Lungenschw
indsucht
(Phthisis s. Tuberculosis pulmonum), der gemeinschaftliche
Name für verschiedene Krankheitsprozesse,
bei welchen infolge tief greifender Veränderungen oder Zerstörungen das zum Atmen bestimmte Lungengewebe zu dieser
Funktion
unfähig wird und wegen der dadurch bedingten mangelhaft ten
Blutauffrischung eine allgemeine
Konsumtion des
Körpers eintritt,
welche früher oder später den
Tod nach sich zieht. Von allen tödlichen
Krankheiten unsers
Klimas ist
die Lungenschw
indsucht bei weitem die häufigste, nahezu zwei Siebentel aller
Menschen fallen ihr zum
Opfer.
Der Lungenschwund
(phthio, griech., »ich schwinde«)
wird in einer
Reihe von
Fällen durch langdauernde
Entzündung der
Bronchien und des interstitiellen
Gewebes um dieselben hervorgerufen,
wobei reichliche
Neubildung von
Bindegewebe zur
Verhärtung (schieferige
Induration) und Verödung der Luftbläschen führt (s.
Lungenentzündung). Diese Form der Lungenschw
indsucht kommt bei sonst kräftigen
Personen vor und ist eine der
Staubeinatmungskrankheiten (s. d.),
welchen viele
Gewerbe ausgesetzt sind. Diese
Prozesse ziehen sich über Jahre hin, verlaufen ohne
Fieber, die
Kräfte nehmen
sehr langsam ab, eine
Ansteckung findet nicht statt, der
Auswurf ist wie beim chronischen
Bronchialkatarrh (s. d.) beschaffen.
Die Lungenschw
indsucht im engern
Sinn (tuberkulöse Lungenschw
indsucht) wird bedingt durch die von R.
Koch 1882 entdeckten Tuberkelbacillen. Sehr selten werden
Kinder mit
Tuberkulose behaftet geboren. Weit häufiger wird die
Disposition zur Lungenschw
indsucht angeboren oder von den
Eltern her vererbt. Diese
Disposition (skrofulöse oder tuberkulöse
Konstitution) beruht auf einer kümmerlichen.
Anlage des
Herzens und des Arteriensystems, großer
Neigung zu
Katarrhen und Lymphdrüsenschwellungen, welche entweder schon bei den
Kindern
in den ersten Lebensjahren besteht, oder sich von der Zeit der
Geschlechtsreife ab bis etwa zum 25.-30.
Jahr hin ausbildet.
Äußerlich erkennbar ist der »schwindsüchtige Habitus« an dem langen, flachen, wenig gewölbten Brustkorb, langen, dünnen Hals, Magerkeit des Gesichts, oft mit eigentümlich zur allgemeinen Blässe kontrastierender Rötung der Wangen (hektische Röte), dünner, blasser Haut [* 2] bei häufig lang aufgeschossenem Knochenbau. Auch ohne erbliche Belastung kann dieser Habitus sich im Kindes- und Jünglingsalter bei schnell wachsenden Personen unter dem Einfluß schlechter feuchter Wohnungen, mangelhafter Ernährung, schwerer Kinderkrankheiten und ähnlicher zum frühen Siechtum führender Schädlichkeiten, Exzesse mannigfacher Art etc. herausbilden. Eine nicht geringe Anzahl unter den jugendlichen Kämpfern von 1870 ist aus den Schlachtfeldern ¶
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glücklich heimgekehrt, hat aber durch die harten Strapazen diese Disposition, den Keim zur spätern Lungenschwindsucht
, mit heimgebracht. Wenn
solche schwere Ernährungsstörungen auf der Grundlage einer Vererbung oder erworben vorhanden sind, so bietet ein Organismus,
welcher davon heimgesucht ist, einen sehr empfänglichen Boden für die Entwickelung von Tuberkelbacillen. Diese letztern müssen
von außen her, sei es durch die eingeatmete Luft oder durch Speisen oder die zum Essen
[* 4] gebrauchten Teller, Löffel etc., in die
Lungen oder den Magen
[* 5] hinein gelangen, um alsdann zu wuchern, dadurch Entzündungen und endlich immer weiter um sich greifende
Zerstörungen der Gewebe
[* 6] herbeizuführen.
Daraus ist ersichtlich, daß Personen, welche an Lungenschwindsucht
leiden, welche also in ihren Lungen Brutstätten von
Tuberkelbacillen mit sich herumtragen, durch das Aushusten derselben, durch Berührung ihrer Lippen und auf mannigfache andre
Weise die auf andre, disponierte Personen übertragen können. So kommt es, daß Kinder schwindsüchtiger Eltern, welche gesund
geboren worden sind, durch die angeborne schwächliche Anlage (skrofulöse Diathese) disponiert, von den
Eltern angesteckt, sehr oft schon in den ersten Lebensjahren, häufig aber erst nach dem 15. Jahr, wirklich von der Lungenschwindsucht
befallen
werden.
