnlich
Luftwurzeln entwickelt, die in der
Luft herniederhängen
und zum Teil die
Pflanzen an
¶
1. Bulbophyllum minutissimum. - 2. Cypripedium caudatum. - 3. Cypripedium tessellatum porphyreum. - 4. Disa grandiflora. - 5. Huntleya violacea. - 6. Masdevallia Lindeni grandiflora. - 7. Onicidium Papilio. - 8. Sobralia liliastrum. - 9. Trichocentron tigrinum splendens. - 10. Vanda Boxalli.
mehr
den Baumrinden befestigen (s. Tafel,
[* 6]
Fig. 2, 5, 7, 9, 10). Einige chlorophylllose,
nicht grüne Orchideen
wachsen im Humus, der ihnen organische Nährstoffe liefern muß (s. Tafel,
[* 6]
Fig. 1, Bulbophyllum minutissimum).
Die Blüten (s. Abbildung) stehen am Ende des Stengels selten einzeln, meist in Ähren, Trauben oder Rispen, wobei jede von einem Deckblatt gestützt wird. Sie sind vollständig, zwitterig, aber unregelmäßig. Auf der Spitze des unterständigen Fruchtknotens befindet sich das Perigon, welches aus drei äußern und drei mit jenen abwechselnden innern Blättern besteht. Erstere sind einander ziemlich gleich an Größe und Gestalt; von den drei innern sind zwei einander gleich und den äußern ähnlich, meist wie diese ausgerichtet und zusammenneigend; das nach hinten gekehrte größte bildet eine vorgesteckte oder herabgeschlagene Lippe, [* 7] ist meist dreilappig u. meist mit farbigen Zeichnungen versehen. An seiner Basis sackt es sich zu einem abwärts gerichteten, hohlen, oft sehr langen Sporn aus.
Die aufgeblühte Blüte [* 8] steht stets so, daß die Lippe nach vorn und unten gewendet ist, was dadurch bewirkt wird, daß entweder der Fruchtknoten spiralig um seine Achse um ungefähr 180° sich dreht, oder daß der Blütenstiel durch eine Krümmung die Blüte auf die entgegengesetzte Seite der Ähre wendet. In der Mitte der Blüte befindet sich ein aus den verwachsenen Staubgefäßen und dem Griffel entstandener Körper, die Griffelsäule (gynostemium). Von den sechs Staubgefäßen, die in der regelmäßig gedachten Blüte vorhanden sein würden, ist meist nur das dem vordern äußern Perigonblatt gleichgestellte, also an der der Lippe entgegengesetzten Seite befindliche, ausgebildet, und außerdem finden sich nur zu beiden Seiten desselben in Form von kleinen Staminodien die Rudimente zweier Staubgefäße [* 9] des innern Kreises. Bei Cypripedium (s. Tafel, [* 6] Fig. 2 u. 3) sind diese beiden die ausgebildeten, das andre stellt ein Staminodium dar.
Die Anthere ist zweifächerig, die Pollenkörner [* 10] jedes Faches sind miteinander zu einer einzigen staubigen oder wachsartigen Masse (pollinium) verwachsen, welche nach unten in ein Stielchen ausgeht, dessen unteres Ende eine klebrige Drüse, den sogen. Halter, bildet. Zwischen beiden Haltern befindet sich noch ein schnabelartiger Fortsatz (rostellum). Wenn größere Insekten [* 11] die Blüten besuchen, um ihren Rüssel nach dem im Sporn enthaltenen Zuckersaft auszustrecken, so bleiben die Pollinien mit ihrem Halter an demselben kleben, werden aus den Antheren herausgezogen und von dem Insekt beim Verlassen der Blüten mitgenommen.
