Nishnij
Nowgŏrod (Nishegorod),
Gouvernement in Rußland, grenzt im
S. an die
Gouvernements
Tambow und
Pensa, im O. und
NO. an
Simbirsk,
Kasan
[* 2] und
Wjatka, im
Norden
[* 3] an
Kostroma, im
W. an
Wladimir und umfaßt 51,272 qkm (931,15 QM.). Bewässert
wird Nishnij Nowgorod
durch die
Wolga, welche hier neben einer
Menge kleinerer die schiff- oder flößbaren Nebenflüsse
Wetluga, Kershenez (links),
Oka, Tschugunka und
Sura (rechts) aufnimmt, und von
ca. 350 unbedeutenden
Seen. Die
Wolga teilt das
Gouvernement in zwei ungleiche Hälften, von denen die kleinere, am linken
Ufer: eine weite
Niederung bildet und mit
großen
Sümpfen und undurchdringlichen Wäldern bedeckt ist, während der südlich am rechten
Ufer gelegene Teil aus einer
von vielen Schluchten unterbrochene
Hochebene besteht, welche in der
Richtung zur
Wolga wellenförmig wird und dort zum
Fluß
60-90 m steil abfällt. In geognostischer Hinsicht gehört Nishnij Nowgorod
drei
Formationen an. Durch das ganze
Gouvernement
zieht sich in der
Richtung von W. nach O. über die
Städte
Arsamas und
Sergatsch ein breiter
Streifen der permischen
Formation;
nördlich davon tritt nur die
Trias-, südlich die
Juraformation
[* 4] zu
Tage.
Kreidebildungen finden sich im äußersten Südosten. Die Bevölkerung [* 5] beläuft sich (1883) auf 1,434,331 Einw., 28 auf das QKilometer. Sie setzt sich zusammen aus 111,000 Mordwinen, 2000 Tscheremissen und 34,000 Tataren, im übrigen Russen, und gehört mit Ausnahme von 35,000 Mohammedaner zur griechisch-katholischen Kirche, von der sich übrigens etwa 5 Proz. als Sektierer (Raskolniken) abgesondert haben. Die Zahl der Eheschließungen war 1883: 13,004, der Gestorbenen 65,890, der Gebornen 72,004. Das Gesamtareal setzt sich zusammen aus 42,8 Proz. Ackerland, 38,2 Proz. Wald, 10,6 Proz. Wiesen und Weide, [* 6] 8,4 Proz. Unland.
Der Ackerbau deckt nur in den südlichen Kreisen den innern Bedarf. Die Ernte [* 7] lieferte 1884: 7 Mill. hl Roggen, 4¾ Mill. hl Hafer, [* 8] 120,000 hl Gerste, [* 9] 1¾ Mill. hl Kartoffeln. Weizen wird wenig gebaut. Der Viehstand belief sich 1883 auf 233,040 Stück Rindvieh, 435,000 Schafe, [* 10] 51,033 Schweine [* 11] und 225,223 Pferde. [* 12] Der früher bedeutende Wald ist in letzter Zeit durch unrationelle Forstwirtschaft sowie durch Waldbrände sehr zusammengeschmolzen. Nördlich von der Wolga kommt nur Nadelwald vor, südlich ist er hier und da mit Birken und Linden gemischt. An Mineralien [* 13] werden gewonnen: Salz [* 14] (bei Balachna), Kupfer, [* 15] Gips, [* 16] Kalk, Torf, Sumpfeisen und Lehm. Sehr stark entwickelt ist die Hausindustrie. So beschäftigen sich allein mit den verschiedensten Holzarbeiten, vom Bastmattenflechten bis zum Schiffbau, über 60,000 Einw. Einen besondern Ruf hat sich der Kreis [* 17] Semenow durch seine Holzlöffel, der Kreis Balachna durch seine Spindeln, Makarjew durch seine eisenbeschlagenen Kisten erworben, welche Produkte bis nach Bochara und Persien [* 18] versandt werden.
Mit Schmiede- und Schlosserarbeiten beschäftigen sich mehr als 70,000 Einw. Hervorragendes leisten besonders die Dörfer Pawlowo und Worsma (Kreis Garbatow) durch ihre Dolche, Rasiermesser und Scheren. [* 19] Die Woll- und Lederindustrie ist besonders stark in den Kreisen Sergatsch, Arsamas und Knjaginin verbreitet. Man berechnete am Anfang der 80er Jahre die Zahl der Hausindustriellen auf 33,000 (Schmiede, Schlosser, Metalldreher, Tischler etc.), die für ca. 8½ Mill. Rubel Gegenstände produzierten.
Von sonstigen Beschäftigungen sind nennenswert: die
Lein- und Handschuhweberei, Netzflechterei, das Fuhrmannshandwerk,
an der
Oka und
Wolga der Äpfel- und Gemüsebau, die
Bienenzucht
[* 20] bei den
Mordwinen und
Tscheremissen und endlich die
Jagd im nördlichen
Teil. Die
Großindustrie beschäftigte 1884: 338
Fabriken mit 7443 Arbeitern, die für 16,201,000.
Rub. produzierten. Die hauptsächlichsten
Industriell sind: Getreidemüllerei (6,3 Mill.
Rub.),
Branntweinbrennerei (3 Mill.
Rub.), Maschinenbau (1,6
Mill.
Rub., die bedeutendste ist die Sortowsche
Fabrik), Lederindustrie (1,3 Mill.
Rub.), Petroleumindustrie (in
Balachna).
