Hexameter
,
von den Griechen erfundener sechsfüßiger daktylischer
Vers (wegen der frühsten Anwendung im
Heldengedicht
auch heroischer oder epischer
Vers genannt), dessen letzter Versfuß zur Bezeichnung des Versendes um
eine
Silbe verkürzt ist, so daß ein
Trochäus oder, da die letzte
Silbe aller
Verse mittelzeitig ist, ein
Spondeus den
Vers schließt.
Jeder der ersten vier
Daktylen kann nach der
Regel, daß zwei
Kürzen
einer
Länge gleich sind (s.
Prosodie), mit einem
Spondeus
vertauscht werden; nur der fünfte
Fuß, wo der
Charakter des
Verses am schärfsten hervortritt, muß stets ein
Daktylus sein.
Ausnahmen sind in letzterer Beziehung nur zu gunsten der rhythmischen
Malerei gestattet, und man nennt alsdann den
Vers, der
im fünften
Fuße statt des
Daktylus einen
Spondeus hat, einen spondeischen Hexameter.
Der Versaccent fällt stets
auf die erste
Silbe des
Daktylus,
Spondeus oder
Trochäus. Wir erhalten danach folgendes
Schema:
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Der letzte Schritt, die sechsfüßigen Daktylen künstlerisch zu gliedern, war die Einführung der Cäsur, wodurch bewirkt wurde, daß nicht jedes Ende eines Fußes mit dem Ende eines Wortes zusammenfällt, sondern daß an gewissen Stellen ein Wortende den Versfuß durchschneidet. Fallen [* 2] Wortende und Ende eines Fußes zusammen, so entsteht eine Diärese. Die Hauptcäsur fällt in den dritten Fuß oder nach dem fünften Halbfuß (Penthemimeres) und ist entweder stumpf (männlich):
»Und je wilder der Sturm, || je höher brauset die Brandung« (Uhland),
wo dann natürlich der dritte Versfuß ein reiner Daktylus sein muß:
»Bunt aneinander Gereihtes || ergötzt zwar, doch es ermüdet« (Platen).
Statt dieser Hauptcäsur kann jedoch auch eine Doppelcäsur stehen, und zwar nach der ersten Silbe des zweiten Daktylus oder dem dritten Halbfuß (Trithemimeres) und nach der ersten Silbe des vierten Daktylus oder dem siebenten Halbfuß (Hephthemimeres):
»Schroffes Gestad' || als Pilger besucht, || dann weißt du, wie selten« (Platen).
Hauptdiäresen hat der Hexameter
eigentlich nur eine, nämlich nach dem vierten
Fuß, und auch da nur bei ländlichen Gedichten,
wo dieselbe als
Regel gilt (daher gewöhnlich auch bukolische
Cäsur genannt, obwohl sie in der That keine
Cäsur ist):
»Sei willkommen im Freien, Antonio, | selten erscheinst du« (Platen).