Wenn das Tier eine neue Blüte besucht, so kommen die Pollinien auf die große, stark klebrige Narbe derselben und werden hier
festgehalten. Die letztere befindet sich nämlich am Gynostemium unterhalb der Anthere am Eingang in den
Sporn (vgl. Blütenbestäubung,
[* 12] Fig. 8). So ist bei den Orchideen
die Befruchtung
[* 13] nur durch Insekten möglich.
Vgl. Darwin, Über die
verschiedenen Einrichtungen, durch welche Orchideen
von Insekten befruchtet werden (Stuttg. 1877).
Das auswendig gerippte Ovarium ist einfächerig und trägt auf der Innenwand drei Placenten, welche den Rändern der drei verwachsenen Karpelle entsprechen. Diese tragen viele sehr kleine Samenknospen, die erst nach erfolgter Befruchtung sich ausbilden. Die Frucht ist eine Kapsel, die sich mit sechs Längsspalten so öffnet, daß die Placenten von den zwischenliegenden Teilen der Wand getrennt werden und die sechs Klappen oben und unten miteinander verbunden bleiben. Die zahlreichen Samen [* 14] sind fast staubartig klein, besitzen eine schlaffe Schale, kein Endosperm und nur einen kleinen, unvollständig gebildeten, samenlappenlosen Keimling.
Die Orchideen
sind über die ganze Erde verbreitet, doch nimmt ihre Anzahl nach dem Äquator hin bedeutend zu, und der heißen Zone
gehören zugleich die Arten mit den mannigfaltigsten, größten und schönsten Blüten an. Die in den gemäßigten
Zonen vorkommenden Orchideen
wachsen auf der Erde, besonders auf feuchten Wiesen und in Wäldern, die tropischen dagegen meistens auf
den Baumstämmen in feuchten, schattigen Wäldern. Es sind ungefähr 4-5000 Arten bekannt, von denen die Mehrzahl im
tropischen Amerika,
[* 15] im Indischen Archipel und in Neuholland, nur wenig über 100 in Europa
[* 16] vorkommen.
Die kleine, den Orchideen
in ihren Blüten sehr ähnliche, nur durch drei freie Staubgefäße und durch die dreiklappige dreifächerige
Kapsel unterschiedene Familie der Apostasieen, deren wenige Arten im tropischen Asien
[* 17] vorkommen, rechnen manche Botaniker mit
in diese Familie. Die an Schleim und Stärkemehl reichen Wurzelknollen der auf der Erde wachsenden Orchideen
liefern den Salep. Wenige
Orchideen
, wie die Vanille, sind reich an ätherischem Öl in den Früchten. Die größte Bedeutung haben die Orchideen
als Zierpflanzen,
und die tropischen Orchideen
werden wegen des oft wunderbaren Baues und der meist prachtvollen Färbung ihrer
Blüten (vgl. Tafel) besonders in England kultiviert.
Die Kultur der Orchideen
hat manche Schwierigkeiten. Größere Orchideen
sammlungen hält man in besondern Warmhäusern (Orchideen
häusern).
Dieselben müssen hell, aber vor dem Sonnenbrand geschützt, niedrig und nur in dem Maß der Luft zugänglich sein, daß diese
nicht austrocknend wirkt. Für die meisten eignet sich am Tag eine Temperatur von 18-24°, nachts eine
solche von 12-16°. Sie fordern leichte Erde, welche man aus Lauberde, Kohlen, Torfmoos und Sand mengt.
Manche Arten stehen in Kübeln oder Töpfen; andre hängt man in Ampeln auf, die mit großen Löchern versehen sein müssen,
aus denen die Luftwurzeln sowie die langen Blütenschäfte hervorkommen; wieder andre sind auf Klötzen oder Rindenstücken
befestigt. Die Vanillen ziehen sich rebenartig an den Wänden und unter dem Glasdach hin. Um die exotischen Orchideen
zur Bildung
von Früchten zu veranlassen, muß man sie durch Übertragung ihrer Pollinien auf die Narben künstlich befruchten,
weil die zu ihrer Befruchtung dienenden Insekten ihrer Heimat bei uns fehlen. Eine größere Anzahl von Orchideen und sogar viele der
schönsten machen geringere Ansprüche an die Vegetationsbedingungen und sind selbst im Zimmer mit Erfolg zu kultivieren.
