Lucca
,
[* 2] früher souveränes, sodann seit 1847 zum Großherzogtum Toscana gehöriges ital. Herzogtum, bildet gegenwärtig mit Einschluß von acht ehemals zum toscanischen Compartimento von Pistoja gehörigen Gemeinden eine Provinz des Königreichs Italien [* 3] von 1493 qkm (nach Strelbitsky 1410 qkm oder 25,6 QM.) Areal mit (1881) 284,484 Einw. Im S. ist der Boden fruchtbar, im N. steinig und gebirgig durch die Apenninen, die an der Nordostgrenze bis zu 1862 m (Panie della Croce) sich erheben.
Bewässert wird Lucca
vom
Serchio mit dem
Lima.
[* 4] An der Meeresküste liegt der
See von Massaciuccoli, wogegen der im SO. gelegene
See
Bientina ganz ausgetrocknet worden ist. Das
Klima
[* 5] ist im gebirgigen
Norden
[* 6] rauh, in der
Ebene heiß; in
den sumpfigen Landstrichen ist es feucht und ungesund. Die
Provinz besitzt mehrere besuchte
Mineralquellen. Der
Boden wird durchgängig
musterhaft angebaut. Hauptprodukte sind neben
Cerealien und
Hülsenfrüchten:
Wein,
Oliven (berühmtes Luccheser
Öl),
Obst,
Kastanien,
Mandeln,
Feigen. Erwerbsquellen sind ferner: die
Seidenzucht, die Vieh-, insbesondere Schafzucht, Gewinnung
und Verarbeitung von
Marmor,
Alabaster und
Thon sowie die
Industrie in
Seiden- und Wollwaren. Der
Handel ist von geringerer Bedeutung.
Trotz der vielseitigen Erwerbsarten sucht ein Teil der Bewohner außerhalb der
Provinz, insbesondere auf
Corsica
[* 7] bei der Bodenbestellung,
Beschäftigung. S. die Geschichtskarten bei
»Italien«.
Die gleichnamige Hauptstadt der
Provinz, bis 1847
Residenz des
Herzogs und der
Landesregierung, liegt 15 m ü. M.,
am
Serchio und an der
Eisenbahn von
Pisa
[* 8] nach
Pistoja. Die Stadt ist von
Wällen umgeben, welche als
Promenaden dienen und von
vier
Thoren durchbrochen sind. Unter den
Plätzen zeichnet sich die
Piazza grande mit dem Marmordenkmal der Herzogin
Marie
Luise (von
Bartolini) aus, welche 1815-24 Souveränin von Lucca
war und sich durch
Anlage des großen, von den pisanischen
Bergen
[* 9] hergeführten
Aquädukts mit 459
Bogen
[* 10] um die Stadt verdient gemacht hat. An der Westseite des Platzes steht der
Palazzo
pubblico (1578 von
Ammanati erbaut, aber nicht vollendet) mit wertvoller Gemäldesammlung (unter anderm
zwei schöne Werke des
Fra Bartolommeo). Unter den 40
Kirchen, von denen mehrere bis in das 8. und 7. Jahrh. zurückreichen,
ist am sehenswertesten die
Kathedrale
San Martino (aus dem 11. Jahrh.), die neben reichen Kunstschätzen,
Skulpturen etc. (s.
Tafel
»Bildhauerkunst
[* 11] V«,
[* 12] Fig. 9; VI,
[* 1]
Fig. 12) 4000 alte
Urkunden besitzt und im linken Seitenschiff ein achteckiges Marmortempelchen zur
Aufbewahrung des hochverehrten Volto santo
(ein in Zedernholz geschnitztes orientalisches Bildnis des Gekreuzigten, das schon
Dante erwähnt) enthält.
Die älteste Kirche von ist die Basilika [* 13] San Frediano, während die Kirche San Michele sich durch ihre imposante Säulenfassade (12. Jahrh.) auszeichnet. Die Einwohner, (1881) 20,421, mit Einschluß der zum Gemeindegebiet gehörigen umliegenden kleinen Ortschaften 68,063 an der Zahl, betreiben hauptsächlich Seidenindustrie (welche früher viel bedeutender war und im 16. Jahrh. 3000 Webstühle [* 14] beschäftigte), Fabrikation von Tüchern und Schärpen, Kunsttischlerwaren und Zigarren wie auch lebhaften Handel. Unter den zahlreichen ¶
mehr
Wohlthätigkeitsanstalten sind das großartige Armenhaus, zwei Krankenhäuser, ein Irrenhaus und ein Waisenhaus hervorzuheben.
Lucca
hat ein Seminar, ein königliches Lyceum, Gymnasium, technische Schule, Normalschule für Lehrerinnen, ein Konservatorium, Musikinstitut,
eine Zeichenschule, eine königliche Kunstakademie, 2 wissenschaftliche Akademien, eine öffentliche Bibliothek von 58,000 Bänden, 5 an
Urkunden reiche Archive und 3 Theater.
