Merkur.
[* 2] Die Dauer der
Umdrehung dieses
Planeten
[* 3] um seine
Achse wurde bisher auf
Grund der von
Schröter
in
Lilienthal im Anfang dieses
Jahrhunderts ausgeführten ziemlich unsichern
Beobachtungen der Gestalt des südlichen
Hornes
der nur teilweise beleuchteten
Scheibe sowie eines dunkeln
Streifens zu 24
Stunden 5
Minuten angenommen. Auch von spätern Beobachtern
sind dunkle
Streifen und
Flecke auf Merkur
beobachtet worden, so von L. de
Ball 1882 in
Bothkamp; aber zu einer
neuen Bestimmung der
Rotationszeit ist erst
Schiaparelli in
Mailand
[* 4] gelangt, welcher den Merkur
1882-89 erst mit dem durch die
Entdeckungen auf dem
Mars
[* 5] bewährten 8 zölligen und seit 1886 mit dem neuen 18 zölligen
Refraktor der
Mailänder
Sternwarte
[* 6] während aller
Phasen des synodischen
Umlaufs mit nur kurzen
Unterbrechungen zur Zeit der
Konjunktionen beobachtet
hat.
Da M. immer in der
Nähe der
Sonne
[* 7] steht, von der er sich höchstens 23° entfernt, und da sich bei tiefem
Stande desselben
die nötige Vergrößerung nicht benutzen ließ, so mußten die
Beobachtungen am
Tage ausgeführt werden, was
im
Winter bei ruhiger, klarer
Luft zu jeder
Stunde, im
Frühling und
Herbst am besten in den Morgenstunden geschah, während im
Sommer die vielen in der
Luft enthaltenen Wasserdünste die
Beobachtungen erschwerten.
Die
Beobachtungen haben nun ergeben, daß an zwei aufeinander folgenden
Tagen zu derselben Tagesstunde auch dieselben hellen
oder dunkeln
Flecke anscheinend auf derselben
Stelle der Planetenscheibe sichtbar sind, und das findet
auch noch statt, wenn
man in Zwischenzeiten von 2,3 oder 4
Tagen beobachtet, nur ändert sich dann die Lichtphase merklicher.
Daraus folgt, daß Merkur
in 24
Stunden entweder eine oder mehrere ganze
Rotationen vollendet, oder daß seine
Rotation so langsam erfolgt, daß sie sich in Zeit von wenigen
Tagen nicht geltend macht. Es lassen sich aber auch keine Veränderungen
wahrnehmen, wenn man den an demselben
Tage
oder an zwei aufeinander folgenden
Tagen zu verschiedenen Tagesstunden beobachtet;
die Rotationszeit kann daher kein Teil von 24
Stunden sein.
Erfolgen die
Beobachtungen in verschiedenen synodischen
Umlaufen bei ähnlichen
Stellungen des
Planeten gegen
Sonne und
Erde, so
ist der Anblick der
Flecke im allgemeinen ebenfalls der gleiche, nur ihre
Lage gegen die Schattengrenze ist meist etwas anders.
Aus der Gesamtheit dieser
Beobachtungen schließt nun
Schiaparelli, daß der Merkur
in derselben
Weise um die
Sonne läuft wie unser
Mond
[* 8] um die
Erde und der äußerste Saturnmond (Japetus) um den
Saturn, daß er ihr also beständig wesentlich
dieselbe Seite zukehrt, und daß die Dauer einer
Rotation um die
Achse mit der Zeit eines siderischen
Umlaufs um die
Sonne, d. h.
87,9693
Tagen, zusammenfällt.