Im übrigen ist es dem Ermessen des Dichters überlassen, nach jeder beliebigen
Silbe eine
Cäsur zu machen, und man nennt
solche Fußcäsuren. Durch den daktylischen Grundrhythmus erhebt sich der über die
Sprache
[* 3] des gemeinen
Lebens, und durch die beliebige Vertauschung der
Daktylen mit
Spondeen gestattet er, je nach dem
Bedürfnis des Dichters, die
verschiedensten Mischungen von
Kraft
[* 4] und Weichheit und nimmt von der trägsten
Schwere bis zur raschesten Leichtigkeit bald
einen majestätischen oder prächtigen, bald einen flüchtigen oder nachlässigen
Gang
[* 5] an. Der Hexameter
wurde
bei den Griechen und
Römern angewandt zu epischen oder erzählenden Gedichten
(Homer,
Apollonios von
Rhodos,
Ennius, Vergil,
Ovid,
Statius etc.), zu
Lehrgedichten (Hesiod,
Theognis, Vergil, Lukrez etc.), zu
Satiren (Horaz,
Persius, Juvenal etc.), zu
Hymnen
(Orphiker,
Kallimachos), mit dem
Pentameter (s. d.) vermischt zu
Elegien
(Tyrtäos,
Mimnermos, Ovid, Tibull,
Properz etc.), mit andern
Metren zu sonstigen lyrischen Gedichten
(Archilochos, Horaz etc.). Auch in die lateinische
Poesie
des
Mittelalters ging der über, nahm aber hier bald eine besondere Gestalt an, indem der
Schluß des
Verses mit der Hauptcäsur
(im dritten
Fuß) reimen mußte, was um so natürlicher erscheint, als dieser
Vers (leoninischer Hexameter
genannt)
sich ganz der altdeutschen Langzeile anschmiegte. Auch die deutsche
Poesie suchte schon früh deutsche Hexameter
zu bilden, die
¶
mehr
jetzt freilich nicht dafür gelten können und auch nur vereinzelt auftreten; z. B. das Vaterunser von K. Gesner (gest. 1565):
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[»O Vater unser, der du dein' ewige Wohnung«,]
oder schon früher bei Johannes Klaj mit leoninischem Reim:
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[»Ein Vogel hoch schwebet, der nicht als andere lebet«]
Bessere Verse als Proben lieferte Gottsched. Eigentlichen Gebrauch von Hexametern
aber machte zuerst Klopstock
im »Messias« (1748), und nachdem einmal die Bahn gebrochen war, folgten die Dichter bald nach. Unter ihnen war es Voß, welcher
durch ein tieferes Studium dessen, was dem Hexameter
Vollkommenheit, Schönheit und Würde verleiht, zuerst den Gipfel der Rhythmik
in der deutschen Sprache erklomm und einen Kanon für die Bildung des Hexameters
aufstellte. Goethe in »Hermann und Dorothea«,
im »Reineke Fuchs« und in kleinern Dichtungen, Schiller in einzelnen Gedichten gebrauchten ihn mit größerer Freiheit; am reinsten
haben A. W. Schlegel und Platen den Vers durchgeführt.
Über die Zulässigkeit des Hexameters
überhaupt in der deutschen Poesie sind die Stimmen geteilt. Jedenfalls
hat er für uns durchaus nicht die Bedeutung, welche er für die streng quantitierende Sprache der Griechen und Römer
[* 7] hatte,
und für den epischen Vers der Neuzeit kann er in keiner Weise gelten. Die letzten glücklichern Versuche, ihn wieder
einzuführen, wie die Erzählung »Richard" von V. Strauß,
[* 8] das idyllische Epos »Adam und Eva« von M. Hartmann, »Mutter und Kind« von
Hebbel, »Thekla« von P. Heyse, »Euphorion« von Gregorovius u. a., haben ihm keine Popularität zu verschaffen vermocht.
Das moderne Epos verlangt die Strophe und den Reim, und die rhythmische Malerei des Hexameters
, die vorzugsweise
aus dem Wechsel der Spondeen und Daktylen entspringt, läßt sich auch in andern Versmaßen erreichen. So bleibt sein Wirkungskreis
in der Neuzeit auf das kürzere Idyll und vorzugsweise auf das Distichon beschränkt. In Italien
[* 9] und Frankreich ging man den
Deutschen zum Teil um 100 Jahre früher mit der Einführung von Hexametern
voran. Noch im 16. Jahrh. raten
Annib. Caro mit italienischen, Baif mit französischen Hexametern
auf; aber so sehr sie auch allen Forderungen der Rhythmik entsprachen,
so vermochten sich diese Versuche doch nicht den allgemeinen Beifall der Nation zu erringen. Nicht glücklicher waren der Engländer
Abr. Fraunce, der um 1670 Heliodors »Aethiopica«
in englische Hexameter
übersetzte, und der Schwede Stjernhjelm, der um eben diese Zeit die alten Silbenmaße in seiner Muttersprache
versuchte, in welcher sie zuerst Adlerbeth in seinem Vergil heimisch gemacht hat. Im Spanischen finden sich Hexameter
von 1617.