Titel
Mohl
,
1) Robert von, ausgezeichneter deutscher Staatsrechtslehrer und Staatsmann, geb. zu Stuttgart, [* 2] Sohn des Oberkonsistorialpräsidenten und Staatsrats Ferdinand Benjamin v. M. (geb. gestorben studierte in Heidelberg, [* 3] Göttingen [* 4] und Tübingen [* 5] die Rechte und Staatswissenschaften, ward 1824 außerordentlicher und 1827 ordentlicher Professor der Staatswissenschaften zu Tübingen, 1836 zugleich Oberbibliothekar. Als er 1845 als Wahlkandidat für die Stadt Balingen auftrat, legte er in einem Schreiben an seine Wähler, welches durch den Druck veröffentlicht ward, sein politisches Glaubensbekenntnis dar, gab aber darin zugleich eine schonungslose Kritik damaliger Regierungsmaßregeln, weshalb er von seinem Lehrstuhl entfernt und als Regierungsrat nach Ulm [* 6] versetzt werden sollte. Er zog es vor, aus dem Staatsdienst auszuscheiden, und wurde bald nachher in die württembergische Kammer gewählt. 1847 folgte er einem Ruf als Professor der Rechte nach Heidelberg.
Nachdem er 1848 dem Vorparlament beigewohnt, ward er von den Oberämtern Mergentheim [* 7] und Gerabronn in die Nationalversammlung gewählt, wo er seinen Sitz im linken Zentrum nahm und mit Eifer für Reformbestrebungen weise Mäßigung und politischen Takt verband. Am übernahm er im Reichsministerium das Portefeuille der Justiz, trat aber zurück und widmete sich wieder seinem Lehramt zu Heidelberg. Seit 1857 Vertreter der Universität in der badischen Ersten Kammer, seit 1863 deren Mitglied durch allerhöchstes Vertrauen, 1861-66 Bundestagsgesandter in Frankfurt, [* 8] 1867-71 Gesandter in München, [* 9] war er der berufenste Vertreter der nationalen Reformpolitik der großherzoglichen Regierung. 1871 erhielt er den Posten eines Präsidenten der Oberrechnungskammer in Karlsruhe. [* 10]
An den Verhandlungen des deutschen Reichstags nahm er für den zweiten badischen Wahlkreis in bundesfreundlichem Sinn teil und starb in der Nacht vom 4. zum in Berlin. [* 11] Von seinen Schriften sind hervorzuheben: »Staatsrecht des Königreichs Württemberg« [* 12] (Tübing. 1829-31, 2 Tle.; 2. Aufl. 1840);
»Die deutsche Polizeiwissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaats« (das. 1832-34, 3 Bde.; 3. Aufl. 1866);
»Die Verantwortlichkeit der Minister« (das. 1837);
»Geschichte und Litteratur der Staatswissenschaften« (Erlang. 1855-58, 3 Bde.);
»Encyklopädie der Staatswissenschaften« (Tübing. 1859, 2. Aufl. 1872, und Freib. i. Br. 1881);
»Staatsrecht, Völkerrecht und Politik« (Tübing. 1860-69, 3 Bde.);
»Das deutsche Reichsstaatsrecht« (das. 1873).
Auch gab er mit andern seit 1844 die »Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft« heraus.
Vgl. H.
Schulze,
Robert von
Mohl.
Ein Erinnerungsblatt (Heidelb. 1886).
2) Julius von, berühmter Orientalist, Bruder des vorigen, geb. zu Stuttgart, studierte in Tübingen erst Theologie, sodann in England und zu Paris [* 13] unter Silvestre de Sacy und Rémusat orientalische Sprachen (namentlich Persisch, Arabisch und Chinesisch) und erhielt 1826 eine außerordentliche Professur der orientalischen Litteratur zu Tübingen, verbrachte aber die nächsten Jahre meist in Paris, London [* 14] und Oxford [* 15] mit gelehrten Forschungen, als deren Früchte die mit Olshausen bearbeiteten »Fragments relatifs à la religion de Zoroastre« (Par. 1829) erschienen. Dann veröffentlichte er zwei ältere lateinische, von gelehrten Jesuiten herrührende Übersetzungen chinesischer Religionsbücher: »Confucii Chi-king, sive liber carminum, ex latina P. Lacharme interpretatione« (Stuttg. 1830) und »Y-king, antiquissimus Sinarum liber, ex interpretatione P. Regis« (das. 1834-39, 2 Bde.),
wendete sich aber von nun an ausschließlich dem
Studium des
Persischen zu. Von der französischen
Regierung
mit der Herausgabe und Übersetzung des »Shâhnâme« von
Firdusi für die »Collection orientale« beauftragt, nahm er 1834 in
Tübingen seine Entlassung und siedelte ganz nach
Paris über, wo er sich naturalisieren ließ. Jenes Prachtwerk erschien in
sechs Foliobänden (Par. 1838-66), wozu nach Mohls
Tod noch ein siebenter (von Meynard vollendet, das.
1878) kam.
Die französische Übersetzung wurde 1876 in sieben Duodezbänden von seiner Witwe besonders herausgegeben. Als Sekretär, [* 16] später Präsident der Asiatischen Gesellschaft in Paris hat eine große Thätigkeit entwickelt. Besonders geschätzt waren seine »Jahresberichte«; auch das »Journal asiatique« verdankt ihm viele vorzügliche Aufsätze. 1844 wurde er an Burnoufs Stelle zum Mitglied der Akademie der Inschriften, 1847 zum Professor des Persischen am Collège de France und 1852 zum Inspektor des orientalischen Druckes in der kaiserlichen Druckerei ernannt.