Was hier von der Lungenschwindsucht
gesagt ist, gilt von der Tuberkulose überhaupt, da sich bei disponierten Personen Tuberkelbacillen nicht
nur in den Lungen, sondern sehr häufig im Darm,
[* 7] in den Gelenken, den Gehirnhäuten, den Harn- und Geschlechtswegen
ansiedeln und tuberkulöse Schwindsucht dieser Organe bedingen können; die ist alsdann nur Teilerscheinung einer weitverbreiteten
oder, wie man gewöhnlich sagt, allgemeinen Tuberkulose. In der Lunge
[* 8] selbst treten drei pathologisch-anatomisch wohl charakterisierte,
doch mannigfache Übergänge ineinander zeigende Formen der chronischen Entzündung auf, welche alle in
den Lungenspitzen beginnen und sich Schritt für Schritt nach abwärts ausbreiten.
Die Unterschiede dieser Formen basieren auf dem verschiedenen Sitz der Entzündungsprodukte im Zwischengewebe, im Lumen der Luftwege und der Lungenbläschen. Im Zwischengewebe wirken die Tuberkelbacillen als Entzündungsreiz und bringen teils echte Tuberkeln, teils chronische Verdickungen einfacher Art, wie bei den Gewerbekrankheiten, hervor. Gewöhnlich geht auch hier eine lange dauernde katarrhalische Entzündung der Bronchialschleimhaut, zuweilen mit tuberkulösen Geschwüren verbunden, vorauf (Bronchitis tuberculosa), bevor die Entzündung im Zwischengewebe (Peribronchitis fibrosa) zur Ausbildung kommt. Im Lumen der Luftwege sammelt sich Sekret an, welches eingedickt wird (verkäst, tuberkulisiert) und oft ganze Zweige der Bronchien erweitert und verstopft (Bronchiektasie).
Durch spätere Kalkablagerung in solchen Käsepfropfen entstehen die sogen. Lungensteine. Innerhalb der Lungenbläschen bedingen
die Bacillen eine Anfüllung derselben mit einem zelligen, zum Teil faserstoffigen Exsudat, welches bald eintrocknet und eine
tote weiße Masse bildet (käsige Hepatisation). Sowohl die eigentlichen hirsekorngroßen Knötchen (Miliartuberkeln)
im Zwischengewebe und dem Lungenparenchym selbst, als die Sekretmasse in den Bronchien, als endlich die derben luftleeren,
käsig hepatisierten Stellen haben nun die Eigentümlichkeit, daß das tote (nekrobiotische) Gewebe weich wird, sich verflüssigt
und alsdann, sobald eine Bronchialwand durchbrochen ist, ausgehustet werden kann. So entsteht die Verschwärung
(Ulceration), die Bildung von Höhlen (Kavernen), d. h. der eigentliche Schwund.
Je schneller die Verkäsung und Höhlenbildung
um sich greift, um so mehr nähert sich das Krankheitsbild dem der galoppierenden Lungenschwindsucht;
je mehr die
katarrhalischen Prozesse in den Bronchien, die Bronchiektasien und Peribronchitis im Vordergrund stehen,
um so schleichender verläuft die Lungenschwindsucht.
Durch das Zusammenbrechen der verkästen Gewebe werden sehr oft kleine und größere
Schlagadern der Lunge zerrissen, deren Wand ebenfalls von den Bacillen durchsetzt war, und es erfolgt dann Bluthusten (Hämoptoe),
der sich bis zur tödlichen Pneumorrhagie steigern kann.
Wenn sich die Verkäsung und nachträgliche Einschmelzung nahe der Lungenoberfläche vollzieht, bevor eine Brustfellentzündung die Lunge am Brustkorb festlötet, so kann Durchbruch in die Brusthöhle, Eintritt von Luft in dieselbe (Pneumothorax) und unter plötzlicher Atemnot der Tod erfolgen. Anderseits ist es durchaus nicht selten, daß tuberkulöse Bronchitis, Bronchiektasien und selbst kleinere ulceröse Höhlen so ausheilen, daß die Lungen dauernd ihre Dienste [* 9] leisten, und daß auch das Allgemeinbefinden völlig zur Norm zurückkehrt.
Der Verlauf der ist überaus verschieden, je nachdem die langsamern Prozesse oder die Verschwärung überwiegen. Meist beginnt
die schleichende Lungenschwindsucht
mit lästigen Katarrhen des Kehlkopfes und der Bronchien, zuweilen leitet erst ein Bluthusten
die Aufmerksamkeit auf das vorhandene Leiden.
[* 10] Die zuerst betroffenen Lungenspitzen sinken ein, Fieber fehlt entweder ganz, oder
beginnt mit leichten abendlichen Temperatursteigerungen, und nur die zunehmende Abmagerung deutet auf die Schwere der Krankheit.