Doch ist es möglich, daß beide
Perioden etwa um den tausendsten Teil verschieden sind, wiewohl
Schiaparelli eine genaue Übereinstimmung
für wahrscheinlich hält. Die
Lage der Drehungsachse hat sich zwar nicht ganz sicher feststellen lassen, den
Beobachtungen
wird aber genügt durch die
Annahme, daß dieselbe rechtwinkelig zur Bahnebene steht; sicher erreicht
der
Winkel
[* 9] zwischen letzterer und dem
Äquator des Merkur
nicht 23 oder 25° wie bei
Erde oder
Mars. Die
Beobachtungen deuten auf
eine ganz gleichförmige
Rotation; da aber die
Bewegung des Merkur
um die
Sonne infolge der bedeutenden
Exzentrizität der
Bahn sehr
ungleichförmig ist, so ergibt sich eine starke
Libration (scheinbare Schwankung) des Merkur
, d. h. der
Punkt
seiner Oberfläche, welcher, von der
Sonne aus gesehen, in der Mitte der Planetenscheibe erscheint, rückt während eines
siderischen
Umlaufs um 47 ⅓° nach der einen und wieder nach der entgegengesetzten
Richtung. In der
[* 1]
Figur sind A und B die
beiden äußersten
Punkte, welche in der Mitte der
Scheibe erscheinen können; die
Bewegung des
Mittelpunktes
von A bis B dauert 51,19
Tage, die von B nach A nur 36,78
Tage. Infolge davon wird auch nicht bloß die Hälfte der Merkur
oberfläche
von der
Sonne beleuchtet und dadurch für uns sichtbar,
¶
mehr
sondern der für uns nach und nach sichtbare Teil der Oberfläche beträgt ungefähr 0,63. Doch
sind die nur zeitweilig sichtbaren Randregionen zu schwach beleuchtet, als daß man aus ihnen mit Deutlichkeit Flecke wahrnehmen
könnte. Deshalb sind sie auch von Schiaparelli beim Entwurf seiner Karte der Merkur
oberfläche, nach der die untenstehende
[* 10]
Figur hergestellt ist, nicht berücksichtigt worden. Die dunkeln Flecke, welche man dort angegeben findet, sind nur mit großer
Mühe und bei größter Aufmerksamkeit zu erkennen. Sie erscheinen in Gestalt ganz leichter Schattenstreifen, zeigen sich
unter günstigen Umständen bräunlichrot und heben sich nur wenig von der allgemeinen Farbe des Planeten ab,
die gewöhnlich rosenfarben, ins Kupferrote gehend, ist.
Die merkwürdige Erscheinung, daß Rotations- und Umlaufszeit übereinstimmen und infolgedessen ein großer Teil der Planetenoberfläche niemals Strahlen von der Sonne empfängt, erklärt sich wahrscheinlich durch die geistreiche Hypothese, welche der englische Kosmolog G. H. Darwin zur Erklärung der analogen Erscheinung beim Monde benutzt hat. Wenn nämlich der um einen Zentralkörper laufende Weltkörper seine in der Richtung von W. nach O. vor sich gehende Rotation in kürzerer Zeit als seinen Umlauf vollendet und wenn derselbe teilweise mit einer flüssigen Hülle bedeckt ist, so wird in dieser durch die Anziehung des Zentralkörpers auf der diesem zugewendeten, wie auf der abgewendeten Seite eine Flutwelle erregt, welche zweimal in Zeit einer Rotation um den Weltkörper läuft.
Indem sie hierbei gegen die Ostseiten der festen Teile seiner Hülle (der Festländer) stößt, setzt sie der Rotation einen Widerstand entgegen und verlangsamt dieselbe, bis endlich die Rotationszeit mit der Umlaufszeit zusammenfällt. Ist dieser Zustand erreicht, so findet, wenn dann überhaupt noch eine flüssige Bedeckung vorhanden ist, kein Wechsel von Ebbe und Flut mehr statt, sondern es besteht bloß auf der dem Zentralkörper zugekehrten und auf der entgegengesetzten Seite eine Erhöhung und in 90° Abstand von diesen Punkten eine beständige Depression. [* 11]
Vgl. Plaßmann, Die neuesten
Arbeiten über den Planeten Merkur
(Freib. i. Br. 1890).
[* 10]
^[Abb.: Merkur
nach Schiaparelli.]