[* 16] Die Stadt ist Sitz eines Präfekten, Erzbischofs, eines Appell- und
Assisenhofs, Zivil- und Korrektionstribunals und einer Handels- und Gewerbekammer. Von Bauten der antiken Stadt Lucca
sieht man
noch die Reste eines Theaters und eines Amphitheaters. In der Nähe liegen viele herrliche Villen und 27 km nordöstlich die
berühmten heißen Bäder von Lucca
(Bagni di Lucca
, s. d.).
Geschichte. Lucca
(im Altertum Luca) in Ligurien war seit 178 v. Chr. eine römische Kolonie und wurde zu Gallia cisalpina, später
zu Etrurien gerechnet. Cäsar hielt hier während des Gallischen Kriegs (56) Winterquartier und erneuerte seinen Bund mit Pompejus
und Crassus. Unter den Langobarden hatte es eigne Grafen und begann im 12. Jahrh. seine städtische Freiheit
zu entwickeln; es hielt unter der Leitung des Geschlechts der Obizzi zur guelfischen Partei. 1288 kaufte es sich von Rudolf
I. die Befreiung von dem kaiserlichen Statthalter für 12,000 Gulden. 1314 lieferte aber der Ghibelline Castruccio de' Interminelli
Lucca
in die Hände Ugucciones della Faggiuola, des kaiserlichen Vikars von Genua,
[* 17] der auch Pisa beherrschte und seinen Sohn Francesco
als Capitano in Lucca
einsetzte.
Dieser fiel 1315 in der Schlacht bei Montecatini, und die Herrschaft riß nun Castruccio Castracani an sich, der auf die Seite
der Ghibellinen brachte, wofür ihn Kaiser Ludwig 1327 zum Herzog von Lucca
ernannte und Teile von Florenz
[* 18] und
Pisa zu seinem Gebiet schlug. Nach Castruccios Tod (September 1328) ward Lucca
wieder Republik, und der Kaiser setzte den Grafen Burkhart
(Conte Porcaro) als Gouverneur ein. Bald darauf verkauften jedoch die deutschen Söldner, die sich Luccas
bemächtigt hatten, um sich für ihren rückständigen Sold bezahlt zu machen, die Herzogswürde an den Genuesen Gherardo
Spinola für 30,000 Dukaten.
Dieser übergab aber, von den Florentinern angefeindet, 1331 dem König Johann von Böhmen
[* 19] die Schutzherrschaft über Lucca.
Letzterer
versetzte Lucca
um 35,000 Dukaten an das Haus Rossi in Parma,
[* 20] von dem es unter pisanischer Oberhoheit 1335 Mastino
della Scala, Herr von Verona,
[* 21] erhielt, der es 1339 für 250,000 Goldgulden an Florenz verkaufte. Als die Florentiner
[* 22] Lucca
einnehmen
wollten, kamen ihnen jedoch die Pisaner zuvor (1342). Nachdem Kaiser Karl IV. der Stadt 1369 ihre Freiheit und Reichsunmittelbarkeit
für 200,000 Gulden zurückgegeben, wußte sie dieselbe zu behaupten und blieb eine aristokratische Republik,
an deren Spitze ein Gonfaloniere und sechs Anziani (Älteste) standen, bis 1797, wo sie von den Franzosen erobert wurde, welche
Lucca
erst zum Königreich Etrurien, 1805 aber zu dem Fürstentum Piombino schlugen, das Napoleons I. Schwester Elise, Gemahlin
des Fürsten Bacciocchi, beherrschte.
Der Wiener Kongreß überließ es 1815 der ehemaligen Königin von Etrurien, Infantin Maria Luise, der Tochter des Königs Karl
IV. von Spanien,
[* 23] und deren Kindern unter dem Titel eines Herzogtums mit voller Souveränität bis dahin, wo sie mit ihrer Familie
zum Besitz Parmas, welches die Witwe Napoleons I., Marie Luise, auf Lebenszeit erhielt, gelangen würde. Lucca
sollte
dann, mit Ausschluß einiger an Modena abzutretender Landstriche, an
Toscana fallen. Doch erst 1818 trat die Infantin die Regierung
an und führte dieselbe bis zu ihres Sohns Karl II. Ludwig von Bourbon Volljährigkeit 1819. Wie unter seiner Mutter, die starb,
so erfreute sich das Land auch unter Herzog Karl Ludwig einer ungetrübten Ruhe.
Doch war die despotische Herrschaft des englischen Günstlings des Herzogs, Ward, verhaßt, und 1847 wurde in eine Sturmpetition
an den Herzog um Verleihung einer Verfassung gerichtet, vor welcher derselbe nach Massa floh. Er kehrte nicht
lange darauf zurück, trat aber das ganze Herzogtum an Toscana ab, weil er nahe Aussicht auf Parma hatte, das auch
durch den Tod der Erzherzogin Marie Luise 18. Dez. ihm zufiel. Der Herzog von Lucca
führte das spanisch-parmesanische Wappen;
[* 24] das Landeswappen
aber war ein lasurblauer Schild,
[* 25] auf welchem zwischen zwei schrägen Balken das Wort »Liberta« stand.
Vgl. Mazzarosa, Storia di Lucca (Lucca 1833).