Schon die Väter der Botanik beschäftigten sich eingehend mit den Orchideen, und die Tierähnlichkeit der Blüten derselben verführte zu dem wunderlichsten Aberglauben. Sehr viel später lernte man die tropischen Orchideen kennen. 1605 erwähnt Clusius die Frucht der Vanille, allein erst am Ausgang des 17. Jahrh. gaben Rheede tot Drakenstein, Sloane, Plumier u. a. die ersten Beschreibungen und Abbildungen, bis am Beginn des 19. Jahrh. die eigentlich wissenschaftliche Erkenntnis beginnt. Linné kannte 1764 nur 102 Arten, darunter 30 Epiphyten, Willdenow (1805) 391 Arten mit 140 Epiphyten. 1814 zählte Robert Brown allein 120 Arten australischer Orchideen auf, und fast ebenso viele hatte Dupetit-Thouars auf den
[* 6] ^[Abb.: Orchideenblüte.] ¶
mehr
afrikanischen Inseln kennen gelernt. Eine neue Epoche begann mit Lindley, der in seinem 1830-40 erschienenen ersten Hauptwerk an 2000 Arten beschrieb, unter denen sich gegen 1000 epiphytische befanden. 1880 schätzte de Puydt die Zahl aller bekannten Orchideen auf 6000! Am Ausgang des 18. Jahrhunderts gelang es, ein paar Epidendron-Arten zu kultivieren. 1813 zog man in Kew nicht mehr als 40 Arten, so daß sich die Familie erst nach dieser Zeit bis zu den 20er Jahren in den botanischen Gärten einbürgerte.
In den 30er Jahren befanden sich Orchideen zu Hamburg [* 19] und Dresden [* 20] schon in Privatgärten, und 1852 schreibt Lindley, daß man nun eine größere Anzahl von Orchideen in Kultur habe, als 1830 in Büchern und Herbarien bekannt gewesen seien. Wirklich kultivierte man schon 1851 im Garten [* 21] des Grafen Thun gegen 500 tropische Arten, worauf sehr bald allerorten eigne Orchideenhäuser erbaut wurden. Gegenwärtig schätzt man die Zahl der kultivierten Arten auf 1-2000. Dabei erreichte die Liebhaberei eine erstaunliche Höhe, und einzelne Pflanzen (Aerides Schroederi, Vanda coerulea) wurden mit 1800 Mk. bezahlt.
Vgl. die Spezialwerke von Lindley (s. d.) und Heinr. Gust. Reichenbach [* 22] (s. d.), ferner Lyons, Practical treatise on the management of orchidaceous plants (2. Aufl., Lond. 1845);
Josst, Beschreibung und Kultur tropischer Orchideen (Prag [* 23] 1852);
Beer, Praktische Studien an Orchideen nebst Kulturanweisung und Beschreibung (Wien [* 24] 1854);
Morel, Culture des orchidées (Par. 1855);
Moore, Illustrations of orchidaceous plants (Lond. 1857);
Warner, Select orchidaceous plants (das. 1864-78);
Burbidge, Die Orchideen des temperierten und kalten Hauses (2. Aufl., Stuttg. 1882);
Fitzgerald, Australian orchids (Lond. 1877 ff.);
Dechevalerie, Les Orchidées (Par. 1879);
Pfitzer, Grundzüge einer vergleichenden Morphologie der Orchideen (Heidelb. 1882);
Derselbe, Entwurf einer natürlichen Anordnung der Orchideen (das. 1887);
Sander, Reichenbachia; Abbildung, Beschreibung und Kulturanweisung der schönsten Orchideen (Berl. 1886).