Die
Ausgrabungen
Bottas in
Ninive wurden auf seine Veranlassung und nach seinem
Plan unternommen; in Beziehung darauf veröffentlichte
er:
»Lettres de
Mr.
Botta sur les découvertes à Khorsabad« (1845). Überhaupt war Mohl
unermüdlich in der
Förderung wissenschaftlicher Bestrebungen, und sein
Salon bildete während des zweiten Kaiserreichs einen Sammelpunkt der
Gelehrten und litterarischen Berühmtheiten. Er starb Seine
Berichte an die
Asiatische
Gesellschaft erschienen nach
seinem
Tod gesammelt unter dem
Titel: »Vingt-sept ans d'histoire des études orientales« (hrsg.
von seiner
Witwe, 1879-80, 2 Bde.).
Vgl.
Simpson,
Julius and
Mary Mohl
, letters and recollections (Lond. 1887).
3) Moritz, Nationalökonom, Bruder der vorigen, geb. 1802 zu Stuttgart, studierte Staatswirtschaft in Tübingen, besuchte darauf die landwirtschaftliche Anstalt in Hohenheim, ward 1826 Referendar im Finanzministerium, dann Assessor bei der Oberzollverwaltung zu Stuttgart und 1831 Assessor der Finanzkammer zu Reutlingen. [* 17] Nachdem er sich darauf fünf Jahre lang in Frankreich der Erforschung der staatswirtschaftlichen Zustände und des Schulwesens dieses Landes gewidmet, ward er 1841 zum Obersteuerrat in Stuttgart ernannt. Er wohnte 1848 dem Vorparlament bei, wurde von dem Wahlbezirk Heidenheim-Aalen in die Nationalversammlung gewählt, wo er zu der gemäßigten Linken gehörte, und gab seine Anstellung sowie seinen Geburtsadel auf. ¶
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Auch am Rumpfparlament nahm er teil. In allen nachherigen württembergischen Ständeversammlungen gehörte Mohl
der äußersten
Linken an. Er war Mitglied des Zollparlaments und bis 1874 des Reichstags. Er gehörte zu den eifrigsten Anhängern der großdeutschen
Partei. Sein »Mahnruf zur Bewahrung Süddeutschlands vor den äußersten Gefahren« (Stuttg. 1867) bekämpfte den Anschluß
der süddeutschen Staaten an den Norddeutschen Bund; nach 1870 bekämpfte er jede Kompetenzerweiterung des Reichs. In Wort und
Schrift war er der thätigste Vorkämpfer der Schutzzollpartei, besonders durch seine »Ständischen
Berichte über den preußisch-französischen Handelsvertrag« (Stuttg. 1863). Er starb in
Stuttgart. Die Zahl seiner Flugschriften über Tagesfragen ist eine sehr große; er kämpfte für das Frankensystem
als Grundlage des deutschen Münzwesens (»Zur Münzreform«, Stuttg.
1867),
für Einschränkung der papiernen Umlaufsmittel (»Über Bankmanöver etc.«, das. 1858),
für ein in den Händen der Einzelstaaten zentralisiertes Eisenbahnsystem (»Über den Entwurf eines Reichseisenbahngesetzes«, das. 1874), für das Tabaksmonopol etc.
4) Hugo von, Botaniker, Bruder der vorigen, geb. zu Stuttgart, studierte seit 1823 in Tübingen Medizin, widmete sich dann, nachdem er 1828 promoviert hatte, in München botanischen Studien und ging nach epochemachenden Arbeiten über die Anatomie des Farnen-, Cykadeen- und Palmenstammes (1832) als Professor der Physiologie nach Bern, [* 19] 1835 als Professor der Botanik nach Tübingen und starb hier Seine wissenschaftlichen Untersuchungen sind beinahe allen Gebieten der Botanik förderlich gewesen, namentlich aber förderte er die Phytotomie und machte speziell das feste Zellstoffgerüst der Pflanzen zum Gegenstand der eingehendsten und erfolgreichsten Untersuchungen.
Auch Physiologie und Entwickelungsgeschichte
[* 20] wurde von ihm erheblich gefördert. Mohl
unterschied 1844 den
Primordialschlauch und erkannte 1846 das Protoplasma, welches er mit dem noch jetzt üblichen Namen belegte. Er schrieb: »Über
den Bau und das Winden
[* 21] der Ranken und Schlingpflanzen« (Tübing. 1827);
»Über den Bau und die Formen der Pollenkörner« [* 22] (Bern 1834);
»Mikrographie oder Anleitung zur Kenntnis und zum Gebrauch des Mikroskops« (Tübing. 1846);
»Grundzüge der Anatomie und Physiologie der vegetabilischen Zelle« [* 23] (Braunschweig [* 24] 1851).
Eine Anzahl der wichtigsten Abhandlungen ist in seinen »Vermischten Schriften botanischen Inhalts« (Tübingen 1845) gesammelt. Auch lieferte er Beiträge zu dem Palmenwerk von Martius, und seit 1843 gab er mit Schlechtendal die »Botanische Zeitung« heraus.