Schulen
waren 1883: 454 vorhanden, nämlich 439
Volksschulen mit 16,710 Lernenden, 12
Mittelschulen mit 3104 Lernenden, ein Priesterseminar
mit 358
Schülern und 2 Handwerksschulen mit 74
Schülern. Das
Gouvernement wird eingeteilt in elf
Kreise:
[* 21] Ardatow,
Arsamas,
Balachna, Garbatow,
Knjaginin,
Lukojanow,
Makarjew, Nishnij Nowgorod
,
Seménow,
Sergatsch und Wasil Sursk. S.
Karte
»Polen und
[* 22] Westrußland«.
Die gleichnamige Hauptstadt liegt malerisch am Einfluß der Oka in die Wolga, an deren rechtem hohen Ufer sie amphitheatralisch sich ausbreitet, an der Eisenbahn Moskau-Nishnij Nowgorod. Sie besteht aus drei Teilen, der auf drei Bergen [* 23] gelegenen Oberstadt mit dem Kreml, von wo man eine prachtvolle Aussicht weithin über das linke flache Ufer der Wolga genießt, der Unterstadt am Flußufer und der mit dieser durch eine Pontonbrücke verbundenen Slobode Kunawina, zwischen dem linken Oka- und dem rechten Wolgaufer, wo auf der durch die beiden Flüsse [* 24] gebildeten Landzunge auch die berühmte Messe stattfindet. Die Stadt hat 42 griech. Kirchen (darunter 2 der Altgläubigen), eine römisch-katholische, eine armenische und eine ¶
mehr
luther. Kirche, 3 Klöster, eine Synagoge und 2 Moscheen. Bemerkenswert darunter sind: die 1221 erbaute Kathedrale der Verklärung Christi
und das Blagowjeschtschenskij- und Petschorskij- (Höhlen-) Kloster durch ihre archäologischen Schätze. Ferner besitzt Nishnij Nowgorod
ein
geistliches Seminar mit tatarischer Abteilung, das Alexandrowsche Knaben- und das Mriensche Fräuleininstitut, das aus Nowgorod
hierher übergeführte Araktschejewsche Militärgymnasium, 2 Theater,
[* 26] Salzmagazine, mehrere Bankanstalten
(darunter die 1870 gegründete Kaufmannsbank), gegen 250 Ambaren (Warenlager) und 6500 Buden für den Meßhandel sowie für
die verschiedenen Waren 7 Landungsplätze an den Flüssen, mit einer Gesamtlänge von über 15 km. Die Zahl der Einwohner beträgt
(1881) 69,393. Die Fabrikation Nishnij Nowgorods beschränkt sich auf dieselben Zweige wie die im Gouvernement
(s. oben).
Der Handel, namentlich mit Salz (über 5 Mill. Rub. jährlich), Getreide,
[* 27] Metall und Fischen, ist blühend. Wasserverbindung besteht
durch die Wolga, deren Nebenflüsse und Kanalsysteme mit dem Schwarzen, Baltischen und Kaspischen Meer. Berühmt und eine der
wichtigsten Städte Rußlands ist Nishnij Nowgorod
durch seinen 15. Juli bis zum September a. St. dauernden (sogen. Makarjewschen)
Jahrmarkt, der den Mittelpunkt des Handels zwischen Europa
[* 28] und Asien
[* 29] bildet, und während dessen Dauer die Einwohnerzahl der Stadt
auf das Fünf-, ja Siebenfache steigt.
Die Messe, welche ursprünglich im alten Bolgar, unterhalb der Mündung der Kama, dann in der Gegend von
Arsk im Gouvernement Kasan stattfand, wurde um 1550 nach Makarjew und 1817 nach dem Brande dieser Stadt nach Nishnij Nowgorod
verlegt. Der
Wert der dort aufgespeicherten Waren betrug 1857: 86 Mill., 1865: 111,5 Mill. und 1887: 193 Mill. Rub. Dem Wert nach die erste
Stelle nahmen 1887 die russischen Waren mit 160 Mill. Rub. ein. Thee wurde für 18⅕ Mill. (1886 nur für
13⅖ Mill.), ausländische, europäische und Kolonialwaren für 8 Mill., bucharische und chinesische Waren für 6 Mill., persische
für 3,5 Mill., kaukasische und transkaukasische für 653,400 Rub. angeführt.
Unter den russischen Waren sind die hauptsächlichsten: Baumwollfabrikate, Wollwaren, Leinen- und Hanferzeugnisse,
Seiden- und Halbseidenfabrikate, Pelzwerk
[* 30] (1886: 1,150,000 Stück Feh, 12,800 Zobel, 5000 Stück Nerze), Lederwaren, Metalle (Eisen,
[* 31] Stahl, Kupfer), Glas-, Porzellan- und Fayenceerzeugnisse, Getreide, Fische
[* 32] und Getränke; unter den ausländischen Waren (d. h. aus
Europa mit den Kolonien), die von Jahr zu Jahr steigende Bedeutung erlangen, sind namentlich zu nennen:
Droguen und Apothekerwaren, Manufakturwaren, Wein, Kaffee, Olivenöl. Von allen angeführten Waren wurden 1885 für 167⅘ Mill.
Rub. verkauft, während für 18⅓ Mill. Rub. unverkauft blieben. - Nishnij Nowgorod
wurde vom Großfürsten Juri Wsewolodowitsch 1212, nach
andern Nachrichten 1222, als Grenzfestung gegen die Mordwinen angelegt. Seit 1350 die glänzende Residenz
der Großfürsten von Susdal, wurde es 1390 Moskau
[* 33] einverleibt. Nishnij Nowgorod
hat viel von den Überfällen der Mordwinen, Mongolen und besonders
der Tartaren zu leiden gehabt und wurde wiederholt ein Raub der Flammen.