Bei guter Ernährung kann der Verlauf viele Jahre lang währen. Die akute Lungenschwindsucht
beginnt mit Husten, meist
ohne Auswurf, zuweilen mit Bluthusten. Alsdann stellt sich reichlicher eiteriger oder mit Gewebsbröckchen untermischter Auswurf
ein, in welchem man mit dem Mikroskop
[* 11] außer den schon frühzeitig vorhandenen Tuberkelbacillen auch die Trümmer des verkästen
Lungengewebes, namentlich elastische Fasern, nachweisen kann. Fieber und nächtliche Schweiße führen bald eine Abmagerung herbei,
zumal wenn Magenkatarrh, Durchfälle und ähnliche Störungen, welche bei gleichzeitiger Tuberkulose des
Darms ganz regelmäßig sich einstellen, die Lungenschwindsucht
begleiten. In solchen Fällen erfolgt der Tod unter allgemeiner Erschöpfung,
Amyloidentartung der Milz, Nieren und Leber oft schon nach 1-2 Jahren; die schlimmsten Fälle der galoppierenden Lungenschwindsucht
(P. florida),
bei denen große Gewebsmassen käsig zerfallen und ausgehustet werden, enden schon nach 6-8 Wochen tödlich.
Die Behandlung ist bei den langsam verlaufenden Fällen, bei denen wenig oder kein Fieber vorhanden, der Kräftezustand ein
guter, die Verdauung ungestört ist, oft von vollständigem, noch öfter von einem zwar nicht absoluten, aber immerhin doch
recht befriedigenden Heilerfolg gekrönt. Direkte Mittel, welche die Bacillen töten, gibt es bis jetzt
noch nicht; auch hat die chirurgische Behandlung der Lungenschwindsucht
bisher keine nachahmenswerten Erfolge gezeitigt,
so daß es vor allem auf richtige Lebensweise und allgemeine Stärkung der Konstitution ankommt. Der Schwindsuchtskandidat
muß daher eine trockne, sonnige, wohlgelüftete Wohnung beziehen, am besten sich fleißig im Freien auf
dem Land, besonders auch in Nadelholzwäldern oder in bergigen, aber geschützten und nicht rauhen Gegenden, bewegen. Während
der kältern und stürmischen Monate ist es am besten, den Kranken bei gleichmäßiger Temperatur (16°) im Zimmer zu halten;
dann hat man aber durch fleißiges
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Lüften, Vermeidung von Staub, Rauch und Tabaksqualm, durch Aufstellen grüner Pflanzen und durch Verdampfenlassen von Wasser auf dem Ofen für eine gesunde und reine Luft zu sorgen. Für wohlhabende, noch kräftige Kranke sind Winteraufenthalte in Davos, für schwächere ein mildes südliches Klima, [* 13] welches der Arzt für jeden einzelnen Fall zu wählen hat, empfehlenswert. Die Atmungswerkzeuge sind in vorsichtiger Weise zu kräftigen, besonders dadurch, daß man den Kranken anhält, möglichst oft recht tief und ruhig einzuatmen.
Luftröhrenkatarrhe sind auf jede Weise zu vermeiden und, wenn sie sich einstellen, so schnell wie möglich zu beseitigen. Hierzu ist es erforderlich, daß der Patient bei kalter und rauher Witterung einen Respirator (von Jeffrey) trage, der nur gleichmäßig warme Luft in die Lunge eindringen läßt. Auch ist das Tragen eines Flanellhemdes auf dem bloßen Leib, das Warmhalten der Füße durch wollene Strümpfe, Korksohlen etc. sehr zu empfehlen. Die Diät des Kranken muß darauf gerichtet sein, ihn bei Kräften zu erhalten. Er trinke daher fleißig frisch gemolkene warme Kuhmilch, nähre sich mit weichen Eiern, Fleischbrühen, gut gekochtem oder gebratenem Fleisch, gutem bayrischen Bier etc. Exzesse aller Art im Essen, Trinken, Schwärmen sind zu verbieten, und der bei solchen Kranken ohnedies sehr rege Geschlechtstrieb ist streng in Schranken zu halten; Ruhe des Gemüts ist zur Fristung solcher Kranken wesentlich erforderlich.
Ist die Krankheit einmal bis zu einem gewissen Grad fortgeschritten, so läßt sich nichts Wesentliches dagegen thun; die Aufgabe des Arztes ist es dann nur, dem Kranken auf symptomatischen Weg seine Beschwerden zu erleichtern. Gewöhnlich klagt der Schwindsüchtige am meisten über den Husten, der ihn besonders nachts belästigt. Er ist durch schwache, allmählich zu steigernde Morphiumdosen am besten zu bekämpfen.
Vgl. Niemeyer, Klinische Vorträge über die Lungenschwindsucht (Berl. 1867);
Waldenburg, [* 14] Die Tuberkulose, die und die Skrofulose (das. 1869);
Buhl, Lungenentzündung, Tuberkulose u. Schwindsucht (2. Aufl., Münch. 1874);
Koch, Die Ätiologie der Tuberkulose (»Berliner [* 15] klinische Wochenschrift« 1882);
Brehmer, Die Ätiologie der chronischen Lungenschwindsucht (Berl. 1885);
Fromm, Die klimatische Behandlung der Lungenschwindsucht (Braunschw. 1887).